1301 | delegatio (lat. [F.]) Anweisung |
1302 | Delegation ist die Übertragung einer Aufgabe oder Zuständigkeit auf einen oder mehrere andere. Sie ist bereits der römischen Kaiserzeit bekannt. Im Mittelalter erfolgt die D. weltlicher oder geistlicher Gerichtsbarkeit seit dem 11./12. Jh. (lat. iurisdictio [F.] delegata). Im Heiligen römischen Reich wird die D. wegen des damit verbundenen Zuständigkeitsverlusts des Delegierenden seit der Errichtung des Reichs-kammergerichts eingeschränkt, in der Kirche seit den Konzilen von Konstanz (1414-1418), Basel (1431-1437) und Trient (1545-1563), in den deutschen Ländern seit dem 18. Jh. Trotzdem ist die D. als Übertragung einer Zuständigkeit eines staatlichen Organs auf ein anderes, das danach die Zuständigkeit neben dem oder statt des Delegierenden ausübt, möglich. In Österreich sind die Delegationen 1867 ein 120 Mitglieder umfassendes Gesetzgebungsorgan für die pragmatischen Angelegenheiten der österreichisch-ungarischen Monarchie, das rechtstatsächlich auf die Erstellung des entsprechenden Haushaltsplans beschränkt ist. Lit.: Kaempfe, W., Die Begriffe der Jurisdictio Ordinaria, Quasiordinaria, Mandata und Delegata, 1876; Canstein, R.? v., Jurisdictio delegata und mandata im justinianischen und kanonischen Rechte, ZRG 13 (1878), 491; Kümpel, J., Begriff und Abstufung der iurisdictio ordinaria und delegata, 1922; Triepel, H., Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, 1942, Neudruck 1995; Endemann, W., Der Begriff der delegatio, 1959; Müller, H., Päpstliche Delegationsgerichtsbarkeit in der Normandie, 1997; Reichard, I., Delegation und Novation im klassischen römischen Recht, 1998; Olechowski-Hrdlicka, K., Die gemeinsamen Angelegenheiten der österreich-ungarischen Monarchie, 2001 |
1303 | De legibus et consuetudinibus regni Angliae (lat.) (Treatise on the Laws and Customs of England, Über die Gesetze und Gewohnheiten des Königreichs England) ist eine kurze, in lateinischer Sprache abgefasste Darstellung des englischen Rechtes (common law) des 12. Jh.s (1187-1189?) auf der Grundlage der Rechtsprechung der königlichen Gerichte (ausgenommen das siebente, Erbrecht behandelnde Buch). Als Verfasser gilt Ranulf de →Glanvill. Ein Einfluss des römischen Rechtes ist nur in terminologischer Hinsicht zweifelsfrei. Lit.: Kroeschell, DRG 1; Baker, J., An Introduction to English Legal History, 1971, 2. A. 1979, 3. A. 1990, 4. A. 2002 |
1304 | Delictum (lat. [N.]) ist im römischen Recht die den Einzelnen, seine Familie oder sein Vermögen verletzende Tat (zu lat. delinquere, V., zurücklassen ausgehen, fehlen, sich vergehen, z. B. Diebstahl, Sachbeschädigung, Persönlichkeitsverletzung). Voraussetzung ist Rechtswidrigkeit und regelmäßig Vorsatz. Rechtsfolge ist anfangs die Vergeltung am Täter selbst (z. B. Tötung, Körperverletzung), später die an die Stelle des Racherechts tretende Buße in Geld (lat. [F.] poena), die entweder in einem bestimmten Metallwert oder in einem Vielfachen des Wertes des betroffenen Gegenstands bestehen kann. Hinzukommen können sachverfolgende Klagen. In der Spätantike wird im Westen seit dem 4. Jh. zwischen Verbrechen und →Delikt begrifflich nicht mehr unterschieden und das Ziel des nichtkriminellen Verfahrens mehr und mehr als Schadensersatz verstanden. Justinian hält demgegenüber strenger am klassischen Gedankengut fest, setzt aber je nach Nützlichkeit der Angelegenheit für den Handelnden für die Ersatzpflicht meist einen der verschiedenen Grade von Schuld voraus. Lit.: Kaser § 50; Köbler, DRG 26, 48, 65; Köbler, LAW; Jentsch, H., Die Entwicklung von den Einzeltatbeständen des Deliktsrechts zur Generalnorm, 1939; Caemmerer, E. v., Wandlungen des Deliktsrechts, FS zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, 1964, 49 |
1305 | Delikt (Wort 1559, Lehnwort zu [lat., N.] delictum) ist die rechtswidrige schuldhafte Tat. Ihr folgt teils →Strafe, teils Buße. Dabei wird mit der Aufnahme des römischen Rechtes auch die Figur des (lat. [N.]) →delictum übernommen. Im Strafrecht ist D. die mit öffentlicher Strafe bedrohte Handlung, im Privatrecht die unerlaubte, zu Schadensersatz verpflichtende Handlung (§§ 823ff. BGB). Lit.: Köbler, DRG 48, 65, 166, 264; Jentsch, H., Die Entwicklung von den Einzeltatbeständen des Deliktsrechts zur Generalnorm, 1939; Caemmerer, E. v., Wandlungen des Deliktsrechts, FS zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, 1964, 49; Kötz, H., Deliktsrecht, 1976, 9. A. 2001, 10. A. 2006; Bar, C. v., Gemein-europäisches Deliktsrecht, 1996; Zimmermann, R./Verse, D., Die Reaktion des Reichsgerichts auf die Kodifikation des deutschen Deliktsrechts, (in) Das Bürgerliche Gesetzbuch und seine Richter, 2000, 319; Mohnhaupt-Wolf, U., Deliktsrecht und Rechtspolitik, 2004; Immenhauser, M., Das Dogma von Vertrag und Delikt, 2006; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010; La faute et sa punition dans les sociétés orientales, hg. v. Furand, J. u. a., 2012 |
1306 | Deliktsfähigkeit ist die Fähigkeit, für eine unerlaubte Handlung zur Verantwortung gezogen werden zu können. Sie fehlt schon im römischen Recht den Geisteskranken (lat., M.Pl., furiosi) und Kindern (lat., M.Pl., infantes). Für das ältere deutsche Recht ist die tatsächliche Handhabung im Einzelfall eher unklar. Mit der Rezeption wird die Mündigkeit (Vollendung des 14. Lebensjahrs) maßgeblich für die D. |
1307 | Demagoge (M.) Volksführer, Volksverführer |
1308 | Demagogenverfolgung ist die staatliche Verfolgung „revolutionärer Umtriebe und demagogischer Verbindungen“ durch den →Deutschen Bund auf Grund der am 20. 9. 1819 vom Deutschen Bundestag einstimmig angenommenen →Karlsbader Beschlüsse mit Hilfe einer in Mainz eingesetzten Zentraluntersuchungskommission. Die D. besteht beispielsweise in der Aufhebung der Zensurfreiheit von Universitätsprofessoren, in der Beseitigung von Rechtshindernissen für die Entlassung von Geistlichen und in der Schaffung von Rechtsgrundlagen für die Entfernung von Studenten von der Universität. In diesem Zusammenhang werden in Preußen 1836 192 Studenten verurteilt, davon einige zur Todesstrafe. Bekannte Verfolgte sind Friedrich Ludwig Jahn, Ernst Moritz Arndt, Joseph von Görres, Karl Friedrich Eichhorn, Friedrich Schleiermacher oder E. T. A. Hoffmann. Lit.: Toll, H., Akademische Gerichtsbarkeit und akademische Freiheit, 1979; Willoweit, D., Deutsche Verfassungsgeschichte, 5. A. 2005, § 30; Brümmer, M., Staat kontra Universität, 1991; Mann, C., Die Demagogen und das Volk, 2007 |
1309 | Demokratie (Lehnwort zu demokratia, griech., F., Volksherr-schaft) ist die erstmals in →Athen unter Kleisthenes (508 v. Chr.) in gewisser Weise verwirklichte Herrschaft des Volkes in einem Gemeinwesen, die von Aristoteles als Entartung der Herrschaftsform Politie (griech., F., politeia) angesehen wird. Nach der Antike gewinnt die D. trotz Erwähnung bei Martin Luther (1539 für Schweiz und Dithmarschen), Samuel Pufendorf (1667 als Gegensatz zum Reichstag) oder Johann Stephan Pütter (1787 für Reichsstädte) erst wieder seit der französischen Revolution des Jahres 1789 tatsächliche Bedeutung. Dabei wird teils auf die vollständige Gleichheit und Beteiligung aller an der Herrschaft abgestellt, teils auf die Volks-souveränität, teils auf Gewaltenteilung, Grundrechte, Rechtsstaatlichkeit und Repräsentativsystem. Im Einzelnen sind die Formen der verwirklichten D. dementsprechend verschieden (z. B. 1919 im Deutschen Reich eine mit plebiszitären Merkmalen angereicherte parlamentarische D. mit vom Volk gewähltem Reichspräsidenten, 1949 Volksdemokratie der Deutschen Demo-kratischen Republik). Lit.: Köbler, DRG 256; Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 1 1972, 821; Blumer, J., Staats- und Rechtsgeschichte der schweizerischen Demokratien, 1850ff.; Schmitt, C., Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, 2. A. 1926; Kelsen, H., Vom Wesen und Wert der Demokratie, 2. A. 1929; Schefold, D., Volkssouveränität und repräsentative Demokratie, 1966; Boldt, W., Konstitutionelle Monarchie oder parlamentarische Demokratie, HZ 216 (1973), 553; Tormen, W., Zwischen Rätediktatur und sozialer Demokratie, 1951; Schiffers, R., Elemente direkter Demokratie im Weimarer Regierungssystem, 1971; Bleicken, J., Die athenische Demokratie, 1986, 4. A. 1995; Biographisches Lexikon zur Geschichte der demokratischen und liberalen Bewegungen in Mitteleuropa, hg. v. Reinalter, H. u. a., Bd. 1 1992; Kurz, A., Demokratische Diktatur?, 1992; Lepsius, M., Demokratie in Deutschland, 1993; Die athenische Demokratie, hg. v. Eder, W., 1995; Hansen, M., Die athenische Demokratie, 1995; Demokratie in Rom?, hg. v. Jehne, M., 1995; Rudolph, K., Bibliographie zur Geschichte der Demokratiebewegung, 1997; Kirchgässner, G. u. a., Die direkte Demokratie, 1999; Backes, U., Liberalismus und Demokratie, 2000; Riethmüller, J., Die Anfänge des demokratischen Denkens in Deutschland, 2001; Die Anfänge des Liberalismus und der Demokratie in Deutschland und Österreich 1830-1848/49, hg. v. Reinalter, H., 2002; Fisahn, A., Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002; Lamprecht, O., Das Streben nach Demokratie, Volkssouveränität und Menschenrechten in Deutschland am Ende des 18. Jahrhunderts, 2002; Wegbereiter der Demokratie, hg. v. Asendorf, M., 2006; Canfora, L., Eine kurze Geschichte der Demokratie, 2006; Raaflaub, K. u. a., Origins of Democracy, 2007; Verachtet, verfolgt, verdrängt - Deutsche Demokraten, hg. v. Bockhofer, R., 2007; Nippel, H., Antike oder moderne Freiheit?, 2008; Robinson, E., Democracy beyond Athens, 2011Nolte, P., Was ist Demokratie?, 2012; Braunschweig, C., Die demokratische Krankheit, 2012; Gesichter der Demokratie, hg. v. Hein, B., 2012; Postnationale Demokratie, Postdemokratie, Neoetatismus, hg. v. Heinig, H. u. a., 2013; Kämper, H., Wörterbuch zum Demokratiediskurs 1967/68, 2013; Postnationale Demokratie, Postdemokratie, Neoetatismus, hg. v. Heinig, H. u. a., 2013 |
1310 | Demolombe, Jean Charles Florent (1804-1887) verfasst als Zivilrechtslehrer in Caen einen 31bändigen, unvollendeten Kommentar (Cours) zum →Code civil (1845ff.). Lit.: Jouen, L., Demolombe et ses œuvres, 1888 |
1311 | Demonstration (F.) Aufzeigung, Protestzug Lit.: Dostal, C., 1968 – Demonstranten vor Gericht, 2006 |
1312 | Demoskopie (F.) Volksbefragung, Meinungsforschung Lit.: Kruke, A., Demoskopie in der Bundesrepublik Deutschland, 2007 |
1313 | Denarius (lat. (M.) Zehner, zehn As) ist eine römische, im Mittelalter sprachlich weitergeführte Münze. Lit.: Luschin von Ebengreuth, A., Der Denar der Lex Salica, 1910; Reverchon, A., Metzer Denare, 2006 |
1314 | denegatio actionis (lat.) Verneinung des Klaganspruchs |
1315 | Denkmalsrecht ist die Gesamtheit der die überlieferten Zeugnisse eines Vorgangs oder einer Erscheinung betreffenden Rechtssätze. Vorformen des modernen Denkmalrechts gibt es vereinzelt bereits im Altertum und im Mittelalter. Die eigentliche Denkmalpflege beginnt wohl erst mit der Einsetzung Raffaels (1483-1520) als Leiter der Ausgrabungen Roms durch Papst Leo X. (1513-1521) 1516 und umfassende gesetzliche Regelungen gehören erst der jüngeren Neuzeit an. Lit.: Hammer, F., Die geschichtliche Entwicklung des Denkmalrechts in Deutschland, 1995; Wolf Di Cecca, C., Belege für denkmalpflegeriche Gesetze und Maßnahmen in Antike und Mittelalter, ZRG GA 112 (1995), 440; Denkmalpflege, hg. v. Huse, N., 1996; Speitkamp, W., Die Verwaltung der Geschichte, 1996; Mieth, S., Die Entwicklung des Denkmalrechts in Preußen, 2005 |
1316 | Denuntiatio (F.) evangelica (lat.) ist die lateinische Bezeichnung des auf Matthäus 18,15-17 zurückgehenden kirchlichen Anzeigeverfahrens über ein Fehlverhalten. Dieses setzt seit Innozenz III. (1160/1161-1216, 1199/1209) ein Verhalten gegen die Interessen der Kirche voraus, das der Vorgesetzte nach vergeblichen Ermahnungen anzeigen darf, wobei der Anzeigende weder nachweisen noch Kosten tragen muss. Die Auferlegung einer Buße erfolgt in einem freien Verfahren. Gegen Ende des 17. Jh.s verliert die d. e. als besonderes Verfahren ihre Bedeutung wieder. Lit.: Feine, H., Kirchliche Rechtsgeschichte, 1950, 5. A. 1972, 439; Sauerland, K., 30 (Dreißig) Silberlinge, 2000 |
1317 | Denunziation ist allgemein die Mitteilung oder Anzeige. Ausgehend von der (lat.) →denuntiatio (F.) evangelica wird im gemeinen Strafrecht (Clarus, Practica criminalis, 1578) darunter die Strafanzeige mit dem Ziel der Wahrheitsermittlung verstanden, wobei Vorteile und Gefahren der D. durchaus gesehen und erörtert werden. Seit der zweiten Hälfte des 18. Jh.s, verstärkt in der ersten Hälfte des 19. Jh.s, entwickelt sich unter dem Einfluss der Aufklärung und des Liberalismus die Bedeutung der böswilligen, hinterlistigen und verräterischen Anzeige an die Polizei. Lit.: Denunziation, hg. v. Jerouschek, G. u. a., 1997; Sauerland, K., 30 Silberlinge, 2000; Koch, A., Denunciatio, 2006; Nolte, J., Demagogen und Denunzianten, 2007; Böske, S., Denunziationen in der Zeit des Nationalsozialismus, Diss. jur. Bielefeld 2008; Hornung, E., Denunziation als soziale Praxis, 2010; Sauerland, K., Dreißig Silberlinge - Das Phänomen Denunziation, 2012 |
1318 | Depositio (lat. [F.]) ist die →Hinterlegung an einer bestimmten öffentlichen Stelle, die bereits im klassischen römischen Recht bei Gläubigerverzug dem Schuldner bestimmte Erleichterungen verschafft. Lit.: Kaser § 53 I; Coing, H., Europäisches Privatrecht, Bd. 1f. 1985ff. |
1319 | Depositum (lat. [N.] Verwahrung) ist im römischen Recht die →Hinterlegung einer beweglichen Sache, die der Verwahrer zurückzugeben hat, sobald es der Hinterleger verlangt. Gibt der Verwahrer nicht zurück, so hat nach dem Zwölftafelgesetz der Hinterleger eine Klage wegen Unterschlagung auf das Doppelte. Später entwickelt sich hieraus eine Klage aus Vertrag auf grundsätzlich nur den einfachen Wert. Depositum irregulare (unregelmäßige Verwahrung) ist die Verwahrung, bei welcher der Verwahrer das verwahrte Geld gebrauchen darf, aber zur Rückzahlung desselben Betrags und gegebenenfalls vereinbarter Zinsen verpflichtet ist. Lit.: Kaser § 39 III; Söllner § 9; Kroeschell, DRG 2; Köbler, DRG 45 |
1320 | Depot (N.) (Verwahrung, Verwahrungsort) |