Wolf, Michaela, Die vielsprachige Seele Kakaniens. Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848-1918. Böhlau, Wien 2012. 439 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Wolf, Michaela, Die vielsprachige Seele Kakaniens. Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848-1918. Böhlau, Wien 2012. 439 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Im Jahre 1921 begann Robert Musil seinen Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“, dessen erster Band 1930 erschien, dessen geplante zwei weitere Bände aber bis zum Tode des Verfassers im Jahre 1942 trotz eines Konvoluts von 12000 Blättern mit rund 100000 Anmerkungen nicht mehr abgeschlossen werden konnten. In diesem bedeutenden Werk bildete der Autor aus den bekannten Abkürzungen k. k. für kaiserlich-königlich bzw. k. u. k. für kaiserlich und königlich eine neue. ironische Bezeichnung für die österreichisch-ungarische Monarchie der Habsburger. Auf diese Benennung nimmt die als außerordentliche Professorin am Institut für Translationswissenschaft der Universität Graz tätige Verfasserin in ihrer überarbeiteten, in den Druck gegebenen Fassung ihrer 2011 abgeschlossenen Habilitationsschrift Bezug.
Den sachlichen Hintergrund hierfür stellt das habsburgische Babylon dar, als das sich der Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn - wie im Übrigen auch das osmanische Reich, Russland, die Sowjetunion, Jugoslawien oder Südafrika - bezeichnen lässt. Von seinen rund 50 Millionen Einwohnern sprach im Jahre 1910 nur ein knappes Viertel deutsch, während die übrigen drei Viertel als Umgangssprache Ungarisch, Tschechisch, Polnisch, Serbisch und Kroatisch, Rumänisch, Slowakisch, Slowenisch, Italienisch oder eine sonstige Sprache angaben. Dieser Befund ist für eine ausgebildete Translationswissenschaftlerin (und Romanistin) ein hervorragender, wenn auch geschichtlicher Ausgangspunkt.
Die Verfasserin gliedert ihre interessante, auf langjährige Einzelforschung gegründete Untersuchung in neun Kapitel. In ihnen behandelt sie die soziologische Verortung von Translation, Übersetzungstypologie, die habsburgische Vielsprecherei auf dem Buchmarkt, die translatorische Praxis, den habsburgischen Übersetzungsraum, den privaten Übersetzungsraum, die Übersetzungspolitik, die Übersetzungsstatistik und den Vermittlungsraum italienischer Übersetzungen, für den sie in einem gesonderten Verzeichnis schätzungsweise 300 Titel namhaft macht. Im Ergebnis kann sie dem Übersetzen und Dolmetschen eine wichtige kulturelle Funktion zuordnen. Darüber hinaus kann sie auch eine maßgebliche Wirkung hinsichtlich nationalitätenbezogener Spannungen nachweisen, wie sie sich gegen Ende des Untersuchungszeitraums besonders verhängnisvoll ausgewirkt haben.
Innsbruck Gerhard Köbler