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Madeheim gegen Madeheim. Eine reichsdeutsche Scheidung. Berlin 1938, hg. v. Heide, Isabella von der. Pro-Universitate-Verlag (im Berliner Wissenschaftsverlag), Berlin 2011. 165 S. Besprochen von Werner Schubert.

Madeheim gegen Madeheim. Eine reichsdeutsche Scheidung. Berlin 1938, hg. v. Heide, Isabella von der. Pro-Universitate-Verlag (im Berliner Wissenschaftsverlag), Berlin 2011. 165 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Mit der vorliegenden Quellensammlung macht von der Heide die Originaldokumente des Scheidungsprozesses und des kirchenrechtlichen Dispensverfahrens ihrer Schwiegermutter aus den Jahren 1937 bis 1942 zugänglich. Im Mittelpunkt der Edition stehen die Schriftsätze der Anwälte der Ehefrau und des Ehemannes Madeheim. Zunächst wurde die Ehe der Parteien durch Urteil des Landgerichts Berlin vom 7. 10. 1937 aus Alleinverschulden des Ehemannes geschieden. Zu dieser Zeit galt noch § 1568 BGB a. F., wonach ein Ehegatte auf Scheidung klagen konnte, „wenn der andere Ehegatte durch schwere Verletzung der durch die Ehe begründeten Pflichten oder durch ehrloses oder unsittliches Verhalten eine so tiefe Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses verschuldet hat, dass dem Ehegatten die Fortsetzung der Ehe nicht zugemutet werden kann“. Das Alleinverschulden des Beklagten war nach dem Urteil darin zu sehen, dass dieser „sich fortgesetzt geweigert hat, mit der Klägerin normalen Geschlechtsverkehr auszuüben“. Insoweit stelle diese Weigerung „eine schwere Verletzung der durch die Ehe begründeten Pflichten dar“ (S. 65). Wie weit das Landgericht sich mit der Urteilspraxis zu § 1568 BGB auseinandergesetzt hat, ist nicht feststellbar. Nach der Kommentierung zu § 1568 im Reichsgerichtsräte-Kommentar durch RG-Rat Hallamik (8. Aufl., Bd. IV, 1935, S. 279) war „die Verweigerung der Beiwohnung“ nur dann Scheidungsgrund, „wenn sie hartnäckig (trotz Vorstellung) fortgesetzt wird und auf rücksichtslose Eigensucht, auf Böswilligkeit zurückzuführen ist“. Das Urteil vom 7. 10. 1937 wurde durch das Kammergericht durch Urteil vom 26. 1. 1938 aufgrund der Berufung des Beklagten dahin abgeändert, dass die Klägerin verurteilt wurde, die „eheliche Gemeinschaft mit dem Beklagten herzustellen“ (S. 108 ff.; vgl. § 1353 BGB).

 

Da seitens der Klägerin eine Wiederherstellung der ehelichen Gemeinschaft ausgeschlossen war, erhob der Ehemann bereits am 22. 3. 1938 Klage auf Scheidung der Ehe aus Alleinverschulden seiner Ehefrau, nachdem deren Prozessvertreter dem Rechtsanwalt des Mannes mitgeteilt hatte, diese werde die „Alleinschuld“ übernehmen. Die Ehescheidung erfolgte aufgrund einer mündlichen Verhandlung am 9. 8. 1938, in der die Beklagte durch einen Anwalt nicht mehr vertreten war und diese bei ihrer persönlichen Anhörung gemäß § 619 ZPO die Klagebehauptungen zugegeben hatte (S. 136). Die Scheidung der Ehe erfolgte aufgrund des am 1. 8. 1938 in Kraft getretenen Ehegesetzes nach den §§ 49, 60 EheG. Nach ihrem glaubhaften Zugeständnis habe die Beklagte erklärt, niemals zum Kläger zurückkehren zu wollen, „sie empfinde für ihn keinerlei Gefühle mehr außer denen einer gründlichen Abneigung“ (S. 136). In diesem Verhalten sah das Landgericht Berlin „eine schwere Eheverfehlung“, durch welche die Beklagte offenbar „die Ehe schuldhaft so tief zerrüttet hat, dass die Wiederherstellung einer ihrem Wesen entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht erwartet“ werden konnte“ (S. 136). Keinen Erfolg hatte auch das Dispensverfahren der Ehefrau vor dem Offizialat (S. 141ff.).

 

Die publizierten Urteile lassen so gut wie keine nationalsozialistischen Einflüsse erkennen (vgl. hierzu Maria Mammeri-Latzel, Justizpraxis in Ehesachen im Dritten Reich. Eine Untersuchung von Prozessakten unter besonderer Berücksichtigung der Ideologie des Nationalsozialismus, Berlin 2002; diese Untersuchung bezieht sich auf Ehesachen des Landgerichts Berlin und des Kammergerichts vornehmlich für die Zeit von 1943 bis Anfang 1945). Auffallend ist allerdings, dass sich das Urteil vom 1. 10. 1937 nicht mit der Literatur zu § 1568 BGB a. F. zur Frage der Verletzung der „Hingabepflicht“ auseinandergesetzt hat. Ob dies die Kammergerichtsräte getan haben, ist zu vermuten, wenn auch Belege hierfür nicht angeführt werden. Das zweite erstinstanzliche Urteil, das nach dem Ehegesetz 1938 erging, ist zwar knapp, aber wohl im Ganzen korrekt. Zu bedauern ist, dass die knappe Einleitung nicht näher auf den prozess- und materiellrechtlichen Hintergrund des Ehescheidungsverfahrens Madeheim gegen Madeheim eingeht, zumal sich dieser auch nicht aus den Schriftsätzen der Anwälte und den Urteilen ergibt. Mit Recht schreibt die Herausgeberin von der Heide, dass bei dem damals geltenden Schuldprinzip hinsichtlich des Scheidungsgrundes ihre Schwiegermutter „einen bitteren Weg durch die juristischen Instanzen“ gegangen sei. Abhilfe hätte auch nicht der Tatbestand des § 55 EheG (Zerrüttungsscheidung) bringen können, da die Parteien zum Zeitpunkt der Scheidung noch keine drei Jahre getrennt lebten. Insgesamt ist die Edition aus rechtsgeschichtlicher Sicht sehr zu begrüßen, da sie Quellen bringt, die nur selten allgemein zugänglich sind.

 

Kiel

Werner Schubert