7241 | Vermittlungsausschuss ist der der Vermittlung zwischen unterschiedlichen Vorstellungen zweier Gremien dienende Ausschuss. Nach amerikanischem Vorbild kennt Deutschland seit 1949 einen V. zwischen Bundestag und Bundesrat. |
7242 | Vermögen (Wort um 1300 belegt) ist die Gesamtheit der einer Person zustehenden Gegenstände von wirtschaftlichem Wert einschließlich von Erwerbschancen. Für das V. gilt das jeweilige Sachenrecht, Schuldrecht und Erbrecht. In das V. wird bei Bedarf vollstreckt. Die Einziehung des Vermögens kann eine Strafe sein. Das V. kann mit Vermögensteuer besteuert werden. Im römischen Recht ist Träger (Eigentümer) des Vermögens der Vater (lat. [M.] pater familias). Später werden daneben Söldner vermögensfähig hinsichtlich des (lat. [N.]) peculium castrense, seit der Nachklassik Hauskinder hinsichtlich ihres Sondervermögens. Lit.: Kaser §§ 12 I, 15 I, 18 I 1, 58 II, 60 II, 85 II; Hübner; Kroeschell, DRG 1; Laband, P., Die vermögensrechtlichen Klagen, 1869; Brauweiler, H., Der Vermögensbegriff, Diss. jur. Erlangen 1910; Planitz, H., Die Vermögensvollstreckung, 1912; Hirschberg, R., Der Vermögensbegriff im Strafrecht, 1934; Dießelhorst, M., Das Vermögensrechtssystem Samuel Pufendorfs, 1976; Mempel, H., Die Vermögenssäkularisation, 1979; Knothe, H., Das gemeine Kindesvermögensrecht, ZRG GA 98 (1981), 255; Coing, H., Europäisches Privatrecht, Bd. 1f. 1985ff.; Mit dem Zehnten fing es an, hg. v. Schultz, U., 3. A. 1992; Schroeder, K., Deutsches Recht und Bürgerliches Gesetzbuch, ZRG GA 109 (1992), 159; Hubig, S., Die historische Entwicklung des § 23 ZPO, 2002; Spann, M., Der Haftungszugriff auf den Schuldner, 2004; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010 |
7243 | Vermögensstrafe ist die auf den vollständigen oder teilweisen Verlust des Vermögens gerichtete, bereits den Römern bekannte, von der Aufklärung wegen der Auswirkungen auf die Familie des Betroffenen bekämpfte, durch Gesetz vom 15. Juli 1992 in Deutschland (wieder) eingeführte, aber durch Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Deutschlands vom 20. 03. 2002 wegen mangelnder Bestimmtheit als verfassungswidrig beurteilte Strafe. Lit.: Schnieders, R., Die Geschichte der Vermögensstrafe in Deutschland, 2002 |
7244 | Vermögensvollstreckung ist im römischen Recht die im 2./1. Jh. v. Chr. neben die Personalvollstreckung tretende Vollstreckung des Gläubigers in das Vermögen des Schuldners, wenn dieser nicht den durch Urteil bestimmten Betrag leistet. Dabei wird der betreibende Gläubiger in den Besitz eingewiesen und danach das Vermögen durch Versteigerung an den Meistbietenden verwertet, wobei die Verteilung des Überschusses auf die anderen Gläubiger nach der Reihenfolge der Urteile erfolgt. |
7245 | Vermutung ist der Satz, nach dem von dem Vorliegen eines bestimmten Umstands (grundsätzlich) auf einen bestimmten anderen Umstand geschlossen werden soll (z. B. von Besitz auf Eigentum). Die aus der Erfahrung des Alltagslebens erwachsende V. ist (als [lat.] praesumptio F.) bereits dem römischen Recht bekannt. Sie wird mit diesem später aufgenommen. Lit.: Köbler, DRG 29; Hamza, G., Réflexions sur les présomptions relatives aux comourants (commorientes) (in) Status familiae, 2001, 131 |
7246 | Vernunft ist die Fähigkeit, nachvollziehbare, verständige Entscheidungen zu treffen. Auf die V. stellt die Aufklärung der frühen Neuzeit besonders ab. Namengebend wird die V. für das hierauf gegründete Vernunftrecht. Lit.: Köbler, DRG 136, 146; Neusüß, W., Gesunde Vernunft und Natur der Sache, 1970; Pohl, M., Fliehen - Kämpfen - Kapitulieren, 2013 |
7247 | Vernunftrecht ist das allein durch die →Vernunft gerechtfertigte und begründete Recht. Es ist die im 17. und 18. Jh. vorherrschende Art des Naturrechts. Das V. nimmt seinen Ausgang von spanischen Spätscholastikern (Francisco de →Vitoria 1483/1493-1546, Fernando →Vazquez 1512-1569), die zwecks Gewinnung einer verlässlichen Lösung für die am Beginn der Neuzeit entstehenden rechtlichen Fragen aus einem als allgemein behaupteten Naturrecht gewisse allgemeine Völkerrechtssätze ableiten. Auf dieser Grundlage entwickelt Hugo →Grotius 1625 ein Allge-meinrecht für alle Rechtsverhältnisse, das ausschließlich aus dem naturgegebenen Streben (lat. M. appetitus) des Einzelnen vernünftigerweise Verträge erfüllt, verursachte Schäden ausgleicht und das Eigentum anderer achtet. Seine Grundsätze würden auch dann gelten, wenn es keinen Gott gäbe oder dieser sich um die menschlichen Angelegenheiten nicht kümmerte. Damit ist einerseits das vom Christentum auf Gott bezogene Naturrecht verweltlicht bzw. (bei Grotius) von der Moraltheologie emanzipiert und zu einer irdischen Sozialethik erhoben sowie andererseits die göttliche Offenbarung der Theologie zurückgegeben. Die menschliche Vernunft allein - nicht die geschichtliche Erfahrung - bildet den Maßstab für das Recht. Dem folgt neben David →Mevius etwa →Pufendorf (1672), der in geometrischer Art (lat. more geometrico) für das private Recht ein Gesamtsystem einleuchtender Vernunftsätze bilden will. Christian →Wolff (1679-1754) will überhaupt durch mathematisch-demonstrative, logisch-synthetische Deduktion mit Hilfe des Syllogismus als Erkenntnissmittel aus wenigen vernunftrechtlichen Obersätzen zur Lösung jedes einzelnen Falles kommen. Allerdings werden dabei nur bereits als vernünftig anerkannte Sätze des geltenden Rechtes als Naturrecht behauptet und ist die davon ausgehende Ableitung meist logisch nicht einwandfrei. Unmittelbare Übernahmen von behaupteten Naturrechtssätzen in die Rechtswirklichkeit sind selten. Wenig später widerlegt Immanuel →Kant (1724-1804) die Vorstellung eines überpositiven Rechtes ohne geschichtliche Grundlage ganz. Dennoch erfahren preußisches →Allgemeines Landrecht (1794), →Code civil (1804) und österreichisches →Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (1811/1812) eine bedeutsame naturrechtlich-systematische Prägung. Im Staatsrecht führt das V. zur Lehre vom Gesellschaftsvertrag (frz. contrat social), im Strafrecht zur Humanisierung. Lit.: Kroeschell, DRG 3; Köbler, DRG 139, 140, 144, 145, 159, 163, 166, 207; Dulckeit, G., Naturrecht und positives Recht bei Kant, 1932, Neudruck 1973; Thieme, H., Das Naturrecht und die europäische Privatrechtsgeschichte, 2. A. 1954; Wieacker, F., Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 1952, 2. A. 1967; Rüping, H., Die Naturrechtslehre des Christian Thomasius, 1968; Bärmann, J., Zur Methode des Vernunftrechts, FS zum 150jährigen Bestehen des Oberlandesgerichts Zweibrücken, 1969, 3; Carpintero-Benitez, F., Del derecho natural medieval al derecho natural moderno, 1977; Krause, D., Naturrechtler des sechzehnten Jahrhunderts, 1979; Luig, K., Der Einfluss des Naturrechts, ZRG GA 96 (1979), 38; Lipp, M., Die Bedeutung des Naturrechts, 1980; Christian Wolff 1679-1754, hg. v. Schneiders, W., 1983; Link, C., Hugo Grotius als Staatsdenker, 1983; Vernunftrecht und Rechtsreform, hg. v. Krause, P., 1988; Bühler, T., Die Naturrechtslehre und Christian Thomasius, 1989; Schlosser, H., Grundzüge der neueren Privatrechtsgeschichte, 9. A. 2001, 10. A. 2005 |
7248 | Verona an der unteren Etsch wird auf angeblich keltischer Grundlage 89 v. Chr. römische (lat. F.) colonia. Seit dem 3. Jh. ist es Sitz eines Bischofs, später Sitz Theoderichs des Großen (Dietrich von Bern) und des Langobardenkönigs Alboin. Im 12. Jh. wird es freie Kommune, die 1228 und 1276 Statuten aufzeichnet. Über Mailand (1387), Venedig (1405) und →Österreich (1797) gelangt es 1866 zu →Italien. Lit.: Cipolla, C., Compendio della storia politica, 1976; Westhues, P., Die Kommunalstatuten von Verona im 13. Jahrhundert, 1995 |
7249 | Verordnung ist die behördliche Anordnung an eine unbestimmte Zahl von Personen für eine unbestimmte Zahl von Fällen. Sie erscheint sachlich mit dem Auftreten von Herrschaft, also etwa bereits im römischen Altertum oder im Frühmittelalter (z. B. →Kapitularien). Syste-matisch erfasst wird sie aber erst seit der frühen Neuzeit. Seitdem steht sie vor allem dem Gesetz gegenüber. →Notverordnung Lit.: Köbler, DRG 227; Sammlung der churbaierischen Generalien und Landesverordnungen, 1771; Gerstlacher, C., Sammlung aller baden-durlachischen Anstalten und Verordnungen, Bd. 1ff. 1772f.; Handbuch aller unter der Regierung Josefs II. ergangenen Verordnungen und Gesetze, Bd. 1ff. 1785; Sammlung aller kaiserlich-könig-lichen Verordnungen und Gesetze, Bd. 1ff. 1786/7; Jellinek, G., Gesetz und Verordnung, 1887, Neudruck 1964; Seitz, J., Die landständische Verordnung in Bayern, 1999; Höner, M., Die Diskussion um das richterliche Prüfungsrecht und das monarchische Verordnungsrecht, 2001 |
7250 | verpachten →Pacht |
7251 | Verpfählung Lit.: Der Rechtsbrauch des Verpfählens, ZRG GA 42 (19219, 110; Müller, K., Der Rechtsbrauch des Verpfählens, ZRG GA 42 (1921), 110 |
7252 | verpfänden (als Pfand geben), durch Rechtsgeäft ein Pfandrecht als beschränktes dingliches Recht an einer Sache eines anderen begründen Lit.: Werminghoff, A., Die Verpfändungen der mittel- und niederrheinischen Reichsstädte, 1893; Kleinbub, M., Das Recht der Übertragung und Verpfändung von Liegenschaften in der Reichsstadt Ulm, 1960; Landwehr, G., Die Verpfändung der deutschen Reichsstädte im Mittealter, 1967 |
7253 | Verpflichtung (1307, F.) Obligation, Schuld, Verbindlichkeit Lit.: Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010 |
7254 | Verpflichtungsgeschäft ist das bereits dem römischen Recht bekannte, eine →Verpflichtung begründende Rechtsgeschäft (z. B. Kauf) im Gegensatz zu dem diese Verpflichtung tilgenden Erfüllungsgeschäft (z. B. Übereignung), das →Verfügungsgeschäft ist. Das V. verändert die dingliche Rechtslage an der betroffenen Sache nicht, begründet aber relative Rechte und Pflichten des Gläubigers und Schuldners in Bezug auf das daraufhin vorzunehmende Verfügungsgeschäft. Lit.: Kaser §§ 5 I, 11, 15 I, 60 II, 62 III 2; Köbler, DRG 46 |
7255 | Verrat ist die unbefugte, treuwidrige Offenbarung eines Geheimnisses. Bereits bei den Germanen folgt dem Volksverrat die Tötung durch Aufhängen. Im Übrigen werden die verschiedenen Fälle von V. (Hochverrat, Landesverrat) im Einzelnen unterschiedlich verfolgt. Lit.: Mommsen, T., Römisches Strafrecht, 1899, Neudruck 1961; His, R., Das Strafrecht des Mittelalters, Bd. 1f. 1920ff., Neudruck 1964; Illmer, F., Treubruch, Verrat und Felonie, Diss. jur. Breslau 1937; Ritter, J., Verrat und Untreue an Volk, Reich und Staat, 1942 |
7256 | Verrichtungsgehilfe ist nach dem deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch (1900) ein Mensch, dem von einer anderen Person, von deren Weisungen er mehr oder weniger abhängig ist, eine Tätigkeit übertragen worden ist. Der Geschäftsherr hat für vermutetes Verschulden bei Auswahl und Über-wachung eines schädigenden Verrichtungsgehilfen einzustehen. Lit.: Köbler, DRG 216, 271; Niethammer, G., Entwicklung der Haftung für Gehilfenhandeln, 1973; Wicke, H., Haftung für Verrichtungsgehilfen, (in) Kontinuitäten und Zäsuren, 1999, 165; Wicke, H., Respondeat superior, 2000; Bodenhausen, E. Frhr. v., Haftung des Geschäftsherrn für Verrichtungsgehilfen, 2000 |
7257 | Versailles ist der südwestlich von Paris gelegene, 1037 erstmals bezeugte und 1561 mit Marktrecht begabte Ort, an dem Ludwig XIV. im 17. Jh. ein Schloss errichten lässt, das dem König von Frankreich als Residenz dient. Am 18. 1. 1871 wird in V. der König von Preußen zum Kaiser von Deutschland ausgerufen. Am 28. 6. 1919 wird in V. der in 15 Teile mit 440 Artikeln gegliederte, von vielen als Diktat betrachtete, aber auch den Wunsch Frankreichs nach Zerschlagung Deutschlands oder nach Gewinnung der Rhein-grenze verhindernde, ohne Beteiligung des Deutschen Reiches entstehende, den Wiederaufstieg Deutschlands in wenigen Jahren zur potentiell stärksten Macht Europas ermöglichende Friedensvertrag der alliierten Siegermächte des ersten Weltkriegs mit dem Deutschen Reich unterzeichnet (Verlust eines Zehntels des Staatsgebiets [Elsass, Lothringen, Westpreußen, Posen], Kriegsschuld, Repa-rationsverpflichtungen, Heereseinschränkung). Lit.: Kroeschell, DRG 3; Köbler, DRG 221; Berber, F., Das Diktat von Versailles, 1939; Haffner, S. u. a., Der Vertrag von Versailles, 1978; Versailles 1919, hg. v. Krumeich, G., 2001; Kolb, E., Der Friede von Versailles, 2005 |
7258 | Versammlungsfreiheit ist das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Die V. entwickelt sich im 19. Jh. zu einem Grundrecht. Lit.: Kroeschell, DRG 3 |
7259 | Versäumnisverfahren ist das bei Säumnis einer Partei betreibbare Gerichtsverfahren. Es ist bereits dem römischen Recht bekannt (str.), wobei es dem Kläger nur begrenzt möglich ist, die Teilnahme des Beklagten außerhalb seines Wohnorts zu erzwingen. In der Gegenwart wird bei Säumnis des Beklagten nach dem Vorbild des sächsischen Prozesses auf der Grundlage des Vortrags des Klägers ein Versäumnisurteil erlassen, bei Säumnis des Klägers die Klage abgewiesen. Lit.: Kaser §§ 84 II, 87; Köbler, DRG 34; Planck, J., Das deutsche Gerichtsverfahren, Bd. 2 1879, Neudruck 1973, 268; Mitteis, H., Studien zur Geschichte des Versäumnisurteils, ZRG GA 42 (1921), 137; Kulessa, M., Ladungsungehorsam und prozessuale Säumnis, Diss. jur. Frankfurt am Main 1964; Wiggenhorn, H., Der Reichskammergerichtsprozess, Diss. jur. Münster 1966; Reinschmidt, T., Die Einleitung des Rechtsganges, Diss. jur. Frankfurt am Main 1968, 123; Schlosser, H., Spätmittelalterlicher Zivilprozess, 1971; Sellert, W., Prozessgrundsätze und Stilus Curiae, 1973; Steinhauer, T., Versäumnisurteile in Europa, 1996; Rüfner, T., Gerichtsstand und Ladungszwang, 2009 |
7260 | Verschollenheit (1809) ist das Fehlen von Nachrichten über das Leben oder Versterben eines Menschen, dessen Aufenthalt während längerer Zeit unbekannt ist und an dessen Fortleben nach den Umständen ernstliche Zweifel bestehen. Die V. wird bereits im römischen Recht erfasst (Auflösung der Ehe, Kriegsverschollenheit lat. ius postliminii). Im 18. Jh. wird für die V. das Verfahren der →Todeserklärung eingerichtet. Dieses ist in der deutschen Gegenwart im besonderen Verschollenheitsgesetz (15. 1. 1951) geregelt. Am 6. 4. 1950 wird die Konvention der Vereinten Nationen über die Todeserklärung Verschollener vereinbart. Lit.: Kaser § 58 VII 1a; Köbler, DRG 120, 160, 206, 237, 266; Schmidt, R., Die Verschollenheit, 1938; Arnold, E., Verschollenheit, 1951; Strebel, H., Die Verschollenheit als Rechtsproblem, 1954; Coing, H., Europäisches Privatrecht, Bd. 1 1985, 199; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010; Bertrand, A., Zur Entwicklung des Verschollenheitsrechts, 2013 |