8881 | Vulgarrecht ist das spätantike weströmische Recht (3.-5. Jahrhundert). Es ist gekennzeichnet durch die durchaus nicht von dem Volk, sondern den führenden Schichten ausgehende teilweise propagandistisch bedingte, vulgare Haltung (str.). Sie zeigt sich in einfachem, unverhülltem Zweckstreben, in bildhafter Anschaulichkeit und in gefühlsbetonter rhetorisierter Moralität. Die klassische rechtswissenschaftliche Begrifflichkeit (beispielsweise dominium, possessio) verfällt (str.). Demgegenüber wird sie in dem Osten von →Justinian (527-565) restauriert. Vulgarrechtliche Quellen sind etwa die (lat.) →sententiae (F.Pl.) Pauli, die →regulae (F.Pl.) Ulpiani, die →res (F.Pl.) cottidianae, der →Gaius von Autun, die →Collatio (F.) legum Mosaicarum et Romanarum, die →Con-sultatio (F.) cuiusdam veteris iu... | Kaser §§ 1 II, 2 II, 3 III; Söllner § 20; Kroeschell, DRG 1; Köbler, DRG 52, 62; Levy, E., West Roman Vulgar Law, 1951; Wieacker, F., Vulgarismus und Klassizismus im Recht der Spätantike, SB. d. Akad. d. Wiss. Heidelberg 1953; Levy, E., Weströmisches Vulgarrecht, 1956; Stühff, G., Vulgarrecht im Kaiserrecht, 1966; Schmidt, H., Die Vulgarrechtsdiskussion, (in) Funktion und Form, hg. v. Kroeschell, K. u. a., 1996, 1; Lange, H., Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 1 1997; Vandendriessche, S., Possessio und dominium im postklassischen römischen Recht, 2006 |
8882 | Vulgarsubstitution ist in dem römischen Recht die Einsetzung eines Ersatzerben für den einfachen Fall, dass der an erster Stelle Eingesetzte nicht Erbe wird. Die regelmäßige Vulgarsubstitution steht in Gegensatz zu der Pupillarsubstitution, bei der einem unmündigen (lat. [M.]) suus (pupillus) (Hauserben) für den Fall, dass er als Unmündiger sterben sollte, ein Ersatzerbe eingesetzt wird. | Kaser § 68 II 5a; Söllner § 11 |
8883 | Vulgata →Vulgathandschrift | |
8884 | Vulgathandschrift (F.) Handschrift einer meistgebrauchten Fassung eines Textes (beispielsweise der →Digesten) | Söllner § 22 |
8885 | Waadt (Vaud, „Wald“) ist das Gebiet zwischen Jura, Genfer See (nördlich des Genfer Sees), Alpen und Saarne, das über Römer, Burgunder und Burgund 1032 zu dem Deutschen Reich gelangt. Nach 1218 gerät es unter den Einfluss der Grafen von Savoyen. 1536 fällt es an Bern. 1616 erhält die Waadt ein eigenes Landrecht. An dem 30. 3. 1798 wird die Waadt Kanton der Helvetischen Republik, 1803 der →Schweiz. Die Verfassung der W. stammt von 1885. | Köbler, Historisches Lexikon; Champeaux, E., Le coutumier vaudois de Quisard, 1930; Chapuis, M., Recherches sur les institutions politiques, 1940; Ammann, H., Über das waadtländische Städtewesen, Schweizerische Zs. für Geschichte 4 (1954), 1; Poudret, J., La succession testamentaire dans le pays de Vaud, 1955 (Diss. Lausanne); Bercher, J., Approche systématique de l’ancien droit privé vaudois, 888-1250, 1963; Anex, D., Le servage au pays de Vaud, 1973; Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff., 2,2,464, 3,2,1870; Walliser, P., Das Bürgschaftsrecht, 1974; Les sources du droit du canton de Vaud, Bd. 1ff. 1972ff.; Hubler, L., Histoire du Pays de Vaud, 1991 |
8886 | Waal (M., zu lat. aqualis, Adj. Wasser betreffend?) ist ein landwirtschaftlicher Bewäs-serungsgraben in dem Vintschgau in Südtirol. Möglicherweise wurden die Waale in dem 12. Jahrhundert angelegt. Ihre arbeitsaufwendige Verwaltung erfolgt genossenschaftlich unter Leitung eines Waalmeisters. | Bodini, G., Südtiroler Waalwege, 1996 |
8887 | Wachs | |
8888 | Wachszins (M.) Zins in Bienenwachs | |
8889 | Wächter, Carl Joseph Georg Sigismund (Marbach/Neckar 24. 12. 1797-Leipzig 15. 01. 1880), Beamtensohn, wird nach dem Rechtsstudium in Tübingen und Heidelberg (Thibaut) Richter, außerordentlicher Professor (Tübingen 1817) und ordentlicher Professor (Tübingen 1822, Leipzig 1833, Tübingen 1836), 1851 Präsident des Oberappellationsgerichts in Lübeck und 1852 nochmals Professor in Leipzig. Neben einem Lehrbuch zu dem Strafrecht veröf-fentlicht er seit 1839 ein unvollendetes Handbuch des in dem Königreich →Württemberg geltenden Privatrechts und 1841 eine wichtige Abhandlung zu dem internationalen Privatrecht. | Wächter, P. v., Carl Georg von Wächter, 1891; 500 Jahre Eberhard-Karls-Universität Tübingen, hg. v. Decker-Hauff, H. u. a., Bd. 1 1977; Sandemann, N., Grundlagen und Einfluss der internationalprivatrechtlichen Lehre, Diss. jur. Münster 1979; Laufs, A., Das wirklich geltende, durch den allgemeinen Willen gesetzte Recht, FS K. Kroeschell, hg. v. Köbler, G. u. a., 1997; Jungemann, L., Carl Georg von Wächter, 1999; Zwischen Romanistik und Germanistik, hg. v. Kern, B., 2000; Mauntel, C., Carl Georg von Wächter (1797-1880), 2004 |
8890 | wadiare (lat.-afrk.) wetten, versprechen | Kroeschell, DRG 1 |
8891 | Wadiatio | |
8892 | Lit: Hagemann, H., Fides facta und wadiatio, ZRG GA 83 (1966), 1 | |
8893 | wadium (lat.-afrk. [N.]) Wette, Versprechen, Pfand | Kroeschell, DRG 1 |
8894 | Waffe ist jeder Gegenstand, der seiner Art nach dazu geeignet ist, Widerstand durch Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden. Die Waffe ist bedeutsam in dem Kampf. Sie erleichtert auch Unrechtserfolge. Deshalb wird der Waffengebrauch bereits seit dem Frühmittelalter allmählich eingeschränkt. Seit der Neuzeit bedarf er vielfach behördlicher Erlaubnis und kann strafschärfend wirken. | Kroeschell, DRG 2; Köbler, WAS; Fehr, H., Das Waffenrecht der Bauern, ZRG GA 35 (1914), 111, 38 (1917), 1; His, R., Das Strafrecht des deutschen Mittelalters, Bd. 1 1920, Neudruck 1964; Krogmann, W., Mit Wehr und Waffen, ZRG GA 83 (1966), 280; Feinstein, A., Waffenhandel, 2012; Pöhlmann, M., Der Panzer und die Mechanisierung des Krieges, 2015 |
8895 | Wagatsuma, Sakae (1897-1973) wird nach dem Rechtsstudium (Hatoyama) 1922 außerordentlicher Professor in Tokio und nach soziologischem Studium in Chicago und Berlin 1927 ordentlicher Professor. In zwei unvollendet gebliebenen Werken (Der Primat des Forderungsrechts, 1927ff., Minpô kôgi, 1933) versucht er eine vorbildliche Verbindung von Systematik und Soziologie. Bei der Abschaffung des japanischen Haussystems nach dem Zweiten Weltkrieg wirkt er maßgeblich mit. | Hôritsugaku to watashi, hg. v. Toshitani, N. u. a., 1967, 1; Wagatsuma, H./Bai, K., Wagatsuma Sakae-sensei no hito to sokuseki, 1993 |
8896 | Wahl ist die Berufung eines Menschen zu einer Aufgabe durch Abstimmung. Sie findet sich sachlich bereits in dem Altertum. In der Kirche werden Papst, Bischof, Abt und Pfarrer vielfach gewählt. In dem Mittelalter werden König, Bürgermeister, Ratsherren, Schöffen, Rektoren oder Dekane durch Wahlen bestimmt. Dabei wird anfangs meist wohl von der Einstimmigkeit ausgegangen. Seit dem 12. Jahrhundert ist eine Entwicklung zur Aufwertung der Einzelstimme erkennbar, die letztlich zu der Anerkennung des Mehrheitsgrundsatzes führt. In dem 19. Jahrhundert (vor allem ab 1848) entsteht allmählich die geheime (nicht zuletzt dem Schutz von Arbeitnehmern dienende), gleiche, allgemeine und unmittelbare Wahl (mit Wahlprüfungsverfahren) (Frankreich, Griechenland, 1871 Deutsches Reich, 1890 Spanien, 1905 Finnl... | Köbler, DRG 18, 83, 109, 194, 225, 230, 257; Köbler, WAS; Gerlach, H. v., Die Geschichte des preußischen Wahlrechts, 1908; Hoyer, E., Die Selbstwahl vor, in und nach der Goldenen Bulle, ZRG GA 42 (1921), 1; Vollrath, W., Der parlamentarische Kampf um das preußische Dreiklassenwahlrecht, Diss. jur. Jena 1931; Mitteis, H., Die deutsche Königswahl, 1938, 2. unv. A. 1944, Neudruck 1965, 1981; Schlotterose, B., Die Ratswahlen, Diss. phil. München 1953 masch.schr.; Boyer, L., Wahlrecht in Österreich, Bd. 1 1961; Kurze, D., Pfarrerwahlen im Mittelalter, 1966; Milatz, A., Wähler und Wahlen in der Weimarer Republik, 2. A. 1968; Die Wahl der Parlamente und anderer Staatsorgane, Bd. 1 Europa, hg. v. Sternberger, D. u. a., 1969; Schneider, R., Königswahl und Königserhebung, 1972; Reisinger, R., Die rö... |
8897 | wählen | |
8898 | Wähler →Wahl | |
8899 | Wahlfeststellung ist die wahldeutige Verurteilung eines Täters aus zwei (oder mehr) Straftatbeständen, von denen zwar nur einer vorliegen kann, aber ungewiss ist, welcher von ihnen vorliegt. Die rechtsstaatlich fragwürdige Wahlfeststellung wird in dem Deutschen Reich an dem 28. 6. 1935 zugelassen, nach 1945 aber grundsätzlich aufgegeben. | Köbler, DRG 236 |
8900 | Wahlkapitulation ist seit dem Mittelalter die älteren Wahlversprechen folgende, in der Lage vor der Wahl naheliegende Zusage eines Bewerbers an die Wähler für den Fall der Wahl in ein Amt (beispielsweise Venedig 1192, Papstwahl 1352 [22. 9. 1695 verboten, allgemeines Verbot 20. Jahrhundert], Heiliges römisches Reich [deutscher Nation] 1292, vor allem seit 1519). Seit dem Westfälischen Frieden von 1648 vereinbaren die Kurfürsten in dem Namen der Reichsstände die 1711 (erfolglos) als ständige [, aber als solche von dem Kaiser nie bestätigte] Wahlkapitulation gefasste Wahlkapitulation (, die an dem Ende des 18. Jahrhunderts 314 Druckseiten umfasst). | Kroeschell, DRG 3; Köbler, DRG 147; Musatti, E., Storia della promissione ducale, 1888; Siemsen, A., Kurbrandenburgs Anteil an den kaiserlichen Wahlkapitulationen von 1689 bis 1742, 1909; Iwand, Die Wahlkapitulationen, 1919; Haider, S., Die Wahlversprechen der römisch-deutschen Könige, 1968; Kleinheyer, G., Die kaiserlichen Wahlkapitulationen, 1968; Pick, E., Die Bemühungen der Stände um eine ständige Wahl-kapitulation, 1969; Maier, K., Das Domkapitel von Konstanz, 1990; Empell, H., De eligendo regis vivente imperatore, (in) ZNR 16 (1994), 11; Buschmann, A., Die Rechtsstellung des Kaisers, (in) Gedächtnisschrift H. Hofmeister, 1996, 89; Die Wahlkapitulationen der römisch-deutschen Kaiser 1519-1792, hg. v. Burgdorf, W., 2015 (17); Wahlkapitulationen in Europa, hg. v. Duchhardt, H., 2015; Bu... |