Höftmann, Dan Oliver, Der Vergütungsanspruch des Kassenarztes unter Berücksichtigung der Rolle der kassenärztlichen Vereinigungen in seiner rechtshistorischen Entwicklung und heutigen Problematik (= Studien zum Sozialrecht). Kovač, Hamburg 2013. 309 S. Besprochen von Werner Schubert.
Höftmann, Dan Oliver, Der Vergütungsanspruch des Kassenarztes unter Berücksichtigung der Rolle der kassenärztlichen Vereinigungen in seiner rechtshistorischen Entwicklung und heutigen Problematik (= Studien zum Sozialrecht). Kovač, Hamburg 2013. 309 S. Besprochen von Werner Schubert.
Ziel der Dissertation Höftmanns von 2010/2012 ist es, „den Vergütungsanspruch des Kassenarztes in seiner geschichtlichen Entwicklung zu untersuchen“ und herauszuarbeiten, „ob dieser Vergütungsanspruch zu einer angemessenen Vergütung der Kassenärzte führte bzw. führt“ (S. 25). Nach einer kurzen Einleitung über die Zeit vor Einführung des Krankenversicherungsgesetzes von 1883 (S. 29ff.) behandelt Höftmann die „Entstehungsgeschichte des Kassenarztrechts“ (S. 28-178). Zunächst geht es um das Gesetz über die Krankenversicherung der Arbeiter vom 15. 7. 1883. Das Vertragssystem bestand zunächst aus Einzelverträgen der Kassenärzte mit den Krankenkassen (ab 1885 Vergütung nach einer Kopfpauschale, S. 35f.) und führte zu einem Dreieckverhältnis Patient – Krankenkasse – Arzt (S. 33f.). Die Novellierung des Krankenversicherungsgesetzes von 1892 führte zum autonomen Recht der Kassen, die Zulassungsfrage und die Vergütung der Ärzte zu regeln. Die Reichsversicherungsordnung von 1911 brachte keine Regelung der Beziehungen zwischen der Krankenkasse und den Ärzten (S. 39ff.). Das sog. Berliner Abkommen vom 23. 12. 1913 ebnete aufgrund des Beschlusses der Ärzteschaft zu einem Generalstreik den Weg „für die gemeinsame Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen mit paritätischen Organen für die Arztzulassung und den Inhalt des Arztvertrages sowie einem Schiedsamt“ (Schulin, Bertram, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd. 1, 1994, S. 12 [Schlenker]). Hierdurch entfiel die Anstellungsautonomie der Krankenkassen. Durch eine Verordnung vom 30. 10. 1923 wurden die Ergebnisse des Berliner Abkommens gesetzlich verankert, ohne dass das Vergütungssystem festgelegt wurde. Dies erfolgte erst durch Verordnungen von 1931/1932, nach denen die Kopfpauschale als Vergütungssystem festgesetzt wurde. Aus dem Dreieckverhältnis wurde ein Viereck, in dessen Rahmen die Kassenärztlichen Vereinigungen (als genossenschaftlich organisierte Körperschaften des öffentlichen Rechts) mit den Krankenkassen Gesamtverträge abschlossen (S. 49ff.).
In der NS-Zeit wurde die Selbstverwaltung beseitigt und durch das Führerprinzip ersetzt. Nach 1945 wurde der Status quo ante 1933 wiederhergestellt. Das Kassenarztrecht wurde durch ein Gesetz von 1945 neu geregelt und in die Reichsversicherungsordnung eingegliedert (S. 60ff.; 1977/1978 wurde das gesamte Krankenversicherungsrecht in das Sozialgesetzbuch IV und V überführt). Der Begriff der „angemessenen Vergütung“ wurde erstmals in § 368 g RVO verwandt (S. 67). Seit den 1970er Jahren verschlechterte sich die Situation der Kassenärzte durch die Kostendämpfungsgesetzgebung (S. 73ff.). Nach einem Abschnitt über die Eingliederung Ostdeutschlands in das System der gesetzlichen Krankenversicherung (S. 103ff.) geht Höftmann auf die Kostensteuerungsgesetzgebung bis 2002 ein (S. 116-185). Das heutige Kassenarztrecht wird bestimmt durch das GKV-Modernisierungsgesetz von 2003 (in Kraft getreten am 1. 1. 2004; S. 187ff.), das keine „tatsächliche Änderung der Vergütungssituation der Kassenärzte“ brachte (S. 237). Im dritten Abschnitt befasst sich Höftmann mit der Frage, ob die Vergütungsregelungen und die Arznei- und Heilmittelregelungen des SGB V verfassungskonform sind (S. 239-287), was er im Ergebnis verneint (S. 287). Eine Lösung der Vergütungsproblematik kann nach Höftmann nur erfolgen, wenn eine nicht budgetierte Einzelleistungsvergütung eingeführt werde, die Vertragsbedingungen für die Ärzte angemessen und einheitlich seien, die Kassenärztlichen Vereinigungen von staatlicher Einflussnahme und Regulierung befreit würden und diese ihre Aufgabe der Interessenvertretung konsequent wahrnehmen könnten (S. 297). In der zusammenfassenden „Schlussbemerkung“ hätte die historische Entwicklung etwas präziser gekennzeichnet werden können (S. 289ff.). Mit seinem Werk hat Höftmann nicht nur die historische Entwicklung des Kassenarztrechts ausführlich beschrieben, sondern auch das geltende Recht detailliert dargestellt und auf seine Verfassungskonformität untersucht. Damit ist der Weg geebnet für weitere rechtshistorische Detailuntersuchungen unter Einbeziehung auch der umfangreichen Quellen zur Entstehung der für das Kassenarztrecht relevanten Gesetze und deren Praxis (vgl. hierzu für die zehn Jahre ab 1956 Ursula Reucher, Reformen und Reformversuche in der gesetzlichen Krankenversicherung [1956-1965], Düsseldorf 1999).
Kiel
Werner Schubert