7201 | Verfassungsrecht ist die Gesamtheit der die →Verfassung betreffenden Rechtssätze. Lit.: Köbler, DRG 7; Huber, E., Verfassungsrecht des großdeutschen Reiches, 1939; Mampel, S., Das Recht in Mitteldeutschland, 1966; Klecatsky, H./Morscher, S., Das österreichische Bundesverfassungsrecht, 3. A. 1982; Ridder, H., Verfassungsrecht oder Staatsrecht?, Bll. f. dt. u. internat. Politik 1988, 660; Roggemann, H., Die DDR-Verfassungen, 4. A. 1989; Entstehen und Wandel verfassungsrechtlichen Denkens, hg. v. Mussgnug, R., 1996; Deutsches Verfassungsrecht 1806 bis 1918, hg. v. Kotulla, M., Bd. 1ff. 2006ff. |
7202 | Verfassungsschutz Lit.: Buschfort, W., Geheime Hüter der Verfassung, 2004 |
7203 | Verfassungsurkunde ist die eine →Verfassung schriftlich verkörpernde Urkunde (formelle Verfassung). Verfassungsurkunden gibt es (nach wissenschaftlicher Konvention) seit 12. 6. 1776 (→Virginia Bill of Rights). Lit.: Usee, K., Der Einfluss der französischen Verfassungen, Diss. jur. Greifswald 1911; Ingelmann, A., Ständische Elemente in der Volksvertretung, 1914; Goldschmitt, R., Geschichte der badischen Verfassungsurkunde, 1918 |
7204 | Verfassungswirklichkeit ist der tatsächliche Verfassungszustand eines Staates im Gegensatz zu dem von der Verfassungsurkunde angestrebten Verfassungszustand. Lit.: Huber, E., Verfassungswirklichkeit und Verfassungswert, FS G. Schmelzeisen, 1980, 126 |
7205 | Verfestung ist seit dem Hochmittelalter in Norddeutschland eine Rechtsfolge bei Ladungsungehorsam, die der →Acht ähnelt. Lit.: Kroeschell, DRG 2; Francke, O., Das Verfestungsbuch der Stadt Stralsund, 1875; Planck, J., Das deutsche Gerichtsverfahren, Bd. 2 1879, Neudruck 1973, 291; His, R., Das Strafrecht des deutschen Mittelalters, Bd. 1 1920, 433, Neudruck 1964; Feuring, A., Die Verfestung nach dem Sachsenspiegel, Diss. jur. Bonn 1995 |
7206 | Verfügung (1560) ist im Privatrecht das Rechtsgeschäft, durch das ein Recht unmittelbar geändert, aufgehoben, übertragen oder belastet wird (z. B. Übereignung). Zu einer V. ist beispielsweise der Eigentümer befugt, doch kann er die Verfügungsbefugnis auch anderen einräumen. Verfü-gungsbefugt sind ebenfalls Vormund (lat. tutor) und Pfleger (lat. curator). Bereits das römische Recht unterscheidet die V. von der →Verpflichtung. Ob das germanische Recht die V. kennt, ist streitig. Im 19. Jh. wird die V. von der Verpflichtung abstrahiert. Letztwillige V. ist die für den Fall des Todes über den Nachlass getroffene V. Im öffentlichen Recht ist V. ein →Verwaltungsakt. Lit.: Kaser §§ 5 I, 11 IV, 15 I 4b, 60 II 3c, 62 II 2; Köbler, DRG 123; Demuth, E., Die wechselseitigen Verfügungen von Todes wegen nach alamannisch-zürcherischem Recht, 1901; Schultze, A., Über Gläubigeranfechtung und Verfügungsbeschränkungen des Schuldners nach deutschem Stadtrecht des Mittelalters, ZRG GA 41 (1920), 210; Schönfeld, W., Die Vollstreckung von Verfügungen von Todes wegen im Mittelalter nach sächsischen Quellen, ZRG GA 42 (1921), 240; Kilchmann, A., Die Verfügungen von Todes wegen nach den aargauischen Rechtsquellen, 1928; Buss, H., Letztwillige Verfügungen nach ostfriesischem Recht, Diss. jur. Göttingen 1966; Hattenhauer, H., Die Entdeckung der Verfügungsmsacht, 1969; Wilhelm, W., Begriff und Theorie der Verfügung, Wissenschaft und Kodifikation, hg. v. Coing, H. u. a., Bd. 2 1977, 213; Coing, H., Europäisches Privatrecht, Bd. 1 1985 § 30, Bd. 2 1989 § 64; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010; Schmidt-Recla, A., Kalte oder warme Hand?, 2011 |
7207 | Verfügungsgeschäft ist das eine →Verfügung anstrebende bzw. bewirkende →Rechtsgeschäft. Es bedarf im römischen Recht eines rechtlichen Grundes (lat. iusta caua). Im 19. Jh. wird das V. von dem Verpflichtungsgeschäft abstrahiert, so dass es auch ohne dieses wirksam ist. Dann kann aber die Verfügung auf dem Weg über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung rückgängig gemacht werden. |
7208 | Vergabung ist das Übertragen eines Gegenstands an eine andere Person. →Schenkung Lit.: Kroeschell, DRG 1 |
7209 | Vergehen ist die rechtswidrige Tat, die im Mindestmaß mit einer geringeren Freiheitsstrafe oder mit einer Geldstrafe bedroht ist. Als allgemeine Erscheinungsform wird das V. nach französischem Vorbild zu Beginn des 19. Jh.s erfasst (Bayern 1813). Der Versuch eines Vergehens ist nur bei besonderer gesetzlicher Bestimmung strafbar. Lit.: Köbler, DRG 119, 204, 264; Hannamann, O., Über die Grenzlinie zwischen Verbrechen und Vergehen, 1805; Cucumus, K. v., Über die Einteilung der Verbrechen, Vergehen und Übertretungen, 1823; Daimer, H., Die Unterscheidung der strafbaren Handlungen, Diss. jur. Erlangen 1915 |
7210 | Vergeltung ist der in Zufügung des gleichen oder eines (als mindestens gleichwertig angesehenen) anderen Nachteils bestehende →Strafzweck. |
7211 | Vergewaltigung ist die Nötigung einer Frau mit Gewalt oder Drohung zum Beischlaf mit dem Nötigenden oder einem Dritten (→Notzucht). Am Ende des 20. Jh.s wird auch die V. in der→Ehe strafbar (Österreich 1989, Schweiz 1992, Deutschland 1997). In Deutschland wird 1997 die V. als eigenständiger Tatbestand aufgegeben und als besonders schwerer Fall der sexuellen Nötigung eingeordnet. Lit.: Mommsen, T., Römisches Strafrecht, 1899, Neudruck 1961; His, R., Strafrecht des deutschen Mittelalters, Bd. 1f. 1920ff., Neudruck 1964; Thornhill, R./Palmer, C., A Natural History of Rape, 2000; Balthasar, S., Die Tatbestände der Vergewaltigung und sexuellen Nötigung, 2001; Künzel, C., Unzucht – Notzucht – Vergewaltigung, 2003; Shaw, Y., Entwicklung und Reform zur Vergewaltigung in der Ehe gemäß § 177 StGB, 2005; Münch, I. v., Frau komm!, 2009 |
7212 | Vergleich (1468, lat. F. transactio) ist der gegenseitige Vertrag, durch den der Streit oder die Ungewissheit von Parteien über ein Rechtsverhältnis im Wege gegenseitigen Nachgebens beendet wird. Der V. ist im klassischen römischen Recht ein →Erlass, wird aber von →Justinian (527-565) hiervon abgelöst. Der V. ist auch im deutschen Recht zulässig. Seit dem Spätmittelalter wird das justinianische Recht aufgenommen. Lit.: Kaser §§ 50 II 6, 53 II 3; Oertmann, P., Der Vergleich im gemeinen Zivilrecht, 1895; Steinwenter, A., Die Streitbeendigung, 2. A. 1971; Ebel, F., Berichtung, Transactio und Vergleich, 1978; Bork, R., Der Vergleich, 1988; Ausschüsse für Vergleichs- und Konkursrecht, hg. v. Schubert, W., 2008; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010; Eisenhardt, M., Sanierung statt Liquidation, 2011 |
7213 | Verhaftung ist seit der frühen Neuzeit die amtliche Festnahme eines einer Straftat Verdächtigen. Für sie verdichten sich seit der Aufklärung die gesetzlich festzulegenden Voraussetzungen. Lit.: Kroeschell, 20. Jh.; Baltl/Kocher; Ollinger, T., Die Entwicklung des Richtervorbehalts im Verhaftungsrecht, 1997 |
7214 | Verhältnismäßigkeit ist der Grundsatz des Verwaltungsrechts, dass die Verwaltung unter mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen nur die wählen darf, die den Betroffenen und die Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigt. Der Grundsatz der V. ist an sich naheliegend, wird aber erst im 20. Jh. artikuliert. Lit.: Avoine, M. d’, Die Entwicklung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, Diss. jur. Trier 1994 |
7215 | Verhältniswahlrecht (Proportionalwahlrecht, engl. block voting system) ist die Art des Wahlrechts, bei der die Gesamtzahl der Parlamentssitze auf die Parteien im Verhältnis der Gesamtstimmenzahl zu der auf die einzelne Partei bzw. ihre Kandidatenliste im gesamten Wahlgebiet abgegebenen Zahl der Stimmen verteilt wird (z. B. Belgien 1899, Österreich 18. 12. 1918 [1992 reformiert, mindestens ein Grundmandat oder bundesweit 4 Prozent der Stimmen], Deutsches Reich 1919, pro 60000 Stimmen im ganzen Reich ein Abgeordneter). Das V. bildet einen Gegensatz zum Mehrheitswahlrecht. Es kann klare politische Entscheidungen erschweren, entspricht aber den politischen Verhältnissen im gesamten Wahlvolk besser. Lit.: Köbler, DRG 230, 257; Smend, R., Die Verschiebung der konstitutionellen Ordnung durch das Verhältniswahlrecht, (in) Smend, R., Staatsrechtliche Abhandlungen, 2. A. 1968, 60 |
7216 | Verhandlung ist die Erörterung eines Gegenstands durch Beteiligte, insbesondere die Erörterung vor einem Gericht. Bei der hiervon abgeleiteten Verhandlungsmaxime des Zivilprozesses steht es bei den Parteien, welchen Streitstoff sie dem Gericht unterbreiten, so dass nicht notwen-digerweise über die Wahrheit entschieden wird. Ein Gegensatz zum Verhandlungsgrundsatz (Verhandlungsmaxime [Gönner]) ist der Grundsatz der Untersuchung durch das Gericht (z. B. im Inquisitionsprozess). Lit.: Köbler, DRG 155, 201; Tiegelkamp, K., Geschichte und Stellung der Verhandlungsmaxime, 1940; Bomsdorf, F., Prozessmaximen und Rechtswirklichkeit, 1971 |
7217 | Verhör ist die eindringliche Befragung eines Menschen durch einen andern Menschen zur Ermittlung von Umständen, insbesondere die Befragung von Verdächtigen durch einen Ermittler. Lit.: Eibach, J., Frankfurter Verhöre, 2003; Niehaus, M., Das Verhör, 2003 |
7218 | Verjährung (1555, verjähren 1221-1224 Sachsenspiegel, Verjährungsfrist 1784/1794) ist der durch Zeitablauf eintretende Rechtsverlust. In fester Form wird die V. als (lat.) praescriptio (F.) temporis aller Klagen von den römischen Kaisern Honorius (393-423) und Arcadius bzw. Theodosius II. (424) mit einer Frist von grundsätzlich 30 (in bestimmten Fällen auch 40, 20, 10 Jahren oder einem Jahr) eingeführt. Danach strahlt die V. bereits auf das Frühmittelalter aus und wird später allgemein aus dem römischen Recht aufgenommen. Mit ihr verschmilzt die →Verschweigung. Das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch (1900) kennt neben der regelmäßigen Verjährung binnen 30 Jahren verschiedene kürzere Verjährungsfristen. Seit 2002 ist in Deutschland die regelmäßige Verjährungsfrist auf 3 Jahre festgelegt. V. gibt es auch für die Strafverfolgung und die Strafvollstreckung. Lit.: Kaser § 4 III; Köbler, DRG 61; Kroeschell, 20. Jh.; Unterholzner, K., Ausführliche Entwicklung der gesamten Verjährungslehre, 2. A. 1858; Schwarz, F., Bemerkungen zur Lehre von der Verjährung, 1866; Reich, O., Die Entwicklung der kanonistischen Verjährungslehre, 1908; Iterson, W. van, Immemoriale possessie en prescriptie, Themis 1962, 427; Schmachtenberg, H., Die Verschweigung, Diss. jur. Frankfurt am Main 1971; Coing, H., Europäisches Privatrecht, Bd. 1f. 1985ff.; Ebihara, A., Savigny und die gemeinrechtliche Verjährungslehre, ZRG RA 110 (1993), 602; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010; Jansen, J., Bezit te kwader trouw, verkrijgende en bevrijdende verjarng, 2011 |
7219 | Verkauf →Kauf |
7220 | Verkaufspfand ist das bereits dem klassischen römischen Recht bekannte, bei Pfandreife durch Verkauf der Pfandsache an einen Dritten zu verwertende Pfand. Das V. erscheint im Mittelalter in den Städten seit dem 13. Jh., auf dem Land seit dem 14. Jh. In der frühen Neuzeit erfolgt der Verkauf durch das Gericht oder eine andere hierzu bestellte Einrichtung. Nach dem deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch (1900) wird der verpfändete Gegenstand meist durch öffentliche Versteigerung bzw. bei Grundstücken durch Zwangsversteigerung verwertet. Lit.: Kaser § 31; Hübner; Planitz, H., Das deutsche Grundpfandrecht, 1912; Hromadka, W., Die Entwicklung des Faustpfandprinzips, 1971; Klink, R., Die Behandlung des Pfandrechts, 1976; Coing, H., Europäisches Privatrecht, Bd. 1f. 1985ff. |