Posselt, Bernd, Konzeption und Kompilation der Schedelschen Weltchronik (= Schriften der Monumenta Germaniae Historica 71). Harrassowitz, Wiesbaden , 2015. LIV, 618 S. 16 Ill. Besprochen von Ulrich-Dieter Oppitz.
Posselt, Bernd, Konzeption und Kompilation der Schedelschen Weltchronik (= Schriften der Monumenta Germaniae Historica 71). Harrassowitz, Wiesbaden , 2015. LIV, 618 S. 16 Ill. Besprochen von Ulrich-Dieter Oppitz.
Mit der vorgelegten Arbeit, die 2012/2013 an der Ludwigs-Maximilians-Universität unter der Betreuung Claudia Wieners als Dissertation angenommen wurde, wird die Aufmerksamkeit wieder auf die 1493 in einer lateinischen und einer deutschen Ausgabe gedruckten Weltchronik Hartmann Schedels gelenkt. Zahlreiche druck- und buchwissenschaftsgeschichtliche Arbeiten sind in den vergangenen Jahren zu diesem Druck erschienen und im Literaturverzeichnis (S. XXI-LIV) sorgfältig nachgewiesen. Durch diese Studien sind wir über die Entstehungsgeschichte der Drucke, die Autoren und Mitautoren, die Schöpfer der Holzschnitte, Auflagenhöhe, Anzahl der heute noch erhaltenen Exemplare und das handschriftlich überlieferte Material in Archiven und Bibliotheken in einer Detailgenauigkeit informiert, wie kaum bei einem anderen Frühdruck.
Die Ergebnisse der bisherigen Forschung stellt Posselt seiner Studie voran. Bei der Grundkonzeption folgte Schedel Giacomo Forestis Supplementum chronicarum und Werner Rolevincks Fasciculus tempororum. Durch ihren Umfang (größer als DIN A 3, 326 bzw. 297 Blätter) und die zahlreichen Abbildungen (1803/1804) war die Weltchronik die bedeutendste Inkunabel. In über 2100 einzelnen Artikeln, vom Prolog als Einleitung des sechstägigen Schöpfungswerkes bis zur Verherrlichung Kaiser Maximilians, mit der das sechste Weltalter die Gegenwart erreicht, reihen sich Personenbiographien, Stadtbeschreibungen und Artikel zu Zeit-, Religions- und Institutionengeschichte, Geographie und Wunderberichten aneinander. Die bisherigen Analysen haben für rund 1300 Artikel die Herkunft geklärt, für nahezu 500 weitere Artikel sind die Vorlagen zumindest in Teilen bekannt (S. 74). Seit der Münchner Dissertation (1899) von Michael Haitz sind die Quellen und Vorlagen der Weltchronik nicht mehr im Detail untersucht worden. Haitz hat in seiner Arbeit, die trotz ihrer Kürze (72 Seiten) bis heute als überaus beachtliche Leistung immer wieder Beachtung gefunden hat, sein Interesse der Zeit von Papst Alexander III. bis Kaiser Maximilian I. (Blätter 202v bis 258v des lateinischen Druckes) gewidmet. Posselt untersucht demgegenüber die gesamte Weltchronik und ihre Quellen. Bereits im ersten Jahre nach dem Druck gab Johannes Trithemius den ersten Hinweis auf eine der Vorlagen zur Weltchronik (S. 58).
Posselt zieht für seine Arbeit an dem lateinischen Druck die Inkunabeln der Werke heran, die Schedel für seine Kompilation zur Verfügung standen. Der Verfasser bedient sich für die Feststellung der Vorlagen der Datenbankanalyse. Die Plagiatsforschung hat wohl für derartige Untersuchungen Modelle entwickelt; interessant wäre es zu erfahren, ob sie auch für eine derartige Kompilationsforschung nutzbar gemacht werden können. Die unterschiedlichen Verarbeitungsschritte zur Kompilation werden auf makrostruktureller und mikrostruktureller Ebene beschrieben (S. 102). Die unterschiedlich weitgehende Übernahme von Textteilen wird dargelegt; sie geht aus von einer identischen Übernahme des Textes, über eine Kompilation aus einer einzigen Vorlage zum additiven Prinzip mit Textbausteinen unterschiedlicher Vorlagen zur konstruktiven Verschränkung von Elementen mehrerer Vorlagen. Unterschiedlich handhabt Schedel die Übernahme von Texten und Textelementen: manchmal markiert er eine Übernahme ausdrücklich, in anderen Fällen der unmarkierten Übernahme konnte Schedel davon ausgehen, dass die zeitgenössischen Leser die übernommene Vorlage kannten, was gerade für Übernahmen aus antiken Autoren zu beachten ist (S. 128). Gerade die Übernahme aus Schriften italienischer Humanisten soll die Aneignung ihrer Themen und Methoden in die eigene Umwelt und das Reich außerhalb Italiens zeigen. Bei der differenzierten Auswertung von Typen der Artikel zeigen sich die 227 Papstbiographien aus eineinhalb Jahrtausenden (S. 169 - 231) als eine in hohem Maße kohärente Gruppe von Texten. Mit über 150 Blättern umfassen sie beinahe die Hälfte des Werkes. Schedel vereinheitlicht die meist nach Bartolomeo Platina Vitae pontificum gestalteten Biographien mit einer Nivellierung in der Charakteristik der geschilderten Personen. Konstanz des Textbestandes und Konstanz des Textschemas sind als bewusste Verarbeitung in der Kompilation zu bewerten. Für die Stadtbeschreibungen (S. 232 - 365) fehlt es an systematischen Vorlagen wie sie bei den Papstbiographien vorliegen. Das Städtelob (laus urbis) ist zwar seit der Antike ein vergleichsweise weit verbreiteter Topos. Schedel orientierte sich an den historisch-topographischen Schriften Biondo Flavios, besonders für Italien, Forestis Stadtbeschreibungen und Enea Silvio Piccolomini chorographischen Schriften. Am Beispiel eines neu entdeckten Blattes zur Beschreibung Bambergs (Bay. Staatsbibliothek München, in Clm 476) kann Posselt überzeugend die Vorgehensweise Schedels bei der Verarbeitung einer Vorlage Piccolominis zeigen (S. 338 – 345; Abb. 7). Bei anderen Städtebeschreibungen sind Schedels eigene Formulierungen ebenfalls ausgeprägt, was sich besonders bei der Beschreibung Nürnbergs (S. 345 - 365) zeigt, für die keine Vorlage erkennbar ist. Entgegen gesicherter historischer Kenntnis wird Nürnberg als eine römische Gründung beschrieben; damit ist eine nahe Gemeinschaft mit Augsburg und Köln darzustellen; seit Karl dem Großen ist Nürnberg dem Reich eng verbunden und daraus erwächst die Bedeutung als Reichsstadt. Die Verknüpfung von historischen Versatzstücken mit zeitgeschichtlich Wünschenswertem ist eine überaus gelungene Analyse von Schedels Text. Rolevincks Vorbild als Geschichtskompendium gilt ein Kapitel (S. 366 – 378). Der Zusammenfassung der gewonnenen Erkenntnisse (S. 408 – 416) folgt als Anhang I Übersicht über Inhalt und Vorlagen der Weltchronik (S. 422 – 513). Hier werden die gewonnenen Ergebnisse der Vergleichung dargestellt und die noch zu erforschenden Passagen beschrieben. Anhang II Textsynopsen (S. 514 – 582) stellt anhand einzelner Stadtbeschreibungen und Papstbiographien die Vorgehensweise bei der Bestimmung von Kompilationsstücken vor. Die Fülle der in den Anhängen gegebenen Informationen lässt nur erahnen, welche Arbeit der Autor geleistet hat. Zuverlässig gearbeitete Register der Handschriften, Inkunabeln und Archivalien und der Namen beschließen den Textteil der Arbeit. Die Abbildungen zeigen einzelne Blätter aus der Weltchronik und Abbildungen, die für die Entstehungsgeschichte des Werkes und für seine Quellen von Belang sind. Für die weitere Forschung zu Schedels Weltchronik ist eine überaus wertvolle Arbeitsgrundlage geschaffen worden.
Neu-Ulm Ulrich-Dieter Oppitz