161 | Aktiengesellschaft (1828) ist die Gesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit (juristische Person), die ein in Aktien zerlegtes Grundkapital hat und für deren Verbindlichkeiten den Gläubigern nur das (gesamte) Gesellschaftsvermögen (unbeschränkt) haftet (nicht auch der Gesellschafter mit ihrem sonstigen Vermögen). Auf der Grundlage erster Durch-brechungen des Grundsatzes der persönlichen Haftung des handelnden Kaufmanns infolge des wachsenden Kapitalbedarfs in Bergbau und Fernhandel im 15. Jh. entsteht (auf römischen Grundlagen) nach Vorläufern (Genua 1407 St. Georgsbank) die A. aus den Bedürfnissen der Beschaffung hohen Kapitals und der Streuung großen Risikos im Kolonialhandel am Beginn des 17. Jh.s (English East India Company 1600 zunächst als Rahmen für auf einzelne Unternehmungen beschränkte terminated stock companies, Vereinigte [Niederl-ändische] ostindische Handelscompagnie VOC 20. 3. 1602, Schweden 1615, Dänemark 1616, Brandenburgisch-Ostindische Compagnie 1651, Niederlande Österreichs 1719). Sie wird mehr und mehr als Zusammenschluss mit eigenem Vermögen angesehen. Sie beruht zunächst auf einem einzelnen Privileg (Oktroisystem). Gesetzlich wird die A. im französischen Code de commerce (1807, 14 Artikel, „anonyme Gesellschaft“), (im Eisenbahngesetz Preußens von 1838,) im Gesetz über die Aktiengesellschaften für die königlich preußischen Staaaten vom 9. November 1843 (Konzession als Verwaltungsakt auf der Grundlage eines Gesetzes [Konzessionssystem], Vorstand und Generalver-sammlung, Verwaltungsratsmodell) und im Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch (1861, Kombinationsmodell aus Aufsichtsrat und Verwaltungsrat, Konzessionssystem 1870 durch System der Normativbestimmungen mit Anspruch auf Erteilung bei Vorliegen der Voraus-setzungen ersetzt), danach in Deutschland (nach zwei Notverordnungen von 1930 und 1931) 1937 in einem eigenen, 1938 auf Österreich erstreckten, 1945 geringfügig entnazifizierten, 1965 und 1994 novellierten Aktiengesetz (ab 1931 Abschlussprüfermodell, 1937 Aufsichtsrat als [nachträgliches] Kontrollorgan, 1998 ex-ante-Überwachung) geregelt. Lit.: Kroeschell, DRG 2, 3; Köbler, DRG 167, 217, 242, 272; Gesetz über die Aktiengesellschaften vom 9. November 1843, hg. v. Baums, T., 1981; Lehmann, K., Die geschichtliche Entwicklung des Aktienrechts, 1895; Cohn, G., Die Aktiengesellschaft, Bd. 1 1921; http://www.-koeblergerhard.de/Fontes/Aktiengesetz1937.pdf; Schumacher, H., Die Entwickelung der inneren Organisation der Aktiengesellschaft, 1937; Lévy-Bruhl, H., Histoire juridique des sociétés de commerce en France, 1938; Bösselmann, K., Die Entwicklung des deutschen Aktienwesens, 1939; Rauch, K., Die Aktienvereine in der geschichtlichen Entwicklung des Aktienrechts, ZRG GA 69 (1952), 238; Reich, N., Die Entwicklung des deutschen Aktienrechts, Ius commune 2 (1969), 239; Gmür, R., Die Emder Handelscompagnien, FS H. Westermann 1974, 167; Großfeld, B., Die rechtspolitische Bedeutung der Aktiengesellschaft im 19. Jahrhundert, (in) Wissenschaft und Kodifikation, hg. v., Coing, H. u. a., Bd. 4 1979, 236ff.; Baums-Stammberger, B., Der Versuch einer Aktiengesetzgebung in Sachsen 1836/37, 1989; Landwehr, G., Die Organisationsstruktur der Aktienunternehmen, (in) Vom Gewerbe zum Unternehmen, 1982, 251; Landwehr, G., Die Verfassung der Aktiengesellschaft, ZRG GA 99 (1982), 1; 100 Jahre modernes Aktienrecht, hg. v. Schubert, W. u. a., 1984; Schubert, W., Die Entwürfe der Weimarer Republik zur Reform des Aktienrechts, ZRG GA 103 (1986), 140; Akademie für deutsches Recht 1933-1945. Protokolle der Ausschüsse 1 Ausschuss für Aktienrecht, hg. v. Schubert, W., 1986; Die Aktienrechtsreform am Ende der Weimarer Republik. Die Protokolle der Verhandlungen im Aktienrechtsausschuss des vorläufigen Reichswirtschaftsrats, hg. v. Schubert, W. u. a., 1987; Gaastra, F., De geschiedenis van de VOC, 1991; Nörr, K., Zur Entwicklung des Aktien- und Konzernrechts, ZHR 150 (1986), 155; Frey, M., Die spanische Aktiengesellschaft, 1999; Hartung, W., Geschichte und Rechtsstellung der Compagnie in Europa, 2000; Bahrenfuss, D., Die Entstehung des Aktiengesetzes von 1965, 2001; Kalss, S./Burger, C./Eckert, G., Die Entwicklung des österreichischen Aktienrechts. Geschichte und Materialien, 2003; Söhnchen, M., Die historische Entwicklung der rechtlichen Gründungsvoraussetzungen, 2005; VOC 1602-2002 400 Years of Company Law, hg. v. Gepken-Jager, E. u. a., 2005; Thiäner, F., Das Verhältnis von Aufsichtsrat und Abschlussprüfern, 2007; Aktienrecht im Wandel, hg. v. Bayer, W. u. a., Bd. 1f. 2007; Velte, P., Das aktienrechtliche Verwaltungs- und Aufsichtsratsmodell, ZRG GA 127 (2010), 188; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010; Fleckner, A. Antike Kapitalvereinigungen - ein Beitrag zu den konzeptionellen und historischen Grundlagen der Aktiengesellschaft, 2010; Ellenberg, S., Herrschaft und Reform, 2012 |
162 | Aktiengesetz ist das die Aktie bzw. →Aktiengesellschaft betreffende Gesetz. (z. B. Deutsches Reich 1937) |
163 | Aktienrecht (1873) ist das die Aktie betreffende Recht. Lit.:; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010; Borgers, T., Das Oberappellationsgericht zu Lübeck und seine Rechtsprechung zum Aktienrecht, 2012 |
164 | Aktionär ist der Gesellschafter der →Aktiengesellschaft. |
165 | Aktionensystem ist das auf die (lat. [F.]) actio (z. B. im römischen Recht die Rechtsschutzverheißung im edictum perpetuum) als Klaganspruch ausgerichtete Rechtssystem, das den Sachverhalt nicht unter einen Tatbestand subsumiert, sondern auf seine Klagbarkeit untersucht. Bernhard Windscheid (1817-1892) trennt den materiellen Anspruch von der verfahrensrechtlichen (lat.) actio. Damit endet im deutschen Recht das A. |
166 | Aktivlegitimation (F.) Klagebefugnis |
167 | Akzeptation (Annahme, Anerkennung) ist die meist durch Überleitungsgesetz umgesetzte weltliche Anerkennung (Transformation) kirchlichen Rechtes im Spätmittelalter (z. B. Pragmatische Sanktion von Bourges 1438, Mainzer Akzeptation 1439). Lit.: Hürten, H., Die Mainzer Akzeptation, 1955 |
168 | Akzessorietät (F.) Abhängigkeit eines rechtlichen Umstands von einem anderen, zu lat. [M.] accessor, Hinzutretender Lit.: Gerhold, S., Die Akzessorietät der Teilnahme an Mord und Totschlag, 2014 |
169 | Akzise (zu lat. [V] accidere, auferlegen, cisa, Einschnitt [auf dem Kerbholz]) ist die im 11. Jh. in Spanien (1001) und Venedig, im 13. Jh. im deutschen Reich (Köln 1206, Stendal 1314 Bierziese) bezeugte, ursprünglich städtische, meist am Stadttor erhobene →Verbrauchsteuer (auf z. B. Wein, Bier, ausgedehnt auf Salz, Getreide, Fleisch). In den zusätzliche Einkünfte benötigenden Ländern wird die auf die reine Warenbewegung abstellende A. nach niederländischem Vorbild im 17. Jh. bedeutsam (Württemberg 1633, Sachsen 1641, Brandenburg 1641, Kurpfalz 1699), deren Einführung die Landstände noch bewilligen. Im 19. Jh. tritt die A. gegenüber der Einkommensteuer zurück (abgeschafft in Bayern 1808, im Wesentlichen in Preußen 1820, in Sachsen 1834), wird aber in der Form der alle Bereiche des Warenumsatzes erfassenden Umsatzsteuer (oder später der auf den jeweils erzielten Mehrwert beschränkten Mehrwertsteuer) im 20. Jh. (1916 bzw. 1918) wieder belebt. Lit.: Köbler, DRG 113; Der Akzisenstreit, hg. v. Blesgen, D. u. a., 1717, Neudruck 2006; Knipping, R., Die Kölner Stadtrechnungen des Mittelalters, 1897; Mit dem Zehnten fing es an, hg. v. Schultz, U., 3. A. 1992; Schomburg, W., Lexikon der deutschen Steuer- und Zollgeschichte, 1992; Schwennicke, A., Ohne Steuer kein Staat, 1996; Ullmann, H., Der deutsche Steuerstaat, 2005 |
170 | Alarich →Breviarium Alarici |
171 | Albanien ist der südosteuropäische, nördlich Griechenlands an der Adria gelegene Staat mit einer Fläche von 28748 qkm und rund 3,1 Millionen überwiegend muslimischer Einwohner (Skipetaren oder Albaner), deren seit dem 15. Jh. schriftlich bezeugte Sprache zum albanischen Zweig der indogermanischen Sprachenfamilie zählt. Das von Menschen streitiger Herkunft bewohnte Gebiet wird im 1. Jt. v. Chr. griechisch beeinflusst und gerät 168 v. Chr. unter römische Herrschaft, unter der es 395 n. Chr. Ostrom zugeteilt wird. Am Ende des Mittelalters wird das von 1392 bis 1479 Venedig unterstehende A. von den Osmanen erobert. Am 28. 11. 1912 erklärt sich A. für unabhängig, 1928 zum von 1939 bis September 1943 in Personalunion mit Italien verbundenen Königreich. Am 11. 1. 1946 entsteht die Volksrepublik A., die sich zunehmend abschließt. Im Dezember 1990 endet die kommunistische Einparteienherrschaft. Seit freien Wahlen vom März 1991 bemüht sich A. um eine Öffnung. Das albanische Recht ist dementsprechend im Wandel der Zeiten griechisch, römisch, osmanisch (Geltung der →Megelle [1869-1876] bis 1928), westlich, sozialistisch und demokratisch geprägt. Das mehrheitlich von Albanern bewohnte Gebiet Kosovo kann sich 2008 mit internationaler Hilfe von Serbien verselbständigen. Lit.: Frasheri, K., The History of Albania, 1964; Skendi, S., The Albanian National Awakening, 1967; Ruß, W., Der Entwicklungsweg Albaniens, 1979; Lendvai, P., Das einsame Albanien, 1985; Albanien im Umbruch, hg. v. Altmann, F., 1990; Albanien, hg. v. Neuwirth, H. u. a., 1995; Mustafaj, B., Albanien, 1997; Kohl-Libal, C. v., Albanien, 1998; Schmitt, O., Das venezianische Albanien, 2001; Kohl, C. v., Albanien, 2. A. 2003; Albanien, hg. v. Jordan, P. u. a., 2003; Schubert, P., Albanische Identitätssuche, 2005; Köbler, G., Rechtsalbanisch, 2008 (Internet); Ordolli, S., Histoire constitutionelle de l’Albanie, 2008; Albanische Geschichte, hg. v. Schmitt, O., 2009; Löhr, H., Die Gründung Albaniens, 2010; Schmitt, O., Die Albaner, 2012; Morscher, L., Albanien 2013 |
172 | Albericus (de porta Ravennate) ist ein zwischen 1165 und 1194 bezeugter Glossator (Glossen, Summula de testibus). Lit.: Lange, H., Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 1 1997, 200 |
173 | Albericus de Rosate ist ein in Rosciate bei Bergamo aus vornehmer Familie um 1290 geborener, in Padua ausgebildeter, praktisch tätiger, im September 1360 verstorbener Jurist (Kommentare zu Codex und Digesten, alphabetum bzw. dictionarium utriusque iuris, opus statutorum, kleinere Schriften). Lit.: Lange, H./Kriechbaum, M., Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 2 2007, 665; Albericus de Rosate, Dictionarium, per Decianum, F., 1581, Neudruck 2008 (372 Blätter) |
174 | Albertiner →Wettin |
175 | Albertus Gandinus s. Gandinus, Albertus |
176 | Albigenser Lit.: La Croisade albigeoise, hg. v. Roquebert, M., 2004 |
177 | Albrecht, Wilhelm Eduard (Elbing 4. 3. 1800-Leipzig 22. 5. 1876) wird nach dem Studium der Rechtswissenschaft in Königsberg und Göttingen und der Promotion (1822) und Habilitation (1824) in Königsberg 1829 Professor für deutsches Recht. 1830 wird er Nachfolger seines Lehrers Karl Friedrich Eichhorn in Göttingen, wo er in einer Rezension den Staat als juristische Person erklärt und 1837 (als einer der Göttinger Sieben) entlassen wird. Ab 1838 wirkt er in Leipzig, ist Vertreter Oldenburgs, Schwarzburgs und Anhalts im Bundestag des Deutschen Bundes und nimmt für Harburg an der deutschen Nationalversammlung von 1848 teil. Lit.: http://www.koeblergerhard.de/Fontes/AlbrechtWilhelmEduard-DieGewerealsGrundlagedesaelterendeut-schenSachenrechts1828.pdf Albrecht, W., Die Gewere als Grundlage des älteren deutschen Sachenrechts, 1828; Kück, H., Die Göttinger Sieben, 1935; Borsdorff, A., W. E. Albrecht, 1993 |
178 | Alcala de Henares ist die östlich Madrids in Spanien gelegene Stadt, die auf römische Grundlagen zurückgeht und 1118 den Mauren wieder abgewonnen wird. 1348 wird dort durch die Cortes ein bedeutendes Rechtsbuch verkündet. 1498/1508 wird eine 1836 nach Madrid verlegte Universität gegründet. |
179 | Alciat, Andreas (Alzate bei Como 1492-Pavia 1550), Kaufmannssohn, wird nach dem Studium (Latein, Griechisch, 1507 Rechts-wissenschaft) in Pavia und Bologna(, 1516 Promotion Universität Ferrara, Advokat Mailand,) 1518 nach Avignon berufen, (1522 Advokat Mailand, 1527 an die Universität Avignon zurückgekehrt,) und 1529 nach Bourges sowie 1533 nach Pavia berufen, (1541-1546 Ferrara). Er begründet mit Budé und Zasius die vom →Humanismus geprägte Rechtswissenschaft ([lat.] Paradoxa [N.Pl.] iuris civilis, 1518, De verborum significatione, 1530), die im (lat.) →mos (M.) Gallicus zum Ausdruck kommt. Zeitlebens ist er auch ein geschätzter Gutachter. Lit.: Köbler, DRG 143; Omnia … opera, 1557, Neudruck 2004; Moeller, E. v., Andreas Alciat, 1907; Viard, P., André Alciat, 1926; Osler, D., Development in the text of Alciatus’ Dispunctiones, Ius commune 19 (1992), 219; Troje, H., Humanistische Jurisprudenz, 1993; Belloni, A., L’amministrazione della giustizia a Milano, (in) Cunabula iuris, 2002, 1ff. |
180 | Aldermann (ae. ealdorman) ist seit dem Mittelalter an verschiedenen Stellen (z. B. Hamburg 1266, London 13. Jh.) ein Funktionsträger mit unterschiedlichen Befugnissen. Lit.: Dollinger, P., Die Hanse, 5.A. 1998; Wormald, P., The making of English law, Bd. 1 1999 |