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Die Urkunden der Markgrafen von Meißen und Landgrafen von Thüringen. Vierter Band 1235-1247, bearb. v. Graber, Tom/Kälble, Mathias (= Codex diplomaticus Saxoniae, erster Hauptteil Die Urkunden der Markgrafen von Meißen, Landgrafen von Thüringen, Herzöge und Kurfürsten von Sachsen, Abteilung A Die Urkunden von 948 bis 1380, Band 4). Hahnsche Buchhandlung, Peine 2014. XCVI, 479 S., 20 Taf. Besprochen von Wilhelm A. Eckhardt.

Die Urkunden der Markgrafen von Meißen und Landgrafen von Thüringen. Vierter Band 1235-1247, bearb. v. Graber, Tom/Kälble, Mathias (= Codex diplomaticus Saxoniae, erster Hauptteil Die Urkunden der Markgrafen von Meißen, Landgrafen von Thüringen, Herzöge und Kurfürsten von Sachsen, Abteilung A Die Urkunden von 948 bis 1380, Band 4). Hahnsche Buchhandlung, Peine 2014. XCVI, 479 S., 20 Taf. Besprochen von Wilhelm A. Eckhardt.

 

Als Otto Posse 1898 den bis 1234 führenden dritten Band des Codex diplomaticus Saxoniae veröffentlichte, schrieb er bereits im Vorwort: „der bis zum Jahre 1247 reichende vierte Band liegt zum Drucke vor.“ Aber der tatsächliche Stand der Arbeit war noch keineswegs so weit. Als Posse 1919/1920 seine Unterlagen an seinen Amtsnachfolger übergab, hat der Dresdener Archivdirektor Wolfgang Lippert, wie Matthias Werner in seinem Vorwort zum vierten Band zitiert, den rudimentären Zustand der Zettelsammlung mit folgenden Worten charakterisiert: „Der vorliegende Stoß von Abschriften verschiedenen Formats stellt das Manuskript des Cod. Dipl. Saxon. Haupttl. Bd. IV dar.“ In der Folgezeit hat es verschiedene Versuche gegeben, die Edition wieder in Gang zu bringen, doch sind sie alle gescheitert, wohl auch wegen der unzulänglichen Vorarbeiten.

 

Der Neubeginn kam erst 2008, als die Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig und das Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde e.V. in Dresden sich des Projekts annahmen. Das Ergebnis kann sich sehen lassen, denn der von Tom Graber und Mathias Kälble bearbeitete Band ist ein Musterbeispiel gründlicher Editionstätigkeit. Das ist auch gut so, denn die hier veröffentlichten Quellen sind sehr wichtig für die Geschichtsforschung, lassen sie doch einerseits die Weichenstellungen für die territoriale Entwicklung in Mitteldeutschland nach Aussterben der Ludowinger erkennen und haben sie andererseits neues Licht auf die Bedeutung Heinrich Raspes als deutscher Gegenkönig geworfen, wie vor allem in den Veröffentlichungen Matthias Werners zu erkennen ist. Davon ist in der Einleitung ausführlich die Rede.

 

Aus Marburger rechtshistorischer Sicht sollen hier drei Urkunden etwas näher betrachtet werden. Es handelt sich zum einen um Nr. 15, eine Urkunde Landgraf Konrads von Thüringen von 1235 für das Kloster Spieskappel (Ortsteil Frielendorfs im nordhessischen Schwalm-Eder-Kreis). Landgraf Konrad hatte bereits 1233 (O. Posse, CDS I A 3 Nr. 484) zugestimmt, dass das Kloster das in landgräflicher Jurisdiktion liegende Gut Leimsfeld (Ortsteil Frielendorfs) und die villa Snegelbiz (wüst in der Gemarkung Leimsfeld) an weltliche Bauern zu Waldrecht verpachtet (locare agricolis secularibus eo iure quod dicitur waltret), und hatte die Pächter von allen Abgaben an ihn befreit, außer 9 Pfennig und 1 Viertel Hafer an das landgräfliche Landgut Snegelbiz; die Pächter blieben aber zur Landfolge verpflichtet (generali necessitate provintie que dicitur lantvolga tenebuntur). 1235 bestimmte nun der Landgraf, dass die Pächter des Klosters in Leimsfeld auf den drei ungebotenen Thingen (tria plebiscita que dicuntur ungebotin) bei Kapitalverbrechen der landgräflichen Gerichtsbarkeit in Semidinberg, d.h. auf dem Sendberg nordwestlich Frielendorfs, unterworfen seien (coram nostris officialibus et scultetis in homicidiis et furtis, que capitalem meruerunt sentenciam, civili iusticie subiacebunt). Für Vernachlässigung der Landfolgepflicht wurden 6 ½ Pfennige beim nächsten Thing fällig. Sonstige Straftaten fielen unter die Jurisdiktion des Propstes von Spieskappel.

 

Zweitens geht es um die Bestätigung der Stadtrechte von Kassel 1239 durch Landgraf Hermann II. von Thüringen (Nr. 49). Die Ausfertigung dieser Urkunde ist nicht erhalten. Eine Kopie haben die Ratsherren von Kassel 1264 den Bürgern von Wolfhagen geschickt, eine unvollständige Abschrift aus dem Ende des 14. Jahrhunderts in einem Kopiar des Stadtarchivs Kassel ist 1943 verbrannt und die Abschrift in einem Kopiar des Staatsarchivs Marburg stammt erst aus dem 16. Jahrhundert. Dabei darf nicht übersehen werden, dass die Bestimmungen des Stadtrechts von 1239 als c. 1-2 und 4-9 auch in die Stadtrechtserneuerung Landgraf Ludwigs I. von Hessen von 1413 Eingang gefunden haben. Die lateinische Fassung von 1413 wird in Kopiar 4 des Hessischen Staasarchivs Marburg überliefert und ist von C. Ph. Kopp, Gerichtsverfassung 1, 1769, Beilagen Nr. 11 und 12 gedruckt worden, die deutsche Fassung ebenda in Kopiar 225 wurde gedruckt von G. Landau in ZHG 9, 1862. Zu den Kasseler Vorschriften gibt es zudem interessante Parallelen im Rheinfränkischen Landfrieden von 1176 (MGH, Const. I Nr. 277) und in den Stadtrechtsprivilegien für Braunschweig-Hagen von 1227 (F. Keutgen, Urkunden zu städtischen Verfassungsgeschichte, 1901, Neudruck 1965, Nr. 151), Hann. Münden von 1247 (R. Doebner, Die Städteprivilegien Herzog Otto des Kindes, 1882, S. 26f.), Witzenhausen von etwa 1265 (K. A. Eckhardt, Quellen zur Rechtsgeschichte der Stadt Witzenhausen, 1954, Nr. 12) und Grünberg von 1272 (C. Glaser, Beiträge zur Geschichte der Stadt Grünberg, 1846, Anhang Nr. 4).  Zu Kassel c. 2 vgl. Landfrieden c. 6 und 7, Braunschweig c. 7, Hann. Münden c. 3 und Grünberg c. 5, zu Kassel c. 3 vgl. Landfrieden c. 5 und 6, Braunschweig c. 5, Hann. Münden c. 4 und Witzenhausen c. 8.

 

Zum Schluss sei noch kurz auf die höchstwahrscheinlich von Wigand Gerstenberg gefälschte Stadtrechtserneuerung König Heinrich Raspes von 1246/1247 eingegangen. Gerstenberg berichtet sowohl in seiner Stadtchronik als auch in seiner Vorrede zum Frankenberger Stadtrechtsbuch, dass beim großen Stadtbrand vom 9. Mai 1476 das Stadtarchiv Frankenberg größtenteils verbrannt sei. Ich zitiere dazu aus meiner Edition „Das Frankenberger Stadtrechtsbuch“ (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 13, 8, 2014, S. 91): „Tatsächlich haben sich im Stadtarchiv Frankenberg 18 Urkunden von 1335 bis 1472 in Ausfertigung erhalten. Das ist im Vergleich zu anderen hessischen Städten dieser Größenordnung viel. Das Archiv der Stadt Allendorf an der Werra besitzt z. B. nur 14 Urkundenausfertigungen von 1318 bis 1472, davon allein 12 Urkunden der Pfännerschaft. Unter diesen Umständen sind größere Urkundenverluste in Frankenberg durch den Stadtbrand von 1476 eher unwahrscheinlich. Gerstenberg könnte diese Verluste auch erfunden haben, um seine eigenen Urkundenfälschungen zu verschleiern. Alle vor 1240 datierten Privilegien für Frankenberg sind jedenfalls von Gerstenberg frei erfunden worden, so die Karls des Großen und Konrads I., auf die Gerstenberg Bestimmungen des Frankenberger Stadtrechtsbuchs zurückführt.“ Die Vermutung der Bearbeiter von CDS I A 4, dass auch das Stadtrechtsprivileg Heinrich Raspes unecht sei, kann ich danach nur bekräftigen.

 

Marburg                                                         Wilhelm A. Eckhardt