Kästner, Alexander, Tödliche Geschichte(n). Selbsttötungen in Kursachsen im Spannungsfeld von Normen und Praktiken (1547-1815) (= Konflikte und Kultur - Historische Perspektiven Band 24). UVK, Konstanz 2012. XII, 676 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Kästner, Alexander, Tödliche Geschichte(n). Selbsttötungen in Kursachsen im Spannungsfeld von Normen und Praktiken (1547-1815) (= Konflikte und Kultur - Historische Perspektiven Band 24). UVK, Konstanz 2012. XII, 676 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Das Leben ist eines der großen Geheimnisse, denen sich der Mensch gegenüber sieht. In seinem Beginn wie in seinem Ende ist es letztlich für ihn unergründlich. Dementsprechend geheimnisvoll behandelt der Verfasser den einfachen Sachverhalt tatsächlicher Selbsttötungen in Kursachsen zwischen 1547 und 1815 auch unter dem Titel tödliche Geschichte(n).
Das seiner Familie gewidmete umfangreiche Werk ist die von Gerd Schwerhoff betreute und begutachtete, von der philosophischen Fakultät der Technischen Universität angenommene Dissertation des als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Geschichte der frühen Neuzeit in Dresden tätigen Verfassers. Es befasst sich mit dem Umgang der Mitmenschen mit der Tötung eines Menschen durch die eigene Hand, die auch in der Gegenwart vielfältige Empfindungen hervorruft. Im Gegensatz zu einem Recht auf Leben ist ein Recht auf den Tod vielfach stärksten Zweifeln ausgesetzt.
Der Verfasser, der seine Einleitung mit dem etwa 50jährigen Häusler Peter Lehmann, der sich in Klein Seydau am 22. August 1763 in seiner Scheune erhängte, weil er in Sorge war, wie er das reichlich auf dem Feld stehende Getreide angesichts der Krankheit von Frau und Tochter einbringen könnte, als dem ersten ihm begegnenden frühneuzeitlichen ,Selbstmörder’ beginnen lässt, gliedert seine eindringliche, auf umfangreiche ungedruckte Quellen gestützte Untersuchung in drei Teile. Sie betreffen das Problem einer historischen Rekonstruktion von Suizidmotiven, die Normen und Praktiken im Umgang mit Selbsttötungen im 16. und 17. Jahrhundert und die Implementierung von Normen zum Suizid in Kursachsen im 18. Jahrhundert (Selbstmordmandat von 1779). Am Ende seiner ausführlichen Darlegungen gelangt er zu der ansprechenden Erkenntnis, dass weder für den Bereich der Normen noch für den alltäglichen Umgang mit ,Selbstmördern’ in Kursachsen von einer Entkriminalisierung von Selbsttötungen am Ende der frühen Neuzeit auszugehen ist.
Innsbruck Gerhard Köbler