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Keller, Iris, Die strafrechtliche Aufarbeitung von DDR-Justizunrecht. Frankfurt am Main, Lang 2013. 718 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

Keller, Iris, Die strafrechtliche Aufarbeitung von DDR-Justizunrecht. Frankfurt am Main, Lang 2013. 718 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Die Deutsche Demokratische Republik war ein gegen den freien Willen ihrer Einwohner von entschiedenen Funktionären zur Verwirklichung ihrer bewusst einseitigen politischen Zielsetzungen geschaffener Staat. In ihm gab es auch Justiz, weil im modernen Staat die Möglichkeit einer justizfreien Herrschaft noch nicht aufgezeigt werden konnte. In einem ideologisch geprägten, Recht der jeweiligen Moral unterordnenden Staat ist das Verhältnis von Justiz und Recht ebenfalls vorgeprägt, wobei die Herrschaftsträger zwar von Identität ausgehen, eine objektiv wissenschaftliche Überprüfung aber stets angezeigt ist und voraussichtlich zu anderen Ergebnissen gelangt.

 

Dieser wichtigen Aufgabe stellt sich die durch ein Stipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes geförderte Verfasserin in ihrer von Werner Beulke betreuten, im Manuskript im Februar 2011 abgeschlossenen, der juristischen Fakultät der Universität Passau vorgelegten gewichtigen Dissertation. Sie gliedert sich insgesamt in 15 Kapitel. Diese betreffen nach einer kurzen Einleitung über Thema, Ziel und Methodik Möglichkeiten und Grenzen der Vergangenheitsaufarbeitung mit Hilfe eines rechtsstaatlichen Strafrechts und Strafprozessrechts, das in Verfahren gegen Justizjuristen der ehemaligen DDR anzuwendende Recht, das DDR-Recht und seine Auslegung, die Tathandlung bei der Rechtsbeugung, die Fallgruppen der Rechtsbeugung, die Strafbarkeit wegen der Anwendung von Tatbeständen des so genannten politischen Strafrechts der DDR, die Übermaßstrafen, die Rechtsbeugung durch die Verfahrensweise, die Strafbarkeit von Staatsanwälten, Mitarbeitern von Untersuchungsorganen und Hintermännern, den subjektiven Tatbestand der Rechtsbeugung, die Sperrwirkung des Rechtsbeugungstatbestands bei tateinheitlich zusammentreffenden Delikten und die Problematik der Scheinverfahren, Kriterien der Strafzumessung in Verfahren gegen DDR-Richter und Staatsanwälte, weitere Bezüge der Aufarbeitung des NS-Justizunrechts in der Bundesrepublik zur Aufarbeitung des DDR-Justizunrechts, die Verjährung von DDR-Justizunrecht und die Bilanz der Aufarbeitung des DDR-Justizunrechts.

 

Im Ergebnis stellt die Verfasserin fest, dass in den Jahren nach der Herstellung der deutschen Einheit eine große Zahl von Strafverfahren wegen Rechtsbeugung eingeleitet wurde, die genaue Zahl aber nicht angegeben und nur ungefähr auf 52500 Rechtsbeugungsverfahren (Ermittlungsverfahren wegen Rechtsbeugung) bei knapp 75000 Ermittlungsverfahren wegen DDR-Unrechts geschätzt werden kann. Von der Vielzahl der eingeleiteten Verfahren kam nur ein kleiner Bruchteil oder außerordentlich kleiner Teil zur Anklage (möglicherweise 1 Prozent), wobei die Staatsanwaltschaften der neuen Bundesländer 386 Anklagen wegen Rechtsbeugung erhoben bzw. Strafbefehle beantragten (Berlin 159, Brandenburg 27, Mecklenburg-Vorpommern 34, Sachsen 136, Sachsen-Anhalt 12, Thüringen 18) und insgesamt vielleicht 397 Menschen wegen Rechtsbeugung angeklagt wurden. In der Summe kam es zu 181 Verurteilungen wegen Rechtsbeugung, wobei fast durchweg Freiheitsstrafen ( z. B. fünf Jahre gegen die frühere Richterin Helene Klein) verhängt wurden.

 

Demgegenüber benennt die Verfasserin am Ende ihrer beeindruckenden Leistung die Zahl der aus politischen Gründen in der DDR verurteilten und um ihre Freiheit gebrachten Menschen mit vielleicht 250000. Dementsprechend hält sie den Vorwurf der Siegerjustiz oder Rachejustiz für ebenso widerlegt wie die mögliche Vermutung, dass man Kleine hänge und Große laufen lasse und folglich selektiv gehandelt habe. Trotz der nur geringen Zahl der Verurteilungen und der Milde der Bestrafung haben Verfahren wie Verurteilungen nach ihrer ansprechenden Ansicht einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung und Aufarbeitung des Justizunrechts der DDR geleistet, wenngleich wohl die an sich gebotene Gerechtigkeit nicht in dem Maße hergestellt werden konnte, wie dies in einem Rechtsstaat allgemein wirklich wünschenswert erschiene.

 

Innsbruck                                                        Gerhard Köbler