281 | Anerkenntnis →Schuldanerkenntnis |
282 | Anerkennungszins ist der wegen seiner geringen Höhe wirtschaftlich bedeutungslose, aber als erkennbares Zeichen eines bestehenden Abhängigkeitsverhältnisses rechtlich bedeutsame Zins (z. B. Freigelassener, Erbbauberechtigter u. s. w.). Lit.: Schröder, R./Künßberg, E. v., Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte, 7. A. 1932, Neudruck 1966 |
283 | Anfechtung (Wort 1261) ist die nachträgliche Beseitigung einer eingetretenen Rechtswirkung durch Willenserklärung und bzw. oder Verfahrenshandlung des durch die Rechtswirkung Betroffenen. In diesem Sinne ermöglicht bereits die →(lat.) querela [F.] inofficiosi testamenti (Beschwerde des pflichtwidrigen Testaments) des klassischen römischen Rechtes die Entkräftung eines Testaments, das bestimmte nahe Angehörige des Erblassers übergeht. Im spätantiken Recht werden auch die Fälle der (lat.) →in integrum restitutio (F.) so verstanden. Das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch (1900) ordnet die A. im allgemeinen Teil ein. Lit.: Kaser § 9 I 1; Hübner; Kroeschell, 20. Jh.; Köbler, DRG 209; Schultze, A., Über Gläubigeranfechtung und Verfügungsbeschränkungen des Schuldners nach deutschem Stadtrecht des Mittelalters, ZRG GA 41 (1920), 210; Harder, M., Die historische Entwicklung der Anfechtbarkeit von Willenserklärungen, AcP 173 (1973), 209; Düwel, L., Die Nichtigkeit und Anfechtbarkeit der Ehe, 2006; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010 |
284 | Anfechtungsklage ist die Klage, die auf die nachträgliche Beseitigung bestimmter Rechtsfolgen durch Urteil gerichtet ist. Im 19. Jh. gibt es eine A. gegen den Beschluss auf Eröffnung des Konkurses oder gegen polizeiliche Verfügungen. In Deutschland ist seit 1960 eine A. gegen einen (rechtswidrigen) Verwaltungsakt statthaft. Lit.: Köbler, DRG 263 |
285 | angariae (lat. [F.Pl.], aus dem Persischen, Abgaben an reisende Boten des Königs Persiens) Spanndienste, Beherbergungspflichten in Antike und Frühmittelalter, seit 1789 weitgehend abgeschafft Lit.: Köbler, LAW; Brunner, H., Deutsche Rechtsgeschichte, 2. A. Bd. 2 1928, 308 |
286 | Angebot (Wort 1783) ist die auf den Abschluss eines →Vertrags gerichtete →Willenserklärung. Das im Wesentlichen im Naturrecht seit Hugo Grotius als allgemeine Erscheinung herausgearbeitete A. ist im älteren gemeinen Recht und im angloamerikanischen Recht nicht bindend, nach dem deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch (1896/1900) aber verbindlich. Wird das Angebot von dem Empfänger angenommen, so entsteht ein Vertrag unter den Beteiligten. Dem Gläubiger vom Schuldner angeboten wird auch die Leistung. Lit.: Zimmermann, R., The Law of Obligations, 1996; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010 |
287 | Angelsachse ist der Angehörige der im 5./6. Jh. unter den sagenhaften Führern Hengist und Horsa von Norddeutschland auf die britischen Inseln auswandernden, seit etwa 775 (Beda, Paulus Diaconus) mit der Sammelbezeichnung Angelsachsen (lat. [M.Pl.]Angli Saxones) benannten →Sachsen, Angeln (aus Schleswig) und Jüten. Die Angelsachsen bilden unter Verdrängung der einheimischen →Kelten mehrere Kleinkönigreiche (Kent, Sussex, Wessex, Essex, East Anglia, Mercia, Northumbria), in denen sie von römischen und von schottischen Missionaren zum Christentum bekehrt werden. Den Königen von Wessex gelingt im 9. Jh. die Einigung, doch werden die Angelsachsen 1016-1042 von den Dänen beherrscht und 1066 bei Hastings von dem →Normannen Wilhelm dem Eroberer unterworfen. Aus der Zeit bis 1066 ist mit insgesamt rund 1500-1800 Urkunden zu rechnen, von denen mehr als 1150 vom Herrscher ausgestellt sind (von etwa 670 bis 900 rund 450 Urkunden, davon 2-3 Originale aus dem 7. Jh., 17-18 aus dem 8. Jh. und etwa 55 aus dem 9. Jh.). Lit.: Köbler, DRG 81; Schmid, R., Die Gesetze der Angelsachsen, 1858; Liebermann, F., Die Gesetze der Angelsachsen, Bd. 1ff. 1898ff., Neudruck 1960; Attenbourgh, F., Laws of the Earliest English Kings, 1922; Robertson, A., Laws of the Kings of England, 1925; Braude, J., Die Familiengemeinschaften der Angelsachsen, 1932; Wilson, D., The Anglo-Saxons, 2. A. 1970; Vollrath-Reichelt, H., Königsgedanke und Königtum bei den Angelsachsen, 1971; Wallace-Hadrill, J., Early Germanic Kingship, 1971; Torkar, R., Eine altenglische Übersetzung von Alcuins de virtute et vitiis Kap. 20, 1981; Baker, J., An Introduction to English Legal History, 1971, 2. A. 1979, 3. A. 1990,;4. A. 2002; The Anglo-Saxons, hg. v. Hines, J., 1997; Dunn, M., The Christianization of the Anglo-Saxons c. 597-c. 700, 2009; Kleinschmiedt, H., Die Angelsachsen, 2011; Bihrer, A., Die Angelsachsen, 2014 |
288 | Angelsächsisches Recht ist das Recht der →Angelsachsen (zwischen der Mitte des 5. Jh.s und etwa 1066). Es ist überliefert durch Rechtsbücher (lat. [F.Pl.] leges, Gesetzbücher) der angelsächsischen Könige des 7. bis 11. Jh.s, durch allgemeine Rechtsaufzeichnungen unbekannter Verfasser und durch Urkunden und allgemeine Geschichtsquellen. Den Beginn bilden die in der Volkssprache niedergeschriebenen Rechtssätze Aethelberhts von Kent (597-616) und in jüngerer Überlieferung Ines von Wessex (688-694). Von Alfred dem Großen von Wessex stammt ein (ae.) domboc (887-899), von König Knut eine weitere umfangreiche Sammlung (1018-1023). Nichtoffizielle Kompilationen stellen der →Quadripartitus, die Leis Willelme (A. 12. Jh.), die Consiliatio Cnuti (12. Jh.) und die →Leges Henrici Primi (1114-1118) dar, mit denen das angelsächsische Recht noch weit in die normannische Zeit Englands reicht. Die Überlieferung ist auf wenige Handschriften beschränkt, so dass mit deutlichen Verlusten zu rechnen ist. Christlicher Einfluss ist unübersehbar. Die Abgrenzung von aufgezeichnetem Gewohnheitsrecht und neuem, gemeinsam mit Bischöfen und Adel gesetztem Recht (z. B. Todesstrafe für Diebstahl 925-939) bereitet Schwierigkeiten. Hauptgegenstand der Rechtsbücher („Ge-setzbücher“) ist zunächst der Ausgleich von Unrechtserfolgen durch Buße an den Verletzten. Unter König Alfred nehmen kirchlicher Einfluss und königliche Anordnung zu. Ein Bezug auf geschriebenes Recht findet sich in den überlieferten Rechtsfällen, die vor dem vom reeve, ealdorman oder scirman des Königs geleiteten örtlichen Gericht verhandelt werden, nicht. Lit.: Schmid, R., Die Gesetze der Angelsachsen, 1858; Liebermann, F., Zu den Gesetzen der Angelsachsen, ZRG GA 5 (1884), 198; Liebermann, F., Die Gesetze der Angelsachsen, Bd. 1f. 1998ff., Neudruck 1960; Brunner, H., Geschichte der englischen Rechtsquellen im Grundriss, 1909; Liebermann, F., The national assembly in the Anglo-Saxon period, 1913; Attenborough, F., Laws of the Earliest English Kings, 1922; Bechert, R., Die Einleitung des Rechtsgangs nach angelsächsischem Recht, ZRG GA 47 (1927), 1; Würdinger, H., Einwirkungen des Christentums auf das angelsächsische Recht, ZRG GA 55 (1935), 105; Goebel, J., Felony and Misdemeanour, 1937; English Historical Documents I, hg. v. Whitelock, D., 1955; Sawyer, P., Anglo-Saxon Charters, 1968; Harding, A., Law Courts of medieval England, 1973; Korte, D., Untersuchungen zu Inhalt, Stil und Technik angelsächsischer Gesetze und Rechtsbücher des 6.-12. Jahrhunderts, 1974; Rivers, T., A Reevaluation of Aethelberht 31, ZRG GA 93 (1976), 315; Scharer, A., Untersuchungen zu den angelsächsischen Königsurkunden des 7. und 8. Jahrhunderts, Diss. phil. Wien 1978 (masch.schr.); Baker, J., An Introduction to English Legal History, 1971, 2. A. 1979, 3. A. 1990, ;4. A. 2002; Wormald, P., The Making of English Law, 1999; Scharer, A., Herrschaft und Repräsentation, 2000; Oliver, L., The Beginnings of English Law, 2002; Palmer, J., Anglo-Saxons in an Frankish World, 690-900, 2009 |
289 | Anger Lit.: Brednich, R., Tie und Anger, 2007 |
290 | Angers Lit.: Lange, H./Kriechbaum, M., Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 2 2007, 138 |
291 | Angestellter ist der Arbeitnehmer, der vorwiegend geistige Arbeit leistet. Die Gruppe der Angestellten wird im 19. Jh. als besonderer Teil der Arbeitnehmer erkannt. Lit.: Dittrich, M., Die Entstehung der Angestelltenschaft in Deutschland, 1939; Hromadka, W., Das Recht der leitenden Angestellten, 1979; Bichler, B., Die Formierung der Angestelltenbewegung, 1997; Schulz, G., Die deutschen Angestellten, 2000 |
292 | Anhalt über dem Selketal ist die vielleicht um 1050 errichtete Burg (in der Gegenwart Ruine), nach der sich ein seit etwa 1000 erkennbares Geschlecht (→Askanier) benennt (1215 [lat.] princeps [Fürst] in Anahalt), dessen Angehörige als einzige Grafen seit 1218 dem Reichs-fürstenstand angehören. Nach vielen Teilungen kommen die Güter 1863 im Herzogtum A. (1807) der Linie Anhalt-Dessau wieder zusammen, das am 12. 11. 1918 Freistaat wird (Verfassung 18. 7. 1919). Am 9. 7. 1945 wird A. innerhalb der sowjetischen Besatzungszone mit der Provinz Sachsen →Preußens vereinigt und 1947 dem neugebildeten Land →Sachsen-Anhalt eingegliedert (1990-2003 Regierungsbezirk Dessau). Lit.: Köbler, Historisches Lexikon; Schrecker, U., Das landesfürstliche Beamtentum in Anhalt, 1906; Schröder, A., Grundzüge der Territorialentwicklung der anhaltinischen Lande, Anhalt. Geschichtsbll. 2 (1926); Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff., 3,3,2895; Marcus, P., Herzog Bernhard von Anhalt, 1993; Die Fürsten von Anhalt, hg. v. Freitag, W. u. a., 2003; Rheinbündischer Konstitutionalismus, hg. v. Brandt, H. u. a., 2007; 800 Jahre Anhalt, hg. v. Anhaltischen Heimatbund, 2012 |
293 | animo (lat.) durch Beherrschungswillen, →possessio, →animus |
294 | animus (lat. [M.]) →Wille |
295 | animus (M.) domini (lat.) Eigentümerwille |
296 | animus (M.) donandi (lat.) Schenkungswille →Schenkung |
297 | animus (M.) novandi (lat.) Abänderungswille →Novation |
298 | Anjou ist die Seitenlinie der →Kapetinger (erstes Haus begründet von [lat.]]vicecomes [M.] Fulco dem Roten um 898, Verlust der Grafschaft 1214/1259 an den König von Frankreich, 1154 Königtum in England mindestens bis 1399, 1499 Hinrichtung des letzten männlichen Plantagenet Earl Eduard von Warwick, zweites Haus 1246-1328/1351 als Apanage nach Übernahme der Grafschaft durch den König von Frankreich, drittes Haus 1351-1480), welche die Grafschaft Provence, Sizilien (1265-1282, Sizilien-Trinakria), Neapel (1265-1435, Sizilien-Neapel), Ungarn (1308-1386) und Polen (1370-1386) sowie in einer jüngeren Linie Lothringen (1431-1473) beherrscht. Die Landschaft A. (der keltischen Andekaver) um Angers zählt von 1154 bis 1204 unter dem Haus →Plantagenet zu →England. 1480/1481 fallen A. und Provence an den König von →Frankreich. Lit.: Guillot, O., Le comte d’Anjou et son entourage au 11e siècle, 1972; Gillingham, J., The Angevin Empire, 1984; Michalsky, T., Memoria und Repräsentation, 1999; Kiesewetter, A., Die Anfänge der Regierung König Karls II. von Anjou (1278-1295), 1999; Berg, D., Die Anjou-Plantagenets, 2003; La justice temporelle dans les territoires angevins, hg. v. Boyer, J. u. a., 2005 |
299 | Anklage ist die vor Gericht gegen eine bestimmte Person wegen einer bestimmten Straftat erhobene Anschuldigung. Sie tritt erst mit der Entstehung allgemeiner Streitbeendigungseinrichtungen auf. In Rom erfolgt der Übergang zu einer allgemeinen staatlichen Strafverfolgung seit dem 2. vorchristlichen Jh. Danach erscheint eine Popularanklage bei Verfolgung gemeiner Verbrechen. Jeder Bürger kann durch Anzeige die A. vorbringen und erhält im Falle des Erfolgs einen Lohn. Im deutschen Mittelalter bildet die A. die Voraussetzung für den besonderen, seit dem 14. Jh. sichtbaren →Anklageprozess, bei dem der Betreiber Sicherheit stellen und im Fall des Unterliegens die Kosten tragen und den Angeklagten entschädigen muss. Im mehr und mehr vorherrschenden Inquisitionsprozess erfolgt die A. durch den Richter auf dem endlichen Rechtstag. Im 19. Jh. wird nach dem Vorbild Frankreichs die öffentliche A. durch eine vom Gericht unabhängige Behörde eingeführt (Baden 1832 und Württemberg 1843 für Pressevergehen, Preußen 1846 für Kammergericht, 1849 allgemein). Seitdem gibt es eine private A. nur noch bei (wenigen) Privatklagedelikten. Lit.: Köbler, DRG 156, 202, 118; Planck, J., Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter, 1879; His, R., Strafrecht des deutschen Mittelalters, 1920; Grossmann, S., Masken des Anklägers – Geschichte des Anklägers im amerikanischen Strafprozess, Diss. jur. Frankfurt am Main 2000 |
300 | Anklagegrundsatz ist der Grundsatz, dass ein Strafverfahren nur auf Grund einer Anklage betrieben werden kann. |