Finger, Jürgen/Keller, Sven/Wirsching, Andreas, Dr. Oetker und der Nationalsozialismus - Geschichte eines Familienunternehmens. Beck, München 2013. 620 S.
Finger, Jürgen/Keller, Sven/Wirsching, Andreas, Dr. Oetker und der Nationalsozialismus - Geschichte eines Familienunternehmens. Beck, München 2013. 620 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Macht eröffnet Möglichkeiten, weiß der Mensch von seinen Anfängen an, und die Nähe zur Macht lässt daran Teil haben. Wer Puddingpulver für die Wehrmacht verkaufen kann, hat eine hohe Abnehmerzahl. Deswegen war brauner Pudding naheliegenderweise auch in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft interessant.
In Bielefeld übernahm im Januar 1891 der am 6. Januar 1862 als Sohn des Bäckers August Adolph Oetker in Obernkirchen geborene, nach der Lehre als Apotheker in Stadthagen und dem Studium der Naturwissenschaft zunächst in Berlin nicht unmittelbar erfolgreiche August Oetker eine der vier Apotheken der Stadt mit Laboratorium und vertrieb nach Gesundheitskakao, Fußcreme und Warzentinktur noch im gleichen Jahr ein Sauerteig und Hefe ersetzendes, aus konkurrierenden Versuchen in England, Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika (Eben Norton Horsford) entstandenes Backpulver (Backin) in kleinen Tüten für 10 Pfennige für ein Pfund Mehl unter Verwendung seines Titels als Doktor und warb dafür, weil die Welt, wenn man es ihr nicht anzeigt, dass man etwas Gutes tut, dies auch nicht wissen kann, so erfolgreich, dass er 1906 bereits 50 Millionen Päckchen verkaufen konnte (2012 Jahresumsatz der Unternehmensgruppe 11 Milliarden Euro). Da sein Sohn Rudolf bei Verdun am 18. März 1916 fiel, heiratete dessen als Bankkaufmann und Jurist ausgebildeter Freund Richard Kaselowsky (*Bielefeld 14. August 1888) 1919 die junge Witwe und führte seit 1921 treuhänderisch für den in Bielefeld am 20. September 1916 geborenen Sohn Rudolf-August Oetker das Unternehmen bis zu seinem Tod infolge eines Luftangriffs in Bielefeld am 30. September 1944. Die Verbindungen Kaselowskys und Oetkers zum Nationalsozialismus waren lange nicht genau bekannt.
Nach dem Tode Rudolf-August Oetkers in Hamburg am 16. Januar 2007 entschloss sich die Familie unter dem Endruck des Fernsehfilms Das Schweigen der Quandts im Jahre 2010 für eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Vergangenheit, mit der sie Andreas Wirsching beauftragte. Nach den von ihm und seinen beiden Mitarbeitern angestellten Nachforschungen trugen Richard Kaselowsky (Mitglied des Freundeskreises Reichsführer-SS, Verkauf der Westfälischen Neuen Nachrichten an die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei) und mit ihm die Familie und das Unternehmen Oetker (Rudolf-August Oetker arisierender Erwerb von Grundstücken Kurt Helderns und des Ehepaars Lipmann, 1939 NSDAP, SS-Untersturmführer des Wirtschafts- und Verwaltungsdiensts, im Entnazifizierungsverfahren unbelastet, für Zwangsarbeit in der Nährmittelfabrik nur wenige Nachweise) Verantwortung für das sie umgebende politische System, waren Stützen der nationalsozialistischen Gesellschaft, suchten die Nähe des Regimes und profitierten von dessen Politik. Weil Macht Möglichkeiten eröffnet, ist die Nähe zu ihr eben überall und jederzeit interessant, auch wenn sie vielfach diskret behandelt und nach Niederlagen gerne so lange wie möglich verschwiegen oder geleugnet wird.
Innsbruck Gerhard Köbler