1381 | Dienstrecht ist das für eine Diensttätigkeit geltende Recht. Im Mittelalter gibt es für die Dienstmannen eines Herrn verschiedentlich ein besonderes, manchmal schriftlich niedergelegtes Recht (z. B. Limburg 1035, Bischof von Bamberg [1057-64], St. Maximin bei Trier, Grafen von Ahr, Erzbischof von Köln [um 1154], Bischof von Basel, Grafen von Tecklenburg), das mit dem Aufstieg der Dienstmannen in den niederen Adel im allgemeinen Lehnrecht aufgeht. In der jüngeren Neuzeit ist unter D. vor allem das Recht des öffentlichen d. h. staatlichen Dienstes zu verstehen. Lit.: Kroeschell, DRG 1; Köbler, DRG 104; Loesch, H. v., Das kürzere Kölner Dienstmannenrecht, ZRG GA 44 (1924), 298; Stech, L., Die Dienstrechte von Magdeburg und Hildesheim, Diss. jur. Göttingen 1965 |
1382 | Dienstvertrag (Wort 1794) ist der gegenseitige Vertrag, in dem sich der eine Teil (Dienstverpflichteter) zur Leistung vereinbarter Dienste irgendeiner Art, der andere Teil (Dienstberechtigter) zur Entrichtung der vereinbarten Vergütung verpflichtet. Im klassischen römischen Recht gehört dieser Vertrag zu der Gruppe von Verhältnissen, die in dem in seiner Vorgeschichte unklaren Konsensualkontrakt (lat.) →locatio conductio ([F.] Hinstellung - Mitführung) zusammengefasst sind (→locatio conductio ope-rarum, locator ist Dienstnehmer, conductor ist Dienstgeber, grundsätzlich auf bestimmte Zeit gegen Entgelt). Er hat deswegen nur einen geringen Anwendungsbereich, weil die häufigen Dienste der Sklaven auf Grund des Sklavenstatus erbracht werden und höhere Dienste (lat. artes [F.Pl.] liberales) nicht durch Entgelt entlohnt, sondern durch Ehrengaben (lat. [N.] honorarium) anerkannt werden. Auch im Frühmittelalter werden Dienste am ehesten auf Grund grundherrschaftlicher Abhängigkeit oder lehnsrechtlicher Verbindung geleistet. Diese personenrechtlichen Abhängigkeitsverhältnisse werden nur in der hochmittelalterlichen Stadt durch den D. ersetzt (Gesinde, Gesellen). In der frühen Neuzeit werden auch höhere Dienste entgeltlich. Das 19. Jh. hebt die personenrechtlichen Abhängigkeitsverhältnisse auf, regelt den D. im Wesentlichen römischrechtlich und erhofft sich vom freien Spiel der Kräfte den gerechten Ausgleich (z. B. §§ 611ff. BGB). Da dieser wegen der ungleichen Gewichtigkeit von Dienstgeber und Dienstnehmer ausbleibt, entwickelt sich der besondere →Arbeitsvertrag für das abhängige, fremdbestimmte Dienstverhältnis, so dass der D. sich auf wenige Anwendungsfälle beschränkt. Lit.: Kaser § 42; Söllner §§ 10, 17; Hübner; Köbler, DRG 45, 127, 166, 215, 240, 271; Gierke, O., Die Wurzeln des Dienstvertrags, FS H. Brunner, 1914, 37; Ebel, W., Gewerbliches Arbeitsvertragsrecht im deutschen Mittelalter, 1934; Schmelzeisen, G., Die Arbeitsordnungen in den jüngeren Berggesetzen, ZRG GA 72 (1955), 111; Schröder, R., Zur Arbeitsverfassung des Spätmittelalters, 1984; Amann, P., Abgrenzung und Anwendungsbereich von Dienstvertrag, Werkvertrag und Auftrag in der Entstehungsgeschichte des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Diss. jur. Bielefeld 1987; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechts-wortschatzes, 2010: Stähler, M., Der freie Dienstvertrag in der Rechtsprechung seit 1900, 2010 |
1383 | Diepholz Lit.: Moormeyer, W., Die Grafschaft Diepholz, 1938 |
1384 | Dies interpellat pro homine (lat., der Termin mahnt für den Menschen) ist eine Regel des Rechtes des Verzugs, die sich für das klassische römische Recht nicht nachweisen lässt. Nach mittelalterlichem deutschem Recht muss der Schuldner eine Verbindlichkeit, deren Fälligkeit durch eine Zeitangabe bestimmt ist, an diesem Zeitpunkt erfüllen. Hieraus bildet der (lat.) →usus (M.) modernus pandectarum den Satz d. i. p. h., der jedoch nicht überall anerkannt wird. Der Code civil (1804) lehnt ihn ab. Lit.: Kaser § 37 II; Hübner 556ff.; Liebs, D., Lateinische Rechtsregeln, 7. A. 2007 (Gregor IX. um 1170-1241, Dekretalen 3, 18, 4, am Ende) |
1385 | Die Tat tötet den Mann (d. h. der äußere Erfolg entscheidet, nicht die innere Einstellung). Lit.: Deutsche Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, hg. v. Schmidt-Wiegand, R., 1996, 315 (Simrock 1846); Schildt, B., Die Tat tötet den Mann, ZRG GA 114 (1997), 380 |
1386 | Dietrich von Bern →Theoderich |
1387 | Dietrich von Bocksdorf →Bocksdorf, Dietrich von |
1388 | Dietrich von Nieheim Lit.: Dietrich von Nieheim, Viridarium imperatorum et regum Romanorum, hg. v. Lhotsky, A. u. a., 1956 |
1389 | Differentienliteratur ist die ansatzweise schon in der Spätantike vorhandene, dann von den Glossatoren verbreitete Vergleichsliteratur zwischen den unterschiedlichen, gleichen Gerechtigkeitsgehalt ermöglichenden Lösungen verschiedener Rechte. Dabei wird insbesondere das römisch-weltliche Recht mit dem kirchlichen Recht oder mit den einheimischen Partikularrechten verglichen (z. B. Berhard Walther 1516-1584, Johann Baptist Suttinger 1662 [Consuetudines Austriacae], Nikolaus Beckmann 1634-1689, Johann Weingärtler 1674, Benedikt Finsterwalder). Lit.: Köbler, DRG 143; Fontana, A., Amphitheatrum legale, 1688, Neudruck 1961, Teil III, 13; Stintzing, R., Geschichte der populären Literatur, 1867, Neudruck 1957; Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff., 1,345 |
1390 | Differenzgeschäft ist das auf der Preisdifferenz zweier zu unterschiedlicher Zeit geschlossener Rechtsgeschäfte beruhende Rechtsgeschäft. Lit.: Duderstadt, D., Spiel, Wette und Differenzgeschäft (§§ 762-764 BGB) in der Rechtsprechung des Reichsgerichts, 2007 |
1391 | Digesten (Durchgearbeitetes) (oder Pandekten) sind (allgemein Gesamtdarstellungen [des römischen Rechtes] und besonders) die (9142 bzw. 9950 Fragmente) Auszüge aus (mehr als 200 von fast 2000 noch vorhandenen) Schriften bzw. 1528 Büchern (wahrscheinlich 39) klassischer Rechtskundiger des römischen Rechtes, die (im Umfang von vielleicht 1000354 Wörtern) der oströmische Kaiser Justinian 530/533 unter Beseitigung der unmittelbaren Geltung aller nicht erfassten Texte zum als Kompilation entstandenen Gesetz erhebt (16. 12. 533 [Constitutio Tanta] bzw. 30. 12. 533). Sie werden von einer Kommission vorbereitet, welcher der Rechtskundige und Justizminister Tribonian vorsitzt und welcher die vier Professoren Dorotheus und Anatolius aus Berytos (Beirut) sowie Theophilus und Cratinus aus Konstantinopel, der magister officiorum und elf Anwälte angehören. Über die erstaunlich rasche Arbeitsweise besteht keine völlige Klarheit, doch wird seit Bluhme (1820) davon ausgegangen, dass die Kommission in (4) Untergruppen einzelne Stoffmassen (Sabinusmasse aus den Kommentaren zum ius civile, Ediktmasse aus den Ediktskommentaren, Papinianmasse aus den Werken der Spätklassiker, Appendixmasse) vielleicht auf Grund schon vorhandener vergleichender Literatur verwertet und dabei mehr als 2000 Schriften (mit 3000000 versus [Zeilen]) zumindest mittelbar berücksichtigt. Im Vordergrund stehen Rechtskundige der klassischen Zeit (Ulpian [2/5], Paulus [1/5], Papinianus, Gaius und Modestinus [zusammen 1/5]). Vermutlich sind etwa 5-7% (bzw. 5-10%) dessen aufgenommen, was zur Zeit Justinians von den Schriften der Rechtskundigen noch vorhanden ist. Die Reihenfolge schließt sich an das prätorische Edikt an. Das Gesamtwerk ist in 50 Bücher (mit 432 Titeln und 150000 versus) gegliedert (Buch 1 Rechtsquellen, Bücher 2 bis 46 das Privatrecht, Bücher 47, 48 Strafrecht, Buch 49 Appellation Buch 50 Verwaltungsrecht und Bedeutung von Wörtern). Die sachlichen, teilweise allerdings schon vor Justinian erfolgten Eingriffe in die Schriften werden in der Neuzeit als →Interpolationen bezeichnet, deren Umfang streitig ist. Die wohl wegen ihrer Schwierigkeit zwischen 603 und 1076 (erste Wiedererwähnung) im Westen kaum genannten D. sind in (zwei) Handschriften des 6. oder frühen 7. Jh.s (907 Blätter umfassende, in zwei Bände 1-29 und 30-50 getrennte, vermutlich in Konstantinopel/Byzanz im 6. oder frühen 7. Jahrhundert zweispaltig geschriebene, spätestens im 9. oder 10. Jh. in Italien liegende, im späteren 11. Jh. in Süditalien wiederentdeckte, wahrscheinlich 1155 von Amalfi nach Pisa – littera Pisana –, 1406 von Pisa nach Florenz gebrachte [Codex Florentinus] und 1553 erstmals gedruckte Handschrift) und 11. Jh.s (verlorene, von der Florentina abhängige, aber nach einer von dieser unabhängigen Vorlage durchkorrigierte, vielleicht in der zweiten Hälfte des 11. Jh.s möglicherweise in Süditalien geschaffene Stammform [Codex Secundus] der in drei Teile geteilten Vulgathandschriften) sowie drei Fragmenten des 7./8. Jh.s und zwei Fragmenten des 9. Jh.s (insgesamt dreigeteilt in Digestum vetus 1-24,2, Digestum infortiatum 24,3-38,2 und Digestum novum 39-50) überliefert. Diese Quellen ermöglichen die Aufnahme (Rezeption) der Gedankenwelt der römischen Rechtskundigen im Mittelalter. Zitiert werden die D. nach Buch, (meist) Titel, Fragment (oder Gesetz) (lat. [F.] lex) und Anfang (lat. [N.] principium = eigentlich Paragraph 1) bzw. Paragraph (der zweite Abschnitt wird als § 1 gezählt) (z. B. D. 8,3,23,2, früher [als ff.] nach Titelrubrik und Anfangsworten der Fragmente). Bekannte Drucke stammen von 1523, 1553 Lelio Torelli in Florenz und 1583 Lit.: Kaser §§ 1, 2; Dulckeit/Schwarz/Waldstein § 43; Söllner §§ 22, 23; Kroeschell, DRG 1, 3; Köbler, DRG 50, 53, 105; Digestorum seu pandectarum libri quinquaginta, hg. v. Haloander, G., 1529, Neudruck 2004; Digestorum seu Pandectarum libri quinquaginta, 1553, Neudruck 2004; Digesta et Institutiones, rec. Gebauer, G./Spangenberg, G., 1776, Neudruck 2004; Bluhme, F., Die Ordnung der Fragmente in den Pandektentiteln, ZRG 4 (1818), 257; Kantorowicz, H., Über die Entstehung der Digestenvulgata, ZRG RA 30 (1909), 183ff., 31 (1910), 14ff.; Schulz, F., Einführung in das Studium der Digesten, 1916; Krüger, H., Die Herstellung der Digesten Justinians, 1922; Schindler, K., Justinians Haltung zur Klassik, 1966; Archi, G., Giustiniano legislatore, 1970; Honoré, T., Tribonian, 1978; Kaser, M., Ein Jahrhundert Interpolationenforschung, SB. d. Akad. d. Wiss. Wien 1979; Digesten 1-10, übersetzt v. Behrends, O. u. a., 1995, 11-20 1999, 21-27 2005, 28-34 2012; Lange, H., Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 1 1997; Troje, H., Crisis digestorum. Studien zur historia pandectarum, 2011; Reinoso-Barbero, F., Modus allegandi textus qui in pandectis continentur, 2013; Martín Minguijón, A., Digesto, 2013 |
1392 | Digestum (N.) infortiatum (lat., gestärktes bzw. geschwächtes bzw. unter Verschluss gehaltenes bzw. in Kraft gesetztes Durchgearbeitetes) sind die Bücher 24,3 bis 38 der Vulgatafassung der →Digesten, wobei das in D. 38, 2, 82 beginnende Schlussstück tres partes (lat. [F.Pl.] drei Teile) heißt. Lit.: Accursii Glossa in Digestum vetus, in Digestum infortiatum, in Digestum novum, in Codicem, in Volumen, 1487ff.; Wouw, H. van de, Zur Textgeschichte des Infortiatum, Ius commune 11 (1984), 231; Whitman, J., A Note on the medival Division, TRG 59 (1991), 269 |
1393 | Digestum (N.) novum (lat., neues Durchgearbeitetes) sind die Bücher 39-50 der Vulgatafassung der →Digesten. |
1394 | Digestum (N.) vetus (lat., altes Durchgearbeitetes) sind die Bücher 1-24,2 der Vulgatafassung der →Digesten. |
1395 | Dijon ist als gallorömisches Divio im 2. Jh. n. Chr. nachweisbar. 1182 erlangt es unter den Herzögen von Burgund Stadtrecht. 1477 gelangt es an Frankreich und erhält 1737 eine Universität. Lit.: Humbert, F., Les finances municipales de Dijon, 1961; Didier, P., Les statuts de métier à Dijon aux 14e et 15e siècles, ZRG GA 94 (1977), 63; Histoire de Dijon, hg. v. Gras, P., 1981 |
1396 | Diktatur ist im altrömischen Recht das Amt eines von einem →Konsul in einer Notlage für eine streng befristete Zeit ernannten außerordentlichen Magistrats (Diktators) (ohne kontrollierenden Kollegen, z. B. T. Larcius 501 v. Chr., von Sulla und Caesar ohne zeitliche Beschränkung ausgeübt, 44 v. Chr. abgeschafft). Im Anschluss hieran entwickeln sich verschiedene Formen unbeschränkter Herrschaft eines Einzelnen oder einer Personengruppe. Diese D. zeigt vielfach totalitäre Züge (z. B. unter Adolf →Hitler, Josef Stalin). Der Begriff D. wird in der Renaissance wiederbelebt. Von 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union weisen 17 Erfahrungen mit Diktaturen auf. Lit.: Söllner §§ 6, 13; Köbler, DRG 222; Kautsky, Z., Die Diktatur des Proletariats, 1918; Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 1 1972, 900; Schmitt, C., Die Diktatur, 1928, 6. A. 1994; Arendt, H., Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, 1957, 13. A. 2011; Bracher, K., Die deutsche Diktatur, 1973, 7. A. 1993; Korporativismus in den südosteuropäischen Diktaturen, hg. v. Mazzacane, A. u. a., 2005; Diktaturüberwindung in Europa, hg. v. Hofmann, B. u. a., 2010; Erinnerung und Gesellschaft, hg. v. Assmann, W. u. a., 2011; Kellerhoff, S., Aus der Geschichte lernen, 2013 |
1397 | Dilatura (lat. [F.], delatura, zu mlat. dilatura, F., Verzögerung, Aufschub) ist eine besondere frühmittelalterliche Buße bei Vermögensverletzung (Weigerungsbuße?). Lit.: Köbler, LAW; Brunner, H./Schwerin, C., Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 2 2. A. 1928, § 138; Goldmann, E., Zum Problem der dilatura, ZRG GA 53 (1932), 43 |
1398 | Diligentia (lat. [F.]) ist im spätrömischen Recht die dem sorgsamen Familienvater angemessene Sorgfalt, deren Einhaltung Schuld ausschließt, deren schuldhafte Verletzung aber eine Nachlässigkeit bedeutet. Lit.: Kaser § 36; Köbler, DRG 63; Köbler, LAW |
1399 | diligentia quam in suis (rebus) (lat.) (Beachtung der) Sorgfalt wie in eigenen Angelegenheiten (schließt Verschulden etwa bei unentgeltlicher Verwahrung, Gesellschaft oder Miteigentum aus) |
1400 | Dillingen an der Donau ist von 1549/1554 bis 1804 Sitz einer Universität. |