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Der Goslarer Ratskodex - Das Stadtrecht um 1350. Edition, Übersetzung und begleitende Beiträge, hg. v. Lehmberg, Maik (= Beiträge zur Geschichte der Stadt Goslar/Goslarer Fundus 52). Verlag für Regionalgeschichte, Gütersloh 2013. 669 S. 270 farb. Faksimileseiten. Besprochen von Ulrich-Dieter Oppitz.

Der Goslarer Ratskodex - Das Stadtrecht um 1350. Edition, Übersetzung und begleitende Beiträge, hg. v. Lehmberg, Maik (= Beiträge zur Geschichte der Stadt Goslar/Goslarer Fundus 52). Verlag für Regionalgeschichte, Gütersloh 2013. 669 S., 354 Abb. 270 farb. Faksimileseiten. Besprochen von Ulrich-Dieter Oppitz.

 

Nach einer Vorbereitungszeit von mehr als zehn Jahren legt der Geschichtsverein Goslar e.V. eine Edition des Goslarer Ratskodexes vor, die insgesamt als gelungen zu bezeichnen ist. Das Goslarer Stadtrecht ist in einer älteren und einer jüngeren Redaktion überliefert, die in 20 Textzeugen, vollständige Handschriften und Fragmente, nachweisbar sind. Vor 45 Jahren legte der Göttinger Rechtshistoriker Wilhelm Ebel seiner Edition als Leithandschrift ein Exemplar der älteren Redaktion zugrunde. Der Ratskodex gehört zu der jüngeren Redaktion, so dass schon diese Unterscheidung die Herausgabe rechtfertigt.

 

Die Geleitworte zu Beginn des Sammelbandes zeigen die Vielzahl der an der Vorbereitung der Ausgabe beteiligten Einrichtungen. Hansgeorg Engelke beschreibt die Entstehung der Ausgabe (S. 13-15). In den Zeilen und zwischen den Zeilen ist eine Entstehung mit vielen Hindernissen zu erleben. Sabine Graf bietet als Ergebnis ihrer gründlichen Forschungen einen profunden Einblick in die Stadtgeschichte Goslars zur Zeit der Kodifizierung des Stadtrechts (S. 17-31).

 

Dietlinde Munzel-Everling gibt als ausgewiesene Rechtshistorikerin einen Überblick zum Stadtrecht der Stadt Goslar und widmet sich dessen Ausstrahlung auf andere Städte (S. 33-43). Ihre Zustimmung hätte wohl kaum die Übertragung des Einganges der Vorrede in der Übersetzung durch M. Lehmberg (S. 84/85) gefunden. Lehmberg lässt den Rat seine Gesetze in dieses Buch bringen, während doch das Original des Textes eindeutig sagt dat sie ire recht in dit boc notieren. Dem Rat war, anders als Historikern, eindeutig der Unterschied zwischen Recht und Gesetz bewusst, ihn sollte auch eine Übertragung berücksichtigen. Leider hat die Autorin nur die Bereiche des Erbrechts und Regelungen aus dem Straf- und Prozessrechts des Stadtrechts von Goslar genutzt, um die Gemeinsamkeiten, aber auch die Abweichungen zum Recht des Sachsenspiegels und des von ihm geprägten sächsischen Rechts darzustellen. Die Umarbeitung der Regelungen des ursprünglich für landrechtliche Verhältnisse geschaffenen Sachsenspiegels zu einem Recht, das vorrangig den Schutz der städtischen Rechte und des Stadtfriedens zum Inhalt hatte, macht den rechtlichen Eigenwert des Stadtrechts für Goslar aus.

 

Maria Kapp gibt eine gründliche und sorgfältige kodikologische Beschreibung der Handschrift und der Handschriftenfragmente, die sich im Einband fanden (S. 45 und 46). Ein Gewinn wäre es gewesen, wenn diese erfahrene Handschriftenbearbeiterin im Rahmen dieser Arbeit auch zu einer Beschreibung der acht Textzeugen des Stadtrechts von Goslar herangezogen worden wäre, die seit der Edition von Wilhelm Ebel bekannt geworden sind. Erstaunlich ist, dass die im Stadtarchiv befindliche Handschrift B 821 weder Wilhelm Ebel bei seinen Sucharbeiten (vor 1968) noch Maria Kapp bei ihren Forschungen im Stadtarchiv (ab 1990) bekannt werden konnte. Andererseits soll derzeit die von Wilhelm Ebel als Hs. F beschriebene Handschrift im Stadtarchiv nicht aufzufinden sein.

 

Hansgeorg Engelke (S.47-53) ist eine Beschreibung der Marginalien zu verdanken, die an den Rand der Pergamentblätter geschrieben sind. Seine sachkundigen Erläuterungen führen weit über die Versuche von Göschen und Ebel hinaus, die sich in Ansätzen diesen Notaten widmeten. Bemerkenswert ist Engelkes Hinweis auf den Kurtzrockschen Vergleich vom 16. 3. 1682, durch den sich der Rat verpflichtete, zukünftig nicht mehr die alten Statuten (das Stadtrecht) anzuwenden, sondern das ‚Kayserl. Gemeine Recht’. Selten ist es bei mittelalterlichen Stadtrechten, dass der Termin ihrer Ablösung so genau zu greifen ist.

 

Im Abschnitt ‚Zur Edition und zur Übersetzung’ (S. 56-61) legt Maik Lehmberg dar, welche Grundsätze ihn bei der textlichen Bearbeitung der Edition geleitet haben. In einer Ausführlichkeit, wie sie bei derartigen Einführungen leider überaus selten ist, geht er auf die Verwendung von Buchstaben bei der Transkription, um eine möglichst graphiegenaue diplomatische Edition zu erreichen, ebenso ein, wie auf syntaktische und lexikalische Aspekte der Übersetzung. Die Entscheidung, mittelniederdeutsche Wörter, die rechtsgeschichtlich interessant, heute aber unüblich sind oder in einer anderen Bedeutung gebraucht werden, durch eine neuhochdeutsche Übersetzung zu ersetzen, ist in der praktischen Anwendung nicht leicht nachzuverfolgen, da der mittelniederdeutsche Text und die Übertragung nicht zeilengenau übereinstimmen. Hier kann nicht immer erkannt werden, welche Passagen hierzu gehören sollen. Hansgeorg Engelkes Überlegungen zum Verfasser und zum Schreiber (S. 63 und 64) bestätigen die bisherige Forschung: belastbare Aussagen zu bestimmten Personen sind nicht zu machen. Lehmbergs Hinweis auf einen Ostfalen als Schreiber (S. 77) führt nicht weiter. Die Zitate zu den beiden Veröffentlichungen Wilhelm Ebels weichen in den Seitenzahlen zu ihren Vorlagen ab.

 

Maik Lehmberg behandelt als ausgewiesener Kenner des Mittelniederdeutschen die Sprache des Goslarer Ratskodex (S. 65-77). Er vermutet, dass in weiten Teilen des Ratskodex von einem Sprachstand vom Anfang des 14. Jahrhunderts auszugehen ist. Das Schreib-Ostfälisch des beginnenden 14. Jahrhunderts weist keinen mittel- oder hochdeutschen Einfluss auf.

 

Norbert Kron fügt eine Konkordanz gleichlautender oder ähnlicher Textstellen (S. 80-82) an, die zeigt, dass im Ratskodex an zahlreichen Stellen Wiederholungen erkennbar sind.

 

Leider lässt die Edition eine Konkordanz vermissen, welche die Textstellen des Ratskodex (jüngere Redaktion) in Vergleich zu den Textstellen der Ebelschen Edition (ältere Redaktion) stellt. Dadurch wäre darstellbar gewesen, wie sich die beiden Fassungen unterscheiden. Ohne eine Inhaltsübersicht beginnt Maik Lehmberg mit den Faksimiles des Ratskodex, der Transkription und der Übersetzung (S.83-621). Den Herausgebern ist für die aufwändige Beigabe von Abbildungen jeder Textseite zu danken; dies gerade in einer Zeit, in der oftmals Digitalisate auch die Beigabe von Abbildungen zu wissenschaftlichen Werken ersetzen sollen. Solange nicht die Langzeitspeicherung von Digitalisaten gewährleistet ist, ist gerade bei Werken, die einen Anspruch auf Langzeitwirkung erheben, der Druck noch das Medium der Wahl.

 

Frank Weissenborn und Maik Lehmberg haben dem Werk ein Glossar (S. 623-650) beigegeben. Spätestens seit dem Wörterbuch zur >Rechtssumme< Bruder Bertholds sind Standards der Ausführung derartiger Erläuterungshilfen gesetzt, die ein verantwortlicher Editor nicht mehr unterschreiten sollte, wenn seine Arbeit wissenschaftlichen Ansprüchen genügen will. Soll jedoch die Textbeigabe nur kommentierte bzw. kommentierende Lektürehilfe sein, so haben sich die beiden Bearbeiter redlich bemüht.

 

Das Literaturverzeichnis (S. 653-669) beschließt den Band. Seine Gliederung nach Quellen und Editionen, Wörterbücher und Nachschlagewerke sowie Forschungsliteratur berücksichtigt die Zitate aller Autoren der Einzelbeiträge. Sein beeindruckender Umfang relativiert sich, wenn man berücksichtigt, dass von mehrbändigen Sammelwerken (DRW, HRG) die Bände einzeln verzeichnet sind und andere Werke mal unter dem Bearbeiter (Georg Bode) und mal unter dem Bandtitel (UB Stadt Goslar) erscheinen. Verwunderlich ist es dann nicht mehr, wenn Frölichs Verfassung und Verwaltung abgekürzt als (1921) und (1921b) erscheinen. Da Autoren oft bei Neuauflagen ihre Werke überarbeiten, empfiehlt es sich, die jeweils neueste Auflage einer Forschungsarbeit zugrunde zu legen. Eckhardts Sachsenspiegel-Untersuchungen wurden 1973 in Aalen in 3. Auflage herausgegeben. Eisenhardts Rechtsgeschichte erschien 2008 in 5. Auflage, die 6. Auflage (2013) hat sich wahrscheinlich mit den Druckarbeiten am vorliegenden Werk überschnitten. Nicht erkennbar ist es, wie die Angabe von Nachdrucken durch den Herausgeber gehandhabt wurde: Bei Feine ist der Nachdruck des Jahres 1970 angegeben; bei Knöpp (Vaduz 1965) und Ortloff (Aalen 1967) fehlen die Angaben. Bei Benseler mischt der Herausgeber zwei unterschiedliche Werke: 1843 erschien Benselers Werk in einem Band mit 1036 Seiten. Die überarbeitete Auflage erschien 1846 (Bd. 1, 608 S.) und 1853 (Bd. 2, S.610-1317).

 

Für die Autoren ist es wohl ein Ärgernis, dass sie den Sonderdrucken ihrer Beiträge jeweils einen 40-seitigen Literaturanhang beigeben müssen, da anders die Fußnoten nicht verständlich sind. Ein kumuliertes Literaturverzeichnis ist bei einem derartigen Sammelwerk nicht die Vorgehensweise der Wahl.

 

Zu einem opulenten Bildband ohne den Anspruch einer wissenschaftlichen Nutzbarkeit gerät die Edition durch die Entscheidung des Herausgebers, auf die Beigabe eines Sachregisters und eines Wortregisters zu verzichten. Wer anhand dieser Edition über einzelne Rechtsinstitute in Goslar arbeiten möchte, ist gezwungen, sich die notwendigen Angaben aus den Seiten 84 bis 621 selber herauszuziehen. Es wäre schon ein einfacher Weg gewesen, das Sach- und Wortregister in Wilhelm Ebels Edition (S. 279-307) zur Grundlage zu nehmen und die Textstellen der vorliegenden Edition einzufügen. Bereits ein derartiges Einfachregister wäre erheblich wertvoller gewesen, als der gänzliche Verzicht auf den Versuch einer Erschließung eines so wertvollen Textes. Es ist schade, dass der Herausgeber sich der Mühe, die seine Vorgänger Göschen und Ebel mit viel geringeren technischen Möglichkeiten aufgewandt haben, nicht unterzogen hat. Dank dieser Entscheidung des Herausgebers behält die Edition durch Wilhelm Ebel weiterhin ihren wertvollen Platz bei der Erforschung des Stadtrechts von Goslar. Zusammenfassend muss man leider feststellen: ein großer Wurf wurde zu kurz geworfen.

 

Neu-Ulm                                              Ulrich-Dieter Oppitz