1 | A. A. (lat. [M.]) ist die Abkürzung für den abstrakt Aulus Agerius genannten Kläger des römischen →Formularprozesses. Lit.: Söllner § 9 |
2 | Aachen ist der ohne nachweisbare Kontinuität zu einer römischen Siedlung an den Ausläufern des Hohen Venn 765/766 als fränkische königliche →Pfalz erscheinende Ort, der nach der Reichsteilung 843/877 in eine Randlage gerät. Von 936 (Otto I.) bis 1531 (Ferdinand I.) ist es Krönungsstätte der deutschen Könige (mit Thronsetzung auf einen Marmorthron). 1071 wird A. (lat. [N.]) oppidum genannt, 1087 werden [lat. M. Pl.) cives erwähnt. In den 1120er Jahren kommt ein Stadtsiegel auf. 1166 erhält A. besondere Rechte. Die 1192 neben der Gesamtheit der Bürger nachweisbaren →Schöffen entwickeln sich seit 1134 (?) zu einem bedeutenden →Oberhof für teilweise bis zu 200 meist aus Reichsgut stammende Gerichte. Bis 1254 wird A. freie →Reichsstadt (Reichslandstadt) bis zur Besetzung durch Frankreich (1794). Über Preußen (1815) gelangt es 1946 zu Nordrhein-Westfalen. Lit.: Loersch, H., Achener Rechtsdenkmäler, 1871; Schwabe, W., Der Aachener Oberhof, 1924; Schwabe, W., Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 47 (1925), 48/49 (1926/1927); Herkens, R., Der Anspruch Aachens auf Krönung der deutschen Könige nach 1531, Diss. jur. Bonn 1959; Regesten der Reichsstadt Aachen, bearb. v. Mummenhoff, W. u. a., 1961ff.; Falkenstein, L., Der „Lateran“ der karolingischen Pfalz zu Aachen, 1966; Aachener Urkunden, bearb. v. Meuthen, E., 1979; Kraus, T., Jülich, Aachen und das Reich, 1988; Die Aachener Stadtrechungen des 15. Jahrhunderts, bearb. v. Kraus, T., 2004; Herrmann, T., Anfänge kommunaler Schriftlichkeit, 2006; Tschacher, W., Königtum als lokale Praxis, 2010 |
3 | Aargau ist das um die Aare gelegene Land, das als A. 763 erstmals erscheint. 1415 erobert die Eidgenossenschaft der →Schweiz Teile des Gebiets. 1798/1803 wird daraus der Kanton A., der 1831 eine liberale Verfassung erhält. Lit.: Köbler, Historisches Lexikon; Merz, W. u. a., Die Rechtsquellen des Kantons Aargau, Teil 1ff. 1898ff.; Merz, W., Mittelalterliche Burganlagen und Wehrbauten des Kantons Aargau, 1906; Nabholz, H., Der Aargau nach dem habsburgischen Urbar, Argovia 33 (1909); Dubler, H., Der Kanton Aargau und das Bistum Basel, 1921; Merz, W., Die Jahrzeitbücher der Stadt Aarau, Teil 1f. 1924ff.; Merz, W., Geschichte der Stadt Aarau im Mittelalter, 1925; Aargauer Urkunden, Teil 1f. 1931ff.; Strebel, K., Die Verwaltung der freien Ämter im 18. Jahrhundert, 1940; Werder, M., Die Gerichtsverfassung des aargauischen Eigenamtes, 1941; Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff., 2,2,440; Geissmann, H., Das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch für den Kanton Aargau (1847-1855), 1991 |
4 | Abandon ist die wohl im spätmittelalterlichen italienisch-französischen Seerecht entstehende Möglichkeit der Aufgabe der Rechte an einem Gegenstand, um Haftungsfreiheit bzw. später Versicherungsleistung zu erlangen. Der A. erscheint erstmals in einem Statut der Stadt Kampen vom 14. 2. 1372. Im 19. Jh. findet der A. Eingang in das Recht der juristischen Personen des Gesellschaftsrechts. Lit.: Hantke, G., Der Abandon, 1912; Rehme, P., Geschichte des Handelsrechts, 1913; Helberg, O., Der Abandon in der Seeversicherung, 1925; Martin, L., L’abandon, 1957; Landwehr, G., Prinzipien der Risikotragung beim Seefrachtvertrag, (in) Wirkungen europäischer Rechtskultur, 1997, 595 |
5 | abdingbar (Adj.) durch Vereinbarung abänderbar Lit.: Kähler, L., Begriff und Rechtfertigung abdingbaren Rechts, 2012 |
6 | Abecedarium (bzw. Promptuarium, Remissorium, Vocabularium) ist das auf Grund antiker Gedankengänge seit dem 13. Jh. entstehende alphabetisch geordnete Sammelwerk eines Rechtsgebiets (römisches Recht, kirchliches Recht, um 1400 Greifswalder A. für →Sachsenspiegel und Sachsenspiegelglosse mit 7 Handschriften, 1402 Preetzer A., 1414ff. A. von Achte bis Wunden, vor 1421ff. Schlüssel des Landrechts, 1. H. 15. Jh. Rechtsabecedarium der 2200 Artikel, E. 15. Jh. Erlanger Promptuarium mit etwa 1400 Artikeln, 1490-1493 Remissorium Kaspar Popplaus). Lit.: Steffenhagen, E., Das Preetzer Abecedarium mit dem Richtsteig Landrechts, Z. d. Ges. f. Schleswig-Holstein-Lauenburgische Gesch. 22 (1892), 297; Die Rechtssumme Bruder Bertholds, hg. v. Hamm, M. u. a., 1980, 143ff.; Oppitz, U., Deutsche Rechtsbücher des Mittelalters, Bd. 1 1990, 77 |
7 | Abendmahlsprobe ist die an das christliche Abendmahl anknüpfende Form des →Gottesurteils. |
8 | Aberacht ist die seit dem Hochmittelalter belegte, nach fruchtlosem Verstreichenlassen einer Frist von →Jahr und Tag eintretende Verstärkung der →Acht. Lit.: Siuts, H., Bann und Acht, 1959 |
9 | Aberdeen am Don in Schottland wird um 1130 Sitz eines Bischofs und 1494/1495 Sitz einer Universität. Lit.: Keith, A., A thousand Years of Aberdeen, 1972; The Aberdeen Stylebook 1722, hg. v. Meston, M./Forte, A., 2000 |
10 | Aberglaube (15. Jh. in Glosse zum Sankt Trudperter Hohenlied) ist der von einem herrschenden Glauben als abwegig verworfene Glaube (lat. [F.] superstitio). Lit.: Feine, J., Der Aberglaube, 1857; Schefold, K. u. a., Der Aberglaube im Rechtsleben, 1912; Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, hg. v. Bächtold-Stäubli, H., Bd. 1ff. 1927ff., Neudruck 1987, digitalisierte Fassung 2006; Freytag, N., Aberglauben im 19. Jahrhundert, 2003; Hersperger, P., Kirche, Magie und Aberglaube, 2010 |
11 | Abfall ist der nach Nutzung einer Sache verbleibende, nicht mehr genutzte oder nutzbare Rest (z. B. Knochen, Verpackung, Altöl). Zum Wohl der Gesellschaft muss er vor allem in den Städten gesammelt und zunächst gelagert (deponoiert), nach seiner großen Vermehrung seit der zweiten Hälfte des 20. Jh.s aus wirtschaftlichen Überlegungen aber vor allem auch wiederverwertet werden. Lit.: Abfall, hg. v. Rusterholz, P./Moser, R., 2004 |
12 | Abgabe ist die Leistung von Gegenständen an die Allgemeinheit, an eine besondere Einrichtung oder an besondere Einzelne. Die rechtliche Grundlage der A. ist verschieden. Meist beruht die A. auf einer Pflicht zur Unterstützung als Gegenleistung für einen Schutz oder eine Gebrauchsmöglichkeit. In der Naturalwirtschaft besteht die A. in Sachen, in der Geldwirtschaft in Geld. 1919 fasst das Deutsche Reich das Recht der Abgaben in der Reichsabgabenordnung (Enno Becker, u. a. Beginn der Überführung des Steuerstrafrechts aus dem Verwaltungsstrafrecht in das Kriminalstrafrecht) zusammen, die 1976 im Sinne eines Mantelgesetzes für die Abgaben erneuert wird. Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Pöhlmann, C., Was ist Seltertum, ZRG GA 55 (1935), 243; Becker, A., Was ist Seltertum, ZRG GA 56 (1936), 398; Löning, G., Muntepenninge, ZRG GA 59 (1939), 273; Müller, W., Die Abgaben von Todes wegen in der Abtei St. Gallen, 1961; Henning, F., Dienste und Abgaben der Bauern im 18. Jahrhundert, 1969; Steuern, Abgaben und Dienste, hg. v. Schremmer, E., 1994; Giese, F., Abgabenordnung im Dritten Reich, 1998; Gehm, M., Die steuerstrafrechtlichen Bestimmungen in der Reichsabgabenordnung vom 13. Dezember 1919, 2010 |
13 | Abgeordneter ist allgemein der durch eine Anordnung an eine Stelle Gesetzte, insbesondere der Volksvertreter im Parlament. Er ist nach dem vorzugswürdigen Grundsatz des freien Mandats nicht an den Willen der ihn Abordnenden gebunden (so aber DDR 1968), sondern in seiner Entscheidung nur seinem Gewissen und der Verantwortung für die Gesamtheit unterworfen. In Österreich führt die Februarverfassung des Jahres 1861 ein von den Landtagen besetztes Abgeordnetenhaus als zweite Kammer des Reichsrats neben dem Herrenhaus ein (1873 direkte Wahl, wegen des Nationalitätenkonflikts zeitweise handlungsunfähig, 12. 11. 1918 letzte Sitzung). Lit.: Biographisches Handbuch der Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung, bearb. v. Best, H. u. a., 1996 |
14 | Abkürzung ist die aus Zweckmäßigkeitsgründen gekürzte Form einer Gegebenheit (z. B. eines Wortes oder Weges). Lit.: Kirchner, H., Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 6. A. 2008; Schuler, P., Abkürzungslexikon, 2007 (vom Verlag zurückgezogen); Frenz, T., Abkürzungen. Die Abbreviaturen der lateinischen Schrift, 2010 |
15 | Ablass ist die im 11. Jh. (u. a. Clermont 1095 Ablass für Teilnahme am Kreuzzug, 1187 für geldliche Förderung eines Kreuzzugs, um 1300 von Verbindung zu Kreuzzügen gelöst) in der christlichen →Kirche aus der Bitte um Vergebung und Nachlass einer Folge (Buße) entstehende, auch vor Gott verbindliche Befreiung von zeitlichen Sündenfolgen. Die ältesten Ablässe begnügen sich mit einem Erlass von 20 oder 40 Tagen Buße. Die zahlenmäßige und artmäßige Erweiterung führt bereits im 13. Jh. zu scharf gerügten Missständen. Der Kauf von A. (auch für Verstorbene) wird ein wichtiger Anlass für die reformatorischen Ziele (John Wyclifs, Johannes Hus’ und) Martin →Luthers. Nach gegenwärtigem Verständnis der katholischen Kirche ist A. Nachlass zeitlicher Strafe vor Gott für Sünden, deren Schuld bereits getilgt ist (can. 992 CodIurCan 1983). Lit.: Paulus, N., Geschichte des Ablasses im Mittelalter, Bd. 1f. 1922f.; Köhler, W., Dokumente zum Ablassstreit von 1517, 2. A. 1934; Poschmann, B., Der Ablass, 1948; Bornkamm, H., Thesen, 1967; Ehlers, A., Die Ablasspraxis des Deutschen Ordens im Mittelalter, 2007 |
16 | Ablösungsgesetzgebung ist die Gesetzgebung des 19. Jh.s zur Beseitigung grundherrschaftlicher Rechte bzw. aufgespalteten Eigentums mit oder ohne Entschädigung zwecks Förderung wirtschaftlicher Entwicklung und aufgeklärter Gedanken. Dazu erlässt nach der Aufhebung aller Frondienste, Zehnten und anderen Feudalrechte durch die Nationalversammlung Frankreichs am 4. 8. 1789 der Staat →Preußen am 9. 10. 1807 das Edikt betreffend den erleichterten Besitz des Grundeigentums sowie die persönlichen Verhältnisse der Landbewohner, das die persönliche Abhängigkeit der →Bauern von den →Grundherren entschädigungslos aufhebt. Dem folgen am 14. 9. 1811 zwecks Aufhebung der auf privatrechtlichen Titeln beruhenden dinglichen Abhängigkeit das Edikt, die Rechte der gutsherrlichen und bäuerlichen Verhältnisse (Regulierungsedikt) betreffend und das Edikt zur Beförderung der Landeskultur (Landeskulturedikt), nach denen der Bauer auf Antrag eines Beteiligten Eigentum an dem von ihm bewirtschafteten Hof erhält, wofür er als erblicher Besitzer ein Drittel, als nichterblicher Besitzer die Hälfte des Grundes dem Grundherrn überlassen oder eine dauernde Rente zahlen muss. Dadurch werden viele Bauern überfordert, so dass sie ihr neues Eigentum aufgeben müssen. Um dies zu vermeiden, richten Sachsen und Kurhessen (1832) öffentliche →Rentenbanken ein, die dem Grundherrn den Ablösungsbetrag in Rentenbriefen entrichten und dadurch den Bauern die Tilgung der Ablöseschuld in 40 bis 60 Jahren ermöglichen. Abgelöst werden auf Grund wirtschaftlicher Überlegungen auch die Nutzungsrechte der Bauern in staatlichen oder grundherrschaftlichen Wäldern (Hessen 1814, Preußen 1821). Lit.: Danckelmann, B., Die Ablösung der Waldgrundgerechtigkeiten, Bd. 1f. 1880ff.; Knapp, G., Die Bauernbefreiung, 1887 |
17 | Abmeiern ist das (vorzeitige) Beendigen des grundherrschaftlichen →Meierrechts durch den Grundherrn in Niedersachsen und Ostwestfalen seit dem 14. Jh. Seit 1597 (Salzduhmscher Landtagsabschied) wird das A. vor allem aus fiskalischen Überlegungen verrechtlicht (Meierordnungen, z. B. Calenberg 1772), mit der →Bauernbefreiung durch Ersetzung des Meierrechts durch Eigentum beseitigt. Lit.: Pfeiffer, B., Das deutsche Meierrecht, 1855; Wittich, W., Die Grundherrschaft in Nordwestdeutschland, 1896; Mohr, W., Die Abmeierung, 1942; Turner, G., Das Calenberger Meierrecht, 1961 |
18 | Abschichtung ist die (dem römischen Recht unbekannte) vermögensrechtliche Verselbständigung eines Kindes bei (tatsächlichem) Ausscheiden aus dem Hausverband. Sie betrifft im Mittelalter fast nur Söhne. Der Sohn kann A. verlangen, sobald er „zu seinen Jahren kommt“ (d. h. mündig wird). Regelmäßig wird der Sohn abgeschichtet, wenn er bei Eheschließung einen selbständigen Haushalt gründet. Mit der A. erlischt die väterliche Herrschafts- und Schutzgewalt. Die Teilungsquote ist unterschiedlich (z. B. Kopfteil vom Ganzen, Sohneskopfteil von der Hälfte). Die A. wird in Österreich durch (den Codex Theresianus von 1766 und) das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch von 1811 (vollständig 1919), im deutschen Reich durch das Bürgerliche Gesetzbuch von 1896/1900 und im Schweizer Recht durch das Zivilgesetzbuch von 1907/1911 durch das Erreichen der Vogtbarkeit bzw. der Großjährigkeit bzw. der Volljährigkeit ersetzt Lit.: Hübner 702; Adler, S., Eheliches Güterrecht und Abschichtungsrecht, 1893; Knothe, H., Die Geschäftsfähigkeit der Minderjährigen, 1980; Schumacher, S., Das Rechtsverhältnis zwischen Eltern und Kindern, 1999 |
19 | Absetzung ist die Entfernung eines Menschen aus einer Tätigkeit und eines Wertes aus einem Vermögen (z. B. Absetzung für Abnutzung). Die A. eines Amtsträgers begegnet schon früh (z. B. Vertreibung des römischen Königs). Sie wird in der Neuzeit verrechtlicht. Lit.: Bund, K., Thronsturz und Herrscherabsetzung im Frühmittelalter, 1979; Krah, A., Absetzungsverfahren, 1987; Rexroth, F., Tyrannen und Taugenichtse, HZ 278 (2004), 27; Wallner, M., Zwischen Königsabsetzung und Erbreichsplan, 2004; Schubert, E., Königsabsetzung im deutschen Mittelalter, 2005 |
20 | Absicht ist der unmittelbar auf den Erfolg als Ziel gerichtete Wille des Täters. Das römische Recht kennt den (lat. [M.]) dolus als Bezeichnung eines Verschuldens. Im Mittelalter wird der auf den Erfolg als Ziel gerichtete Wille oft durch (lat.) animo deliberato, cum deliberato consilio, contumaciter, dolose und (mhd.) geverlich oder mutwillig beschrieben. Folgen zieht in erster Linie das im Bewusstsein der Rechtswidrigkeit gewollte Unrecht nach sich. Im 20. Jh. wird die für den deliktischen Vorsatz das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit verlangende Vorsatztheorie (Binding 1877) im Strafrecht durch die als subjektive Voraussetzung der Rechtswidrigkeit bereits die Möglichkeit der Einsicht in das Verbotensein der Tat genügen lassende Schuldtheorie (Kohlrausch 1903, Carl Schmitt 1910) verdrängt. Lit.: Mayer, M., Die schuldhafte Handlung und ihre Arten im Strafrecht, 1901; Schmitt, C., Über Schuld und Schuldarten, 1910 His, R., Das Strafrecht des deutschen Mittelalters, Bd. 1 1920, Neudruck 1964, 68ff.; Beul, C., Si mensor falsum modum dixerit, 1998 |