Hundert (100) Jahre Christian Broda. Ein Leben im Zeichen großer Justizreformen – Symposium „100 Jahre Christian Broda“ 11. und 12. März 2016 in Wien, hg. v. Bundesministerium für Justiz. StudienVerlag Innsbruck 2017. 197 S. Besprochen von Werner Schubert.
Hundert (100) Jahre Christian Broda. Ein Leben im Zeichen großer Justizreformen – Symposium „100 Jahre Christian Broda“ 11. und 12. März 2016 in Wien, hg. v. Bundesministerium für Justiz. StudienVerlag Innsbruck 2017. 197 S.
Der Band vereinigt die auf dem vom österreichischen Bundesministerium der Justiz ausgerichteten Symposium „100 Jahre Christian Broda“ gehaltenen Ansprachen und Vorträge (11. und 12. 3. 2016). Broda – von 1960-1966 und von 1970-1983 österreichischer Justizminister – entstammte einer „wohlhabenden Familie mit jüdischen Wurzeln“ (S. 30) und hatte sich 1931 dem Kommunistischen Jugendverband angeschlossen. In der Nachkriegszeit – 1946 trennte er sich von der KPÖ – war er zunächst als Rechtsanwalt tätig (Mai 1949 Eintritt in die SPÖ). Von 1957 bis 1959 gehörte er dem Bundesrat und von 1959 an dem Nationalrat (Abgeordnetenkammer) an. Auf Broda gehen zahlreiche Reformgesetze zum Strafrecht, Familienrecht und Medienrecht zurück.
Der Band wird eröffnet mit den Ansprachen zum Festakt im Justizministerium (S. 9-45). Birgit Tschütscher (Abteilungsleiterin im BMJ) begrüßte zunächst die Teilnehmer des Festaktes. Es folgen Ansprachen von Hannes Jarolim (Rechtsanwalt, Abgeordneter für die SPÖ und deren justizpolitischer Sprecher im Nationalrat), von Wolfgang Brandstetter (Justizminister seit 2013) und von Heinz Fischer (Bundespräsident von 2004 bis Juli 2016), welch letzterer ausführlich auf seine Begegnungen mit Broda eingeht. Jarolim wies hin auf die „drei Credos“, die Broda „gelebt bzw. angewandt“ habe (S. 14): „Die Demokratie stehe und falle mit dem Demokratiebewusstsein der Menschen und der Gesellschaft“. Bei großen Vorhaben gebe „es kein Überstimmen, sondern nur ein Übereinstimmen“ (S. 14) und: „Es kann kein Strafgesetz und kein Familienrecht von 51% gegen 49% der Bevölkerung beschlossen werden“ (S. 14f.). Im „Festvortrag“ gibt Maria Wirth – Verfasserin einer umfangreichen Biografie über Broda – einen biografischen Überblick über diesen mit einer Skizzierung des gesellschaftlichen Klimas (S. 29-42). Zum Umfeld der Eltern gehörten Hans Kelsen – der Taufpate Christian Brodas – und Max Adler. Die Zeit vor dem „Anschluss“ verbrachte Broda mit einer intensiven „anti-nationalsozialistischen Propagandatätigkeit“ (im Krieg ebenfalls im Widerstand tätig). Ausführlich beschreibt Wirth die Tätigkeit Brodas als Justizminister und in der Opposition (1966-1970). Der Festakt wurde abgeschlossen mit den „Erinnerungen“ von Marcus Lutter an Broda (S. 63ff.), der an acht Deutschen Juristentagen teilgenommen hatte.
Das Symposium begann mit dem Vortrag Peter Kostelkas (SPÖ-Politiker. 2001-2013 Volksanwalt) mit dem Referat: „Der lange Weg von einer Anwaltschaft Öffentlichen Rechts zur Volksanwaltschaft“ (S. 51-64). Die Volksanwaltschaft besteht aus drei für jeweils sechs Jahre gewählten Mitgliedern, die insbesondere die Einhaltung der Menschenrechte und die Verwaltung vor allem aufgrund von Beschwerden zu kontrollieren haben. Von Susanne Reindl-Krauskopf (seit 2010 Professorin für Strafrecht und Strafprozessrecht Wien) und Roland Miklau (1970 Abteilungsleiter, 1987-2006 Leiter der Sektion für Strafgesetzgebung im BMJ) geht Reindl-Krauskopf näher ein auf die Fristenlösung für den Schwangerschaftsabbruch (seit 1. 1. 1975), auf die Forcierung der Geldstrafe zur Vermeidung kurzer Freiheitsstrafen in dem Strafgesetzbuch von 1975 und auf die Reform der Untersuchungshaft (bedingt obligatorische Untersuchungshaft, die allerdings nur zum Teil den Vorschlägen Brodas entsprach), während Miklau sich primär mit dem Verlauf der Strafrechtsreform unter Broda beschäftigt. Gerhard Hopf (1973-1980 Referent in der Abteilung des BMJ für Familienrecht) stellt die Reform des Familienrechts, Eherechts und Kindschaftsrechts nach den vier großen familienrechtlichen Gesetzen (1975-1978) dar und erörtert insbesondere die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die Partnerschaft in Ehe und Familie, das Kindeswohl, die Sicherung des Kindesunterhalts und die Reform des Ehescheidungsrechts. Das inzwischen wiederholt geänderte Ehegesetz von 1938 blieb mit der Möglichkeit der Verschuldensscheidung bestehen, ließ aber in § 55a eine einvernehmliche Ehescheidung zu (vgl. auch § 55 Abs. 3: Scheidung, wenn die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten seit sechs Jahren aufgehoben ist).
In ihrem Beitrag: „Die Familie zur Zeit Christian Brodas“ (S. 99ff.) gibt Getrude Brinek (Abgeordnete, Volksanwältin) einen Überblick über die Verbesserungen der Stellung der Frau seit den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts. Rudolf Forster (Institut für Soziologie der Universität Wien) und Jürgen M. Pelikan (Begründer des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Medizin und Gesundheitssoziologie) behandeln die Reform des Entmündigungsrechts durch das Sachwaltergesetz von 1983, das bei dem deutschen Betreuungsgesetz von 1990 Berücksichtigung fand, und die Reform des Anhalterechts (Unterbringungsgesetz) von 1990, die bereits Broda 1982 initiiert hatte. Eine sehr wichtige Reformmaterie war für Broda das Presserecht, das durch das Mediengesetz von 1981 grundlegend weiterentwickelt wurde, worüber Sepp Rieder (Strafrechtsabteilung des BMJ) und Gottfried Korn (Rechtsanwalt, Honorarprofessor Wien) ausführlich informieren. Für eine zeitgemäße Weiterentwicklung des Medienrechts im Sinne Brodas (Erweiterung des Umfangs medienrechtlicher Regelungen, Wiederbelebung des Gegendarstellungsrechts und Entkriminalisierung des Medienrechts) tritt Alfred Noll (Rechtsanwalt, Universitätsdozent) ein. Claudia Kuretsidis-Haider (Zentrale Forschungsstelle Nachkriegsjustiz) gibt einen Überblick über die Geschichte der Todesstrafe in Österreich, die nach der Bundesverfassung von 1920 aufgehoben war, jedoch 1933 wieder eingeführt wurde (1950 erneut Abschaffung der Todesstrafe im ordentlichen Strafverfahren). An der Totalabschaffung der Todesstrafe (auch im Militärrecht) im Jahre 1968 wirkte Broda maßgeblich mit.
An der Podiumsdiskussion am 12. 3. 2016 beteiligten sich u. a. Prof. Manfred Burgstaller (Universität Wien), Walter Hauser (Justizsprecher der ÖVP; ehemaliger Vorsitzender des Justizausschusses), der Sektionschef im BMJ Michael Neider, der unmittelbare Nachfolger Brodas im Bundesjustizministerium (1983-1986) und Sepp Rieder. Rieder hob hervor, dass für Broda Rechtspolitik immer auch Gesellschaftspolitik gewesen sei (S. 183). Hauser erinnerte daran, dass er zusammen mit Broda die einverständliche Scheidung durchgesetzt habe, während der ehemalige Nationalratsabgeordnete Keller das Familienrecht der Ära Broda als eine „wahnsinnig parlamentarische Leistung“ bezeichnete. Ohne die Verdienste Brodas schmälern zu wollen, setzt sich die Journalistin Anneliese Rohrer auch kritisch mit diesem auseinander.
Mit dem Symposiumsband liegt ein guter Überblick über die neueste Rechtsgeschichte Österreichs insbesondere für das Gebiet des Familienrechts, Strafrechts und Medienrechts vor. Die Beiträge des Bandes laden den deutschen Rechtshistoriker zu einem Rechtsvergleich mit der Rechtsentwicklung in der Bundesrepublik auf den genannten Rechtsgebieten ein und sind schon deshalb auch für den deutschen Leser eine lohnende Lektüre. Für den nicht österreichischen Leser wäre es hilfreich gewesen, wenn am Ende des Bandes die Autoren der Symposiumsbeiträge kurz vorgestellt worden wären.
Kiel
Werner Schubert