7401 | Voraus ist der Anspruch des überlebenden Ehegatten auf die zum ehelichen Haushalt gehörenden Gegenstände und die Hochzeitsgeschenke. Der V. ist dem römischen Recht ansatzweise bekannt. Er findet sich auch im Spätmittelalter neben →Heergewäte und →Gerade. Der eheliche V. wird 1900 in das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch und 1914 in das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (§ 758) Österreichs aufgenommen. Lit.: Hübner; Schröder, R., Geschichte des ehelichen Güterrechts, Bd. 1ff. 1863ff., Neudruck 1967; Hirschhorn, M., Der Voraus und der Dreißigste, 1908; Wesener, G., Der Voraus des überlebenden Ehegatten, FamRZ 6 (1959), 84 |
7402 | Vorausvermächtnis (lat. N. praelegatum, legatum per praeceptionem) ist das bereits dem römischen Recht bekannte Vermächtnis einzelner Gegenstände an einen Erben, so dass dieser Erbe zugleich Vermächtnisnehmer wird. Lit.: Kaser § 76 II 3b; Rudolf, I., Teilungsanordnung und Vorausvermächtnis, 1966 |
7403 | Vorbehalt des Gesetzes ist im 19. Jh. (z. B. § 5 VI des Grundgesetzes Sachsen-Weimars von 1816) der Grundsatz, dass ein Eingriff in ein Rechtsgut eines Einzelnen (z. B. Freiheit, Eigentum) von einer Gestattung durch ein →Gesetz abhängig ist. Lit.: Köbler, DRG 199; Willoweit, D., Deutsche Verfassungsgeschichte, 5. A. 2005; Schmidt-Bleker, R., Legislative Defizite im Schulrecht der preußischen konstitutionellen Monarchie, 2005 |
7404 | Vorbehaltsgut ist bei der ehelichen Gütergemeinschaft das besondere, aus dem Gesamtgut ausgeschlossene, der alleinigen Zuständigkeit und selbständigen Verwaltung durch den einzelnen Ehegatten vorbehaltene Gut. Es findet sich bereits im Mittelalter (z. B. bei →Morgengabe). Von den vernunftrechtlichen Gesetzbüchern (Allgemeines Landrecht 1794, Code civil 1804, Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch 1811) wird es anerkannt. Lit.: Hübner 669; Schröder, R., Das eheliche Güterrecht, 1900, Neudruck 1967 |
7405 | Vorderösterreich ist die Gesamtheit der im deutschen Südwesten gelegenen Güter Habsburgs bzw. Österreichs seit dem Spätmittelalter (mit dem Hauptort Freiburg im Breisgau). Ein Teil hiervon bildet später →Vorarlberg, ein anderer geht zwischen 1799 und 1805 in Baden (Breisgau), Württemberg und Frankreich auf. Lit.: Köbler, Historisches Lexikon; Schwarzweber, J., Die Landstände Vorderösterreichs im 15. Jahrhundert, 1908; Vorderösterreich, hg. v. Metz, F., 1967, 3. A. 1978; Quarthal, F./Wieland, G., Die Behördenorganisation Vorderösterreichs, 1977; Seidel, K., Der Oberelsass, 1980; Vorderösterreich in der frühen Neuzeit, hg. v. Maier, H. u. a., 1989; Vorderösterreichische Regierung und Kammer 1753-1805, bearb. v. Haggenmüller, M. u. a., 1999ff.; Speck, D., Vorderösterreich, 2010; Vorderösterreichisches Appellationsgericht und vorderösterreichische Landrechte 1782-1805, 2013 |
7406 | Voreid ist der vor Abgabe einer Erklärung zu leistende Eid. Er erscheint bereits im Frühmittelalter. Ein möglicher Zusammenhang mit dem Kalumnieneid ist ungeklärt. Lit.: Planck, J., Das deutsche Gerichtsverfahren, Bd. 1f. 1879, Neudruck 1973 |
7407 | Vorerbe ist der Erbe, der in der Weise zunächst zur Erbschaft berufen ist, dass nach ihm zu einem bestimmten späteren Zeitpunkt (Nacherbfall) ein anderer Erbe (Nacherbe) wird. Eine Nacherbschaft ist im römischen Recht an sich ausgeschlossen, wird aber auf dem Weg über ein →Fideikommiss dennoch erreicht. Mit der Aufnahme des Testaments im Heiligen römischen Reich (13. Jh.) wird auch die Vorerbschaft möglich (z. B. Friedberg Ende 14. Jh.s). Das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch (1900) schränkt die Vorerbschaft aus liberalen Überlegungen auf einen Zeitraum von 30 Jahren ein. Lit.: Kaser §§ 65 II 4, 68 II 4, 78 I; Hübner; Coing, H., Europäisches Privatrecht, Bd. 1 1985; Schartl, R., Das Privatrecht der Reichsstadt Friedberg, Diss. jur. Gießen 1987; Eckert, J., Der Kampf um die Familien-fideikommisse, 1992; Straub, S., Zur Entstehung der Vor- und Nacherbfolge im Bürgerlichen Gesetzbuch, ZRG GA 120 (2003), 235 |
7408 | Vorkaufsrecht (1691) ist das einer Person zustehende Recht, einen Gegenstand von dem Verpflichteten zu erwerben, sobald dieser den betreffenden Gegenstand an einen Käufer verkauft. Das V. ist dem römischen Recht an sich zunächst unbekannt, erscheint in unterschiedlichen Einzelfällen aber dann doch. Ihm steht in Deutschland das →Näherrecht gegenüber. In der frühen Neuzeit wird beides miteinander vermischt. Die vernunftrechtlichen Gesetzbücher (1794ff.) nehmen das V. auf und teilen ihm teils nur schuldrechtliche, teils auch sachenrechtliche Wirkung zu. Lit.: Kaser §§ 23 II 2, 30 I 2, 41 VII; Kroeschell, DRG 2; Frommhold, G., Über die Geschichte des Familienvorkaufsrechts, ZRG GA 32 (1911), 337; Wesener, G., Vorkaufs- und Einstandsrecht der „gesippten Freunde“, Gedächtnisschrift R. Schmidt, 1966, 535; Schurig, K., Das Vorkaufsrecht, 1975; Coing, H., Europäisches Privatrecht, Bd. 1 1985, 383; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechts-wortschatzes, 2010 |
7409 | Vorlesung (lat. F. praelectio) ist die im Vorlesen und Erklären eines (geschriebenen) Textes (z. B. Digesten) durch einen im Gegensatz zu seinen nachschreibenden Hörern über den Text Verfügenden be-stehende älteste Lehrveranstaltung der Universität. Gedruckte Verzeichnisse von Vorlesungen sind seit dem 16. Jh. erhalten (Dillingen 1564-1614, Helmstedt unregelmäßig seit etwa 1585, beständig seit etwa 1600, Herborn vielleicht seit 1585, Jena seit 1591). Sie zeigen durch die allmähliche Aufnahme privater Vorlesungen den Wandel vom schulischen Lehrplan zur wirtschaftlich ausgerichteten Lehrfreiheit an den protestantischen Universitäten der Aufklärung. Lit.: Kroeschell, DRG 3; Köbler, DRG 106; Schröder, K., Vorläufiges Verzeichnis der in Bibliotheken und Archiven vorhandenen Vorlesungsverzeichnisse, 1964; Köbler, G., Erlanger juristische Vorlesungen, Jb. f. fränk, Landesforschung 27 (1967), 241; Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff.; Schröder, J., Wissenschaftstheorie, 1979; Köbler, G., Gießener juristische Vorlesungen, 1982, 2. A. 2003 (elektronisch); Blanke, H., Bibliographie der in periodischer Literatur abgedruckten Vorlesungsverzeichnisse, (in) Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 6 (1983), 205, 10 (1987), 17, 11 (1988), 105; Schröder, J., Vorlesungsverzeichnisse als rechtsgeschichtliche Quelle, (in) Die Bedeutung der Wörter, 1991, 383; Vorlesungsverzeichnisse der Universität Königsberg, hg. v. Oberhausen, M. u. a., 1999; Apel, H., Die Vorlesung, 1999; Gelehrte Wissenschaft. Das Vorlesungsprogramm der Universität Jena um 1800, hg. v. Bach, T. u. a., 2008; Die Vorlesungen der Berliner Universität 1810-1834, hg. v. Virmond, W., 2010 |
7410 | Vormärz ist die von fürstlicher Reaktion (Karlsruher Beschlüsse 1819) auf liberale Forderungen (Wartburgfest 1817, Hambacher Fest 1832) gekennzeichnete Zeit vor dem März 1848 im →Deutschen Bund. Bereits im V. werden verschiedene Verfassungen erlassen. Seit 1848 treten bedeutende allgemeine Veränderungen ein. Lit.: Dunk, H. v. d., Der deutsche Vormärz, 1966; Brandt, H., Landständische Repräsentation im deutschen Vormärz, 1968; Conze, W., Staat und Gesellschaft im deutschen Vormärz, 2. A. 1970; Boldt, W., Deutsche Staatslehre im Vormärz, 1975; Wende, P., Radikalismus im Vormärz, 1975; Vormärz und Revolution, hg. v. Fenske, H., 1976; Ehrle, P., Volksvertretung im Vormärz, Teil 1f. 1979; Deutsche Juristen im Vormärz (Briefe), hg. v. Strauch, D., 1999 |
7411 | Vormerkung (1713) ist die vorläufige Grundbucheintragung zur Sicherung eines Anspruchs auf Eintragung einer Rechtsänderung. Sie wird im ersten Ansatz 1750 in Preußen sichtbar und übernimmt im 19. Jh. die Aufgaben des (lat.) →ius (N.) ad rem (Recht zur Sache). Sie soll ursprünglich die Augabe erfüllen, die später dem Widerspruch zukommt. Lit.: Köbler, DRG 212; Schubert, W., Die Entstehung der Vorschriften des BGB über Besitz und Eigen-tumsübertragung, 1966; Günther, P., Die historische Entwicklung der Vormerkung, Diss. jur Bielefeld 2000; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010 |
7412 | Vormund (Wort um 950 belegt) ist, wer durch Anordnung des Vormundschaftsgerichts zur Führung einer amtlich verordneten, verwaltenden Fürsorgetätigkeit für Minderjährige (bzw. Frauen und entmündigte Volljährige) bestellt ist. Der V. (lat. M. tutor) ist dem römischen wie wohl auch dem germanischen Recht bekannt, doch erscheint ahd. foramundo erst vereinzelt im 10. Jh. Meist ist der nächste männliche Verwandte (Bruder, Vatersbruder u. s. w.) V. Er hat eine treuhänderische Gewalt über Person und Vermögen des Mündels und damit vor allem Rechte, muss aber für den Unterhalt sorgen. Bereits seit dem Frühmittelalter unterfällt er wegen der Missbrauchsgefahr einer von der Kirche geförderten öffentlichen Aufsicht (Obervormundschaft). Hieraus entwickelt sich in der Neuzeit das Vormundschaftsgericht. Die Vormundschaft endet mit der Volljährigkeit. Der Codex Maximilianeus Bavaricus civilis verlegt die vormundschaftlichen Rechte der Familie teilweise auf den Staat, worin dasAllgemeine Landrecht Preußens 1794 folgt., während der Code civil von 1804 den Familienrat entscheidend sein lässt. 1875 erlässt Preußen eine besondere bahnbrechtende Vormundschaftsordnung, die den Vormund weitgehend selbständig ein Amt unter Aufsicht des Staats ausübern lässt. Das Bürgerliche Gestzbuch von 1900 bringt die Zulassung der Amtsvormundschaft und der Anstaltsvormundschaft und die Anerkennung der elterlichen Gewalt der Mutter über ihr Kind. Weitere Änderungen schaffen das Jugenwohlfahrtsgesetz von 1922 (Verallgemeinerung der Amtsvormundschaft über uneheliche Kinder), das Gleichberechtigungsgesetz von 1947, das Familierechtsänderungsgesetz von 1961, das Nichtehelichengesetz von 1969, das Gesetz zur Neuregelung des Rechtes der elterlichen Sorge von 1979 und das Betreuungsgesetz von 1999, das die Entmündigung mit anschließender Vormundschaft abschafft. Seit 1. 1. 1992 gibt es in Deutschland statt der Vormundschaft über Volljährige die →Betreu-ung. Ein besonderer Familienrat wird 1979 gestrichen. Das besondere Vormund-schaftsgericht endet mit dem FGG-Reformgesetz von 2008. In Österreich ist mit dem Inkrafttreten des Kindschaftsrechtsänderungsgesetzes 2001 (BGBl. I 2000, 135) die 1970 auch für die Frau eröffnete Vormundschaft beseitigt und durch die Obsorge einer anderen geeigneten Person ersetzt, wobei Amtsobsorgeschaft des Jugendwohlfahrtsträgers nur für im Inland gefundene Kinder unbekannter Eltern vorgesehen ist. Lit.: Kaser §§ 62, 63; Söllner §§ 8, 11; Hübner § 100; Kroeschell, DRG 1, 2; Köbler, DRG 36, 88, 121, 160, 210, 268; Kraut, T., Die Vormundschaft, Bd. 1f. 1835ff. http://www.koeblergerhard.de-/Fontes/KrautWilhelmTheodorDieVormundschaftNachDenGrundsaetzenDesDeutschenRechts1835Bd1.pdf; Rive, F., Geschichte der deutschen Vormundschaft, Bd. 1ff. 1862ff. http://www.koeblergerhard.-de/Fontes/RiveFriedrichGeschichteDerDeutschenVormundschaft1862Bd1.pdf; Schlüter, R., Das Vormund-schaftsrecht in den Kodifikationen, 1961; Tetzlaff, W., Der Kaiser als Obervormund, Diss. jur. Frankfurt am Main 1965; Pelz, F., Die Vormundschaft in den Stadt- und Landrechtsreformationen, 1966; Kranz, E., Die Vormundschaft im mittelalterlichen Lübeck, Diss. jur. Kiel 1967; Haibach, U., Familienrecht in der Rechts-sprache, 1991, 357; Taupitz, J., Von der entrechtenden Bevormundung zur helfenden Betreuung, JuS 1992, 1; Signori, G., Geschlechtsvormundschaft und Gesellschaft, ZRG 116 (1999), 119; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010 |
7413 | Vormundschaft (Wort um 950 belegt)→Vormund, (lat. [F.] tute-la) |
7414 | L.: Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010; Heider, M., Die Geschichte der Vormundschaft seit der Aufklärung, 2011 |
7415 | Vorname ist im deutschen Bereich der ursprünglich alleinige →Name des Menschen, der seit dem Übergang vom Frühmittelalter zum Hochmittelalter wegen der allgemeinen Verdichtung allmählich um den Familiennamen ergänzt wird (Venedig seit 9. Jh.), der sich seit dem 18. Jh. zunehmend in den Vordergrund schiebt und etwa in der Bibliographie Vorrang vor dem weniger Unterscheidungskraft aufweisenden Vornamen hat. |
7416 | Vorparlament ist die Versammlung zur Vorbereitung eines Parlaments (z. B. Frankfurt am Main 1848). Lit.: Nipperdey, T., Deutsche Geschichte, 1983, 606 |
7417 | Vorrang des Gesetzes ist der Vorrang des formellen Gesetzes vor jeder anderen staatlichen Willenserkärung seit dem 19. Jh. Lit.: Kroeschell, 20. Jh.; Köbler, DRG 199 |
7418 | Vorrecht (N.) Sonderrecht, Privileg |
7419 | Vorsate →Vorsatz Lit.: Löning, G., Vorsate und vorrat, ZRG GA 61 (1941), 266 |
7420 | Vorsatz (Wort um 1250 belegt, lat. M. dolus) ist im Strafrecht der Wille zur Verwirklichung eines Straftatbestands in Kenntnis all seiner Tatumstände, im Privatrecht das Wissen und Wollen des rechtswidrigen Erfolgs im Bewusstsein der Rechtswidrigkeit. Der V. ist so alt wie das menschliche Verhalten. Als solcher erfasst wird er von der römischen und der neuzeitlichen Wissenschaft. Diese stellt dem V. die →Fahrlässigkeit gegenüber. Lit.: Köbler, DRG 158, 204, 264; Löffler, A., Die Schuldformen des Strafrechts, Bd. 1 1895; Mommsen, T., Römisches Strafrecht, 1899, Neudruck 1961; His, R., Das Strafrecht des deutschen Mittelalters, Bd. 1 1920, Neudruck 1964; Schaffstein, F., Die allgemeinen Lehren vom Verbrechen, 1930, Neudruck 1973; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010 |