Bähr, Johannes/Kopper, Christopher, Munich Re – die Geschichte der Münchener Rück 1880-1980. Beck, München 2015. 463 S., 38 Abb., 2 Graf., 10 Tab. Besprochen von Werner Schubert.
Johannes Bähr/Christopher Kopper: Munich Re – die Geschichte der Münchener Rück 1880-1980. Beck, München 2015. 463 S., 38 Abb., 2 Graf., 10 Tab.
Die Geschichte der Münchener RückversicherungsAG (MR), die schon vor dem Ersten Weltkrieg der größte Rückversicherer der Welt war, ist auch für den Aktienrechtshistoriker, der sich mit der Praxis des Aktienrechts befasst, von Interesse. Rückversicherungen auf dem Gebiet des Seerechts sind seit dem 14. Jahrhundert bekannt und waren auch in dem inzwischen weggefallenen § 779 HGB ausdrücklich aufgeführt. Als erste Rückgriffsgesellschaft der Welt wurde 1846 die Kölnische Rück gegründet, die 1852 den Geschäftsbetrieb aufnahm. Nach der Gründung der heute zweitgrößten Rückversicherung, der Schweizer Rück im Jahre 1863. entstand die Münchener Rückversicherungs-AG Anfang 1888. Die Gründung erfolgte durch Carl von Thieme, den Generalagenten der Thuringia, und weitere Industrielle und Finanziers (insbesondere Banken). Da eine Ausdehnung des Geschäftsbereichs der Münchener Rück auf direkte Unfallversicherungen nicht möglich war, wurde auf Initiative Thiemes und Wilhelm Finks als ersten Aufsichtsratsvorsitzenden der Münchener Rück bis 1922, 1889 die Allianz-Versicherungs-AG gegründet (S. 48). 1921 schlossen die beiden Gesellschaften einen später abgeänderten Gemeinschaftsvertrag, der bis 2003 bestand und die Allianz verpflichtete, ihre Verträge ausschließlich, später nur noch teilweise „bei der Münchener Rück in Rückdeckung zu geben“ (S. 8f., 116f.). Ab 1892 erschloss Carl Schreiner den Markt der Vereinigten Staaten von Amerika für die Münchener Rück, die an der Regelung des Großschadens in Baltimore (1904) und der Brandschäden und Erdbebenschäden in San Francisco beteiligt war (S. 65ff.).
Im Ersten Weltkrieg verlor die Münchener Rück ihre wichtigsten Auslandsmärkte, die ihr aufgrund des Versailler Vertrags für längere Zeit verschlossen waren. Nachdem die Vereinigten Staaten von Amerika 1923 einen Teil ihres Vermögens freigegeben hatten, gründete die Münchener Rück in Zürich die Union Rück (S. 120ff.), durch die sie das internationale Vertrauen zurückgewann. In der NS-Zeit profitierte die Münchener Rück von den Stornierungen aufgelöster Lebensversicherungen jüdischer Versicherungsnehmer und von NS-Geschäften. In den von Deutschland beherrschten Ländern hat die Münchener Rück, von der Übernahme der Čechoslavia (S. 216ff.) abgesehen, keine Konkurrenten übernommen. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte der Münchener Rück ab 1950 wieder Auslandsgeschäfte tätigen (bereits 1947 Gründung einer deutsch-französischen Gesellschaft). Mitte der 1950er Jahre begründete die Münchener Rück eine Tochtergesellschaft in den Vereinigten Staaten von Amerika (US Branch), 1947 eröffnete sie in London wieder ein eigenes Büro. In den 1960er Jahren richtete sie auch Außenstellen in Asien (Japan, Indien) ein. Nach 1970 erlangte die Münchener Rück wieder ihre Stellung als größte Rückversicherung der Welt zurück. Die Untersuchungen Bährs und Koppers gehen insbesondere der Frage nach, „mit welchen Strategien sich die Münchener Rück gegen externe Schocks wie Inflation, Einschränkungen des Geld- und Kapitalverkehrs und Währungsschwankungen abzusichern versuchte“. Insbesondere untersuchten sie die „Anlagestrategie des Unternehmens, das in Inflationskrisen auf die Anlage in festverzinslichen Wertpapieren setzte und die Zahlungsverpflichtungen in schwankenden Fremdwährungen durch Geldanlagen in gleichen Währungen abdeckte“ (S. 11). Aufgezeigt wird, wie die Münchener Rück durch Einrichtung von Abteilungen die Bewertung neuer Risiken (u. a. Erdbeben, Stürme) ausbaute. Die Untersuchungen der Autoren enden mit dem Jahre 1980. Eine weitere Ausdehnung der Untersuchungen „hätte nicht auf der Grundlage von Unternehmensakten und mit der nötigen zeitlichen Distanz geschrieben werden können“ (S. 12).
Aus rechtshistorischer Sicht ist insbesondere die Beteiligung des Vorstandsvorsitzenden Wilhelm Kißkalt an der Aktienrechtsreform von 1937 von Interesse. Nach Thieme war Kißkalt von 1922 bis 1937 Vorstandsvorsitzender der Münchener Rück, der er ab 1909 auf Vorschlag des Mitbegründers der Münchener Rück und Inhabers der renommierten Münchener Anwaltskanzlei Hermann Pemsel angehörte. Der Eintritt Kißkalts in die NSDAP beruhte auf seiner „absolut freiwilligen Entscheidung“ (S. 151). Als Mitbegründer der Akademie für Deutsches Recht erhielt er den Vorsitz im Ausschuss für Aktienrecht (Januar 1934-1936). Kißkalt neutralisierte mit den Beratungen des Aktienrechtsausschusses die radikalen Vorschläge des Nationalsozialismus zur Aktienrechtsreform und verhinderte zusammen mit dem Reichswirtschafts- und dem Reichsjustizminister eine Totalreform des Aktienrechts im nationalsozialistischen Sinne. Die Beratungen des Ausschusses fanden in den Räumen der Münchener Rück statt, in der auch die gedruckten umfangreichen Protokolle angefertigt worden sein dürften. Die beiden Ausschussberichte Kißkalts – einem exzellenten Juristen – von 1934/1935 sind immer noch lesenswert. An den abschließenden Beratungen des Aktienrechtsausschusses am 22. 10. 1936 nahm auch der frühere Reichswirtschaftsminister Kurt Schmidt (1933-1935) teil, der von 1938 bis 1945 Vorstandsvorsitzender der Münchener Rück war (zu seiner Entnazifizierung S. 252f.). Schmidt, der mit Göring befreundet war, wandte sich gegen eine Verstaatlichung der Erstversicherer, die insbesondere von dem pommerschen Gauleiter Franz Schwede-Coburg ausging (S. 184ff.). An den Beratungen des Aktienrechtsausschusses nahm mehrfach teil auch Alois Alsheimer (1936 bis 1945 Vorstandsmitglied, 1950-1968 Vorstandsvorsitzender der Münchener Rück), an Beratungen des versicherungsrechtlichen Ausschuss beteiligte sich Hans Goudefroy (1937 Leiter der Rechtsabteilung der Münchener Rück; vgl. W. Schubert, Akademie für Deutsches Recht 1933-1945. Protokolle der Ausschüsse, 2002). Im Übrigen ist anzunehmen, dass sich die Münchener Rück zumindest verbandsintern an der Aktienrechtsreform von 1965 beteiligt hat.
Das Werk Bährs und Koppers lässt nur wenige Wünsche offen. Von rechtshistorischer Seite wäre es von Interesse gewesen, ob und inwieweit die großen Aktienrechtsreformen von 1937 und 1965 für die Unternehmensverfassung der Münchener Rück von Bedeutung waren. Hilfreich wäre es gewesen, wenn auch Teil III (1945-1980) Tabellen über die Geschäftsentwicklung der Münchener Rück gebracht hätte. Das Gleiche gilt für ein Verzeichnis der Vorstandsmitglieder und des Aufsichtsratsvorsitzenden mit genauen Datumsangaben. Vielleicht hätte auch noch die rechtstechnische Seite der Rückversicherung etwas breiter erläutert werden sollen. Mit den Untersuchungen Bährs und Koppers liegt eine detailreiche Geschichte der Münchener Rück, des größten Rückversicherers Deutschlands und der Welt vor, auf der weitere Untersuchungen zur Rechtsgeschichte dieser Versicherungsform aufbauen können.
Kiel
Werner Schubert