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Heither, Dietrich/Schulze, Adelheid, Die Morde von Mechterstädt 1920 – zur Geschichte rechtsradikaler Gewalt in Deutschland. Metropol, Berlin 2015. 527 S., Ill. Besprochen von Ulrich-Dieter Oppitz.

Heither, Dietrich/Schulze, Adelheid, Die Morde von Mechterstädt 1920 – zur Geschichte rechtsradikaler Gewalt in Deutschland. Metropol, Berlin 2015. 527 S., Ill. Besprochen von Ulrich-Dieter Oppitz.

 

Beinahe einhundert Jahre ist es her, seit am Morgen des 25. März 1920 Marburger Studenten als ‚Zeitfreiwillige‘ der Reichswehr bei Mechterstädt zwischen Eisenach und Gotha 15 gefangen genommene Männer angeblich ‚auf der Flucht erschossen‘. Die Verletzungen der Getöteten waren so brutal, dass die Taten schon unmittelbar danach als vorsätzliche Tötungen zu erkennen waren. Die Ereignisse und die Gerichtsverfahren gegen die beteiligten Studenten sind schon mehrfach dargestellt worden. Sie haben in ihrer Zeit großes Aufsehen erregt und galten als Beweis einer einseitigen Justiz, die Tatverdächtige aus dem rechten Spektrum nachsichtig schonte und Verdächtige aus dem linken Spektrum mit hohen Strafen belegte. Die Verfasser haben die Ereignisse und die Reaktionen darauf unter Darlegung der verschiedenen Quellen umfassend und einprägsam geschildert. Dem Textteil (S. 1-399) folgt ein Dokumentenanhang (S. 401-482) mit 48 Dokumenten. Die Arbeit konnte besonders aus den Nachlässen des späteren Bundesministers und Bundespräsidenten Dr. Dr. Gustav Heinemann (1899-1976), des späteren Bundesministers Ernst Lemmer (1898-1970), des Rechtsanwalts Dr. Walter Lütgebrune (1879-1949) und des Führers der Studentenkompanie Marburg, Fregattenkapitän a. D. Bogislaw von Selchow (1877-1943) schöpfen. Die Dokumente heterogener Herkunft geben ein geschlossenes Bild der Ereignisse. Sie werden durch Funde aus weiteren Archiven ergänzt. Beteiligte haben in zahlreichen Druckwerken ihre Sicht der Ereignisse dargelegt, diese Arbeiten sind im umfassenden Literaturverzeichnis zuverlässig nachgewiesen.

 

Dem Textteil vorangestellt sind Erinnerungen an Prof. Dr. Emil Julius Gumbel (1891-1966), einen vehementen Kritiker der einseitigen Justiz in der Zeit der Weimarer Republik, durch Rechtsanwalt Heinrich Hannover. In einer umfassenden Aufstellung der in den ersten Jahren der Weimarer Republik begangenen politischen Morde, die Gumbel 1924 herausgab, nachdem sie nicht, wie es ursprünglich geplant war, als Drucksache des Reichstages gedruckt wurde, gab er eine umfangreiche Beschreibung des Mechterstädter Arbeitermordes und der nachfolgenden Justizfarce. Nach einem Überblick über Marburger Verhältnisse und Verbindungen nach der Novemberrevolution folgt eine kurze Darstellung zur Wehrpolitik und Militärpolitik der Sozialdemokraten in den Jahren von 1918 bis 1920. Bei der Darstellung der Differenzen zwischen Mehrheitssozialisten einerseits und USPD und KPD andererseits zeigt der Verfasser, dass ihm die Standpunkte der Letzteren überzeugender erscheinen. Bemerkenswert an den Ausführungen ist, dass die nach dem Kriegsende abgeschaffte Kriegsgerichtsbarkeit unter dem Reichswehrminister Noske wieder eingeführt worden ist. Bei der folgenden Schilderung der  Geschichte des Marburger Studentenkorps können die Verfasser darlegen, in welcher Weise die Leitung der Universität Marburg und die Vertreter der Reichswehr in Marburg und Kassel diese Organisation für den Fall bürgerkriegsähnlicher Entwicklungen unterstützt haben. Allen war hierbei bewusst, dass die Aktivitäten der Studenten und der anderen Beteiligten gegen die Waffenstillstandsauflagen verstießen. Als dann 1920 der Kapp-Lüttwitz-Ludendorff-Putsch das Deutsche Reich bewegte, stellten sich die Studenten dieser Organisation mehrheitlich auf die Seite der Putschisten. Eine kleine Gruppe aus der Volkskompanie, zu der Heinemann, Lemmer, Viktor Agartz und andere gehörten, suchten die Aktivitäten und später die Tötungen in Thüringen und reichsweit bekannt zu machen, doch befanden sie sich in eindeutigem Gegensatz zur weit verbreiteten öffentlichen Meinung, die diese Aktivitäten billigte. In den Folgekapiteln werden die Ereignisse und die sich anschließenden Gerichtsverfahren detailgenau nachgezeichnet. Diese Schilderungen zeigen überaus deutlich, dass schon im Frühjahr 1920 die Mehrzahl der Rechtsverstöße allgemein bekannt war. Funde in den 1990er Jahren, insbesondere im Nachlass des Rechtsanwalts Lütgebrune, die überaus enge Beziehungen des Rechtsanwalts zu Richter und Staatsanwalt durch Briefe belegten, überraschten nicht mehr, sie bestätigten nur noch das schon früher vernutete enge Verhältnis. Durch die Mitarbeit der für Thal tätigen Archivarin Schulze können die Folgen in dem kleinen Ort über die Jahrzehnte seit den Tötungen dargestellt werden. Beschämend ist es zu sehen, in welche Not Familien der Getöteten gerieten, ohne dass ihnen von Seiten des Staates geholfen wurde. An den Personen Lütgebrune, Otmar Freiherr von Verschuer, dem Adjutatnten von Selchows, und des ‚Chronisten‘ Karl Schaumlöffel zeigen die Verfasser, wie für sie der weitere Lebensweg als Unterstützer der NSDAP verlief. Die Schilderung der Zeit nach 1945 und die Erinnerung an die Tötungen zeigt die unterschiedliche Betrachtung in beiden Teilen Deutschlands. Es überrascht wenig, dass sich selbst nach 1990 noch Verfasser aus dem Bereich der studentischen Korporationen schwer damit tun, anhand der nicht zu bestreitenden Quellenüberlieferung zu sagen: Ja, es war unrecht, was Vorgänger aus unseren Verbindungen 1920 getan haben.

 

Wenn auch die Wertungen des Buches nicht in allen Punkten zu teilen sind, so liegt hier doch eine Quellenübersicht und Dokumentenübersicht vor, die als beispielhaft angesehen werden kann.

 

Neu-Ulm                                                                                                       Ulrich-Dieter Oppitz