7101 | Urkundenschelte ist im Frühmittelalter die Behauptung, eine von einem anderen vorgelegte Urkunde (Privaturkunde) sei falsch. Im Rechtsstreit kommt es dann zur Eidesleistung oder zum Zweikampf. Unscheltbar, aber nicht zugleich unangreifbar, ist die Königsurkunde. Lit.: Planck, J., Das deutsche Gerichtsverfahren, Bd. 1f. 1879, Neudruck 1973 |
7102 | Urlaub ist ursprünglich allgemein die Erlaubnis, seit dem 19. Jh. die (erlaubte,) meist bezahlte arbeitsfreie Arbeitszeit. Der Umfang von U. ist in besonderen Gesetzen, Tarifverträgen und Einzelverträgen geregelt und umfasst meist 4 bis 6 Wochen im Jahr. Lit.: Köbler, DRG 273; Leinemann, W./Linck, R., Urlaubsrecht, 1995 |
7103 | Urschwabenspiegel →Schwabenspiegel Lit.: Urschwabenspiegel, hg. v. Eckhardt, K., 1975 |
7104 | Urschweiz →Schweiz Lit.: Oechslin, M., Die Markgenossenschaften der Urschweiz, 1941 |
7105 | Urteil ist die gerichtliche, vor allem in neueren Zeiten einer besonderen Form bedürftige Entscheidung. Das U. fällt im altrömischen Zivilverfahren grundsätzlich der Richter (lat. M. iudex), bei den Germanen die Volksversammlung und im Mittelalter die Gesamtheit der Schöffen (nicht dagegen der Richter). Im Frühmittelalter ist das U. dabei meist zweizüngig und deshalb in seinem Ergebnis vom Verlauf eines außergerichtlichen Beweises abhängig. Seit der frühen Neuzeit verdrängt der gelehrte Richter den Laienschöffen aus der Urteilsfällung. Das U. wird schriftlich und immer stärker förmlich festgelegt. Im 19. Jh. setzt der Liberalismus eine eingeschränkte Wiederbelebung des Laien als Urteiler bzw. Laienrichter durch (Geschworenengericht, →Schwurgericht u. s. w.). Seit dem Spätmittelalter ist das U. regelmäßig durch Appellation, später durch Berufung und Revision überprüfbar (Österreich Berufung und Nichtigkeitsbeschwerde. Lit.: Kaser §§ 54 II, 84 II, 87 I 8; Kroeschell, DRG 1, 2; Köbler, DRG 34, 56, 70, 86, 116, 118, 155, 201, 202, 203; Köbler, WAS; Seyler, R./Barth, C., Urteil und Beschaydt, Bd. 1ff. 1604ff.; Planck, J., Das deutsche Gerichtsverfahren, Bd. 1 1879, Neudruck 1973; Boden, F., Das Urteil im altnorwegischen Recht, ZRG GA 24 (1903), 1; Lenel, P., Die Scheidung von Richter und Urteilern, ZRG GA 34 (1913), 44; Das älteste Urteilsbuch des holsteinischen Vierstädtegerichts 1497-1574, hg. v. Gundlach, F., 1925; Sohm, C., Die unbestimmte Verurteilung in Preußen, 1939; Erler, A., Sich selbst das Urteil sprechen, Oberdeutsche Zeitschrift für Volkskunde 17 (1943), 143; Die älteren Urteile des Ingelheimer Oberhofes, hg. v. Erler, A., Bd. 1ff. 1952ff.; Lübecker Ratsurteile, hg. v. Ebel, W., Bd. 1ff. 1958ff.; Ebel, W., Studie über ein Goslarer Ratsurteilsbuch, 1961; Hülle, W., Das rechtsgeschichtliche Erscheinungsbild des preußischen Strafurteils, 1965; Landwehr, G., „Urteil fragen“ und Urteil finden, ZRG 96 (1969), 1; Schlosser, H., Spätmittelalterlicher Zivilprozess, 1971; Sellert, W., Prozessgrundsätze und Stilus Curiae, 1973; Weitzel, J., Dinggenossenschaft und Recht, 1985; Sellert, W., Zur Geschichte der rationalen Urteilsbegründung, FS A. Erler, 1986, 97; Weitzel, J., Die Formel consilio et iudicio, (in) Wege europäischer Rechtsgeschichte, hg. v. Köbler, G., 1987, 573; Werkmüller, D., Et ita est altercatio finita, (in) Wege europäischer Rechtsgeschichte, hg. v. Köbler, G., 1987, 592; Maiwald, K., Die Herstellung von Recht, 1997; Meder, S., Urteilen, 1999; Urteilen/Entscheiden, hg. v. Vismann, C. u. a., 2005; Mangold, O., Iniuria iudicis, Diss. jur. Tübingen 2004 |
7106 | Urteiler ist der vom Richter verschiedene Verfasser eines Urteils im mittelalterlichen Recht (→Rachinburge, Schöffe). Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Köbler, DRG 86; Lenel, P., Die Scheidung von Richter und Urteilern, ZRG GA 34 (1913), 440 |
7107 | Urteilsbegründung ist die Angabe von Gründen für den Inhalt eines Urteils. Die U. findet sich schon im römischen Altertum in etwa einem Drittel der von römischen Rechtskundigen überlieferten Fälle. Im Mittelalter begegnet sie eher selten und wird von der Rechtslehre wegen der damit vergrößerten Gefahr der Angreifbarkeit eher abgelehnt. Seit der Neuzeit wird sie mehr und mehr (aus eigenem Interesse der Entscheidungsträger) selbverständlicher bzw. notwendiger Bestand des Urteils (Reichskammergericht 1555, Reichsabschied 1654, Sachsen 1715, Preußen 1748/1793, Bayern 1818, Württemberg 1848). Lit.: Kroeschell, DRG 3; Köbler, DRG 155; Brinkmann, R., Über die richterlichen Urteilsgründe, 1826; Gudian, G., Die Begründung in Schöffensprüchen, 1960; Horak, F., Rationes decidendi, 1969, 290; Die Entscheidungs-begründung, hg. v. Sprung, R. u. a., 1974; Brüggemann, J., Die richterliche Begründungspflicht, 1971; Sellert, W., Zur Geschichte der rationalen Urteilsbegründung, FS A. Erler, 1986, 97; Harke, J., Argumenta Iuventiana- Entscheidungsbegründungen eines hochklassischen Juristen, 1999;, Kriechbaum, M., Urteilsbegründung in der mittelalterlichen Rechtslehre, Gedächtnisschrift Jörn Eckert, 2008, 505; Brom, C., Urteilsbegründungen im „Hoge Raad van Holland, Zeelnd en West Friesland, 2008 |
7108 | Urteilsbestätigung ist die in der frühen Neuzeit in bestimmten Fällen notwendige Bestätigung eines Urteils durch den absoluten Landesherrn (z. B. hängt in Preußen im 18. Jh. ein die Todesstrafe oder eine mindestens zehnjährige Gefängnisstrafe vorsehendes Urteil von der Bestätigung des Staatsoberhaupts ab). Das Urteil wird erst mit der Bestätigung voll wirksam. Im 19. Jh. wird die U. beseitigt (Württemberg 1819). Lit.: Schmidt, E., Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 1947, 3. A. 1965, 255 |
7109 | Urteilserfüllungsgelöbnis ist im Frühmittelalter das Versprechen der Prozesspartei, ein Urteil zu erfüllen. Bestand und Häufigkeit sind zweifelhaft. Lit.: Planck, J., Das deutsche Gerichtsverfahren, Bd. 2 1879, Neudruck 1973; Weitzel, J., Dinggenossenschaft und Recht, 1985 |
7110 | Urteilssammlung ist die seit dem Hochmittelalter (Reichslandfriede von 1235) erkennbare Sammlung von Urteilen einzelner Gerichte (z. B. Lübeck, Ingelheim, Goslar, Halle). 1563 veröffentlicht Joachim →Mynsinger von Frundeck eine Sammlung von Urteilen des Reichskam-mergerichts (Gail 1578, Carpzov für Leipzig und Dresden 1646, Mevius für Wismar). Dem folgen im 18. Jh. Sammlungen der Urteile der meisten Ober-gerichte. Im 19. Jh. wird dies selbstverständlich (preußische Gerichtshöfe 1828, Reichsgericht 1879ff.). Lit.: Kroeschell, DRG 2; Köbler, DRG 144; Mynsinger von Frundeck, J., Singularium observationum ... centuriae quattuor, 1563; Franklin, O., Sententiae curiae regiae, 1870; Döhring, E., Geschichte der deutschen Rechtspflege, 1953, 427; Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff., Bd. 2 2 1976, 1343; Gehrke, H., Die privatrechtliche Entscheidungsliteratur, 1974; Gedruckte Quellen der Rechtsprechung in Europa (1800-1945), hg. v. Ranieri, F., 1992; Mohnhaupt, H., Sammlung und Veröffentlichung von Rechtsprechung, (in) Geschichte der Zentraljustiz, 1994, 403 |
7111 | Urteilsschelte ist die Behauptung der Rechtswidrigkeit des Urteils. Sie führt im Frühmittelalter vermutlich zum Zweikampf zwischen Urteilsverfasser und Urteilsschelter. Dies hält noch der Sachsenspiegel (1221-1224) für möglich, ohne dass die Rechtswirklichkeit entsprechende Fälle belegt. Vielmehr entscheidet im Hochmittelalter über die U. bereits das höhere Gericht bzw. im höchsten Gericht die Beratung unter allen Urteilern. In der frühen Neuzeit unterliegt die U. der Appellation und Läuterung bzw. später der Berufung und der Revision. Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Köbler, DRG 116, 155; Planck, J., Das deutsche Gerichtsverfahren, Bd. 1 1879, Neudruck 1973; Gebauer, C., Studien zur Geschichte der Urteilsschelte, ZRG 17 (1896), 33; Weitzel, J., Dinggenossenschaft und Recht, 1985; Werkmüller, D., „Et ita est altercatio finita“, (in) Wege europäischer Rechtsgeschichte, hg. v. Köbler, G., 1987, 592; Kannowski, B., Zwischen Appellation und Urteilsschelte - Über das Rechtsdenken des Johann von Buch, ZRG 123 (2006), 110 |
7112 | USA (Vereinigte Staaten von Amerika) |
7113 | Usucapio (lat. [F.]) ist im klassischen römischen Recht die →Ersitzung des Eigentums nach zivilem Recht, von der später Sachen des (lat. [M.]) fiscus ausgenommen werden. Sie erfordert Eigenbesitz, gültigen Erwerbsgrund (lat. iusta causa [F.]), Zeitablauf und guten Glauben ([lat.] bona fides [F.]) des Erwerbers bezüglich bestimmter Tatsachen. In spätantiker Zeit wird die u. im Westen durch eine Verjährung von 40, später 30 Jahren verdrängt, während Justinian von u. in drei Jahren bei beweglichen Sachen und von (lat.) longi temporis praescriptio (F.) von 10 bzw. 20 Jahren bei Grundstücken spricht. Lit.: Kaser §§ 25 II, IV, 26 I 2, 27 I 3, 28 II 1b, 29 I 3b; Söllner §§ 8, 9; Köbler, DRG 40, 61 |
7114 | usucapio (F.) pro herede (lat.) Erbschaftsersitzung (im altrömischen Recht) Lit.: Köbler, DRG 23 |
7115 | usurae (lat. [F.l.] Zinsen |
7116 | Usus (lat. [M.]) ist seit dem altrömischen Recht der Gebrauch z. B. des Ersitzenden. Lebt eine Frau ein Jahr mit einem Mann ununterbrochen in gültiger Ehe, so erlangt der Mann (durch u.) die Gewalt über sie (lat. uxor [F.] in manu). Verbringt sie vor Ablauf des Jahres drei Nächte außerhalb des Hauses, beginnt die Jahresfrist neu zu laufen. Im klassischen römischen Recht wird u. zu einem beschränkten dinglichen Recht. Lit.: Kaser §§ 19 II 1, 29 II, 58 V 2c; Söllner §§ 8, 9; Köbler, DRG 22, 25, 41; Diestelkamp, B., Reichsweistümer als normative Quellen, (in) Recht und Schrift im Mittelalter, hg. v. Classen, P., 1977, 281 |
7117 | Ususfructus (lat. [M.]) ist im römischen Recht seit dem 3. Jh. v. Chr. der →Nießbrauch als ein zunächst höchstpersönliches Nutzungsrecht zur Versorgung abgeschichteter Familienmitglieder, später als beschränktes dingliches Recht. Lit.: Kaser §§ 7 II 2, 22 II 3, 24 V 1, 27 II, 29 I, 59 II 7a, 60 II 4c; Kroeschell, DRG 2; Köbler, DRG 41; Heger, M., Der Nießbrauch in usus modernus und Naturrecht, 2004 |
7118 | Usus (M.) modernus pandectarum (lat.) ist der zeitgenössisch-moderne Gebrauch der Pandekten in Europa im 16.-18. Jh. (im engeren Sinn seit 1650 [1643 Conring, H., De origine iuris Germanici, Vom Ursprung des deutschen Rechtes]). Er passt in zeitlicher Parallele zur Verselbständigung der Territorien gegenüber Reich und Kaiser das römische Recht in bewusster Lösung von der älteren Tradition den Bedürfnissen der frühen Neuzeit durch Ausscheiden, Verändern und Ergänzen an (z. B. Anerkennung des Grundsatzes Kauf bricht nicht Miete oder des Erbvertrags). Anscheinend tritt in ihm auch ein neues Verständnis von Rechtsgeltung zu Tage. Namengebend für diesen Zeitabschnitt ist ein Werk Samuel Stryks ([Lentzen 22. 11. 1640-Halle 23. 7. 1710,] 1690 Specimen usus moderni pandectarum ad libros V priores, Ausdruck erstmals anscheinend verwendet von Samuel Stryk 1667). Bedeutende Juristen dieser Zeit sind →Conring, →Schilter, →Struve, →Stryk, →Thomasius, →Böhmer, →Heineccius, →Leyser, →Kreittmayr und →Höpfner. Nicht wirklich erfasst wird die Kanonistik, die bruchlos mit dem mittelalterlichen Recht verbunden bleibt. Die Anerkennung heimischen Rechtes bewirkt eine gewisse Nationalisierung des Rechtes. Neben dem U. m. p. entsteht die Vernunftrechtsvorstellung. Lit.: Kaser § 1 III 3; Kroeschell, DRG 3; Molitor, E., Grundzüge der neueren Privatrechtsgeschichte, 1949 (fortgesetz v. Schlosser, H.); Wieacker, F., Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 1952, 2. A. 1967; Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff.; Schlosser, H., Grundzüge der neueren Privatrechtsgeschichte, 2. A. 1975, 9. A. 2001, 10. A. 2005; Wiegand, W., Studien zur Rechtsanwendungslehre, 1977; Schröder, J., Wissenschaftstheorie, 1979; Hermann Conring, hg. v. Stolleis, M., 1983; Coing, H., Europäisches Privatrecht, Bd. 1 1985; Wesenberg, G./Wesener, G., Neuere deutsche Privatrechtsgeschichte, 4. A. 1985; Usus modernus und Dogmengeschichte des Privatrechts, (in) Akten des 26. Deutschen Rechtshistorikertages, hg. v. Simon, D., 1987, 233, 279; Wesener, G., Die privatrechtlichen Normen des usus modernus, (in) Akten des 26. Deutschen Rechtshistorikertages, 1987, 279; Voppel, R., Der Einfluss des Naturrechts auf den usus modernus, 1996; Brauneder, W., Europäisches Privatrecht, 1997; Landau, P., Methoden des kanonischen Rechtes in der frühen Neuzeit, ZNR 21 (1999), 7; Willoweit, D., Der usus modernus oder die geschichtliche Begründung des Rechts. Zur rechtstheoretischen Bedeutung des Methodenwandels im späten 17. Jahrhundert, (in) Die Begründung des Rechts als historisches Problem, hg. v. Willoweit, D., 2000, 229 |
7119 | Utilitarismus (M.) Nützlichkeitslehre (Benthams 1748-1832 und Mills) Lit.: Kaser § 36 II 4; Köbler, DRG 63, 65, 166; Teubner, W., Kodifikation und Rechtsreform in England, 1974 |
7120 | utilitas (lat. [F.]) Nützlichkeit (des dienenden Grundstücks für das herrschende bei einer →Dienstbarkeit des römischen Rechtes) Lit.: Kaser § 28 I 3 |