781 | Bodenreform ist die Umwandlung von Großgrundeigentum in bäuerliche Betriebe im Anschluss an staatliche Umwälzungen teils liberalistischer, teils sozialistischer Zielsetzung (z. B. Sowjetunion 1929, 1945 sowjetische Besatzungszone). Lit.: Kroeschell, 20. Jh., 121; Damaschke, A., Die Bodenreform, 1902; Hedemann, J., Fortschritte des Zivilrechts im 19. Jahrhundert, Teil 2 1930; Kippes, O., Die Bestrebungen der Bodenreform, 1933; Weißbuch über die „Demokratische Bodenreform“, hg. v. Kruse, J., 1988; Werner, J., Die Bodenreform, 1997; Oppenheimer, F., Großgrundeigentum und soziale Frage, 1998; Fikentscher, R./Schmuhl, B./Breitenborn, K., Die Bodenreform in Sachsen-Anhalt, 1999; Zahnert, D., Das Recht der Bodenreform der sowjetischen Besatzungszone, 2000; Kempen, B./Dorf, Y., Bodenreform 1945-1949, 2004; Die rechtsstaatliche Bewältigung der demokratischen Bodenreform, hg. v. Kempen, B., 2005 |
782 | Bodenregal ist das vom König im Frühmittelalter grundsätzlich geltend gemachte →Regal an herrenlosem Grund und Boden, das sich in Frankreich erhalten (domaine public) und in Deutschland zum Aneignungsrecht des Staates (Fiskus) entwickelt hat. Lit.: Köbler, DRG 90; Mitteis, H./Lieberich, H., Deutsches Privatrecht, 9. A. 1981, § 27 |
783 | Bodensee Lit.: Stoffel, F., Die Fischereiverhältnisse des Bodensees, 1906; Münch, W., Das Fischereirecht des Bodensees im Mittelalter, Diss. jur. Graz 1943; Gönnenwein, O., Die Rechtsgeschichte des Bodensees, Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees 69 (1950); Der Bodensee, hg. v. Maurer, H., 1982 |
784 | Bodin, Jean (Angers 1530?-Laon 1596), Kaufmannssohn, wird nach dem Rechtsstudium (1548) und einer Lehrtätigkeit in Toulouse 1561 Advokat am Parlament von Paris, 1571 Bediensteter des Herzogs von Alençon, 1576 Staatsanwalt in Laon und schließlich königlicher Prokurator. In seinem empirisch entwickelten, für die politische Festigung Frankreichs gedachten Hauptwerk (Les six livres de la République, 1576, Die sechs Bücher über die Republik) beschreibt er rationalistisch das auf der von Gott gegebenen Souveränität (Unteilbarkeit, Unbeschränktheit, Ständigkeit) aufbauende moderne Staatswesen, in dem der Souverän zum Erlass des Gesetzes (lat. [F.] lex) befugt ist, aber den göttlichen und natürlichen Gesetzen (lat. [N.] ius) unterliegt. Die Monarchie kann für B. den Religionsfrieden und die Staatsordnung am besten wieder herstellen. Hexerei ist B. das schwerste Verbrechen (De la démonomanie des sorciers, 1580). Streitig ist, inwieweit B. den →Absolutismus begründet. Lit.: http://www.koeblergerhard.de/Fontes/BodinJeanLesSixLivresDeLaRepublique1576.pdf; Köbler, DRG 148f.; Fickel, G., Der Staat bei Bodin, 1934; Schmitz, A., Staat und Kirche bei Jean Bodin, 1939; Bodin, Jean, hg. v. Denzer, H., 1973; Goyard-Fabre, S., Jean Bodin et le droit de la république, 1989; Spitz, J., Bodin et la souverainieté, 1998; Couzinet, M., Jean Bodin, 2001; Mayer-Tasch, P., Jean Bodin, 2. A. 2011 |
785 | Bodman Lit.: Bodman. Dorf, Kaiserpfalz, Adel, hg. v. Berner, H., 1977 |
786 | Bodmann, Franz Josef (Groß-Aura 3. 5. 1754-Mainz 21. 10. 1820) wird nach dem Studium des Rechtes in Würzburg und Göttingen (Johann Stephan Pütter) 1780 außerordentlicher und 1783 ordentlicher Professor in Mainz und von 1807 bis 1814 Konservator der ehemals kurfürstlichen Bibliothek und Archivar. Er fälscht Quellen durch Änderung von Ort, Zeit und Namen (z. B. sog. Rheingauer Landrecht). Wegen dieser seit 1903 aufgedeckten Fälschungen sind alle nur durch ihn überlieferten Quellen verdächtig. Lit.: Erler, A., Ingelheimer Urteile als Quellen Franz Josef Bodmanns, ZRG GA 69 (1952), 74ff., 77 (1960), 345ff.; Büttner, H., Zum Bodmann-Problem, HJB 74 (1955), 363ff. |
787 | Bodmerei ist die hochverzinste Beleihung eines Schiffes in der Form, dass mit seinem Verlust die Zahlungspflicht entfällt und die Rückzahlung von der sicheren Ankunft des Schiffes abhängt (seerechtliches Darlehen mit Gefahrtragung durch den Darlehensgeber, reine Sachhaftung). Der B. geht das griechisch-römische Seedarlehen voraus (lat. fenus [N.] nauticum), das möglicherweise durch indische oder babylonische Vorläufer beeinflusst ist. Im Hochmittelalter wird auf Grund unbekannter Entwicklung die Verpfändung des der Seegefahr ausgesetzten Schiffes oder Schiffsteils (bodeme, Boden) vorausgesetzt (Rôles d’Oléron 2. H. 13. Jh., Lübeck 1387, 1418 Bodmereiverbot der Hanse, 1591 Zulassung). Später wird sie durch die Seeversicherung verdrängt und auf die Notbodmerei des Schiffes (durch den Kapitän in Notfällen) eingeschränkt (HGB 1897). Als Folge der wirtschaftlichen und technischen Entwicklung wird die B. durch Gesetz vom 21. 6. 1972 im Handelsgesetzbuch Deutschlands ganz aufgehoben. Lit.: Goldschmidt, L., Handbuch des Handelsrechts, 1864, 2. A. 1875, darin Universalgeschichte des Han-delsrechts, (Bd. 1 3. A.) 1891, Neudruck 1957; Mathiass, B., Das foenus nauticum und die geschichtliche Entwicklung der Bodmerei, 1881; Schuster, S., Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes, 2005 |
788 | Böhmen ist das nach den keltischen Boiern (latinisiert Boiohaemum) benannte Land östlich des Bayerischen Waldes, in das seit dem 6. Jh. Slawen eindringen. Seit 800 wird es christianisiert, wobei um 890 Herzog Boriwoi aus dem Geschlecht der →Przemysliden getauft wird. Vom ottonischen König Heinrich I. wird B. unterworfen. Im 10. Jh. wird der bisher nicht sicher gedeutete Name Čechy (Tschechen) erwähnt. 973 wird für das zunächst kirchlich Regensburg unterstellte Gebiet das Bistum Prag, 975 das Bistum Olmütz gegründet und Mainz unterstellt. B. entwickelt sich zum Herzogtum (1085 Königstitel) im deutschen Reich (1114 Schenk, Reichserzschenk). Seit dem 12. Jh. wandern deutsche Siedler in den Randgebieten und in den Städten ein. 1198/1212 wird B. als Königreich ähnlich wie →Österreich im Reich verhältnismäßig verselbständigt. Der Sachsenspiegel (1221-1224) zählt den König von B. zu den Kurfürsten, lässt ihn aber bei der Königswahl als Nicht-deutschen nicht wählen. Nach dem Aussterben der Babenberger in männlicher Linie in Österreich (1246) wird Ottokar II. aus der Familie der Przemysliden (um 1232-26. 8. 1278) 1251 mit Zustimmung der Stände Herzog von Österreich (1252 Heirat mit der mehr als 30 Jahre älteren Margarete von Babenberg, 1261 annulliert zwecks Heirat mit möglicher Erbin Ungarns) und 1253 als Nachfolger seines Vaters König von Böhmen. 1260 erzwingt er von Ungarn die Übergabe der Steiermark. 1269 erwirbt er nach einem Erbvertrag die Herzogtümer Kärnten und Krain. 1273 unterliegt er Rudolf von Habsburg bei der Wahl zum deutschen König. 1276 muss er auf seine Erwerbungen verzichten und Böhmen und Mähren von Rudolf von Habsburg als Reichslehen nehmen. Am 26. 8. 1278 wird er bei dem Versuch der gewaltsamen Rückgewinnung dieser Güter im Zuge der Schlacht von Dürnkrut (Marchfeld) getötet, wodurch Österreich als Reichslehen wieder frei wird. 1306 sterben die Przemysliden aus (1307 Habsburg, 1311 Luxemburg, 1438-1457 Habsburg). 1314 gewinnt Johann von Luxemburg als König von B. das Nichtappellationsprivileg. Die Markgrafschaft Mähren und Fürstentümer in Schlesien werden angegliedert. 1344 wird Prag Erzbistum. 1348 erhält die Stadt eine Universität. Kaiser Karls IV. Plan eines böhmischen Landrechts (→Maiestas Carolina) scheitert 1355. !356 betrifft die Goldene Bulle auch das Kurfürstentum B. 1415 wird der tschechische Religions-erneuerer Jan Hus hingerichtet. Im 15. Jh. wird B. zur Adelsherrschaft. 1495 entsteht mit den Neun Büchern über die Rechtsordnung des Landes Böhmen das bedeutendste Werk der tschechischen spätmittelalterlichen Rechts-wissenschaft. 1526 ernennt der Adel Ferdinand I. von Österreich auf Grund von Erbansprüchen zum König. 1527 gründet Ferdinand I. auf Drängen der böhmischen Stände eine böhmische Hofkanzlei. 1547 wird das Königreich B. für Habsburg erblich und verselbständigt sich danach mehr und mehr vom Reich. 1564 wird eine Landesordnung erlassen, die nach Niederschlagung der mit dem Prager Fenstersturz (1618) verbundenen Reformationsbewegung (1620, Winterkrieg, Schlacht am Weißen Berg, Verlegung der böhmischen Hofkanzlei nach Wien) 1627 absolutisierend als (v)erneuerte Landesordnung umgestaltet wird. In beachtlichem Umfang wird römisch-kanonisches Recht aufgenommen. Im 17. Jh. versucht Österreich eine Zentralisierung. 1707 wird Böhmen in die Halsgerichtsordnung Josephs I. von 1707 einbezogen. Maria Theresia hebt die böhmische Hofkanzlei 1748/1749 auf (Directorium in publicis et cameralibus). 1761 entsteht die böhmisch-österreichische Hofkanzlei für die innere Verwaltung der böhmischen und österreichischen Erbländer. Joseph II. beseitigt die Leibeigenschaft in Böhmen, Mähren und Schlesien. 1812 wird das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch Österreichs auch in B. in Kraft gesetzt. Am 8. 4. 1848 verspricht der österreichische Kaiser Ferdinand I. eine eigene Verfassung (Böhmische Charte), bezieht B. aber tatsächlich in die Geltung der pillersdorfschen Aprilverfassung ein. Die böhmisch-österreichische Hofkanzlei wird zum Innenministerium. 1918 löst sich das Kronland (Cisleithaniens) B., wie seit 1848 gefordert, in der →Tschechoslowakei von Österreich. Am 15. 3. 1939 errichtet das Deutsche Reich ein mit dem Ende des zweiten Weltkriegs beseitigtes Protektorat Böhmen und Mähren. zum 1. 1. 1993 teilt sich die im zweiten Weltkrieg aufgeteilte, danach wiederhergestellte Tschechoslowakei in die Tschechische Republik (Tschechien) und in die Slowakei auf. Lit.: Köbler, Historisches Lexikon; Köbler, DRG 95, 109, 129; Palacky, F., Geschichte Böhmens, Bd. 1ff. 1836ff.; Rössler, E., Deutsche Rechtsdenkmäler aus Böhmen und Mähren, 1845ff.; Schmidt von Bergenhold, J., Geschichte der Privatrechtsgesetzgebung und Gerichtsverfassung, 1866; Codex juris municipalis regni Bohemiae, 1886; Werunsky, E., Die Maiestas karolina, ZRG GA 9 (1888), 64; Werunsky, E., Der Ordo iudicii terre Boemie, ZRG GA 10 (1889), 98; Grünberg, C., Die Bauernbefreiung in Böhmen, Bd. 1 1895; Lippert, J., Sozialgeschichte Böhmens in vorhussitischer Zeit, 1896ff.; Schreuer, H., Untersuchungen zur Verfassungsgeschichte der böhmischen Sagenzeit, 1901; Codex diplomaticus et epistolaris regni Bohemiae, hg. v. Friedrich, G. u. a., Bd. 1ff. 1904ff.; Bretholz, B., Geschichte Böhmens und Mährens, 1912; Köster, A., Die staatlichen Beziehungen der böhmischen Herzöge und Könige zu den deutschen Kaisern, 1912; Stieber, M., Böhmische Staatsverträge, 1912; Zycha, A., Über den Ursprung der Städte in Böhmen, 1914; Peterka, O., Rechtsgeschichte der böhmischen Länder, Bd. 1f. 1923ff., Neudruck 1965; Perels, E., Zur Geschichte der böhmischen Kur, ZRG GA 45 (1925), 83; Weizsäcker, W., Die Fremden im böhmischen Landrechte, ZRG GA 45 (1925), 206; Weizsäcker, W., Nárok und sok im böhmisch-mährischen Landrecht, ZRG GA 53 (1933), 300; Stanka, R., Die böhmischen Konföderationsakte von 1619, 1932; Diels, P./Koebner, R., Das Zaudengericht in Böhmen, Mähren und Schlesien, 1935; Schubart-Fikentscher, G., Die Verbreitung der deutschen Stadtrechte in Osteuropa, 1942; Wegener, W., Die Přemysliden, 1957; Klabouch, J., (Die Rechtslehren des Aufklärungs-zeitalters in den böhmischen Ländern), 1958; Wegener, W., Böhmen/Mähren und das Reich im Hochmittelalter, 1959; Das böhmische Staatsrecht in den deutsch-tschechischen Auseinandersetzungen des 19. und 20. Jahrhunderts, hg. v. Birke, E. u. a., 1960; Nový, R., Libri civitatum Bohemiae, 1963; Markov, J., Das landrechtliche Gerichtsverfahren in Böhmen und Mähren bis zum 17. Jahrhundert, ZRG GA 83 (1966), 144; Cultus pacis, hg. v. Vaněček, V., 1966; Siedlung und Verfassung Böhmens in der Frühzeit, hg. v. Graus, F./Ludat, H., 1967; Handbuch der Geschichte der böhmischen Länder, hg. v. Bosl, K., Bd. 1ff. 1967ff.; Russocki, S., Protoparlamentaryzm Czech do początku XV wieku (Der Protoparlamentarismus Böhmens bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts), 1973; Procházka, R. Frhr. v., Genealogisches Handbuch erloschener böhmischer Herrenstandsfamilien, 1973; Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff., 2,2,429; Hlavaček, I. u. a. Nichtbohemikale Originalurkunden in den böhmischen Ländern, 1977; Eberhard, W., Konfessionsbildung und Stände in Böhmen 1478-1530, 1981; Sasse, B., Die Sozialstruktur Böhmens in der Frühzeit, 1982, Hassenpflug-Elzholz, E., Böhmen und die böhmischen Stände, 1982; Prinz, F., Böhmen im mittelalterlichen Europa, 1984; Eberhard, W., Monarchie und Widerstand, 1985; Hoensch, J., Geschichte Böhmens, 3. A. 1997; Seltenreich, R., Das römische Recht in Böhmen, ZRG GA 110 (1993), 496; Čechura, J., Die Struktur der Grundherrschaften im mittelalterlichen Böhmen, 1994; Rentzow, L., Die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte der Vernewerten Landesordnung für das Königreich Böhmen von 1627, 1998; Kadlecová, M., Verneuerte Landesordnungen, ZRG GA 120 (2003), 150; Begert, A., Böhmen, die böhmische Kur und das Reich, 2003; Himl, P., Die armben Leüte und die Macht, 2003; Malý, K., Die böhmische Konföderationsakte und die verneuerte Landesordnung, ZRG GA 122 (2005), 285; Untertanen, Herrschaft und Staat in Böhmen und im alten Reich, hg. v. Cerman, M. u. a., 2005; Küpper, H., Einführung in die Rechtsgeschichte Osteuropas, 2005; Votypka, V., Böhmischer Adel, 2007; Lange, H./Kriechbaum, M., Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 2 2007, 973; Kejř, J., Die mittelalterlichen Städte in den böhmischen Ländern, 2010; Schelle, K., Recht und Verwaltung im Protektorat Böhmen und Mähren, 2009; Böhmen und das Deutsche Reich, hg. v. Schlotheuber, E. u. a., 2009; Rechtswissenschaft in Osteuropa, hg. v. Pokrovac, Z., 2010; Höbelt, L., Böhmen, 2012; Religion und Politik im frühneuzeitlichen Böhmen - Der Majestätsbrief Kaiser Rudolfs II. von 1609, hg. v. Hausenblasová, J. u. a., 2014; Deutschland und das Protektorat Böhmen und Mähren, hg. v. Mund, G., 2014 |
789 | Böhmer, Johann Friedrich (Frankfurt am Main 22. 4. 1795-Frankfurt am Main 22. 10. 1863), begüterter Kanzleidirektorssohn, wird nach dem Studium des Rechtes in Heidelberg und Göttingen (1817 Promotion), Privatgelehrter, Stadtarchivar und Stadtbibliothekar in Frankfurt am Main, als welcher er das Urkundenbuch Frankfurts (Codex Diplomaticus Moeno-Francofurtanus), deutsche Kaiserurkunden und die (lat. [N.Pl.] Regesta imperii (1831ff.) herausgibt. Lit.: Jansen, J., Böhmers Leben, 1863; Kleinstück, E., Johann Friedrich Böhmer, 1959; Frankfurter Biographie 1, 1994, 84ff. |
790 | Böhmer, Justus Henning (Hannover 29. 1. 1674-Halle 23. 8. 1749) wird nach dem Studium in Jena (1693-1695) Anwalt in Hannover und Hofmeister, seit 1698 Lizentiat in Halle, dann 1701 außerordentlicher und 1711 ordentlicher Professor. Hier verfasst er 1704 das beste Lehrbuch des römischen Rechtes im 18. Jh. ([lat.] Introductio [F.] in ius digestorum, Einführung in das Recht der Digesten, 14. A. 1791), 1710 eine Einführung in das allgemeine öffentliche Recht bzw. Staatsrecht (lat. Introductio [F.] in ius publicum universale) und 1714-1737 eine umfassende geschichtlich-dogmatische Ge-samtdarstellung des protestantischen Kirchenrechts ([lat.] Ius [N.] ecclesiasticum protestantium, z. T. 5. A. 1756ff.). Er präsidiert 139 Disser-tationen, die mit der Einschränkung des Vorrangs protestantischer Bekenntnis-schriften auch der Übertragung des (lat.) modernus usus (M.) pandectarum auf das Kirchenrecht dienen. Sein zivilrechtliches Werk umfasst 175 Titel in 50 Bänden. Lit.: http://www.koeblergerhard.de/Fontes/Boeh-merJustusHenningIntroductioInIusDigestorum1704.pdf; http://www.koeblergerhard.de/Fontes/Boeh-merJustusHenningIntroductioInIusPublicumUniversale1710.pdf; Köbler, DRG 144, 159; Rütten, W., Das zivilrechtliche Werk Justus Henning Böhmers, 1981; Landau, P., Kanonistischer Pietismus bei Justus Henning Böhmer, (in) Vom mittelalterlichen Recht zur neuzeitlichen Rechtswissenschaft, 1994, 317; Wall, H. de, Zum kirchenrechtlichen Werk Justus Henning Böhmers, ZRG G‚KA 87 (2001), 455ff.; Schulze, R., Justus Henning Böhmer und die Dissertationen seiner Schüler, 2009 |
791 | Boissonade de Fontarabie, Gustave Emile (1825-1910), nach dem Rechtsstudium seit 1864 Lehrer des römischen Rechtes in Grenoble und 1867 Paris, wechselt 1873 nach →Japan, wo er als Berater der Regierung französisches Recht lehrt und 1880 ein Strafgesetzbuch und eine Strafprozessordnung sowie 1890 einen nicht Gesetz gewordenen Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs erarbeitet. Lit.: Carbonnier, J. u. a., Boissonade et la réception du droit français au Japon, Revue internationale du droit comparé 43 (1991), 327 |
792 | Bologna ist die auf etruskischen und römischen Grundlagen ruhende Hauptstadt der oberitalienischen Landschaft Emilia am südöstlichen Rand der Po-Ebene, die sich seit 1115 von den vom deutschen König eingesetzten Grafen von B. zu lösen vermag (und aus der für das elfte Jh. 478 Urkunden und für die Zeit bis 1150 etwa 1300 städtische Urkunden erhalten sind). In B. wird vielleicht auf der Grundlage einer im 11. Jh. bezeugten Artistenschule und wegen des Wissensbedarfs zahlreicher Notare und Investitoren (1057) als Rechtsschule (lat. [N.] studium) eine der ältesten Universitäten Europas gegründet. Ihr bekanntester Lehrer ist (nach Albertus [1067], Arianus, Geminianus und Pepo) zunächst →Irnerius mit der von ihm geprägten Schule der →Glossatoren (Bulgarus, Martinus, Jacobus, Hugo und viele andere bis Accursius). Um 1140 kommt das Studium des kirchlichen Rechtes hinzu. Die fremden Studenten gründen am Ende des 12. Jh.s als Mehrheit aus zwei (lat. [F.Pl.]) universitates eine →universitas. Ihre Zahl wird zu dieser Zeit auf etwa 1000 beziffert. Bruchstücke von Statuten der Universität sind aus dem Jahre 1252 überliefert. Zwischen 1265 und 1425 lassen sich rund 3600 deutsche, fast ausschließlich geistliche Rechtsstudenten in B. nachweisen (durchschnittlich 23 Erstnennungen im Jahr mit rückläufiger Tendenz). Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Köbler, DRG 106, 159; Fitting, H., Die Anfänge der Rechtsschule von Bologna, 1888; Dallari, U., I Rotuli dei lettori, legisti e artisti dello studio bolognese dal 1384 al 1799, 1888ff.; Knod, G., Deutsche Studenten in Bologna (1289-1562), 1899; Schelb, W., Staatsverwaltung und Selbstverwaltung, 1911; Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1 1973, 39; Zanella, G., Bibliografia (in) Studi e memorie per la storia dell’università di Bologna N. S. 5, 1985; Wandruszka, N., Die Oberschichten Bolognas, 1993; Lange, H., Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 1 1997; Schmutz, J., Juristen für das Reich, 2000; Le carte bolognesi del secolo XI, a cura di Feo, G., 2001; Soetermeer, F., Utrumque ius in peciis, 2002; Le carte bolognesi del secolo XI, Appendice hg. v. Modesti, M., 2005; Lange, H./Kriechbaum, M., Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 2 2007, 32; Bologna nel Medioevo, hg. v. Capitani, O., 2007; Behle, T., Der Magister Walfred von Bologna, 2008; Wray, S., Communities and Crisis, 2009; Blanshei, S., Politics and Justice in Late Medieval Bologna, 2010 |
793 | Bolschewismus ist die bis etwa 1953 übliche Bezeichnung des Kommunismus in der Sowjetunion (zu Bolschewiki, russ., Mehrheitler). Lit.: Köbler, DRG 226; Lösche, P., Der Bolschewismus im Urteil der deutschen Sozialdemokratie, 1967; Rogalla von Bieberstein, J., Jüdischer Bolschewismus, (2. A.) 2010 |
794 | Bonae-fidei-iudicium (lat. [N.], Klage nach Treu und Glauben) ist im klassischen römischen Recht die nach der →Billigkeit beurteilte freiere Klage bzw. das freier beurteilte Schuldverhältnis (z. B. Kauf, Miete, Leihe, Pacht, Dienstvertrag, Werkvertrag, Gesellschaft, Auftrag, Geschäfts-führung ohne Auftrag, Verwahrung, Bruchteilsgemeinschaft [lat. fiducia], Vormundschaft bzw. Tutel, Treuhandschaft, Mitgiftrückgabe, Pfand, Innominatkontrakt). Bei einem b. ist zu leisten, was nach guter Treue (lat. ex fide bona) geschuldet wird. Für die diesbezügliche Feststellung hat der (lat.) iudex (Richter) auf Grund der Klagformel des Gerichtsmagistrats einen Ermessensspielraum. Er muss Nebenpflichten aus Abreden, Schutzpflichten und Treuepflichten beachten und Arglist auch ohne Einrede des Beklagten berücksichtigen. Der Gegensatz zum b. ist das (lat.) iudicium (N.) stricti iuris (strengrechtliche Klage, z. B. →condictio). Lit.: Kaser § 33; Wieacker, F., Zum Ursprung der bonae-fidei-iudicia, ZRG RA 80 (1963) 1; Honsell, H., Quod interest im bonae-fidei-iudicium, 1969; Platschek, J., Zur Rekonstruktion der bonae fidei iudicia, ZRG RA 127 (2010), 275 |
795 | Bona fides (lat. [F.] gute Treue) ist im klassischen römischen Recht zunächst die Pflicht zum Worthalten und danach ein Maßstab, nach dem der Richter das betreffende Rechtsverhältnis zu beurteilen hat. Für den Inhalt des Schuldverhältnisses findet dabei neben der formlosen Verein-barung auch die Verkehrssitte Anwendung. Bei der Ersitzung ist b. f. (Gutgläubigkeit hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des Erwerbs) des Erwerbers ([lat.] bonae fidei possessor [M.]) im Zeitpunkt des Erwerbs nötig ([lat.] mala fides superveniens non nocet, nachträgliche Bösgläubigkeit schadet nicht). Lit.: Kaser § 33; Söllner §§ 8, 9, 12, 18; Köbler, DRG 40, 42; Köbler, LAW; Lombardi, L., Dalla fides alla bona fides, 1961; Hausmaninger, H., Die bona fides des Ersitzungsbesitzers im klassischen römischen Recht, 1965 |
796 | Bonaparte (Buonaparte) s. Napoleon |
797 | Bonellus de Barulo, Andreas ist ein wohl vor 1250 in Barletta bei Bari geborener, vor oder nach 1291 verstorbener neapolitanischer Jurist ([lat., N. .Pl.] Commentaria super postremis libris codicis, commentaria in leges Longobardorum, Glossen zu den constitutiones Siculae). Lit.: Lange, H./Kriechbaum, M., Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 2 2007, 502 |
798 | Bönhase ist seit dem 15. Jh. die im Mittelniederdeutschen entstandene Bezeichnung für den unzünftigen, bereits vereinzelt seit dem 14. Jh. von den Zünften bekämpften Handwerker (wie ein Hase auf dem Boden arbeitend?, heimlich auf dem Dachboden arbeitend?, außerhalb der „Hanse“ arbeitend?). Lit.: Wissell, R./Hahm, K., Des alten Handwerks Recht und Gewohnheit, 1928, 2. A. 1981; Ennen, R., Zünfte und Wettbewerb, 1971 |
799 | Boni homines (lat. [M.Pl.], Sg. bonus homo) oder auch (lat.) probi homines (M.Pl., frz. prud’hommes) sind (in Frankreich, Spanien, Italien, dem Alpenraum und dem späteren Heiligen römischen Reich) im Frühmittelalter (seit Anfang des 7. Jh.s) und bis ins 13. Jh. Zeugen, Gerichtsbeisitzer, Schätzer oder Vermittler, die Freiheit, guten Leumund sowie meist Grundeigentum und Ansässigkeit als Voraussetzung ihrer jeweiligen Tätigkeit erfüllen, aber sich nicht einem bestimmten Stand zuweisen lassen und kein bestimmtes Amt haben. Seit Ende des 12. Jh.s treten sie in den oberitalienischen Städten als Vertreter der Konsuln auf. Lit.: Köbler, LAW; Nehlsen-von Stryk, K., Die boni homines des frühen Mittelalters, 1981 |
800 | Bonifatius bzw. Wynfreth (Wessex 672/675-bei Dokkum 5. 6. 754), aus niederem Adel, im Kloster Exeter erzogen, wird zunächst Lehrer und 718 Missionar im fränkischen Reich. In Rom am 30. 11. 722 zum Bischof geweiht, missioniert er unter einem Schutzbrief Karl Martells von 723 bis 732 in Thüringen und Hessen (u. a. Fällung der Donareiche bei Geismar und Gründung der Zelle Fritzlar). 732 wird er Erzbischof ohne besonderen Sitz, 737/738 Legat für Germanien. 738/739 erneuert er die Bistümer Regensburg, Passau, Salzburg und Freising. 741/742 gründet er die Bistümer Würzburg, Büraburg und Erfurt (später Eichstätt), 744 das Kloster Fulda. 754 wird er in Friesland erschlagen. Lit.: Schieffer, T., Winfrid-Bonifatius, 2. A. 1972; Schipperges, S., Bonifatius ac socii sui, 1996; Padberg, L. v., Bonifatius, 2003; Heidrich, I., Fälschung aus gelehrtem Eifer, DA 67 (2011), 625; Clay, J., In the Shadow of Death, 2010 |