Marquardt, Bernd, Universalgeschichte des Staates - von der vorstaatlichen Gesellschaft zum Staat der Industriegesellschaft (= Der europäische Sonderweg 3). Lit, Berlin 2009. XXX, 751 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Marquardt, Bernd, Universalgeschichte des Staates - von der vorstaatlichen Gesellschaft zum Staat der Industriegesellschaft (= Der europäische Sonderweg 3). Lit, Berlin 2009. XXX, 751 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Bernd Marquardt (*1966) wurde in Sankt Gallen mit der 1999 veröffentlichten Dissertation über das römisch-deutsche Reich als segmentäres Verfassungssystem (1348-1806/48) promoviert, mit der er eine neue Verfassungstheorie auf der Grundlage der lokalen Herrschaften versuchte. Danach legte er seit seiner Habilitation (2003) eine Reihe gewichtiger Werke über Umwelt und Recht in Mitteleuropa - Von den großen Rodungen des Hochmittelalters bis in das 21. Jahrhundert (2003), die „Europäische Union“ des vorindustriellen Zeitalters (2005), und die alte Eidgenossenschaft und das Heilige Römische Reich (1350-1798) vor. Da er seit 2006 als Professor für Verfassungsrecht, Staatslehre, Politikwissenschaft und Rechtsgeschichte an der rechts-, politik- und sozialwissenschaftlichen Fakultät der Nationaluniversität Kolumbiens in Bogotá wirkt, stehen diesen Darstellungen gleichgewichtig Werke in spanischer Sprache und über Hispano-Amerika von 2008 und 2009 zur Seite.
Die Anregung zu einer Universalgeschichte des Staates geht auf den Vorschlag des Sankt Galler Historikers Rolf Peter Sieferle zurück, der im Jahre 2005 an den Verfasser mit dem Anliegen herangetreten war, für die universalhistorische Forschungsreihe „Der Europäische Sonderweg“ einen Band über die Entwicklung des modernen Staates zu schreiben. Unter Zeitdruck kam der Verfasser dieser Bitte 2006 mit dem Titel Staatsbildung - Geschichte einer Dreifachrevolution nach. Dem folgte in doppeltem Umfang 2007 eine spanischsprachige Fassung mit dem Titel Historia Universal del Estado, so dass der Verfasser das vorliegende Werk als eine völlig neu bearbeitete und erweiterte dritte Ausgabe der Öffentlichkeit darrreichen kann, welche insbesondere die berücksichtigte Literatur substanziell ausweitet und die Kapitelstruktur vervollkommnet.
Nach einem Vorwort Rolf Peter Sieferles, einem Prolog und einer Einführung gliedert der Verfasser seine umfangreiche, mit dem Bild des Kaisers aus einer Kölner Sachsenspiegelausgabe von etwa 1480 geschmückte, durch Abbildungen veranschaulichte, auf ein umfangreiches Verzeichnis von Quellen und Literatur gestützte Untersuchung in fünf chronologisch geordnete Abschnitte. Dem Beginn mit den vorstaatlichen Gesellschaften folgen agrarzivilisatorische dynastische Königreiche, der monarchische Friedens- und Justizstaat am Beispiel Europas (1495-1775), der Staat der aufgeklärt-industriellen Doppelrevolution (1766-2009) sowie der hinsichtlich des Weltfriedens, der Globalisierung, des inneren Umbaus, der Verdichtung, der Bewährungsproben für die Demokratie und der Zukunftsfähigkeit betrachtete Staat am Beginn seines sechsten Jahrtausends. Ein Sonderweg Europas wird dabei in dem ansprechenden, flüssig und eingängig formulierten kolossalen Universalgemälde, dessen Rahmen naturgemäß durch die Vorstellung vom Staat bestimmt wird, nicht vor 1800 bzw. 1775-1825 ausgemacht und überzeugend auch nicht als Präjudiz für die Zukunft angesehen.
Innsbruck Gerhard Köbler