Freudenberg, Sebastian, Trado atque dono. Die frühmittelalterliche private Grundherrschaft in Ostfranken im Spiegel der Traditionsurkunden der Klöster Lorsch und Fulda (750 bis 900) (= Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Beiheft 224). Steiner, Stuttgart 2013. 456 S., 101 Abb., 4 Tab. Besprochen von Gerhard Köbler.
Freudenberg, Sebastian, Trado atque dono. Die frühmittelalterliche private Grundherrschaft in Ostfranken im Spiegel der Traditionsurkunden der Klöster Lorsch und Fulda (750 bis 900) (= Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Beiheft 224). Steiner, Stuttgart 2013. 456 S., 101 Abb., 4 Tab. Besprochen von Gerhard Köbler.
Obgleich die Bezeichnung Grundherrschaft anscheinend erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts gebildet wurde, geht man allgemein davon aus, dass es die von einem weltlichen oder geistlichen Grundherrn beherrschte Gesamtheit von Gütern samt den darauf befindlichen Leuten bereits im Frühmittelalter gegeben hat. Zwar ist ihre Herkunft nicht wirklich gewiss, doch ist sie im Reich der Franken weit verbreitet. Im Mittelpunkt der zahlreichen Forschungen stehen dabei Kirche und König, weil sie die meisten Quellen für diesbezügliche Untersuchungen hinterlassen haben.
Die vorliegende Arbeit ist die 1999 begonnene, von Hans-Werner Goetz betreute, von der Studienstiftung des deutschen Volkes sowie dem Bistum Fulda unterstützte und von der Universität Hamburg 2013 angenommene Dissertation des nach dem Referendariat in den Schuldienst getretenen Verfassers. Sie geht vor allem von den Folgen eines von Adriaan Verhulst in Spoleto 1965 gehaltenen Vortrags über la genèse du régime domanial aus. Darin wurde die mit dem Ende des 7. Jahrhunderts auf den großen königlichen und geistlichen Gütern Nordfrankreichs entstandene zweigeteilte Fronwirtschaft mit herrschaftlichem, durch die Frondienste abhängiger Bauern bestelltem Eigenland als klassische, im Mittelalter im Gegensatz zum Altertum neu erfundene Form der Grundherrschaft angesehen.
In diesem Rahmen blieb die nichtkönigliche und nichtkirchliche Grundherrschaft nach den überzeugenden Feststellungen des Verfassers bisher fast ganz unbeachtet. Den Grund hierfür sieht auch der Verfasser in der schwierigen Quellenlage. Den hieraus gezogenen Schluss auf die private Grundherrschaft in Ostfranken als rückständige Gebilde in einer archaischen Region stellt der Verfasser aber nachhaltig in Frage.
Dabei beschreibt er zunächst die Entwicklung der früheren Forschung. Danach stellt er die ersten kritischen Schritte durch Werner Rösener und Hans-Werner Goetz dar. Da er sie aber für noch unzureichend hält, will er ansprechend aus Fuldaer und Lorscher Urkunden neue Erkenntnisse gewinnen.
Weil das früheste Güterverzeichnis eines adeligen Grundherrn (Graf Siboto von Falkenstein) vermutlich erst aus dem Jahr 1166 stammt und dementsprechend aus dem Frühmittelalter kein einziges Verzeichnis einer nichtköniglichen und nichtkirchlichen Grundherrschaft erhalten ist, sieht er sich notgedrungen auf die Urkunden verwiesen. Wegen ihrer „Ausschnitthaftigkeit“ lässt sich allerdings nie der Anteil einschätzen, den das urkundlich genannte Gut am gesamten Gut des Betreffenden ausmacht. Selbst wenn eine Urkunde das gesamte Gut betreffen würde, ließe sich dies wegen der Eigenart der Überlieferung vom späteren Betrachter nicht sicher erkennen.
Mit guten Gründen beschränkt sich der Verfasser dabei auf die Überlieferung aus Lorsch und Fulda während des 8. und 9. Jahrhunderts. Aus ihren 4300 (bzw. nach S. 301 fast 5000) urkundlichen Texten ermittelt er insgesamt 71 Güterbeschreibungen. Ihre örtliche Verteilung stellt er in seiner Abbildung 2 (S. 74) anschaulich dar.
Danach ermittelt er als tatsächliche durchschnittliche Größe einer huba etwa 30 (meist zwischen 20 und 40) Joch (bzw. 10 Hektar). Der häufig genannte mansus ist ihm der Wohnplatz im weiteren Sinn etwa im Gegensatz zu area oder curtis im engeren Sinne. Für curtis geht er von einem Herrenhof aus, wenn neben einer curtis im Singular eine Gruppe mehrerer anderer Wohnplätze auszumachen ist, die abweichend benannt sind.
Für mancipium bzw. mancipia gelangt er zu dem Ergebnis eines Sammelbegriffs für alle in der familia eines Herrn befindlichen Menschen. Der Eintritt in die familia eines Herrn scheine jedenfalls aus der Sicht der Verfasser die betreffenden Menschen zu einer Einheit werden zu lassen. Daraus folgert er , dass die sozialen Unterschiede für die Beschreibung eines Gutes von keiner besonderen Bedeutung sind.
Auf dieser sorgfältig ermittelten Grundlage behandelt der Verfasser nacheinander Mensch und Hofbetrieb, Raumstruktur und Betriebsorganisation, (notwendigerweise knapp) Gesamtbetriebsgröße (z. B. bei Berthild 160 Joch oder knapp 50 Hektar), Rodung und Besitzbeschreibungen mit ihren eingeschränkten Erkenntnismöglichkeiten.
Im Ergebnis stuft er die Ansicht, weltliche Güter seien hauptsächlich gutswirtschaftlich organisiert gewesen, als falsch ein, weil das eigentliche Kennzeichen der nichtköniglichen und nichtkirchlichen Grundherrschaft eine erstaunliche Vielfalt zu sein scheint. Dementsprechend sieht er Zinswirtschaft und Gutswirtschaft nicht als veraltet und ineffektiv gegenüber der Fronwirtschaft an, sondern schreibt den Fortschritt der geschickten Mischung im Einzelfall zu. Nicht bestätigen kann er auch die Theorie von der räumlichen Zersplitterung der weltlichen Güter über einen Kreis von zehn Kilometern hinaus.
Insgesamt zeigt die sorgfältige, ansprechende Untersuchung, dass die nichtkönigliche und nichtkirchliche Grundherrschaft in Franken, auch wenn sie quellenmäßig schlechter bezeugt ist, keine strukturellen Besonderheiten aufweist. In den Kenndaten Größe, Sallandanteil, Bauernstellenzahl und Differenziertheit der Betriebsorganisation erkennt der Verfasser (trotz der Einbindung der Quellen in die Überlieferung der unvergleichlich größeren Grundherrschaften Fuldas und Lorschs) eine ebenso große Deckungsgleichheit mit den kirchlichen Gütern wie sein Betreuer für Sankt Gallen. Inwieweit die vorgelegten Ergebnisse der durch umfangreiche Anhänge vorzüglich abgerundeten Untersuchung allgemeine Gültigkeit für das ganze Ostfranken oder das gesamte Frankenreich haben, müssen auch nach der vorsichtigen Schlussbemerkung der wichtigen Studie Forschungen in größerem Rahmen erweisen, für die der Verfasser selbständig bedeutsame neue Akzente gesetzt hat, selbst wenn er persönlich wohl diese interessante Aufgabe trotz seiner inzwischen erlangten Sachkunde vermutlich nicht mehr übernehmen wird.
Innsbruck Gerhard Köbler