Wejwoda, Marek, Sächsische Rechtspraxis und gelehrte Jurisprudenz. Studien zu den rechtspraktischen Teilen und zum Werk des Leipziger Juristen Dietrich von Bocksdorf (ca. 1410-1466) (= Monumenta Germaniae Historica. Studien und Texte 54). Hahn, Hannover 2012. XXIX, 318 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Wejwoda, Marek, Sächsische Rechtspraxis und gelehrte Jurisprudenz. Studien zu den rechtspraktischen Teilen und zum Werk des Leipziger Juristen Dietrich von Bocksdorf (ca. 1410-1466) (= Monumenta Germaniae Historica. Studien und Texte 54). Hahn, Hannover 2012. XXIX, 318 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Der Verfasser reichte im Wintersemester 2010/2011 unter dem Titel Dietrich von Bocksdorf (ca. 1410-1466). Ein gelehrter Jurist des Spätmittelalters zwischen Lehrstuhl und Rechtspraxis, Fürstendienst und kirchlicher Karriere seine von Enno Bünz angeregte und fast ein Jahrzehnt ausdauernd geförderte Dissertation bei der Fakultät für Geschichte, Kunst und Orientwissenschaften der Universität Leipzig ein. Aufgrund des großen Umfangs des1002 Seiten in drei Teilbänden umfassenden Typoskripts entschied er sich nach Annahme der gewichtigen Untersuchung durch die Fakultät für eine Veröffentlichung in vier Monographien. Nach den Werken Wejwoda, Marek, Die Leipziger Juristenfakultät im 15. Jahrhundert. Vergleichende Studien zu Institution und Personal, fachlichem Profil und gesellschaftlicher Wirksamkeit (= Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte 34). Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig in Kommission bei Steiner, Stuttgart 2012. 174 S. (Besprochen von Gerhard Köbler) und Wejwoda, Marek, Spätmittelalterliche Jurisprudenz zwischen Rechtspraxis, Universität und kirchlicher Karriere. Der Leipziger Jurist und Naumburger Bischof Dietrich von Bocksdorf (ca. 1410-1466) (= Education and Society in the Middle Ages and Renaissance 42). Brill, Leiden 2012. 468 S. (Besprochen von Gerhard Köbler) liegt nun auch der dritte Teilband des an hervorgehobenen Orten wirksam gestreut veröffentlichten, aber dadurch zugleich in seiner Einheit aufgelösten großen Werkes vor.
In seiner Einleitung bietet der Verfasser dementsprechend als erstes kurz Konturen der Biographie, die an anderem Ort ausführlicher dargestellt sind. Danach untersucht er Dietrich von Bocksdorfs rechtspraktische Arbeiten. Dabei beginnt er in seinem zweiten Abschnitt mit den quellenkritischen Grundlagen der Überlieferung.
Sehr zu Recht stellt er die von Hugo Böhlau 1860 benutzte, 561 Blätter umfassende, aus zwei Teilen zusammengesetzte Handschrift Nr. 26 der Domherrenbibliothek Zeitz an die Spitze. Sie enthält (bis zur Hälfte ohne erkennbare Ordnung) 355 im Umfang zwischen wenigen Zeilen und zehn Blättern schwankende, während des Abschreibens in verschiedenem Maße gekürzte, fast durchweg deutsche Texte (234 Parteischriften wie Klagen, Antworten, Gegenreden, Nachreden, Einreden oder Appellationen, 76 Urteile verschiedener mitteldeutscher Richter, Schiedsrichter oder Spruchgremien, 27 Rechtsgutachten sowie 18 sonstige Vertragsklauseln, Rechtsregeln, Briefe und Urkunden), von denen sich 342 Texte insgesamt 270 bestimmten Fällen bzw. Auftraggebern zuordnen lassen (im Höchstfall 8 Texte, in 224 Fällen nur ein Text), wobei ein sehr ausführliches zeitgenössisches Register mit 611 Einträgen den Inhalt erschließt. Zwar kann auch der Verfasser den von Böhlau erhofften Beweis einer Autorschaft Dietrich von Bocksdorfs in einem strengen Sinne nicht erbringen. Er macht aber in sorgfältiger Einzelbetrachtung wahrscheinlich, dass 342 Texte als Quelle für Dietrich von Bocksdorfs juristische Praxis verwendbar sind.
Im Anschluss hieran wendet er sich den ebenfalls von Hugo Böhlau erwähnten Informaciones domini ordinarii des Görlitzer Ratsarchivs (Varia 4) zu, deren bei Ende des zweiten Weltkriegs verschollene, von Friedrich Ebel 1982 wieder aufgefundene, 398 Blätter umfassende Handschrift derzeit in der Universitätsbibliothek Breslau unter der Signatur Ms. Mil. II 190 aufbewahrt ist. Überzeugend sieht der Verfasser eine heterogene Sammlung unterschiedlicher Texte. Bestätigt wird er durch eine bisher unbekannte teilweise Parallelüberlieferung in der Handschrift Nr. 15 der Zeitzer Domherrenbibliothek.
Auf Grund sorgfältiger Betrachtung geht der Verfasser davon aus, dass der Görlitzer Stadtschreiber Johannes Frauenburg 1469 den Auftrag zu einer Zusammenstellung von Texten erteilte, die Formulare für die Tätigkeit des Stadtschreibers und juristische Argumente sammeln sollte. Das Material hierfür könnte Johannes Frauenburg von seinem Studium im Leipzig zwischen 1451 und 1458 mitgebracht haben. Davon schreibt der Verfasser ansprechend nur die 45 Parteischriften und Gutachten der Informaciones Dietrich von Bocksdorf zu, die nicht in der Zeitzer Parallelüberlieferung enthalten sind.
Als drittes untersucht der Verfasser eine Sammlung 101er lateinischer Gutachten und Prozessschriften, die in den drei Handschriften Zeitz, Domherrenbibliothek Ms 35 drei Teile kurz vor 1460), München, Bayerische Staatsbibliothek Clm 14141 (drei Teile kurz vor 1460) und Wien, Österreichische Nationalbibliothek Cod. 5092 (Leipzig um 1457) überliefert ist. Er benennt sie nach Herkunft und Art Leipziger Informaciones Juris. Die Sammlung enthält 101 lateinische Stücke (71 Gutachten für Parteien oder Richter, 25 Prozessschriften und 5 andere Texte), von denen sieben sicher und die übrigen wahrscheinlich Dietrich von Bocksdorf zugeschrieben werden können.
Eine Sammlung achter Sprüche des Dietrich von Bocksdorf enthält weiter auch die Breslauer Summa der rechte weg gnannt (R 93-100). Dieses Werk wurde kurz vor 1484 von dem Patrizier, Ratsherren und Kaufmann Kaspar Popplau (um 1435-1499 geschaffen. Es ist nur in einer einzigen Handschrift überliefert.
Schließlich kann der Verfasser Dietrich von Bocksdorfs Tätigkeit als praktizierender Jurist in 24 Fällen in verschiedenartiger Einzelüberlieferung aus Subskription oder Autorenvermerk nachweisen. Davon stammen zwei Stücke aus seiner Hand. Abschriftlich überlieferte Stücke sind in verschiedenen Sammelhandschriften in Leipzig, Zeitz, München und Dresden und andernorts erhalten, ohne dass bei der Ermittlung Vollständigkeit erreicht werden könnte.
Die Einordnung dieser Zeugnisse ergibt, dass es deutlich ältere Einzelgutachten gelehrter Juristen, verlorene Ausstellersammlungen deutscher Juristen der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts und auch einzelne, etwas ältere Empfängersammlungen von Rechtsgutachten gibt. Die Leipziger Informaciones Juris und das Zeitzer Kopialbuch sind aber derzeit die ältesten erhaltenen Sammlungen rechtspraktischer Texte (Gutachten, Parteischriften, Urteilssprüche) eines einzelnen deutschen Juristen. Als solche haben die Leipziger Informaciones Juris mit drei erhaltenen und verschiedenen verlorenen Textzeugen sogar eine gewisse Verbreitung erfahren.
Zusammenfassend ermittelt der Verfasser 528 Texte, die sich 439 Fällen zuordnen lassen. Von den 375 lokalisierbaren Fällen betreffen 132 das Kurfürstentum Sachsen und 122 die Bistümer und Hochstifte im mittleren Deutschland. Mit weltlichen Fürsten sind 20 Fälle verbunden, mit Bischöfen 54, mit Städten und Bürgern 91, mit dem Niederadel 83 und mit bäuerlichen Gemeinden 40.
Auf dieser neuen Grundlage geht der Verfasser auf Dietrich von Bocksdorfs Werk ein, das sich nicht auf seine Tätigkeit als Berater, Gutachter und Richter beschränkt. Er beginnt mit dem Remissiorium über Sachsenspiegel-Landrecht, Sachsenspiegel-Lehnrecht und sächsisches Weichbild. Es ist in 20 ermittelten Textzeugen bekannt. Es stellt in alphabetischer Ordnung der Stichwörter Verweise auf Text und Glosse der verarbeiteten Rechtsbücher zusammen, wie dies auch für den etwas älteren Schlüssel des sächsischen Landrechts von 1421 (zweite Redaktion bis 1432), das Rechtsabecedar der 2200 Artikel sowie das Remissorium Tammo von Bocksdorfs gilt.
Gegenüber dem Werk seines Onkels hat Dietrich von Bocksdorf den Umfang seines Remissoriums auf 4300 bis 5250 Einträge fast verdreifacht. Dabei berücksichtigte er vor allem das gelehrte Recht stärker. Wahrscheinlich 1449 fertiggestellt ist das Remissorium durch Abschriften von 1452, um 1453 (2), 1455, 1460 (3), 1461, 1468 (2), 1475 und 1476 in unterschiedlichen Fassungen bezeugt und wurde noch vor 1482 gedruckt.
Als Arbeiten zur Erbfolge fasst der Verfasser danach die Sippzahlregeln, die Successio ab intestato per dominum ordinarium und die kasuistischen Erbfolgeregeln der Görlitzer Informaciones domini ordinarii zusammen. Davon sind die 1448 entstandenen Sippzahlregeln allein in etwa 30 bekannten Textzeugen überliefert. An Hand von Indizien spricht der Verfasser ihnen einen erheblichen praktischen Einfluss zu.
Als drittes Werk behandelt er die Gerichtsformeln. Vier der neun erhaltenen Textzeugen verbinden sie mit Dietrich von Bocksdorf. Sie sind in Leipzig vor dem oder in dem Jahre 1448 als neuartige, klar formulierte, leicht zu befolgende Hilfestellung entstanden und wurden ziemlich rasch verbreitet.
Auch die in zehn Textzeugen überlieferte Weise des Lehnrechts verbindet der Verfasser mit Dietrich von Bocksdorf, ohne allerdings einen anderen Verfasser vollständig auszuschließen. Behandelt wird dort die Weise, wie ein Lehnsherr seinen Lehnsmann beklagen soll. Vermutlich geht der Text auf eine Rechtsbelehrung in einem bestimmten Einzelfall zurück.
Als letztes fragt der Verfasser nach Dietrich von Bocksdorfs Beitrag zur Landrechtsglosse. Während das Ergebnis bezüglich des Einflusses Dietrich von Bocksdorf auf die Textentwicklung des Landrechts des Sachsenspiegels bescheiden gewesen sein dürfte, sind die Bocksdorfschen Additionen eine eigenständige Glossierung. Sie bestehen aus lateinischen und deutschen Zusätzen zum Text und zur Glosse des Sachsenspiegels, bieten Konkordanzen, Verweise und Worterklärungen und lösen Widersprüche mit Hilfe des römischen, kirchlichen und sächsischen Rechts auf.
Im vierten Abschnitt seiner sorgfältigen Untersuchung verbindet der Verfasser seine vielfältigen Einzelerkenntnisse zu einer Einheit. Ansprechend erkennt er ein beachtliches Eindringen der Schriftlichkeit in das sächsische Gerichtsverfahren ab etwa 1430, dessen Ursachen freilich noch zu benennen wären. Hieraus ergab sich eine wichtige Aufgabe für den an der Universität in der Jurisprudenz ausgebildeten Juristen. Da dieser das Gelernte auch anwandte, erfolgte fast zwangsläufig auch eine Juridifizierung der Praxis einschließlich eines allgemeinen Mentalitätswandels.
Im Rahmen dieser Entwicklung mag Dietrich von Bocksdorf nach Ansicht des Verfassers ein Vorreiter und herausragender Vertreter des neuen juristischen Tätigkeitsfelds im weltlichen Gericht gewesen sein, eine singuläre Erscheinung war er nach den Worten des Verfassers sicherlich nicht. Sein Erfolg dürfte darauf beruhen, dass er es geschickt verstand, die neue schriftliche Praxis und die gelehrten Rechte mit den hergebrachten Formen des einheimischen Gerichtswesens zu verbinden. Die Beantwortung der daraus entnommenen Frage, inwieweit diese Frühstadium der Rezeption des gelehrten Rechtes eine Verwissenschaftlichung im Sinne einer systematisierenden Durchdringung des überkommenen Rechtsstoffs durch juristische Begriffsarbeit und ihre Techniken mit sich bringt, überlässt der Verfasser am Ende seiner geglückten Untersuchung den Rechtshistorikern, für die er Dietrich von Bocksdorfs praktische Arbeiten in diesem Teil seiner Dissertation vorzüglich aufbereitet hat.
Innsbruck Gerhard Köbler