1401 | Ding (älter thing, zu idg. *tenkos, Zeit) ist im Mittelalter und vielleicht schon vorher die (zu einer bestimmten Zeit stattfindende) Ver-sammlung (der erwachsenen freien Männer ursprünglich eines Stammes, im fränkischen Reich wohl bald nur noch kleinerer Gebiete), in der über verschiedene Angelegenheiten gesprochen und verhandelt werden kann. Dementsprechend ist D. die wichtigste Bezeichnung für das Gericht. Unterschieden werden dabei (bei Franken und Sachsen) echtes (ungebotenes, an festen Zeitpunkten in einer Grafschaft alle sechs Wochen und damit an jeder der 3 oder vier Gerichtsstätten einer Grafschaft zweimal oder dreimal im Jahr stattfindendes) D. und (je nach Bedarf besonders) gebotenes D. Das durch die besondere Hegung eröffnete D. wird (unter freiem Himmel auf Hügeln oder Malbergen oder auch bei großen Bäumen oder Steinen am Tag) vom König, Grafen oder von sonstigen (zunächst Thunginen, seit karolingischer Zeit) Richtern geleitet. Die inhaltlichen Entscheidungen werden vom Umstand (Dinggenossenschaft) oder besonderen Urteilern (Rachinburgen, Schöffen) gefällt. Diese Aufgabenteilung wird auch von den kirchlichen Sendgerichten übernommen. Dagegen erscheint seit dem 13. Jh. in der Kirche der berufsmäßige Einzelrichter, der seit dem frühen 15. Jh. die Laienurteiler verdrängt. Im 16. Jh. tritt dementsprechend die Verwendung von D. im Sinne von Gericht zurück, hält sich aber in ländlichen Weistümern bis in das 18. Jh. In der Umgangssprache bleibt D. in blasser, allgemeiner Bedeutung (Sache, Angelegenheit) erhalten. Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Köbler, DRG 85, 116; Planck, J., Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter, Bd. 1f. 1879, Neudruck 1973; Amira, K. v., Die Dingzeiten des Schultheißen zu Magdeburg, ZRG GA 28 (1907), 437, 29 (1908), 337; Buchwald, G., Das thüringische Hegemahl, ZRG GA 28 (1907), 444; Loening, O., Die Gerichtstermine im Magdeburger Stadtrecht, ZRG GA 30 (1909), 37; Amira, K. v., Die Dingzeiten des Schultheißen zu Magdeburg, ZRG GA 30 (1909), 310; Rietschel, S., Nochmals die Dingzeiten des Magdeburger Schultheißen, ZRG GA 30 (1909), 313; Stölzel, A., Geding und Appellation, 1911:;Weber, M., Wirtschaft und Gesellschaft, 1921; Kern, E., Geschichte des Gerichtsverfassungsrechts, 1954; Karg-Gasterstädt, E., Althochdeutsch Thing - neuhochdeutsch Ding, Verh. d. Sächs. Akad. d. Wiss. 104,2, 1958; Landwehr, G., Urteilfragen und Urteilfinden, ZRG GA 96 (1979), 1; Weitzel, J., Über Oberhöfe, 1981; Weitzel, J., Dinggenossenschaft und Recht, 1985 |
1402 | Dingfriede ist der im →Ding einzuhaltende →Friede. |
1403 | dinglich (Wort um 1000), das Ding oder die Sache betreffend Lit.: Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010 |
1404 | Dinglicher Vertrag ist der im 19. Jh. von Friedrich Carl von Savigny entwickelte, 1872 im preußischen Eigentumserwerbsgesetz anerkannte, sachenrechtliche Rechtsveränderungen betreffende Vertrag (Einigung über den Rechtsübergang oder die Rechtsentstehung an einem Gegenstand z. B. bei Über-eignung oder Verpfändung) im Gegensatz zum schuldrechtlichen Vertrag (z. B. Kauf, Schenkung). Lit.: Köbler, DRG 212; Felgenträger, W., Friedrich Carl von Savignys Einfluss auf die Übereignungslehre, 1927 |
1405 | Dingliches Recht ist (seit dem 16. Jh., 1548, bisheriger Erstbeleg kurmärkische Ständeakten 1551) das eine Sache (körperlichen Ge-genstand) betreffende, gegen jedermann wirkende Recht (z. B. [Besitz,] Eigentum, Pfand, Dienstbarkeit[, Reallast, Bergwerkseigentum, Erbbaurecht, früher vielleicht auch Bodenleihe, Lehen, Untereigentum]) im Gegensatz zum (persönlichen Sachenrecht bzw. zum) schuldrechtlichen. nur im Verhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner wirkenden Recht (z. B. Kaufpreisforderung). Lit.: Köbler, DRG 212; Wiegand, W., Numerus clausus der dinglichen Rechte, (in) Wege europäischer Rechtsgeschichte, hg. v. Köbler, G., 1987, 623; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privat-rechtswortschatzes, 2010 |
1406 | Dingpflicht ist die Anwesenheitspflicht im mittelalterlichen →Ding. In welchem Umfang sie jeweils bestanden hat, lässt sich nicht sicher bestimmen. Jedenfalls verringert Karl der Große in seiner zwischen 770 und 780 vorgenommenen Reform ihren Umfang auf jährlich drei Dinge und sind verfolgte Fälle ihrer Verletzung nicht bekannt. Lit.: Kroeschell, DRG 1; Weitzel, J., Dinggenossenschaft und Recht, 1985 |
1407 | Dinus de Rossonis Mugellanus ist ein bei Florenz um 1250 geborener Jurist in Bologna (commentaria, additiones, glossae contrariae, tractatus z. B. de successionibus ab intestato, de modis arguendi, ordo iudiciorum, erste erhaltene umfangreiche – 53 – Sammlung von consilia). Lit.: Lange, H./Kriechbaum, M., Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 2 2007, 445 |
1408 | Dionysius Exiguus (Skythien um 475?-Rom um 545) ist ein skythischer Mönch, der in Rom nach dem 21. 11. 496 als Übersetzer griechische Kultur dem lateinischen Westen vermittelt und eine klar geordnete lateinische Sammlung der griechischen Quellen des Kirchenrechts (lat. [M.Pl.] canones) und der Konzilsakten (lat. [N.Pl.] decreta) herstellt ([lat.] Liber [M.] canonum und Liber decretorum). Seine vielfach abgeänderte Sammlung ist durch zahlreiche Handschriften überliefert. 774 überreicht Papst Hadrian Karl dem Großen die sog. Dionysio-Hadriana. Bei der Übernahme der alexandrinischen Berechnung des Osterdatums führt D. E. (nach Eusebius von Caesarea) die Jahreszählung von Christi Geburt an (um 5 bzw. 4 Jahre zu spät) ein. Lit.: Köbler, DRG 53, 80; Strewe, A., Die Canones-Sammlung des Dionysius Exiguus, 1931; Wurm, H., Studien und Texte zur Dekretalensammlung des Dionysius Exiguus, 1939; Peitz, W., Dionysius Exiguus als Kanonist, 1945; Feine, H., Kirchliche Rechtsgeschichte, 1950, 5. A. 1972; Mordek, H., Kirchenrecht und Reform, 1975 |
1409 | Diözese (F.) Amtsgebiet eines Bischofs (der katholischen Kirche) |
1410 | Diplom (lat. [N.] diploma, Verdoppeltes) ist im römischen Altertum zunächst die durch Falten doppelt gelegte Urkunde, danach die vom Senat, einem höheren Magistrat oder vom Kaiser ausgestellte Urkunde. Das Mittelalter nennt Urkunden (lat.) charta, instrumentum, litterae, pagina, testamentum u. s. w. Seit dem 17. Jh. (Jean Mabillon 1632-1707) ist D. die Herrscherurkunde, die nach dem Ausstellerwillen dauernde Rechtskraft haben soll. In der Gegenwart ist D. der Abschluss einer höheren Ausbildung und die darüber erteilte Urkunde. Lit.: Monumenta Germaniae Historiaca, Diplomata; Erben, W., Die Kaiser- und Königsurkunden des Mittelalters, 1907, 181, 238; Classen, W., Kaiserreskript und Königsurkunde, 1977; Kölzer, D., Merowingerstudien, Bd. 1f. 1998f. |
1411 | Diplomat ist der (durch Diplom ausgewiesene, geschickt handelnde) Vertreter des Staates in politischen Angelegenheiten. Lit.: Le diplomate au travail, hg. v. Babel, R., 2005; Wohlan, M., Das diplomatische Protokoll im Wandel, 2013 |
1412 | Diplomatik ([im 17. Jh. entwickelte] Urkundenlehre [zwecks Unterscheidung echter und gefälschter Urkunden an Hand äußerer und innerer Merkmale]) →Diplom, Urkunde Lit.: Mabillon, J., De re diplomatica, 1681; Bresslau, H., Handbuch der Urkundenlehre, 1889, 2. A. 1912ff.; Rosenmund, R., Die Fortschritte der Diplomatik seit Mabillon, 1897; Diplomatik im 21. Jahrhundert, A. f. Diplomatik 52 (2006), 233; Digitale Diplomatik, hg. v. Vogeler, G., 2009 |
1413 | Diplomjurist ist in der Gegenwart der seine wissenschaftliche Berufsvorbildung mit einem Diplom abschließende Jurist (z. B. in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, an Fachhochschulen oder seit 2001 auch an einigen juristischen Fakultäten der Bundesrepublik Deutschland). Lit.: Kutschke, T., Diplom-Jurist für jedermann, JuS 2003, 205 |
1414 | Diplovatacio, Tommaso (Korfu 25. 5. 1468-Pesaro 29. 5. 1541) verfasst nach dem Studium in Salerno, Neapel, Padua (Jason de Mayno), Perugia und Ferrara (1490) bis 1511 einen unvollständig geschriebenen (lat.) Tractatus (M.) de praestantia doctorum (Abhandlung über den Vorrang der Doktoren), in dem er die bedeutendsten Rechtskundigen des Altertums und Juristen des Mittelalters beschreibt (De claris iuris consultis). Lit.: Juristen, hg. v. Stolleis, M., 1995, 172 |
1415 | Directorium (N.) in publicis et cameralibus ist die nach Vorstufen (seit 1744 Repräsentationen und Kammern, 1748 dem Herrscher unmittelbar unterstellt) 1749 unter Maria Theresia für Österreich geschaffenene Behörde, in der unter Ausschluss der Stände die innere Verwaltung und die Finanzverwaltung für alle Erbländer vereinigt werden. Zugleich werden die Hofkanzleien aufgelöst und ihre verbliebenen Zuständigkeiten der obersten Justiz-stelle übertragen. 1761 wird das D. zerschlagen (z. B. Verwaltungsrechtspflege an oberste Justizstelle, Anderes an Böhmisch-Österreichische Hofkanzlei), von 1792 bis 1797 unter ande-rem Namen nochmals kurzfristig hergestellt. Lit.: Walter, F., Die österreichische Zentralverwltung, 1938 |
1416 | direkt, Adj., unmittelbar (z. B. direkte, ohne abgeordnete, repräsentierende Organe bestehende Demokratie) |
1417 | Dispens (M. bzw. auch F., zu lat. [F.] dispensatio, Abwiegen, Zuteilen) ist die Befreiung, insbesondere im katholischen Kirchenrecht die durch die zuständige Autorität auf Grund Billigkeit erteilte Befreiung von der Geltung eines Rechtssatzes im begründeten Sonderfall. Lit.: Kroeschell, 20. Jh.; Hove, A. van, De privilegiis et dispensationibus, 1939; Bindschedler, U., Die Dis-pensation, 1958; Mussgnug, R., Der Dispens von gesetzlichen Vorschriften, 1964; Erler, A., Kirchenrecht, 5. A. 1983; Schmugge, L., Kirche, Kinder, Karrieren, 1995; May, G., Die Auseinandersetzungen zwischen den Mainzer Erzbischöfen und dem Heiligen Stuhl um die Dispensbefugnis im 18. Jahrhundert, 2007 |
1418 | Dispensehe ist die auf Grund eines (evtl. weltlichen) Dispenses von einem kirchenrechtlichen Ehehindernis (z. B. bestehende Ehe) geschlossene Ehe (z. B. seit 1919 Dispense einzelner sozialistischer Länderre-gierungen österreichischer Bundesländer [z. B. Niederösterreich] vom Ehe-hindernis der bestehenden unauflöslichen Ehe, woraufhin bis 1938 mehr als 50000 Dispensehen entstehen). Lit.: Kroeschell, 20. Jh. |
1419 | Dispositio (lat. [F.]) Anordnung, Verfügung |
1420 | Dispositio (F.) Achillea (lat., achillische Verfügung) ist die Verfügung bzw. das Hausgesetz (str.) des Markgrafen Albrecht Achilles von Brandenburg (1414-1486) vom 24. 2. 1473, das nur noch höchstens drei regierende Linien (Brandenburg, Franken, Obergebirg um Kulmbach) zulässt und 1791 zum Rückfall der Fürstentümer Ansbach und Bayreuth an die Hauptlinie Preußen der Hohenzollern führt. Lit.: Schulze, H., Die Hausgesetze der regierenden deutschen Fürstentümer, Bd. 3 1883; Caemmerer, H. v., Die Testamente der Kurfürsten von Brandenburg, 1915; Ulshöfer, W., Das Hausrecht der Grafen von Zollern, 1969 |