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Müller-Hill, Werner Otto, Man hat es kommen sehen und ist doch erschüttert. Das Kriegstagebuch eines deutschen Heeresrichters 1944/45, mit einem Vorwort v. Wette, Wolfram. Siedler, München 2012. 176 S.

Müller-Hill, Werner Otto, Man hat es kommen sehen und ist doch erschüttert. Das Kriegstagebuch eines deutschen Heeresrichters 1944/45, mit einem Vorwort v. Wette, Wolfram. Siedler, München 2012. 176 S.

 

Die Vielzahl der Einzelerscheinungen aller menschlichen Leben ist unermesslich. Deswegen sind daneben auch stets Verallgemeinerungen notwendig wie z. B. über das Wissen und Verhalten der Deutschen während der nationalsozialistischen Herrschaft zwischen 1933 und 1945. Ob oder inwieweit diese Verallgemeinerungen der Wirklichkeit entsprechen, ist eine nur an den Einzelerscheinungen zu überprüfende Frage, für die jedes einzelne Dokument seinen eigenen Wert hat.

 

Der Verfasser wurde in Freiburg im Breisgau 1885 geboren und war damit bei Beginn des zweiten  Weltkriegs 54 Jahre alt. Als Rechtsanwalt dieses Alters war er für die Kriegsführung im Felde kaum tauglich. Er konnte seinem Staate aber immerhin in der Kriegsgerichtsbarkeit dienen, weshalb er im Status eines Reserveoffiziers bis zum Herbst 1944 bei dem Feldkriegsgericht einer Ersatzdivision in Straßburg und danach bei dem Divisionsstab in Oberkirch und in Tübingen eingesetzt wurde, obwohl er nie der NSDAP oder einer ihrer Untergliederungen angehört hatte.

 

Sein vom 28. März 1944 bis zum 7. Juni 1945 reichendes, 150 Druckseiten umfassendes Tagebuch zeigt als wertvolle Einzelquelle dieser Zeit, dass der Oberstabsrichter während sich durch inländische wie ausländische Nachrichten selbständig über die Lage unterrichtete und daraufhin seine eigene Einschätzung bildete. Bereits im April 1944 rechnete er nach Ausweis seiner Aufzeichnungen mit einer Niederlage Deutschlands gegen die Alliierten, die sich bestenfalls verzögern ließ. Im Februar 1945 war ihm bewusst, dass die deutsche Wehrmacht zwar in ihren Berichten nahezu unaufhörlich siegte, die anderen aber im tatsächlichen Gelände, so dass er in klarer Erkenntnis der Wirklichkeit dem Nationalsozialismus als bedeutendste Tat als Tatsache bescheinigte, dass ein ganzes Volk - oder wenn man ihn und unbekannt viele andere Einzelne abzieht - fast ein ganzes Volk aufgehört habe zu denken.

 

Innsbruck                                                                   Gerhard Köbler