Original Ergebnisseite.

Röwekamp, Marion, Die ersten deutschen Juristinnen. Eine Geschichte ihrer Professionalisierung und Emanzipation (1900-1945) (= Rechtsgeschichte und Geschlechterforschung 11). Böhlau, Köln 2011. 880 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

Röwekamp, Marion, Die ersten deutschen Juristinnen. Eine Geschichte ihrer Professionalisierung und Emanzipation (1900-1945) (= Rechtsgeschichte und Geschlechterforschung 11). Böhlau, Köln 2011. 880 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Von Natur aus ist bisher nur weiblichen Menschen das Gebären neuer Menschen möglich. Vielleicht hat der dafür angelegte Körperbau zusammen mit den Schwangerschaften in der menschlichen Entwicklung dazu geführt, dass die Männer im Durchschnitt größer, stärker und schneller als die Frauen sind und deswegen in den meisten menschlichen Gesellschaften die patriarchalische Familienstruktur durchsetzen konnten und auch durchsetzten. In Deutschland wurde erst 1869 die Prozessvormundschaft beseitigt und erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die als Folge der Aufklärung in der Verfassung vorgesehene Gleichberechtigung von Männern und Frauen zumindest rechtlich verwirklicht.

 

Marion Röwekamp, nach dem Studium von Rechtswissenschaft und Geschichtswissenschaft in Heidelberg, München, Berlin und an der Columbia University nach der Homepage des Lateinamerika-Instituts in Berlin derzeit an UNAM, CIESAS und dem Colegio de México in Mexico City sowie dem Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin an ihrer Habilitationsschrift über Exile, Memory and (Trans)National Identity - Spanisch-Republicans in Mexico arbeitend, hat sich der Juristinnen bereits 2005 in einem Lexikon zu Leben und Werk der rechtswissenschaftlich ausgebildeten Frauen angenommen und danach nunmehr in einer von Winfried Schulze unaufdringlich betreuten, von der Gerda Henkel Stiftung finanziell unterstützten Münchener geschichtswissenschaftlichen Dissertation eine umfangreiche Geschichte der Professionalisierung und Emanzipation der ersten deutschen Juristinnen zwischen 1900 und 1945 geformt. Sie gliedert sich nach einer ausführlichen Einleitung in fünf Abschnitte. Sie betreffen das rechtswissenschaftliche Studium, die Zulassung der Frauen zu den Berufen der Rechtspflege, Juristinnen im Beruf (soziale Arbeit, Verwaltung, Verbandsarbeit, Referendarinnen, Richterinnen/Gerichtsassessorinnen, Rechtsanwältinnen, Staatsanwältinnen, höhere Verwaltung, Notarinnen/Syndika, diplomatischer Dienst, Wissenschaft, jeweils einschließlich von Hochzeit und Berufsausübung), Nebenengagement in der Frauenbewegung und der Ehegüterrechtsentwicklung, in Sozialwesen, Politik und Berufsverbänden sowie Juristinnen in der Zeit zwischen 1933 und 1945.

 

Der grundlegenden Untersuchung liegen insgesamt 2224 Datensätze von Hörerinnen, Studentinnen und Juristinnen in Deutschland und Österreich (München, Heidelberg, Berlin, Freiburg im Breisgau, Erlangen, Würzburg, Köln, Münster, Bonn, Tübingen, Göttingen, Jena, Kiel, Breslau, Königsberg und Greifswald) sowie zahlreiche andere Quellen zu Grunde. Zum juristischen Studium wurden Frauen in Baden, wo 1893 das erste deutsche Mädchengymnasium in Karlsruhe anerkannt worden war, 1900 zugelassen (Bayern 1903, Preußen 1908/1909, Mecklenburg-Schwerin 1909/1910, Österreich 1919), wobei 1908/1909 11183 männlichen deutschen Jurastudentinnen 23 Jurastudentinnen gegenüberstanden (1919/1920 17247 und 457, 1933 14373 und 742 [dabei 1932 635evangelisch, 271 katholisch, 181 jüdisch), zum ersten Staatsexamen 1919, zum zweiten Staatsexamen 1922 (und damit auch zur Rechtsanwaltschaft). Im  Juni 1928 wurde Maria Hagemeyer Landgerichtsrätin in Bonn, im Januar 1929  Dr. Ilse Beisswanger Amtsrichterin am Amtsgericht Stuttgart, während die erste juristische Habilitation einer Frau 1932 in Hamburg durch Albrecht Mendelssohn-Bartholdy ermöglicht wurde

 

Insgesamt untersucht die Verfasserin in ihrer grundlegenden, durch Abbildungen, Literaturverzeichnis und Personenregister von Ablaß, Bruno bis Zündorf, Gertrud abgerundeten Arbeit umfassend, ausführlich und sorgfältig ihren wichtigen Gegenstand. Dabei verknüpft sie individuelles Geschehen gekonnt mit allgemeinen Entwicklungen einschließlich der Zurückdrängung der Frauen zwischen 1933 und 1945. Dass hundert Jahre nach Zulassung der Frauen zum rechtswissenschaftlichen Studium nur noch etwa jeder zweite Studierende der Rechtswissenschaft in Deutschland und Österreich männlich ist, zeigt mehr als alles Andere sehr anschaulich, dass sich in langen Jahren die Gleichberechtigung zwischen Juristen und Juristinnen dank des unermüdlichen Einsatzes vieler Frauen (und auch Männer) tatsächlich weitgehend durchgesetzt hat.

 

Innsbruck                                                                   Gerhard Köbler