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Quellen zu den Reformen in den Rheinbundstaaten, Band 8 Regierungsakten des Kurfürstentums und Großherzogtums Baden 1803-1815, bearb. v. Schimke, Maria. Oldenbourg, München 2012. VIII, 809 S. Besprochen von Werner Schubert.

Quellen zu den Reformen in den Rheinbundstaaten, Band 8 Regierungsakten des Kurfürstentums und Großherzogtums Baden 1803-1815, bearb. v. Schimke, Maria. Oldenbourg, München 2012. VIII, 809 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Mit den Regierungsakten Badens für die Zeit von 1803-1815 wird die Reformpolitik eines Rheinbundstaats erschlossen, der auf freiwilliger Basis zum 1. 1. 1810 den Code Napoléon mit erheblichen Zusätzen in einer eigenen deutschen Fassung rezipierte. Vorhergegangen war viele Konstitutionsedikte, Organisationsedikte sowie Verordnungen, welche das Regierungshandeln und das öffentliche Recht reformierten und zusammen mit den Dokumenten zur Zivilgesetzgebung und Strafgesetzgebung den Hauptinhalt des vorliegenden, von Schimke bearbeiteten Bandes bilden. Die Integrations- und Vereinheitlichungsprobleme stellten sich für Baden in besonderer Weise, das zwischen 1802/1803 und 1806 eine Gebietsvergrößerung um das Vierfache seiner Ausgangsgröße erlebte (S. IX) und 1806 zum Großherzogtum avancierte. Mit den edierten gedruckten Quellen wird die Grundstruktur des Verlaufs der Gesetzgebung zu den einzelnen Reformkomplexen verdeutlicht (S. 3). Mit den ungedruckten Quellen (Gutachten und Stellungnahmen) sollen die innenpolitischen Kämpfe zwischen den „Beharrungskräften … und den Modernisierern“ deutlich aufgezeigt werden, welche „die Legitimation von Staat und politischer Herrschaft auf eine neue Grundlage stellen wollten und damit längerfristig die Basis der bürgerlich-liberalen Gesellschaft und moderner rechtsstaatlicher Strukturen legten“ (S. 3).

 

Die fünf Abschnitte des Werkes werden jeweils eingeleitet durch eine „Darstellung“, welcher der jeweilige Quellenteil folgt. In dem Abschnitt „Voraussetzungen und Zusammenhänge der Reformen 1803-1815“ (S. 13ff., Quellen S. 54ff.) hat die Darstellung überblicksartigen Charakter (Ausgangslage, Chronologie des Reformprozesses, Staatsfinanzen und Steuergesetzgebung sowie Sozialwesen, Wirtschaft, Bildung und Militär). Die Quellen umfassen die allgemeinen sozialen Einrichtungen des Staates und des Bildungswesens, der Finanz- und Steuergesetzgebung sowie das Konstitutionsedikt von 1808 über die Rechte und Pflichten der Staatsbürger (S. 104ff.). In diesem Edikt sind auch Fragen des Eherechts („Recht durch Heirat eine eigene Familie im Staat zu gründen“, S. 111; die Geschäftsfähigkeit, die „Alters-Reife“ mit 21 Jahren; Halbmündigkeit ab 14 Jahren), die Adoption und Fragen der Verschwendung und der Geschäftsfähigkeit (Sinnenmangel), geregelt. Der nächste Abschnitt: „Der Aufbau des neuen Staates: Behörden und Beamte“ (S. 157-448) umfasst die Entwicklung der Verwaltung und Justiz sowie das Gemeinderecht und das Beamtenrecht. Das Direktorialprinzip für die Ministerien war bis 1810 nach französischem Muster voll etabliert (vgl. S. 314). Neu geschaffen wurden 1803 als dritte Instanz ein Oberhofgericht und Hofgerichte (S. 283ff.), bei denen die Justiz von der Verwaltung getrennt war. Die Advokaten bedurften wohl der Zulassung (S. 193). Die geplante Einführung der Staatsanwaltschaft (Kronanwaltschaft), die im Code Napoléon vorausgesetzt wurde, wurde kurz vor dem Inkrafttreten des Badischen Landrechts suspendiert (S. 244ff., 489). Auch die Einführung eines selbständigen Notariats (hierzu die 1806 nach württembergischem Muster erlassene Notariatsordnung vom gleichen Jahre) wurde Ende 1809 zurückgestellt und stattdessen beamtete Amtsrevisoren als Urkundspersonen geschaffen (S. 490). Hinzuweisen ist darauf, dass die mediatisierten Reichsstädte zunächst ihre (untere) Gerichtsbarkeit weiterführen durften (S. 343f.; vgl. auch das 2. Konstitutionsedikt von 1807, das die Gerichtsbarkeit und Gerichtspflichtigkeit der Städte allgemein regelte, S. 358 f.). Der privilegierte Gerichtsstand wurde 1809 grundsätzlich aufgehoben (teilweise Wiederherstellung 1812; vgl. S. 251, 649ff.); die Patrimonialgerichtsbarkeit entfiel 1814 (vgl. S. 359ff., 653ff.). Im Abschnitt über das Beamtenrecht (S. 389ff.) wird das fortschrittliche öffentliche Dienstrecht, das dem bayerischen Recht von 1805 folgte, dokumentiert (vgl. u. a. das Konstitutionsedikt von 1809, S. 415ff.). Der Abschnitt über die Einführung des Code Napoléon als Badisches Landrecht (S. 449ff.) enthält die zwei grundlegenden Denkschriften hierzu von Brauer, des Schöpfers des Bad. Landrechts, und die beiden Verordnungen von 1809 zur Einführung des C.N. (S. 458ff., 478ff.). Auf den Seiten 473ff. bringt Schimke das von Brauer entworfene ablehnende Antwortschreiben auf eine Anfrage Nassaus (ausgehend von v. Almendingen) hinsichtlich einer gemeinschaftlichen Übernahme des C.N. Nur partiell erschlossen werden konnten in der „Darstellung“ und in den Anmerkungen zu den Dokumenten die Vielzahl der Modifikationen des C.N. durch den badischen Gesetzgeber. Vielleicht hätte die Eheordnung vom 15. 7. 1808 im Quellenteil noch gebracht werden sollen. Auch die Modifikationen der Eigentumsordnung nach dem C.N. bzw. die weitgehende Beibehaltung des bisherigen Bodenrechts (geteiltes Eigentum, Stammgüter; teilweise im Badischen Landrecht behandelt) hätten ausführlicher angesprochen werden sollen. Grundlegend ist das umfangreiche 8. Organisationsedikt über die Strafrechtspflege von 1803, das eine „gleichmäßige Anwendung gemilderter Bestimmungen der Carolina im gesamten Land“ vorschrieb (S. 497ff.).

 

Für die „Einordnung des Adels in den Staat“ (S. 573-663) sind grundlegend die Konstitutionsedikte von 1807 über die Stellung der Standesherren, die mediatisierte Reichsritterschaft und den landsässigen Adel (S. 588ff., 600ff.) sowie die Verordnungen über deren Gerichtsbarkeit (u. a. S. 623f., 651ff.). Die Dokumente des Abschnitts „Religion und Kirchen“ betreffen zunächst die christlichen Konfessionen (S. 665ff.). Das dritte Organisationsedikt von 1803 über die Religionen und Kirchen enthielt auch ausführliche Bestimmungen zum Eherecht (S. 676ff.), das 1. Konstitutionsedikt über die Rechte der Kirchen von 1807 behandelte Fragen der kirchlichen Ehegerichtsbarkeit und der religiösen Kindererziehung (S. 701ff.). Den Juden (S. 739ff., allgemein zur Rechtsstellung der Juden im Untersuchungszeitraum) brachte das Edikt von 1809 über ihre bürgerlichen Rechte die weitgehende Gleichberechtigung, eine „innerhalb des Rheinbunds sehr frühe Maßnahme, die auch Anerkennung im Ausland fand“ (S. 745). Die Schutzgelder der Juden wurden 1815 aufgehoben und allgemein durch eine Gewerbesteuer ersetzt. Für das Eherecht der Juden gab es keine Ausnahmeregelung mehr (S. 760).

 

Mit der von Schimke betreuten Quellensammlung, die nur wenige Wünsche offen lässt, liegt nunmehr auch für den an der Privatrechtsgeschichte und der Strafrechtsgeschichte interessierten Rechtshistoriker eine Dokumentation für das Großherzogtum Baden aus der rheinbündischen Reformzeit und deren Übergangszeit von 1803 bis 1806 vor, die das gesamte Umfeld erschließt, in dem die Rezeption des C.N. steht. Aus diesem Grunde wäre ein etwas detaillierteres Sachregister u. a. für die Stichworte Justiz, materielles Zivilrecht und Gerichtsverfassung hilfreich gewesen. Mit dem vorliegenden Band sollte die Reihe „Quellen zu den Reformen der Rheinbundstaaten“ an sich abgeschlossen sein. Nach der deutschen Wiedervereinigung wurde jedoch noch ein weiterer Band über das Großherzogtum Weimar und die thüringischen Herzogtümer in Aussicht genommen, dessen Erscheinen hoffentlich nicht mehr lange auf sich warten lässt.

 

Kiel

Werner Schubert