Szymanski, Hanna, Theorie und Lebenswirklichkeit - Ehe und Eherechte im Spiegel sozialdemokratischer Forderungen zur Zeit der Zivilrechtskodifikation im deutschen Kaiserreich (= Rechtsgeschichte und Geschlechterforschung 15). Böhlau, Köln 2013. 221 S. Besprochen von Werner Schubert.
Szymanski, Hanna, Theorie und Lebenswirklichkeit - Ehe und Eherechte im Spiegel sozialdemokratischer Forderungen zur Zeit der Zivilrechtskodifikation im deutschen Kaiserreich (= Rechtsgeschichte und Geschlechterforschung 15). Böhlau, Köln 2013. 221 S. Besprochen von Werner Schubert. ZIER 3 (2013) 59. IT Nr. 14669a
Wie Hanna Szymanski in der Einleitung ihrer Arbeit, einer an der Universität Hannover entstandenen Dissertation, feststellt, gibt es bisher keine Untersuchung, die „Aussagen über Ehe und Familie in der sozialistischen Theorie in einen rechtsgeschichtlichen Kontext setzt“ (S. 26). Es ist deshalb zu begrüßen, dass Szymanski sich der Frage angenommen hat, wie sich die „Positionierung der Sozialdemokratie zum geltenden Eherecht des betrachteten Zeitraums bzw. zu den Entwürfen des BGB unter dem Gesichtspunkt ihrer allgemeinen Forderung nach Gleichheit der Geschlechter“ darstellt (S. 14). Dabei war auch der Frage nach den ihren Forderungen zugrunde liegenden Eheverständnissen nachzugehen. Nach dem Einführungsteil der Arbeit geht Szymanski im zweiten Kapitel der gesellschaftlichen und rechtlichen Stellung der Frau in der sozialistischen Theorie nach anhand der Stellungnahmen der Frühsozialisten Fourier, Owen, Saint-Simon, Marx/Engels und Bebel (S. 33ff.) sowie bei John Stuart Mill. Für die Stellung der Frau bei Bebel ist maßgebend sein in mehr als 50 Auflagen erschienenes Werk: „Die Frau und der Sozialismus“ (letzte Version von 1910), in dem Bebel nur „sehr zaghafte Kritik an den familienrechtlichen Regelungen des BGB übt“ (S. 64). Die von der sozialistischen und der bürgerlich-liberalen Emanzipationstheorie vorgeschlagenen Wege zur Emanzipation weisen hinsichtlich der Forderungen nach Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau, so Szymanski „keine wesentlichen Unterschiede“ auf (S. 77), wenn auch ihre Eheverständnisse unterschiedlich sind. Im dritten Kapitel geht es um einen Überblick über die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs (S. 81ff.) und um die Kritik Anton Mengers am Familienrecht des 1. BGB-Entwurfs. Wie Szymanski herausarbeitet, misst Menger der Gleichberechtigung der Geschlechter „lediglich geringe Bedeutung“ bei, was nach Szymanski unter anderem seine „generelle Billigung“ des Eherechtsentwurfs erkläre (S. 97).
Im vierten Kapitel: „Das Eherecht des BGB-Entwurfs und die Positionierung der Sozialdemokratie“ (S. 100-134) behandelt Szymanski vornehmlich die Kritik der SPD-Reichstagsfraktion am Eherecht des 3. BGB-Entwurfs hinsichtlich des Verlöbnisses, der Eingehung der Ehe, der Wirkungen der Ehe im Allgemeinen, des ehelichen Güterrechts sowie der Ehescheidung (S. 106ff.). Nach den Beschlüssen des SPD-Parteitags von 1895 war die Reichstagsfraktion der SPD beauftragt worden, „bei den bevorstehenden Berathungen über den Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs mit aller Energie die Initiative zu ergreifen für die Beseitigung aller gesetzlichen Bestimmungen, welche die Frau dem Manne gegenüber benachtheiligen“ (S. 165). Insbesondere sollte sie „eintreten für die Rechte der unverheiratheten Frauen und Mütter sowie für die Rechte ihrer Kinder“ (S. 165). Hierbei hatten insbesondere Frohme und Stadthagen, welche die SPD in der BGB-Reichstagskommission vertraten, einen „großen Gestaltungsspielraum“, wenn sie auch in Fragen der Gleichberechtigung von Mann und Frau vielen Sozialdemokraten „weit voraus“ waren (S. 134), ein Hinweis auf den „proletarischen Antifeminismus“ (S. 138), über den man gerne noch etwas mehr erfahren hätte. Auf die Kommissionsverhandlungen hätte Szymanski noch etwas detaillierter eingehen können, zumal Frohme und Stadthagen auch einige Anträge anderer Fraktionen unterstützten. Zusammenfassend stellt Szymanski fest, dass die SPD-Reichstagsfraktion ihrem Auftrag von dem Parteitag von 1895 „genau genommen nicht vollkommen“ nachgekommen sei (S. 192), was noch näher hätte ausgeführt werden sollen.
Das vorletzte Kapitel ist der proletarischen Frauenbewegung gewidmet (S. 135-190), die sich erst ab 1890 näher organisierte. Die dominierenden Persönlichkeiten dieser Bewegung waren Clara Zetkin, die von 1892 bis 1917 die Zeitschrift: „Die Gleichheit“ (1896 zusammen mit Lily Braun) herausgab, und Lily Braun. Letztere war 1895/1896 zur Sozialdemokratie und zur proletarischen Frauenbewegung gestoßen und vertrat in der Frauenfrage eine gegenüber Zetkin gemäßigte Position (S. 158ff.). Erst S. 169ff. – und damit vielleicht etwas sehr spät – geht Szymanski auf die Stellung der proletarischen Frauenbewegung in der Zeitschrift: „Die Gleichheit“ zum Eherecht in den Jahren 1895/1896 näher ein, die einem personalen, individualistischen Eheverständnis entsprachen (S. 175) und die Leserschaft vielleicht erstmals mit den ehelichen Forderungen der Sozialdemokratie im Detail bekannt machten. Anschließend folgen noch Abschnitte über die Frauenbilder Zetkins und Brauns (S. 176ff.). Nach einer zusammenfassenden Würdigung, in der sie nochmals auf den „Antifeminismus in der Arbeiterklasse“ hinweist, bringt Szymanski nach einem Resümee einen knapp gehaltenen Ausblick auf die weitere Entwicklung des Eherechts insbesondere in der Weimarer Zeit und der Bundesrepublik Deutschland (S. 196ff.).
Gemessen an der eingangs wiedergegebenen Zielsetzung fehlt den Untersuchungen von Szymanski mitunter eine umfassendere Aufarbeitung der Stellung der sonstigen sozialdemokratischen Parteipresse zum Eherecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs. In diesem Zusammenhang vermisst der Leser auch nähere biographische Angaben über Frohme und Stadthagen, welche die Hauptarbeit in der BGB-Reichstagskommission leisteten. Insgesamt liegt mit dem Werk Szymanskis eine zusammenfassende Darstellung über die Stellung der Sozialdemokratie und insbesondere der proletarischen Frauenbewegung zum Eherecht des BGB und dessen dritten Entwurf vor, eine Darstellung, die für andere Parteien mit Ausnahme für das Zentrum bisher noch aussteht.
Kiel
Werner Schubert