301 | Anklageprozess ist der Strafprozess, der eine →Anklage (insbesondere seit dem 19. Jh. eine Anklage durch eine besondere öffentliche Anklagebehörde) (→Staatsanwaltschaft) voraussetzt. Er ist in Frankreich eine unmittelbare Folge der französischen Revolution von 1789. In Deutschland setzt Baden 1832 erstmals Staatsanwälte ein. 1848 wird der A. von der (gescheiterten) Verfassung der Frankfurter Paulskirche vorgesehen. →Akkusationsprozess Lit.: Kroeschell, DRG 3; Schmidt, E., Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 1947, 3. A. 1965; Kern, E., Geschichte des Gerichtsverfassungsrechts, 1954 |
302 | Anklam ist die am Unterlauf der Peene vor 1243 von deutschen Siedlern angelegte Stadt, die vor 1283 der Hanse beitritt und spätestens 1292 Lübecker Stadtrecht übernimmt. Sie überliefert ein bedeutsames →Stadtbuch. Lit.: Das Stadtbuch von Anklam, bearb. v. Bruinier, J., Bd. 1ff. 1960ff. |
303 | Anleite ist seit dem Hochmittelalter im deutschen Recht die Einweisung in ein fremdes Gut, insbesondere die Einweisung des Klägers in die Güter eines wegen Prozessungehorsams geächteten Beklagten in einem sich über rund 10 Termine erstreckenden Verfahren vor dem Reichshofgericht (Reichskammergericht und Reichshofrat bis 1654) oder einem kaiserlichen Landgericht vor 1784. Sachlich wird es durch das Versäumnisverfahren ersetzt. Lit.: Kohler, J., Acht und Anleite des königlichen Hofgerichts, FS G. Cohn, 1915, 1; Battenberg, F., Reichsacht und Anleite im Spätmittelalter, 1984 |
304 | Annahme →Vertrag |
305 | Annahmeverzug (M.) Gläubigerverzug, Verzug des Gläubigers mit der Annahme der Leistung des Schuldners |
306 | Annalen (Jahrbücher) sind in möglicher Parallele zu spätantiken Konsullisten seit dem 8. Jh. erscheinende, chronologisch geordnete Aufzeichnungen über denkwürdige Begebenheiten (z. B. Quedlinburger Annalen Sankt Servatiusstift Quedlinburg 1008-1030 [ab Schöpfung]). Lit.: Poole, R., Chronicles and Annals, 1926; Caenegem, R. van/Ganshof, F., Kurze Quellenkunde des westeuropäischen Mittelalters, 1964; Mc Cormick, M., Les annales, 1975; Hay, D., Annalists and Historians, 1977; Die Annales Quedlinburgenses, hg. v. Giese, M., 2004 |
307 | Annahme (Wort 1715) ist die ein Angebot uneingeschränkt bejahende Willenserklärung des Angebotsadressaten sowie die Entgegennahme der Leistung des Schuld-ners durch den Gläubiger im Zeitpunkt der Leistung (andernfalls Annahmeverzug, Gläu-bigerverzug). Lit.: Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010 |
308 | Annaten (14. Jh.) sind gewohnheitsmäßig entwickelte, seit der Mitte des 13. Jh.s bei der Verleihung freier nichtkonsistorialer Benefizien allgemein an den Papst geleistete Abgaben in Höhe eines ganzen oder halben Jahresertrags, die seit dem Konzil von Basel (1435) abkommen und seit 1917 grundsätzlich untersagt sind. Lit.: Kirsch, J., Die päpstlichen Annaten, 1903; Hoberg, H., Die Einnahmen der apostolischen Kammer, Bd. 1f. 1955ff.; Denzel, M., Kurialer Zahlungsverkehr, 1991; Camera apostolica, hg. v. Ansani, M., 1994 |
309 | Annweiler Lit.: Seebach, H., Kleine Geschichte des Trifels und der Stadt Annweiler, 2009 |
310 | Anschluss ist die von dem in Braunau gebürtigen Österreicher Adolf →Hitler 1938 nach mehrjähriger Vorbereitung durch poli-tischen Druck herbeigeführte Vereinigung →Österreichs mit dem Deutschen Reich. Dem A. geht 1918 der von den alliierten Siegermächten des ersten Weltkriegs verhinderte Versuch der aus den meisten deutschsprachigen Gebieten Österreich-Ungarns gebildeten Republik →Deutschösterreich voraus, sich mit dem →Deutschen Reich zu vereinigen, wofür sich in Tirol 98,8 und in Salzburg 99,1 Prozent der Abstimmungsberechtigten aussprechen. Nach seiner Bestellung zum Reichskanzler im Deutschen Reich will Hitler dieses Ziel politisch erreichen. Am 12. 2. 1938 zwingt Hitler den österreichischen Bundeskanzler Kurt von Schuschnigg (im Berchtesgadener Abkommen), den nationalsozialistischen Sympathisanten Seyss-Inquart als Sicherheitsminister zu bestellen, die freie Betätigung der Nationalsozialistischen deutschen Arbeiter-partei innerhalb der vaterländischen Front zuzulassen und alle Nationalsozialisten zu amnestieren. Eine für den 12. 3. 1938 von Schuschnigg angesetzte Volksabstimmung für ein „freies und deutsches, unabhängiges und soziales, christliches und einiges Österreich“ unterbleibt wegen des am 11. 3. 1938 von Hitler erzwungenen Rücktritts des Bundeskanzlers Schuschnigg. Auf Anforderung (Bitte um „Hilfe“) Seyss-Inquarts an Hitler kommen deutsche Truppen. Danach bestellt der Bundespräsident Österreichs (Miklas) Seyss-Inquart zum Bundeskanzler und tritt am 13. 3. 1938 zurück. Die Bundesregierung Österreichs beschließt auf der Grundlage des Ermächtigungsgesetzes von 1934 ein Bundesverfassungsgesetz über die Wieder-vereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich (BGBl. 1938, 75), auf Grund dessen Österreich ein Land des Deutschen Reiches wird. Eine Volksabstimmung vom 10. 4. 1938 bejaht den A. zu 99,73%, doch wird dies nach 1945 verdrängt. Lit.: Köbler, DRG 223; Baltl/Kocher; Kleinwächter, F./Paller, H., Die Anschlussfrage, 1930; Tirol und der Anschluss, hg. v. Albrich, T. u. a., 1988; Botz, G., Die Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich, 1972, 3. A. 1988; Jung, O., Plebiszit und Diktatur, 1995; Roesler, J., Der Anschluss von Staaten, 1999; Krämer, K., Die Bestrebungen für einen Zusammenschluss zwischen Österreich und Deutschland 1918 bis 1921, Diss. phil.. Hannover 2003 |
311 | Anschütz, Gerhard (Halle an der Saale 10. 1. 1867-Heidelberg 14. 4. 1948) wird nach dem Rechtsstudium Professor in Tübingen (1899), Heidelberg (1900), Berlin (1908) und Heidelberg (1916) und 1933 mit 66 Jahren auf Antrag emeritiert. Er ist Verfechter des demokratischen Gedankens und verfasst auf gesetzespositivistischer Grundlage den mit 14 Auflagen erfolgreichsten Kommentar zu der von ihm lose mitgestalteten Verfassung der →Weimarer Republik. Lit.: Anschütz, G., Die Verfassung des Deutschen Reiches, 14. A. 1933; Forsthoff, E., Gerhard Anschütz, Der Staat 6 (1967), 139; Gerhard Anschütz, Aus meinem Leben, hg. v. Pauly, W., 1993, 2. A. 2008; Dreier, H., Ein Staatsrechtslehrer, ZNR 20 (1998) |
312 | Ansegis (bei St. Rambert bei Lyon um 770-St. Wandrille/Fontenelle 20. 7. 833) ist der fränkische Benediktinerabt (823) von St. Wandrille bzw. Fontenelle in der Erzdiözese Rouen, der 827 in seinem vier Bücher (Karl der Große, Ludwig der Fromme, Weltliches, Kirchliches) umfassenden (lat.) Legiloquus liber (M.) in einfacher Ordnung 29 (von etwa 90 heute bekannten) →Kapitularien Karls d. Großen und Ludwigs des Frommen zusammenstellt, deren zwei Redaktionen (?) durch mehr als 60 (63), in vier Gruppen einteilbare Handschriften überliefert werden. Lit.: Ganshof, F., Was sind die Kapitularien?, 1961; Die Kapitulariensammlung des Ansegis, hg. v. Schmitz, G., 1996 |
313 | Anselm von Lucca verfasst zwischen 1081 und 1083 eine Sammlung (lat. [F.) Collectio) von Papstbriefen, Canones, patristischen Texten und römischen Rechtsquellen. Lit.: Szuromi, S., Anselm von Lucca as Canonist, 2006 |
314 | Anspruch (Wort 1291) ist das Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen (§ 194 BGB) bzw. die von einem Kläger an einen Beklagten gerichtete Behauptung eines Rechtes mit einem bestimmten Inhalt. Im römischen Recht ist beides in der (lat. [F.]) →actio (Klaganspruch) enthalten, wobei im Legisaktionenverfahren die Beachtung eines genauen Wortlauts erforderlich ist und im Formularverfahren nur verfahrensrechtlich durchsetzbare Rechte anerkannt werden (aktionenrechtliches Denken), wovon sich das spätantike Verfahren je nach Zweckmäßigkeit löst. Im Spätmittelalter werden die Anforderungen an die Geltendmachung von Ansprüchen eher abgeschwächt. Der (lat.) usus modernus begnügt sich mit der Erkennbarkeit einer (lat.) actio. Savigny versteht die (lat.) actio als Klagerecht, das aus der Verletzung eines subjektiven Rechtes erwächst, als ein Recht im Zustand der Verteidigung. Nach Bernhard Windscheid (1856) ist dagegen der A. unabhängig von der jeweiligen Entscheidung eines Gerichts ein Recht. Lit.: Windscheid, B., Die actio des römischen Civilrechts, 1856; Nörr, K., Das Aktionrenrecht bei Savigny, Ius commune 8 (1879), 110; Simshäuser, W., Zur Entwicklung des Verhältnisses von materiellem Recht und Prozessrecht seit Savigny, 1965; Vossius, O., Zu den dogmengeschichtlichen Grundlagen der Rechtsschutzlehre, 1985; Kriechbaum, M., Actio, ius und dominium, 1996; Kollmann, A., Begriffs- und Problemgeschichte des Verhältnisses von formellem und materiellem Recht, 1996; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010 |
315 | Anstalt (Wort 1250) ist die von einem Träger öffentlicher Verwaltung seit dem 18. Jh. zur Erfüllung einer besonderen Verwaltungsauf-gabe errichtete, verwaltungsorganisatorisch oder rechtlich verselbständigte Verwaltungseinheit von persönlichen oder sachlichen Mitteln. Lit.: Gerstlacher, C., Sammlung aller Baden-Durlachischen Anstalten und Verordnungen, Bd. 1ff. 1772f.; Weber, W., Die Entwicklung der Sparkassen, 1985; Dorn, U., Öffentliche Armenpflege in Köln, 1991; Alexander, L., Anstalten und Stiftungen. Verselbständigte Vermögensmassen im römischen Recht, 2003; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010 |
316 | Anstiftung ist die vorsätzliche Bestimmung eines anderen zu einer vorsätzlich begangenen rechtswidrigen Tat (Versuch genügt). Als allgemeine Grundfigur des →Strafrechts wird die A. unter Herauslösung aus der Urheberschaft (intellektuelle Urheberschaft, so noch Feuerbach 1801) des (lat. [M.]) auctor erst im 19. Jh. ausgebildet (§ 34 I StGB Preußens 1851). Lit.: Schaffstein, F., Die allgemeinen Lehren vom Verbrechen, 1930, Neudruck 1973; Ebrahim-Nesbat, S., Die Herausbildung der strafrechtlichen Teilnahmeformen im 19. Jahrhundert, 2006 |
317 | Anthropologie (F.) Menschenkunde Lit.: Dülmen, R. van, Historische Anthropologie, 3. A. 2001; Hoßfeld, U., Geschichte der biologischen Anthropologie in Deutschland, 2005 |
318 | Antichrese ist das aus dem hellenistischen Bereich in das klassische römische Recht eingeführte Nutzpfand, bei dem der Pfandgläubiger mit Erlaubnis des Verpfänders die Früchte der Pfandsache ziehen darf. Lit.: Kaser § 31; Hübner |
319 | Antike ([3000/2800 v. Chr. bzw.] 11. Jh. v. Chr.-4./6. Jh. n. Chr.) ist der vor allem durch die Kultur der (Sumerer, Assyrer, Ägypter, Juden,) Griechen und Römer gekennzeichnete, durch die Eroberung Westroms durch Germanen im Jahre 476 abgeschlossene geschichtliche Abschnitt der menschlichen Kulturentwicklung. →Altertum Lit.: Der Kleine Pauly, hg. v. Ziegler, K. u. a., Bd. 1ff. 1986; Selb, W., Antike Rechte im Mittelmeerraum, 1993; The Cambridge Ancient History, 2. A. Bd. 6, hg. v. Lewis, D., 1994; Dahlheim, W., Die Antike, 6. A. 2002; Löwe, G./Stoll, H, Lexikon der Antike, 1997; Wesel, U., Geschichte des Rechts, 3. A. 2006; Gehrke, H., Kleine Geschichte der Antike, 1999; Metzler Lexikon Antike, hg. v. Brodersen, K./Zimmermann, B., 1999; Lexikon der christlichen Antike, hg. v. Brauer, J./Hutter, M., 1999; Nickel, R., Lexikon der antiken Literatur, 1999; Geschichte der Antike, hg. v. Gehrke, H. u. a., 2000; Brandt, H., Das Ende der Antike, 2001; Grziwotz, H./Döbertin, W., Spaziergang durch die Antike, 2002; Die Rechtskulturen der Antike, hg. v. Manthe, U., 2003; Lexikon der antiken Gestalten in den deutschen Texten des Mittelalters, hg. v. Kern, M. u. a., 2003; Pöhlmann, E., Einführung in die Überlieferungsgeschichte und in die Textkritik der antiken Literatur, Bd. 1 2. A. 2003; Personen der Antike, hg. v. Brodersen, K. u. a., 2004; Herrscherchronologien der antiken Welt, 2004; Höhepunkte der Antike, hg. v. Brodersen, K., 2006; Erinnerungsorte der Antike, hg. v. Stein-Hölkeskamp, E. u. a., 2006; Troianer sind wir gewesen, hg. v. Olshausen, E. u. a., 2006; Sonnabend, H., Die Grenzen der Welt, 2007; Geschichte der Antike – Quellenband, hg. v. Gehrke, H. u. a., 2007; Geschichte der antiken Texte – Autoren- und Werklexikon, hg. v. Egger, B., 2007; Historischer Atlas der antiken Welt, hg. v. Wittke, A. u. a., 2007; Baltrusch, E., Außenpolitik, Bünde und Reichsbildung in der Antike, 2008; Mann, C., Antike, 2008; Stangl, G., Antike Populationen in Zahlen, 2008; Die Ideale der Alten, hg. v. Rosenberger, V., 2008; Antike - Recht - Geschichte, hg. v. Benke, N. u. a., 2009; Antike Oldenburg Geschichte Lehrbuch hg. v. Wirbelauer, E., 2009, 3. A. 2010; Leppin, H., Das Erbe der Antike, 2010; Kitchen, K. u. a., Treaty, Law and Covenant in the Ancient Near East, 2012 |
320 | Antiochia (Kreuzfahrerfürstentum) Lit.: Mayer, H., Varia Antiochena, 1993 |