AAAKöbler, Gerhard, Graf in Bismarcks Gedanken und Erinnerungen, 2016
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Abs. 11 [1-5] Beschaffenheit der preußischen Diplomatie. gab an sich einen Vorzug. Die an den kleinen Höfen erwachsenen, in den preußischen Dienst übernommnen Diplomaten hatten nicht selten den Vortheil größrer assurance in höfischen Kreisen und eines größern Mangels an Blödigkeit vor den eingebornen. Ein Beispiel dieser Richtung war namentlich Herr von Schleinitz. Dann finden sich in der Liste Mitglieder standesherrlicher Häuser, bei denen die Abstammung die Begabung ersetzte. Aus der Zeit, als ich nach Frankfurt ernannt wurde, ist mir außer mir, dem Freiherrn Karl von Werther, Canitz und dem französisch verheiratheten Grafen Max Hatzfeldt kaum der Chef einer ansehnlichen Mission preußischer Abstammung erinnerlich. Ausländische Namen standen höher im Kurse: Brassier, Perponcher, Savigny, Oriola. Man setzte bei ihnen größere Geläufigkeit im Französischen voraus, und sie waren "weiter her", dazu trat der Mangel an Bereitwilligkeit zur Uebernahme eigner Verantwortlichkeit bei fehlender Deckung durch zweifellose Instruction, ähnlich wie im Militär 1806 bei der alten Schule aus Friedericianischer Zeit. Wir züchteten schon damals das Offiziersmaterial bis zum Regiments-Commandeur in einer Vollkommenheit wie kein andrer Staat, aber darüber hinaus war das eingeborne preußische Blut nicht mehr fruchtbar an Begabungen wie zur Zeit Friedrichs des Großen selbst. Unsre erfolgreichsten Feldherrn, Blücher, Gneisenau, Moltke, Goeben, waren keine preußischen Urproducte, ebensowenig im Civildienste Stein, Hardenberg, Motz und Grolman. Es ist, als ob unsre Staatsmänner wie die Bäume in den Baumschulen zu voller Wurzelbildung der Versetzung bedürften. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 21 Ich kann mir denken, daß bei Besetzung der rheinischen Regirungscollegien 1816 ähnlich verfahren worden war, wie 1871 bei der Organisation von Elsaß-Lothringen. Die Behörden, welche einen Theil ihres Personals abzugeben hatten, werden nicht auf das staatliche Bedürfniß gehört haben, für die schwierige Aufgabe der Assimilirung einer neu erworbenen Bevölkerung den besten Fuß vorzusetzen, sondern diejenigen Mitglieder gewählt haben, deren Abgang von ihren Vorgesetzten oder von ihnen selbst gewünscht wurde; in den Collegien fanden sich frühere Präfektur-Sekretäre und andre Reste der französischen Verwaltung. Die Persönlichkeiten entsprachen nicht alle dem unberechtigten Ideale, das mir in dem Alter von 21 Jahren vorschwebte, und noch weniger that dies der Inhalt der laufenden Geschäfte. Ich erinnere mich, daß ich bei vielen Meinungsverschiedenheiten zwischen Beamten und Regirten oder innerhalb jeder dieser beiden Kategorien, Meinungsverschiedenheiten, deren polemische Vertretung jahrelang die Akten anschwellen machte, gewöhnlich unter dem Eindrucke stand, "ja, so kann man es auch machen," und daß Fragen, deren Entscheidung in dem einen oder dem andern Sinne das verbrauchte Papier nicht werth war, eine Geschäftslast erzeugten, die ein einzelner Präfekt mit dem vierten Theile der aufgewandten Arbeitskraft hätte erledigen können. Nichtsdestoweniger war, abgesehn von den subalternen Beamten, das tägliche Arbeitspensum ein geringes und besonders für die Abtheilungs-Dirigenten eine reine Sinecure. Ich verließ Aachen mit einer, abgesehn von dem begabten Präsidenten Grafen Arnim-Boitzenburg, geringen Meinung von unsrer Bürokratie im Einzelnen und in der Gesammtheit. Im Einzelnen wurde meine Meinung günstiger durch meine demnächstige Erfahrung (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 24 Die Mitglieder des Collegiums machten mir einen würdigern Eindruck als die Aachner, aber doch in ihrer Gesammtheit den Eindruck von Zopf und Perrücke, in welche Kategorie meine jugendliche Ueberhebung auch den väterlich-würdigen Oberpräsidenten von Bassewitz stellte, während der Aachner Regirungspräsident Graf Arnim zwar die generelle Staatsperrücke, aber doch keinen geistigen Zopf trug. Als ich dann aus dem Staatsdienste in das Landleben überging, brachte ich in die Berührungen, welche ich als Gutsbesitzer mit den Behörden hatte, eine nach meinem heutigen Urtheil zu geringe Meinung von dem Werthe unsrer Bürokratie, eine vielleicht zu große Neigung zur Kritik mit. Ich erinnere mich, daß ich als stellvertretender Landrath über den Plan, die Wahl der Landräthe abzuschaffen, gutachtlich zu berichten hatte und mich so aussprach, die Bürokratie sinke in der Achtung vom Landrath aufwärts; sie habe dieselbe nur in der Person des Landraths bewahrt, der einen Januskopf trage, ein Gesicht in der Bürokratie, eins im Lande habe. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 41 Aus meiner ständisch-liberalen Stimmung, für die ich in Pommern kaum Verständniß und Theilnahme, in Schönhausen aber die Zustimmung von Kreisgenossen wie Graf Wartensleben-Karow, Schierstädt-Dahlen und Andern fand, denselben Elementen, die zum Theil zu den später unter der neuen Aera gerichtlich verurtheilten Kirchen-Patronen gehörten, aus dieser Stimmung wurde ich wieder entgleist durch die mir unsympathische Art der Opposition des Ersten Vereinigten Landtags, zu dem ich erst für die letzten sechs Wochen der Session wegen Erkrankung des Abgeordneten von Brauchitsch als dessen Stellvertreter einberufen wurde. Die Reden der Ostpreußen Saucken-Tarputschen, Alfred Auerswald, die Sentimentalität von Beckerath, der rheinisch-französische Liberalismus von Heydt und Mevissen und die polternde Heftigkeit der Vinckeschen Reden waren mir widerlich, und auch wenn ich die Verhandlungen heut lese, so machen sie mir den Eindruck von importirter Phrasen-Schablone. Ich hatte das Gefühl, daß der König auf dem richtigen Wege sei und den Anspruch darauf habe, daß man ihm Zeit lasse und ihn in seiner eignen Entwicklung schone. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 50 Die erste Kunde von den Ereignissen des 18. und 19. März 1848 erhielt ich im Hause meines Gutsnachbarn, des Grafen von Wartensleben auf Karow, zu dem sich Berliner Damen geflüchtet hatten. Für die politische Tragweite der Vorgänge war ich im ersten Augenblick nicht so empfänglich wie für die Erbitterung über die Ermordung unsrer Soldaten in den Straßen. Politisch, dachte ich, würde der König bald Herr der Sache werden, wenn er nur frei wäre; ich sah die nächste Aufgabe in der Befreiung des Königs, der in der Gewalt der Aufständischen sein sollte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 79 [1-29] Flügeladjutanten Edwin von Manteuffel und Graf Oriola, inzwischen verstorben waren. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 188 Neben Gerlach und vielleicht in höherem Grade war Rauch seit 1848 von Einfluß auf den König. Sehr begabt, der fleischgewordene gesunde Menschenverstand, tapfer und ehrlich, ohne Schulbildung, mit den Tendenzen eines preußischen Generals von der besten Sorte, war er wiederholt als Militärbevollmächtigter in Petersburg in der Diplomatie thätig gewesen. Einmal war Rauch von Berlin in Sanssouci erschienen mit dem mündlichen Auftrage des Ministerpräsidenten Grafen Brandenburg, von dem Könige die Entscheidung über eine Frage von Wichtigkeit zu erbitten. Als der König, dem die Entscheidung schwer wurde, nicht zum Entschluß kommen konnte, zog endlich Rauch die Uhr aus der Tasche und sagte mit einem Blick auf das Zifferblatt: "Jetzt sind noch zwanzig Minuten, bis mein Zug abgeht; da werden Ew. Majestät doch nun befehlen müssen, ob ich dem Grafen Brandenburg Ja sagen soll oder Nee, oder ob ich ihm melden soll, daß Ew. Majestät nich Ja und nich Nee sagen wollen." Diese Aeußerung kam heraus in dem Tone der Gereiztheit, gedämpft durch die militärische Disciplin, als Ausdruck der Verstimmung, die bei dem klaren, entschiedenen und durch die lange fruchtlose Discussion ermüdeten General erklärlich war. Der König sagte: "Na, denn meinetwegen Ja", worauf Rauch sich sofort entfernte, um in beschleunigter Gangart durch die Stadt zum Bahnhof zu fahren. Nachdem der König eine Weile schweigend dagestanden hatte, wie wenn er die Folgen der widerwillig getroffenen Entscheidung noch erwöge, wandte er sich gegen Gerlach und mich und sagte: "Dieser Rauch! Er kann nicht richtig Deutsch sprechen, aber er hat mehr gesunden Menschenverstand als wir Alle," und darauf gegen Gerlach gewandt und das Zimmer verlassend: "Klüger wie Sie ist er immer schon gewesen." Ob der König darin Recht hatte, lasse ich dahingestellt; geistreicher war Gerlach, praktischer Rauch. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 193 Als der Graf Brandenburg, gleichgültig gegen solche Besorgnisse, sich bereit erklärt hatte, das Präsidium zu übernehmen, kam es darauf an, ihm geeignete und genehme Collegen zu gewinnen. In einer Liste, welche dem Könige vorgelegt wurde, fand sich auch mein Name; wie mir der General Gerlach erzählte, hatte der König dazu an den Rand geschrieben: "Nur zu gebrauchen, wenn das Bayonett schrankenlos waltet" *). Der Graf Brandenburg selbst sagte mir in Potsdam: "Ich habe die Sache übernommen, habe aber kaum die Zeitungen gelesen, bin mit staatsrechtlichen Fragen unbekannt und kann nichts weiter thun, als meinen Kopf zu Markte tragen. Ich brauche einen ‚Kornak', einen Mann, dem ich traue und der mir sagt, was ich thun kann. Ich gehe in die Sache wie ein Kind in's Dunkel, und weiß Niemanden, als Otto Manteuffel (Director im Ministerium des Innern), der die Vorbildung und zugleich mein persönliches Vertrauen besitzt, der aber noch Bedenken hat. Wenn er will, so gehe ich morgen in die Versammlung; wenn er nicht will, so müssen wir warten und einen Andern finden. Fahren Sie nach Berlin hinüber und bewegen Sie Manteuffel." Dies gelang, nachdem ich von 9 Uhr bis Mitternacht in ihn eingeredet und es übernommen hatte, seine Frau in Potsdam zu benachrichtigen, und die für die persönliche Sicherheit der Minister im Schauspielhause und in dessen Umgebung getroffenen Maßregeln dargelegt hatte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 195 *) Gerlach ist zuverlässiger als die Quelle, aus welcher der Graf Vitzthum von Eckstädt geschöpft haben muß, wenn er - "Berlin und Wien" S. 247 - die Randbemerkung so giebt: "Rother Reactionär, riecht nach Blut, später zu gebrauchen." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 197 Herr von Manteuffel machte noch darauf aufmerksam, daß der Eingang zum Schauspielhause in der dort engen Charlottenstraße nicht gedeckt sei; ich erbot mich, zu bewirken, daß die ihm gegenüber liegende Wohnung des beurlaubten hanöverschen Gesandten, Grafen Kniephausen, von Militär besetzt würde. Ich begab mich noch in der Nacht zu dem Obersten von Griesheim im Kriegsministerium, der mit den militärischen Anordnungen betraut war, stieß aber bei ihm auf Bedenken, ob man eine Gesandschaft zu solchem Zwecke benutzen dürfe. Ich suchte nun den hanöverschen Geschäftsträger, Grafen Platen, auf, der das dem Könige von Hanover gehörige Haus unter den Linden bewohnte. Derselbe war der Ansicht, daß das amtliche Domizil der Gesandschaft zur (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 198 [1-52] Zeit in seiner Wohnung unter den Linden sei, und ermächtigte mich, dem Obersten von Griesheim zu schreiben, daß er die Wohnung "seines abwesenden Freundes", des Grafen Kniephausen, für polizeiliche Zwecke zur Verfügung stelle. Spät zu Bett gegangen, wurde ich um 7 Uhr Morgens durch einen Boten Platens mit der Bitte, ihn zu besuchen, geweckt. Ich fand ihn sehr erregt darüber, daß eine Abtheilung von etwa 100 Mann im Hofe seiner Wohnung, also grade dort, wo er den Sitz der Gesandschaft bezeichnet hatte, aufmarschirt war. Griesheim hatte wahrscheinlich den durch meine Mittheilung veranlaßten Befehl irgend einem Beamten ertheilt, der das Mißverständniß angerichtet hatte. Ich ging zu ihm und erwirkte den Befehl an den Führer der Abtheilung, die Kniephausensche Wohnung zu besetzen, was denn auch geschah, nachdem es schon Tag geworden, während die Besetzung der übrigen gewählten Häuser in der Nacht heimlich erfolgt war. Vielleicht bewirkte grade der zufällige Anschein offner Entschlossenheit, daß der Gensdarmenmarkt, als die Minister sich in das Schauspielhaus begaben, ganz leer war. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 200 [1-53] trat die deutsche Frage mehr in den Vordergrund als vorher, und innerhalb des Ministeriums wurden in dieser Beziehung große Hoffnungen auf den Sachsen von Carlowitz gesetzt, dessen anerkannte Beredsamkeit in deutsch-nationalem Sinne wirken würde. Wie der Graf Brandenburg über die deutsche Sache dachte, darüber habe ich damals von ihm unmittelbare Mittheilungen nicht erhalten. Er gab nur seine Bereitwilligkeit zu erkennen, mit soldatischem Gehorsam zu thun, was der König befehlen würde. Später in Erfurt sprach er sich offner zu mir darüber aus. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 219 Gegenüber der Versuchung, die in der Situation lag, hatte der König ein Gefühl, welches ich dem Unbehagen vergleichen möchte, von dem ich, obwohl ein großer Liebhaber des Schwimmens, ergriffen wurde, wenn ich an einem kalten stürmischen Tage den ersten Schritt in das Wasser thun wollte. Seine Bedenken, ob die Dinge reif seien, wurden unter anderm genährt durch die geschichtlichen Erörterungen, die er mit Radowitz pflog, nicht nur über das sächsische und hanöversche Gesandschaftsrecht, sondern auch über die Vertheilung der Sitze im "Reichstage" zwischen Regirenden und Mediatisirten, zwischen Landesherrn und Personalisten, recipirten und nicht recipirten Grafen unter den verschiedenen Kategorien der Reichstagsmasse, wobei die Specialität des Freien Standesherrn von Grote-Schauen zu untersuchen war. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 223 Ich hatte schon damals das Vertrauen, daß die militärische Kraft Preußens genügen werde, um alle Aufstände zu überwältigen, und daß die Ergebnisse der Ueberwältigung zu Gunsten der Monarchie und der nationalen Sache um so erheblicher sein würden, je größer der zu überwindende Widerstand gewesen wäre, und vollständig befriedigend, wenn alle Kräfte, von denen Widerstand zu erwarten war, in einem und demselben Feldzuge überwunden werden konnten. Während der Aufstände in Baden und der Pfalz war es eine Zeit lang zweifelhaft, wohin ein Theil der bairischen Armee gravitiren würde. Ich erinnere mich, daß ich dem bairischen Gesandten, Grafen Lerchenfeld, als er grade in diesen kritischen Tagen von mir Abschied nahm, um nach München zu reisen, sagte: "Gott gebe, daß auch Ihre Armee, so weit sie unsicher ist, offen abfällt; dann wird der Kampf groß, aber ein entscheidender werden, der das Geschwür heilt. Machen Sie mit dem unsichern Theil Ihrer Truppen Frieden, so bleibt das Geschwür unterköthig." Lerchenfeld, besorgt und bestürzt, nannte mich leichtsinnig. Ich schloß das Gespräch mit den Worten: "Seien Sie sicher, wir reißen Ihre und unsre Sache durch; je toller je besser." Er glaubte mir (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 232 Die nähere Berührung, in welche ich in Erfurt mit dem Grafen Brandenburg trat, ließ mich erkennen, daß sein preußischer Patriotismus vorwiegend von den Erinnerungen an 1812 und 1813 zehrte und schon deshalb von deutschem Nationalgefühl durchsetzt war. Entscheidend blieb indeß das dynastische und borussische Gefühl und der Gedanke einer Machtvergrößerung Preußens. Er hatte von dem Könige, der schon damals auf seine Weise an meiner politischen Erziehung arbeitete, den Auftrag erhalten, meinen etwaigen Einfluß in der Fraction der äußersten Rechten für die Erfurter Politik zu gewinnen, und versuchte das, indem er mir auf einem einsamen Spaziergange zwischen der Stadt und dem Steigerwalde sagte: "Was kann bei der ganzen Sache Preußen für Gefahr laufen? Wir nehmen ruhig an, was uns an Verstärkung geboten wird, ‚Viel oder Wenig?, unter einstweiligem Verzichte auf das, was uns nicht geboten wird. Ob wir uns die Verfassungsbestimmungen, die der König mit in den Kauf zu nehmen hat, auf die Dauer gefallen lassen können, das kann nur die Erfahrung lehren. Geht es nicht, ‚so ziehn wir den Degen und jagen die Kerls zum Teufel'." Ich kann nicht leugnen, daß dieser militärische Schluß seiner Auseinandersetzung mir einen sehr gewinnenden Eindruck machte, hatte aber meine Zweifel, ob die Allerhöchste Entschließung im entscheidenden Augenblicke nicht mehr von andern Einflüssen abhängen würde als von diesem ritterlichen Generale. Sein tragisches Ende hat meine Zweifel bestätigt 1). (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 246 Die Erwägungen eines sachkundigen und ehrliebenden Generals, wie Stockhausen, konnte ich einer Kritik nicht unterziehn und vermag das auch heut noch nicht. Die Schuld an unsrer militärischen Gebundenheit, die er mir schilderte, lag nicht an ihm, sondern an der Planlosigkeit, mit der unsre Politik auf militärischem Gebiete sowohl wie auf diplomatischem in und seit den Märztagen mit einer Mischung von Leichtfertigkeit und Knauserei geleitet worden war. Auf militärischem namentlich war sie von der Art, daß man nach den getroffenen Maßregeln voraussetzen muß, daß eine kriegerische oder auch nur militärische Lösung der schwebenden Fragen in letzter Instanz in Berlin überhaupt nicht in Erwägung gezogen wurde. Man war zu sehr mit öffentlicher Meinung, Reden, Zeitungen und Verfassungsmacherei präoccupirt, um auf dem Gebiete der auswärtigen, selbst nur der außerpreußischen deutschen Politik zu festen Absichten und praktischen Zielen gelangen zu können. Stockhausen war nicht im Stande, die Unterlassungssünden und die Planlosigkeit unsrer Politik durch plötzliche militärische Leistungen wieder gut zu machen, und gerieth so in eine Situation, die selbst der politische Leiter des Ministeriums, Graf Brandenburg, nicht für möglich gehalten hatte. Denn derselbe erlag der Enttäuschung, welche sein hohes patriotisches Ehrgefühl in den letzten Tagen seines Lebens erlitten hatte 1). Es ist Unrecht, Stockhausen der Kleinmüthigkeit anzuklagen, und ich habe Grund zu glauben, daß auch König Wilhelm I. zu der Zeit, da ich sein Minister wurde, meine Auffassung bezüglich der militärischen Situation im November 1850 theilte. Wie dem auch sei, nur fehlte damals jede Unterlage zu einer Kritik, die ich als conservativer Abgeordneter einem Minister auf militärischem Gebiete, als Landwehr-Lieutenant dem General gegenüber hätte ausüben können. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 259 Zu jener Zeit, November 1850, war die russische Auffassung der revolutionären Bewegung in Deutschland schon eine viel ruhigere als bei dem ersten Ausbruche im März 1848. Ich war befreundet mit dem russischen Militär-Attaché Grafen Benckendorf und erhielt 1850 im vertrauten Gespräche mit ihm den Eindruck, daß die deutsche einschließlich der polnischen Bewegung im Petersburger Cabinete nicht mehr in demselben Maße wie bei ihrem Ausbruche (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 280 Nachdem ich mich auf dem Frankfurter Terrain zu Hause gemacht hatte, nicht ohne harte Zusammenstöße mit dem östreichischen Vertreter, zunächst in der Flottenangelegenheit, in welcher er Preußen autoritativ und finanziell zu verkürzen und für die Zukunft lahm zu legen suchte, beschied der König mich nach Potsdam und eröffnete mir am 28. Mai 1852, daß er sich entschlossen habe, mich nunmehr auf die hohe Schule der Diplomatie nach Wien zu schicken, zunächst als Vertreter, demnächst als Nachfolger des schwer erkrankten Grafen Arnim 1). Zu dem Zwecke übergab er mir das nachstehende Einführungsschreiben an Se. Majestät den Kaiser Franz Joseph vom 5. Juni: (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 281 1) Heinrich Friedrich Graf von Arnim-Heinrichsdorf-Werbelow, geb. 1791, gest. 1859. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 282 [1-84] "Eure Kaiserliche Majestät wollen es mir gütig gestatten, daß ich den Ueberbringer dieses Blattes mit einigen eigenhändigen Schriftzügen an Ihrem Hoflager introduzire. Es ist der Herr von Bismarck-Schönhausen. Er gehört einem Rittergeschlecht an, welches länger als mein Haus in unsern Marken seßhaft, von jeher und besonders in ihm seine alten Tugenden bewährt hat. Die Erhaltung und Stärkung der erfreulichen Zustände unsres platten Landes verdanken wir mit seinem furchtlosen und energischen Mühen in den bösen Tagen der jüngst verflossenen Jahre. Ew. Majestät wissen, daß Herr von Bismarck die Stellung meines Bundesgesandten bekleidet. Da jetzt der Gesundheitszustand meines Gesandten an Ew. Majestät kaiserlichem Hofe, des Grafen von Arnim, dessen zeitweilige Abwesenheit nöthig gemacht hat, das Verhältniß unsrer Höfe aber eine subalterne Vertretung nicht zuläßt (meiner Auffassung zufolge), so habe ich Herrn von Bismarck ausersehen, die Vices für Graf Arnim während dessen Abwesenheit zu versehen. Es ist mir ein befriedigender Gedanke, daß Ew. Majestät einen Mann kennen lernen, der bei uns im Lande wegen seines ritterlich-freien Gehorsams und seiner Unversöhnlichkeit gegen die Revolution bis in ihre Wurzeln hinein von Vielen verehrt, von Manchen gehaßt wird. Er ist mein Freund und treuer Diener und kommt mit dem frischen lebendigen sympathischen Eindruck meiner Grundsätze, meiner Handlungsweise, meines Willens und ich setze hinzu meiner Liebe zu Oestreich und zu Ew. Majestät nach Wien. Er kann, wenn es der Mühe werth gefunden wird, Ew. Majestät und Ihren höchsten Räthen über viele Gegenstände Rede und Antwort geben, wie es wohl Wenige im Stande sind; denn wenn nicht unerhörte, langvorbereitete Mißverständnisse zu tief eingewurzelt sind, was Gott in Gnaden verhüte, kann die kurze Zeit seiner Amtsführung in Wien wahrhaft segensreich werden. Herr von Bismarck kommt aus Frankfurt, wo das, was die rheinbundschwangeren Mittelstaaten mit Entzücken die Differenzen Oestreichs und Preußens nennen, jederzeit seinen stärksten Wiederhall und oft seine Quelle (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 286 Unser einziger Legationssekretär in Wien empfing mich mit Verstimmung darüber, daß er nicht Geschäftsträger wurde, und suchte in Berlin Urlaub nach. Derselbe wurde von dem Minister verweigert, von mir aber demnächst bewilligt. So kam es, daß ich mich auf den mir von früher her befreundeten hanöverschen Gesandten Graf Adolf Platen behufs der Vorstellung bei den Ministern und der Einführung in die diplomatische Gesellschaft angewiesen fand. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 288 [1-87] in Templin bei Potsdam Obstbäume zu pfropfen 1). Dieses scherzende Gespräch war von Platen nach Hanover berichtet worden und dort zur Kenntniß des General-Steuerdirectors Klentze gekommen, der mit Manteuffel über Zollsachen verhandelte und in mir den Junker im Sinne der liberalen Bürokraten haßte. Er hatte nichts Eiligeres zu thun, als entstellte Angaben aus Platen's Bericht an Manteuffel mitzutheilen in dem Sinne, als ob ich an dessen Sturze arbeitete. Bei meiner Rückkehr von Wien nach Berlin (8. Juli) hatte ich an Aeußerlichem die Wirkung dieser Einbläserei wahrzunehmen. Sie bestand in einer Abkühlung meiner Beziehungen zu meinem Chef, und ich wurde nicht mehr wie bis dahin gebeten, bei ihm zu wohnen, wenn ich nach Berlin kam. Verdacht wurden mir dabei auch meine freundschaftlichen Beziehungen zu dem General von Gerlach. Die Genesung des Grafen Arnim gestattete mir, meinem Wiener Aufenthalte ein Ende zu machen, und vereitelte einstweilen die Absicht des Königs, mich zum Nachfolger Arnim's zu ernennen. Aber auch wenn diese Genesung nicht eingetreten wäre, würde ich den dortigen Posten nicht gern übernommen haben, weil ich schon damals das Gefühl hatte, durch mein Auftreten in Frankfurt persona ingrata in Wien geworden zu sein. Ich hatte die Befürchtung, daß man dort fortfahren würde, mich als gegnerisches Element zu behandeln, mir den Dienst zu erschweren und mich am Berliner Hofe zu discreditiren, was durch Hofcorrespondenz, wenn ich in Wien fungirte, noch leichter gewesen wäre als über Frankfurt. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 302 Für die deutsche Sache behielt man in den dem Königthum widerstrebenden Kreisen eine kleine Hoffnung auf Hebelkräfte im Sinne des Herzogs von Coburg, auf englischen und selbst französischen Beistand, in erster Linie aber auf liberale Sympathien des deutschen Volks. Die praktisch wirksame Bethätigung dieser Hoffnungen beschränkte sich auf den kleinen Kreis der Hof-Opposition, die unter dem Namen der Fraction Bethmann-Hollweg den Prinzen von Preußen für sich und ihre Bestrebungen zu gewinnen suchte. Es war dies eine Fraction, die an dem Volke garkeinen und an der damals als "Gothaer" bezeichneten nationalliberalen Richtung geringen Anhalt hatte. Ich habe diese Herrn nicht grade für nationaldeutsche Schwärmer gehalten, im Gegentheil. Der einflußreiche, noch heut (1891) lebende langjährige Adjutant des Kaisers Wilhelm, Graf Karl von der Goltz, der einen stets offnen Zugang für seinen Bruder und dessen Freunde abgab, war ursprünglich ein eleganter und gescheidter Garde-Offizier, Stockpreuße und Hofmann, der an dem außerpreußischen Deutschland nur so viel Interesse nahm, als seine Hofstellung es mit sich brachte. Er war ein Lebemann, Jagdreiter, sah gut aus, hatte Glück bei Damen und wußte sich auf dem Hofparket geschickt zu benehmen; aber die Politik stand bei ihm nicht in erster Linie, sondern galt ihm erst, (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 304 Die später nach Bethmann-Hollweg benannte Partei, richtiger Coterie, stützte sich ursprünglich auf den Grafen Robert von der Goltz, einen Mann von ungewöhnlicher Befähigung und Thätigkeit. Herr von Manteuffel hatte das Ungeschick gehabt, diese strebsame Capacität schlecht zu behandeln; der dadurch stellungslos gewordene Graf wurde der Impresario für die Truppe, welche zuerst als höfische Fraction und später als Ministerium des Regenten auf der Bühne erschien. Sie begann in der Presse, besonders durch das von ihr gegründete "Preußische Wochenblatt", und durch persönliche Werbungen in politischen und Hofkreisen sich Geltung zu schaffen. Die "Finanzirung", wie die Börse sich ausdrückt, wurde durch die großen Vermögen Bethmann-Hollweg's und der Grafen Fürstenberg-Stammheim und Albert Pourtalès, und die politische Aufgabe, als deren Ziel zunächst der Sturz Manteuffel's gestellt war, von den geschickten Händen der Grafen Goltz und Pourtalès besorgt. Beide schrieben ein elegantes Französisch in geschickter Diction, während Herr von Manteuffel in der Herstellung diplomatischer Aktenstücke hauptsächlich auf die hausbackne Tradition seiner Beamten von der französischen Kolonie in Berlin angewiesen war. Auch Graf Pourtalès war von dem Ministerpräsidenten im Dienste verstimmt und von dem Könige als Rival Manteuffel's ermuthigt worden. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 308 Graf Robert Goltz, mit dem ich aus der Jugend her befreundet war, versuchte in Frankfurt auch mich für die Fraction zu gewinnen. Ich lehnte den Beitritt, soweit Mitwirkung zum Sturze Manteuffel's von mir gefordert würde, mit der Motivirung ab, daß ich, wie damals der Fall war, mit vollem Vertrauen Manteuffel's den Posten in Frankfurt angetreten hätte und es nicht für ehrlich halten würde, meine Stellung zum Könige zum Sturze Manteuffel's zu benutzen, solange Letztrer mich nicht in die Nothwendigkeit versetzte, mit ihm (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 311 [1-95] zu brechen, und daß ich in dem Falle ihm die Fehde und den Grund derselben vorher offen ansagen würde. Graf Goltz wollte sich damals verheirathen und bezeichnete mir als sein nächstes Verlangen den Gesandschaftsposten in Athen. "Man soll mir," setzte er mit Bitterkeit hinzu, "schon einen Posten geben und einen guten; davor ist mir nicht bange." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 330 [1-100] Bemühungen des Grafen Buol, einen Kriegsfall zu schaffen, die durch die Räumung der Wallachei und Moldau seitens der Russen vereitelt wurden, die von ihm beantragte und im Geheimniß vor Preußen abgeschlossene Allianz mit den Westmächten vom 2. December, die vier Punkte der Wiener Conferenz und der weitre Verlauf bis zu dem Pariser Frieden vom 30. März 1856 sind von Sybel aus den Archiven dargestellt, und meine amtliche Stellungnahme zu allen diesen Fragen ergiebt sich aus dem Werke "Preußen im Bundestage", Ueber das, was in dem Cabinet vorging, über die Erwägungen und Einflüsse, die den König in den wechselnden Phasen bestimmten, erhielt ich von dem General von Gerlach Mittheilungen, von denen ich die interessanteren einflechte. Wir hatten für diese Correspondenz seit Herbst 1855 eine Art von Chiffre verabredet, in welchem die Staaten durch die Namen uns bekannter Dörfer, die Personen nicht ohne Humor durch Figuren aus Shakespeare bezeichnet waren 1). (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 373 [1-109] Rußland so weit festzuhalten, daß wir diesem bis dahin befreundeten Nachbar gegenüber nicht direct feindlich auftraten, dann spitzte sich die Sache in der Regel dahin zu, daß eine Cabinetskrisis zwischen dem Könige und dem Ministerpräsidenten entstand und der erstre dem letztern gelegentlich mit mir oder auch mit dem Grafen Alvensleben drohte, in einem Falle auch, im Winter 1854, mit dem Grafen Albert Pourtalès aus der Bethmann-Hollwegschen Coterie, obschon dessen Auffassung der auswärtigen Politik die entgegengesetzte von der meinigen und auch mit der des Grafen Alvensleben schwerlich verträglich war. Das Ende der Krisis führte den König und den Minister stets wieder zusammen. Von den drei Gegencandidaten hatte Graf Alvensleben ziemlich öffentlich erklärt, er würde unter diesem Monarchen nie wieder ein Amt annehmen. Der König wollte mich zu ihm nach Erxleben schicken; ich rieth davon ab, weil Alvensleben mir vor kurzem obige Erklärung mit Bitterkeit in Frankfurt wiederholt hatte. Als wir uns später wiedersahen, war seine Verstimmung gehoben, er war geneigt, einer Aufforderung Sr. Majestät entgegen zu kommen, und wünschte, daß ich in dem Falle mit ihm eintreten möge. Der König ist aber mir gegenüber nicht auf Alvensleben zurückgekommen, vielleicht weil in der Zeit nach meinem Besuche in Paris (August 1855) eine Erkältung am Hofe, und namentlich bei Ihrer Majestät der Königin mir gegenüber eingetreten war. Graf Pourtalès war dem Könige wegen seines Reichthums "zu unabhängig" 1). Der König war der Meinung, daß arme und auf Gehalt angewiesene Minister gehorsamer wären. Ich selbst entzog mich der verantwortlichen Stellung unter diesem Herrn, wie ich konnte, und söhnte ihn immer wieder mit Manteuffel aus, den ich zu diesem Zwecke auf dem Lande (Drahnsdorf) besuchte 2). (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 385 In die Pläne der Ausschlachtung Rußlands hatte man den Prinzen von Preußen nicht eingeweiht. Wie es gelungen, ihn für eine Wendung gegen Rußland zu gewinnen, ihn, der vor 1848 seine Bedenken gegen die liberale und nationale Politik des Königs nur in den Schranken brüderlicher Rücksicht und Unterordnung geltend gemacht hatte, zu einer ziemlich activen Opposition gegen die Regirungspolitik zu bewegen, trat in einer Unterredung hervor, die ich mit ihm in einer der Krisen hatte, in welchen mich der König zum Beistande gegen Manteuffel nach Berlin berufen hatte. Ich wurde gleich nach meiner Ankunft zu dem Prinzen befohlen, der mir in einer durch seine Umgebung erzeugten Gemüthserregung den Wunsch aussprach, ich solle dem Könige im westmächtlichen und antirussischen Sinne zureden. Er sagte: "Sie sehn sich hier zwei streitenden Systemen gegenüber, von denen das eine durch Manteuffel, das andre, russenfreundliche, durch Gerlach und den Grafen Münster in Petersburg vertreten ist. Sie kommen frisch hierher, sind von dem Könige gewissermaßen als Schiedsmann berufen. Ihre Meinung wird daher den Ausschlag geben, und ich beschwöre Sie, sprechen Sie sich so aus, wie es nicht nur die europäische Situation, sondern auch ein richtiges Freundesinteresse für Rußland erfordert. Rußland ruft ganz Europa gegen sich auf und wird schließlich unterliegen. Alle diese prächtigen Truppen," - es war dies nach den für die Russen nachtheiligen Schlachten vor Sebastopol - "alle unsre Freunde, die dort geblieben sind," - er nannte mehre - "würden noch leben, wenn wir richtig eingegriffen und Rußland zum Frieden gezwungen hätten." Es würde damit enden, daß Rußland, unser alter Freund und Bundesgenosse, vernichtet oder in gefährlicher Weise geschädigt würde. Unsre, von Otto Fürst von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. I. 8 (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 391 Während des Krimkrieges und, wenn ich mich recht erinnere, aus Anlaß desselben wurde ein lange betriebener Depeschendiebstahl ruchbar. Ein verarmter Polizeiagent 1), der vor Jahren seine Geschicklichkeit dadurch bewiesen hatte, daß er, während der Graf Bresson französischer Gesandter in Berlin war, Nachts durch die Spree geschwommen, in die Villa des Grafen in Moabit eingebrochen war und seine Papiere abgeschrieben hatte, wurde von dem Minister Manteuffel dazu angestellt, sich durch bestochne Diener Zugang zu den Mappen zu verschaffen, in denen die eingegangnen Depeschen und die durch deren Lesung veranlaßte Correspondenz zwischen dem Könige, Gerlach und Niebuhr hin und her ging, und von dem Inhalte derselben Abschrift zu nehmen. Von Manteuffel mit preußischer Sparsamkeit bezahlt, suchte er nach weitrer Verwerthung seiner Bemühungen und fand eine solche durch Vermittlung des Agenten Hassenkrug zunächst bei dem französischen Gesandten Moustier, dann auch bei andern Leuten 2). (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 399 [1-117] Empfang jener Chamade schlagenden Instruction unter fortwährenden Anfällen gallichten Erbrechens gelitten, und ein mäßiges Fieber verläßt mich keinen Augenblick. Ich finde nur in der Erinnerung an den Frühling 1848 das Analogon meiner körperlichen und geistigen Stimmung, und je mehr ich mir die Situation klar mache, um so weniger entdecke ich etwas, woran mein Preußisches Ehrgefühl sich aufrichten könnte. Vor acht Tagen schien mir noch alles nied- und nagelfest, und ich selbst bat Manteuffel, Oestreich die Auswahl zwischen zwei für uns annehmbaren Vorschlägen zu lassen, ließ mir aber nicht träumen, daß Graf Buol sie beide verwerfen und uns auf seine eigne Vorlage auch die Antwort vorschreiben werde, die wir zu geben haben. Ich hatte gehofft, daß wir, wie auch schließlich unsre Antwort ausfallen möge, uns doch nicht gefangen geben würden, bevor unsre Zuziehung zu den Conferenzen gesichert wäre. Wie stellt sich aber unsre Lage jetzt heraus? Viermal hat Oestreich in zwei Jahren das Spiel gegen uns durchgeführt, daß es den ganzen Grund, auf dem wir standen, von uns forderte und wir nach einigem Sperren die Hälfte oder so etwas abtraten. Jetzt geht es aber um den letzten Quadratfuß, auf dem noch eine Preußische Aufstellung möglich blieb. Durch seine Erfolge übermüthig gemacht, fordert Oestreich nicht nur, daß wir, die wir uns eine Großmacht nennen und auf dualistische Gleichberechtigung Anspruch machen, ihm diesen letzten Rest von unabhängiger Stellung opfern, sondern schreibt uns auch den Ausdruck vor, in dem wir unsre Abdication unterzeichnen sollen, gebietet uns eine unanständige nach Stunden bemessene Eile und versagt uns jedes Aequivalent, welches ein Pflaster für unsre Wunden abgeben könnte. Nicht einmal ein Amendement in der Erklärung, die Preußen und Deutschland geben sollen, getrauen wir uns entschieden aufzustellen. Pfordten macht die Sache mit Oestreich ab, indem er glaubt, Preußens Einverständniß voraussetzen zu dürfen, und wenn Baiern gesprochen hat, so ist es für Preußen res judicata. Bei ähnlichen Gelegenheiten der letzten beiden Jahre (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 405 Wollen wir es darauf nicht ankommen lassen, so müssen wir uns auch darauf gefaßt machen, daß Sardinien und die Türkei in Paris selbständig über die Wahrung der deutschen Interessen in den beiden vom Bunde angeeigneten Punkten berathen, während wir durch Oestreich dabei vertreten werden. Und wir werden nicht einmal die ersten in dem Schweife Oestreichs sein, denn Graf Buol wird sich bei Erfüllung seines präsumtiven Mandats für Deutschland noch eher bei Pfordten und Beust Rath holen, als bei (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 426 Der für den norddeutschen und namentlich für den Gedankenkreis einer kleinen Stadt in Mitten rein protestantischer Bevölkerung fremdartige Katholicismus hatte etwas Anziehendes für eine Fürstin, die überhaupt das Fremde mehr interessirte, als das Näherliegende, Alltägliche, Hausbackne. Ein katholischer Bischof erschien vornehmer als ein General-Superintendent. Ein gewisses Wohlwollen für die katholische Sache, welches ihr schon früher eigen und z. B. in der Wahl ihrer männlichen Umgebung und Dienerschaft erkennbar war, wurde durch ihren Aufenthalt in Coblenz vollends entwickelt. Sie gewöhnte sich daran, die localen Interessen des alten KrummstabLandes und seiner Geistlichkeit als ihrer Fürsorge besonders zugewiesen anzusehn und zu vertreten. Das moderne confessionelle Selbstgefühl auf dem Grunde geschichtlicher Tradition, das in dem Prinzen die protestantische Sympathie nicht selten mit Schärfe hervortreten ließ, war seiner Gemalin fremd. Welchen Erfolg ihr Bemühn um Popularität im Rheinlande gehabt hatte, zeigte sich u. A. darin, daß der Graf v. d. Recke-Volmerstein mir am 9. October 1863 schrieb, wohlgesinnte Leute am Rhein riethen, der König möge nicht zum Dombaufest kommen, sondern lieber I. Majestät schicken, "die mit Enthusiasmus würde empfangen werden". Ein Beispiel der wirksamen Energie, mit der sie die Wünsche der Geistlichkeit vertrat, lieferte die Modification, zu welcher der Bau der sogenannten Metzer Eisenbahn genöthigt wurde, weil die Geistlichkeit sich eines katholischen Kirchhofs, der berührt werden sollte, angenommen hatte und darin von der Kaiserin so erfolgreich unterstützt wurde, daß die Richtung geändert und schwierige Bauten ad hoc hergestellt wurden. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 431 [1-127] Beistände, aber nicht immer, mitunter auch seine Rivalen, waren der Cabinetsrath Niebuhr und Edwin von Manteuffel, während des Krimkrieges auch der Graf Münster. Zu der Camarilla waren außerdem zu rechnen der Graf Anton Stolberg, der Graf Friedrich zu Dohna und der Graf von der Gröben. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 437 Die leistungsfähigen Kräfte der Bethmann-Hollwegschen Partei, Goltz, Pourtalès, zuweilen Usedom, wurden durch den Prinzen von Preußen auch bei dem Könige zu einer gewissen Geltung gebracht. Es kam vor, daß nothwendige Depeschen nicht von Manteuffel, sondern von dem Grafen Albert Pourtalès entworfen wurden, daß der König mir dessen Entwürfe zur Revision gab, daß ich über die Amendirung wieder mit Manteuffel Fühlung nahm, daß der den Unterstaatssekretär Le Coq zuzog, daß dieser die Fassung aber lediglich von dem Standpunkte französischer Stilistik prüfte und eine Tage lange Verzögerung mit der Anführung rechtfertigte, er habe den genau angemessenen französischen Ausdruck noch nicht gefunden, der zwischen dunkel, unklar, zweifelhaft und bedenklich die richtige Mitte hielte, - als ob es auf solche Lappalien damals angekommen wäre. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 447 Manteuffel sagte übrigens gestern, er wolle Sie herbescheiden, wenn Sie nur noch zur rechten Zeit kämen, um den Kaiser und den Grafen Nesselrode kennen zu lernen. Wichtiger als alles das ist, daß Sie Manteuffel von Quehl befreien, denn er ist jetzt noch unentbehrlich und mit Quehl nicht zu halten. Es wird ihn nichts kosten zu behaupten, er wisse nichts von dem Artitel der ‚Zeit', ja, daß dieses Blatt ihn nichts anginge, aber damit kann man sich nicht abfertigen lassen, da Thile, der Redacteur, durch Quehl und Manteuffel angestellt ist. Ich fürchte auch die absolutistischen Velleitäten von Manteuffel jun. 1). (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 477 [1-137] Bald nach dem Datum des letzten Briefes war die Verstimmung zwischen dem Könige und Manteuffel so acut geworden, daß der letztere sich schmollend auf sein Gut Drahnsdorf zurückzog. Um ihn zu einem "gehorsamen Minister" zu machen, benutzte der König diesmal nicht meine Ministercandidatur als Schreckbild, sondern beauftragte mich, den Grafen Albrecht von Alvensleben, den "alten Lerchenfresser", wie er ihn nannte, in Erxleben aufzusuchen und zu fragen, ob er den Vorsitz in einem neuen Ministerium übernehmen wolle, in dem ich das auswärtige Ressort erhalten solle. Der Graf hatte kurz vorher mir unter sehr abfälligen Aeußerungen über den König erklärt, daß er während der Regirung Sr. Majestät unter keinen Umständen in irgend ein Cabinet treten werde 1). Ich sagte dies dem Könige, und meine Reise unterblieb. Später aber, als dieselbe Combination wieder auftauchte, hat er sich doch bereit erklärt, sie zu acceptiren; der König vertrug sich dann aber mit Manteuffel, der inzwischen "Gehorsam" gelobt hatte. Statt der Sendung nach Erxleben reiste ich aus eignem Antriebe zu Manteuffel auf's Land und redete ihm zu, sich von Quehl zu trennen und stillschweigend ohne Explication mit Sr. Majestät seine amtliche Function wieder aufzunehmen. Er erwiderte in dem Sinne seines Briefes vom 11. Juli 1851, daß er den fähigen, ihm mit Hingebung dienenden Mann nicht fallen lassen könne. Da ich heraus zu hören glaubte, daß Manteuffel wohl noch andre Gründe habe, Quehl zu schonen, so sagte ich: "Vertrauen Sie mir die Vollmacht an, Sie von Quehl zu erlösen, ohne daß es zu einem Bruche zwischen Ihnen beiden kommt; wenn mir das gelingt, so bringen Sie dem Könige die Nachricht von Quehl's Abgange und führen die Geschäfte fort, als wenn kein Dissensus zwischen Sr. Majestät und Ihnen vorgekommen wäre." Er ging auf diesen Gedanken ein, und wir verabredeten, daß er Quehl, der sich grade auf einer Reise in Frankreich befand, veranlassen werde, (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 481 Der König haßte damals Manteuffel, er behandelte ihn nicht mit der ihm sonst eignen Höflichkeit und that beißende Aeußerungen über ihn. Wie er überhaupt die Stellung eines Ministers auffaßte, zeigt ein Wort über den Grafen Albert Pourtalès, den er auch gelegentlich als Schreckbild für Manteuffel benutzte 2): "Der wäre ein Minister für mich, wenn er nicht 30000 Reichsthaler Einkommen zu viel hätte; darin steckt die Quelle des Ungehorsams." Wenn ich sein Minister geworden wäre, so würde ich mehr als Andre 1) Vgl. Bismarck's Briefe an L. v. Gerlach vom 6. und 13. Aug. 1853 (Ausgabe von H. Kohl S. 96, 97). 2) S. o. S. 109. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 507 Um eine ernstere, in den Verlauf der Dinge eingreifende Frage der Redaction handelte es sich im August 1854. Der König befand sich in Rügen; ich war auf dem Wege von Frankfurt nach Reinfeld, wo meine Frau krank lag, als am 29. August in Stettin ein höherer Postbeamter, der angewiesen war, auf mich zu fahnden, mir eine Einladung des Königs nach Putbus ausrichtete. Ich hätte mich gern gedrückt, der Postbeamte aber begriff nicht, wie ein Mann von altem preußischen Schlage sich einer solchen Aufforderung entziehn wolle. Ich ging nach Rügen, nicht ohne Sorge vor neuen Zumuthungen, Minister zu werden und dadurch in unhaltbare Beziehungen zum Könige zu gerathen. Der König empfing mich am 30. August gnädig und setzte mich von einer vorliegenden Meinungsverschiedenheit über die durch den Rückzug der Russen aus den Donaufürstenthümern entstandene Situation in Kenntniß. Es handelte sich um die Depesche des Grafen Buol vom 10. August und einen von Manteuffel vorgelegten Entwurf einer Antwort, den der König zu östreichisch fand. Auf Befehl machte ich einen andern Entwurf, der von Sr. Majestät genehmigt und nach Berlin geschickt wurde, um im Widerspruch mit dem leitenden Minister zunächst an den Grafen Arnim in Wien gesandt und dann den deutschen Regirungen mitgetheilt zu werden 1). Die durch Annahme meines Entwurfs bekundete Stimmung des Königs zeigte sich auch in dem Empfang des Grafen Benckendorf, der mit Briefen und mündlichen Aufträgen in Putbus eintraf, und den ich mit der Nachricht hatte empfangen können, daß die Engländer und Franzosen in der Krim (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 513 Im Sommer 1855 lud unser Gesandter in Paris, Graf Hatzfeldt, mich zum Besuche der Industrie-Ausstellung ein 1); er theilte noch den damals in diplomatischen Kreisen verbreiteten Glauben, daß ich ehestens der Nachfolger Manteuffel's im Auswärtigen Amt werden würde. Wenn der König sich mit einem solchen Gedanken abwechselnd getragen hatte, so wußte man in intimen Hofkreisen doch damals schon, daß eine Wandelung vorgegangen sei. Der Graf Wilhelm Redern, den ich in Paris traf, sagte mir, die Gesandten glaubten noch immer, daß ich zum Minister bestimmt sei, er selbst habe das auch geglaubt; aber die Stimmung des Königs sei umgeschlagen, Näheres wisse er nicht. Wohl seit Rügen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 548 [1-162] glauben, Frankreichs seien sie gegen uns immer sicher und wir jeder Zeit hülfsbedürftig gegen Frankreich, so ist das für Friedensdiplomatie ein großer Gewinn; wenn wir diese Hülfsmittel verschmähn, sogar das Gegentheil thun, so weiß ich nicht, warum wir nicht lieber die Kosten der Diplomatie sparen oder reduciren, denn diese Kaste vermag mit allen Arbeiten nicht zu Wege zu bringen, was der König mit geringer Mühe kann, nämlich Preußen eine angesehne Stellung im Frieden durch den Anschein von freundlichen Beziehungen und möglichen Verbindungen wiederzugeben. Nicht minder vermag Se. Majestät durch ein [Zur]schautragen kühler Verhältnisse leicht alle Arbeit der Diplomaten zu lähmen; denn was soll ich hier oder einer unsrer andern Gesandten durchsetzen, wenn wir den Eindruck machen, ohne Freunde zu sein oder auf Oestreichs Freundschaft zu rechnen. Man muß nach Berlin kommen, um nicht ausgelacht zu werden, wenn man von Oestreichs Unterstützung in irgend einer für uns erheblichen Frage sprechen will. Und selbst in Berlin kenne ich doch nachgrade nur einen sehr kleinen Kreis, bei dem das Gefühl der Bitterkeit nicht durchbräche, sobald von unsrer auswärtigen Politik die Rede ist. Unser Recept für alle Uebel ist, uns an die Brust des Grafen Buol zu werfen und ihm unser brüderliches Herz auszuschütten. Ich erlebte in Paris, daß ein Graf So und So gegen seine Frau auf Scheidung klagte, nachdem er sie, eine ehemalige Kunstreiterin, zum 24. Male im flagranten Ehebruch betroffen hatte; er wurde als ein Muster von galantem und nachsichtigem Ehemann von seinem Advocaten vor Gericht gerühmt, aber gegen unsern Edelmuth mit Oestreich kann er sich doch nicht messen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 560 Jetzt muß ich etwas weit ausholen und zwar bis zu Karl dem Großen, also über 1000 Jahre. Damals war das Princip der europäischen Politik die Ausbreitung der christlichen Kirche. Karl der Große huldigte demselben in seinen Kriegen mit den Sarazenen, Sachsen, Avaren u. s. w., und seine Politik war wahrlich nicht unpraktisch. Seine Nachfolger stritten sich principienlos unter einander, und wieder waren es die großen Fürsten des Mittelalters, welche dem alten Princip treu blieben. Die preußische Macht wurde gegründet durch die Kämpfe der brandenburgischen Markgrafen und des deutschen Ordens gegen diejenigen Völker, welche sich dem Kaiser, dem Vicarius der Kirche, nicht unterwerfen wollten, und das dauerte, bis daß der Verfall der Kirche zu dem Territorialismus, zum Verfall des Reiches, zur Spaltung in der Kirche führte. Seitdem war nicht mehr ein allgemeines Princip in der Christenheit. Von dem ursprünglichen Princip war noch allein der (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 671 Im Januar 1859 machte mir auf einem Balle bei Moustier oder Karolyi der Graf Stillfried scherzhafte Anspielungen, aus denen ich schloß, daß meine schon mehrmals geplante Versetzung von Frankfurt nach Petersburg erfolgen werde, und fügte dazu die wohlwollende Bemerkung: Per aspera ad astra. Die Wissenschaft des Grafen beruhte ohne Zweifel auf seinen intimen Beziehungen zu allen Katholiken im Haushalte der Prinzessin, vom ersten Kammerherrn bis zum Kammerdiener. Meine Beziehungen zu den Jesuiten waren damals noch ungetrübt, und ich besaß noch Stillfrieds Wohlwollen. Ich verstand die durchsichtige Anspielung, begab mich am folgenden Tage (26. Januar) zu dem Regenten und sagte offen, ich hörte, daß ich nach Petersburg versetzt werden sollte, und bat um Erlaubniß, mein Bedauern darüber auszusprechen, in der Hoffnung, daß es noch rückgängig gemacht werden könnte. Die erste Gegenfrage war: "Wer hat Ihnen das gesagt?" Ich erwiderte, ich würde indiscret sein, wenn ich die Person nennen wollte, ich hätte es aus dem Jesuitenlager gehört, mit dem ich alte Fühlung hätte, und ich bedauerte es, weil ich glaubte, in Frankfurt, in diesem Fuchsbau des Bundestages, dessen Ein- und Ausgänge ich bis auf die Nothröhren kennen gelernt hätte, brauchbarere Dienste leisten zu können als irgend einer meiner Nachfolger, der die sehr complicirte Stellung, die auf den Beziehungen zu vielen Höfen und Ministern beruhe, erst wieder kennen lernen müsse, da ich meine achtjährige Erfahrung auf diesem Gebiete, die ich in bewegten Zuständen gemacht, nicht vererben könnte. Mir wäre jeder deutsche Fürst und jeder deutsche Minister und die Höfe der bundesfürstlichen Residenzen persönlich bekannt, und ich erfreute mich, so weit es für Preußen erreichbar sei, eines Einflusses in der Bundesversammlung und an den einzelnen Höfen. Dieses erworbene und erkämpfte Capital der preußischen Diplomatie würde zwecklos zerstört durch (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 674 Meine Erwiderung dem Regenten gegenüber lautete ungefähr: "Dann ist es also ein Fehler, daß ich nicht auch eine taktlose Frau geheirathet habe, sonst würde ich auf den Posten, auf dem ich mich heimisch fühle, denselben Anspruch haben, wie Graf Usedom." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 676 Darauf ich: "Sobald Ew. Königliche Hoheit mir dieses Zeugniß geben, so muß ich natürlich schweigen, kann aber doch bei der Freiheit des Wortes, die Ew. Königliche Hoheit mir jederzeit gestattet haben, nicht umhin, meine Sorge über die heimische Situation und ihren Einfluß auf die deutsche Frage auszusprechen. Usedom ist ein brouillon, kein Geschäftsmann. Seine Instruction wird er von Berlin erhalten; wenn Graf Schlieffen Decernent für deutsche Sachen bleibt, so werden die Instructionen gut sein; an ihre gewissenhafte Ausführung glaube ich bei Usedom nicht." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 712 In der neuen Aera hatte die hohe Frau zunächst ein Ministerium vor sich, als dessen Begründerin und Patronin sie sich ansehn durfte. Aber auch unter diesem Cabinet blieb ihr Einfluß nicht dauernd gouvernemental, sondern gewann bald die Natur einer Begünstigung derjenigen Minister, welche der obersten Staatsleitung unbequem waren. Am meisten war dies vielleicht der Graf (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 713 [1-212] Schwerin, beeinflußt von dem nachmaligen Oberbürgermeister Winter in Danzig und andern liberalen Beamten. Er trieb die ministerielle Unabhängigkeit gegen den Regenten so weit, daß er schriftliche Befehle schriftlich damit erledigend beantwortete, dieselben seien nicht contrasignirt. Als das Ministerium den Regenten einmal zu einer ihm widerwärtigen Unterschrift genöthigt hatte, leistete er dieselbe in unlesbarer Gestalt und zerstampfte die Feder darauf. Graf Schwerin ließ eine zweite Reinschrift machen und bestand auf einer leserlichen Unterschrift. Der Regent unterschrieb nun wie gewöhnlich, knüllte aber das Blatt zusammen und warf es in die Ecke, aus der es hervorgeholt und, nachdem es geglättet, zu den Acten genommen wurde. Auch an meinem Abschiedsgesuche von 1877 war zu sehn, daß der Kaiser es zum Knäul geballt hatte, bevor er darauf antwortete. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 727 [1-214] Grafen Buol legitimirt hatte, machte er mir den Vorschlag zur Betheiligung an einem Finanzgeschäft, welches mir "jährlich 20000 Thaler mit Sicherheit" abwerfen würde. Auf meine Erwiderung, daß ich keine Capitalien anzulegen hätte, erfolgte die Antwort, daß Geldeinschüsse zu dem Geschäft nicht erforderlich seien, sondern daß meine Einlage darin bestehn würde, daß ich mit der preußischen auch die östreichische Politik am russischen Hofe befürwortete, weil die fraglichen Geschäfte nur gelingen könnten, wenn die Beziehungen zwischen Rußland und Oestreich günstig wären. Mir war daran gelegen, irgendwelches schriftliche Zeugniß über dieses Anerbieten in die Hand zu bekommen, um dadurch dem Regenten den Beweis zu liefern, wie gerechtfertigt mein Mißtrauen gegen die Politik des Grafen Buol war. Ich hielt deshalb dem Levinstein vor, daß ich bei einem so bedenklichen Geschäft doch eine stärkere Sicherheit haben müßte, als seine mündliche Aeußerung, auf Grund der wenigen Zeilen von der Hand des Grafen Buol, die er an sich behalten habe. Er wollte sich nicht dazu verstehn, mir eine schriftliche Zusage zu beschaffen, erhöhte aber sein Anerbieten auf 30000 Thaler jährlich. Nachdem ich mich überzeugt hatte, daß ich schriftliches Beweis-Material nicht erlangen würde, ersuchte ich Levinstein, mich zu verlassen, und schickte mich zum Ausgehn an. Er folgte mir auf die Treppe unter beweglichen Redensarten über das Thema: "Sehn Sie sich vor, es ist nicht angenehm, die ‚Kaiserliche Regirung' zum Feinde zu haben." Erst als ich ihn auf die Steilheit der Treppe und auf meine körperliche Ueberlegenheit aufmerksam machte, stieg er vor mir schnell die Treppe hinab und verließ mich. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 730 Ich fand auch sonst Anlaß, Gewohnheiten, die in dem Auswärtigen Ministerium eingerissen waren, abzustellen. Der langjährige Portier des Dienstgebäudes, ein alter Trunkenbold, konnte als Beamter nicht ohne Weitres entlassen werden. Ich brachte ihn dahin, den Abschied zu nehmen, durch die Drohung, ihn dafür zur Untersuchung zu ziehn, daß er mich "für Geld zeige", indem er gegen Trinkgeld Jedermann zu mir lasse. Seinen Protest brachte ich mit der Bemerkung zum Schweigen: "Haben Sie mir, als ich Gesandter war, nicht jederzeit Herrn von Manteuffel für einen Thaler, und, wenn das Verbot besonders streng war, für zwei Thaler gezeigt?" Von meiner eignen Dienerschaft wurde mir gelegentlich gemeldet, welche unverhältnißmäßigen Trinkgelder Levinstein an sie verschwendete. Thätige Agenten und Geldempfänger auf diesem Gebiete waren einige von Manteuffel und Schleinitz übernommne Canzleidiener, unter ihnen ein für seine subalterne Amtsstellung hervorragender Maurer. Graf Bernstorff hatte während seiner kurzen Amtszeit der Corruption im Auswärtigen Amte kein Ende machen können, war auch wohl geschäftlich und gräflich zu stark präoccupirt, um diesen Dingen nahe zu treten. Ich habe meine Begegnung mit Levinstein, meine Meinung über ihn, seine Beziehungen zu dem Auswärtigen Ministerium später dem Regenten mit allen Details zur Kenntniß gebracht, sobald ich die Möglichkeit hatte, dies mündlich zu thun, was erst Monate später der Fall war. Von einer schriftlichen Berichterstattung versprach ich mir keinen Erfolg, da die Protection Levinsteins durch Herrn von Schleinitz nicht blos zum Regenten hinauf, sondern an die (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 739 Die zweite Generation, die mit dem Kaiser Nicolaus gleichaltrig war oder doch seinen Stempel trug, pflegte sich in der Unterhaltung auf Hofangelegenheiten, Theater, Avancement und militärische Erlebnisse zu beschränken. Unter ihnen sind als der ältern Kategorie geistig näher stehende Ausnahmen zu nennen der alte Fürst Orlow, hervorragend an Charakter, Höflichkeit und Zuverlässigkeit für uns; der Graf Adlerberg Vater und sein Sohn, der nachherige Hofmeister, mit Peter Schuwalow der einsichtigste Kopf, mit dem ich dort in Beziehungen gekommen bin und dem nur Arbeitsamkeit fehlte, um eine leitende Rolle zu spielen; der Fürst Suworow, der wohlwollendste für uns Deutsche, bei dem der russische General nicolaitischer Tradition stark, aber nicht unangenehm, mit burschikosen Reminiscenzen deutscher Universitäten versetzt war; mit ihm dauernd im Streit und doch in gewisser Freundschaft Tschewkin, der Eisenbahn-General, von einer Schärfe und Feinheit des Verständnisses, wie sie bei Verwachsenen mit der ihnen eigenthümlichen klugen Kopfbildung nicht selten gefunden wird; endlich der Baron Peter von Meyendorff, für mich die sympathischste Erscheinung unter den ältern Politikern, früher Gesandter in Berlin, der nach seiner Bildung und der Feinheit seiner Formen mehr dem (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 740 [1-220] alexandrinischen Zeitalter angehörte und in ihm durch Intelligenz und Tapferkeit sich aus der Stellung eines jungen Offiziers in einem Linienregimente, in dem er die französischen Kriege mitgemacht, zu einem Staatsmanne emporgearbeitet hatte, dessen Wort bei dem Kaiser Nicolaus erheblich in's Gewicht fiel. Die Annehmlichkeit seines gastfreien Hauses in Berlin wie in Petersburg wurde wesentlich erhöht durch seine Gemalin, eine männlich kluge, vornehme, ehrliche und liebenswürdige Frau, die in noch höherm Grade als ihre Schwester, Frau von Vrints in Frankfurt, den Beweis lieferte, daß in der gräflich Buol'schen Familie der erbliche Verstand ein Kunkellehn war. Ihr Bruder, der östreichische Minister Graf Vuol, hatte daran nicht den Antheil geerbt, der zur Leitung der Politik einer großen Monarchie unentbehrlich ist. Die beiden Geschwister standen einander persönlich nicht näher als die russische und die östreichische Politik. Als ich 1852 in besondrer Mission in Wien beglaubigt war, war das Verhältniß zwischen ihnen noch derart, daß Frau von Meyendorff geneigt war, mir das Gelingen meiner für Oestreich freundlichen Mission zu erleichtern, wofür ohne Zweifel die Instructionen ihres Gemals maßgebend waren. Der Kaiser Nicolaus wünschte damals unsre Verständigung mit Oestreich. Als ein oder zwei Jahre später, zur Zeit des Krimkriegs, von meiner Ernennung nach Wien die Rede war, fand das Verhältniß zwischen ihr und ihrem Bruder in den Worten Ausdruck: sie hoffe, daß ich nach Wien kommen und "dem Karl ein Gallenfieber anärgern würde". Frau von Meyendorff war als Frau ihres Gemals patriotische Russin und würde auch ohnedies schon nach ihrem persönlichen Gefühl die feindselige und undankbare Politik nicht gebilligt haben, zu welcher Graf Buol Oestreich bewogen hatte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 760 [1-228] auf die Entschließungen in Berlin einwirken zu können, ohne mir klar zu machen, daß die übermäßigen Anstrengungen, die ich mir zu diesem Zwecke in meiner Berichterstattung auferlegte, ganz fruchtlos sein mußten, weil meine Immediatberichte und meine in Form eigenhändiger Briefe gefaßten Mittheilungen entweder garnicht zur Kenntniß des Regenten gelangten oder mit Commentaren, die jeden Eindruck hinderten. Meine Ausarbeitungen hatten außer einer Complicirung der Krankheit, in welche ich durch ärztliche Vergiftung gefallen war, nur die Folge, daß die Genauigkeit meiner Berichte über die Stimmungen des Kaisers verdächtigt wurde, und um mich zu controlliren, der Graf Münster, früher Militärbevollmächtigter in Petersburg, dorthin geschickt wurde. Ich war im Stande, dem mir befreundeten Inspicienten zu beweisen, daß meine Meldungen auf der Einsicht eigenhändiger Bemerkungen des Kaisers am Rande der Berichte russischer Diplomaten beruhten, die Gortschakow mir vorgelegt hatte, und daneben auf mündlichen Mittheilungen persönlicher Freunde, die ich in dem Cabinet und am Hofe besaß. Die eigenhändigen Marginalien des Kaisers waren mir vielleicht mit berechneter Indiscretion vorgelegt worden, damit ihr Inhalt auf diesem weniger verstimmenden Wege nach Berlin gelangen sollte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 766 "Ich habe schon telegraphisch die dringende Bitte ausgesprochen, meinen vertraulichen Bericht, betreffend die Beschwerde Lord Bloomfield's in der Bentinck'schen Sache, nicht durch die Post an den Grafen Flemming in Karlsruhe zu schicken und so zu Oestreichs Kenntniß zu bringen. Sollte meine Bitte zu spät eingetroffen sein, so werde ich nach mehren Richtungen hin in unangenehme Verlegenheiten gerathen, welche kaum anders als in einem persönlichen Conflict zwischen dem Grafen Rechberg und mir ihre Lösung finden könnten. - Wie ich ihn beurtheile und wie es die östreichische Auffassung des Briefgeheimnisses überhaupt mit sich bringt, wird er sich durch den Umstand, daß diese Beweise einem geöffneten Briefe entnommen sind, von der Production derselben nicht abhalten lassen. Ich traue ihm vielmehr zu, daß er sich ausdrücklich darauf beruft, die Depesche könne nur in der Absicht auf die Post gegeben sein, damit sie zur Kenntniß der kaiserlichen Regirung gelange." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 767 Als ich 1852 die Gesandschaft in Wien zu leiten hatte, stieß ich dort auf die Gewohnheit, wenn der Gesandte eine Mittheilung zu machen hatte, die Instruction, durch die er von Berlin aus dazu beauftragt war, dem östreichischen Minister des Auswärtigen im Original einzureichen. Diese für den Dienst ohne Zweifel nachtheilige Gewohnheit, bei der eigentlich die vermittelnde Amtsthätigkeit des Gesandten als überflüssig erschien, war dergestalt tief eingerissen, daß der damalige, seit Jahrzehnten in Wien einheimische Kanzleivorstand der Gesandschaft aus Anlaß des von mir ergangenen Verbots mich aufsuchte, um mir vorzustellen, wie groß das Mißtrauen der kaiserlichen Staatskanzlei sein werde, wenn wir plötzlich in der langjährigen Gepflogenheit eine Aenderung eintreten ließen; man würde namentlich mir gegenüber zweifelhaft werden, ob meine Einwirkung auf den Grafen Buol wirklich dem Text meiner Instructionen und also den Intentionen der Berliner Politik entspräche. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 797 [1-238] her einen Saldo, welcher bei geschickter Ausnutzung uns die Möglichkeit lassen könnte, mit Oestreich uns zu verständigen, ohne mit Rußland zu brechen; ich fürchtete nur, daß die Verständigung mit Oestreich wegen der dortigen Ueberschätzung der eignen und Unterschätzung der preußischen Macht mißlingen werde, wenigstens so lange, als man in Oestreich nicht von dem vollen Ernst unsrer eventuellen Bereitschaft auch zu Bruch und Krieg überzeugt sei. Der Glaube an solche Möglichkeit sei in dem letzten Jahrzehnte unsrer Politik in Wien verloren gegangen, man habe sich dort auf der in Olmütz errungnen Basis als auf einer dauernden eingelebt und nicht gemerkt, oder vergessen, daß die Olmützer Convention ihre Rechtfertigung hauptsächlich in der vorübergehenden Ungunst unsrer Situation fand, die durch die Verzettelung unsrer Cadres und durch die Thatsache hervorgerufen war, daß das ganze Schwergewicht der russischen Macht zur Zeit jener Convention in die Wagschale Oestreichs gefallen war, wohin sie nach dem Krimkriege nicht mehr fiel. Die östreichische Politik uns gegenüber sei aber nach 1856 ebenso anspruchsvoll geblieben, wie zu der Zeit, wo der Kaiser Nicolaus für sie gegen uns einstand. Wir hätten uns der östreichischen Illusion in einer Weise unterworfen, welche an das Experiment erinnerte, ein Huhn durch einen Kreidestrich zu fesseln. Die östreichische Zuversicht, ein geschickter Gebrauch der Presse, und ein großer Reichthum an geheimen Fonds ermögliche dem Grafen Buol die Aufrechthaltung der östreichischen Phantasmagorie und das Ignoriren der starken Stellung, in der Preußen sich befinden werde, so bald es bereit sei, den Zauber des Kreidestrichs zu brechen. Worauf sich die Erwähnung der östreichischen geheimen Fonds bezog, war dem Regenten bekannt 1). (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 826 [1-246] "Ich habe gelobt, Ihnen am ersten Regentage zu antworten und muß es daher leider schon heute thun und zwar aus einem versiegenden Dintenfaß, welches ich, falls nicht andre Hülfe kommt, auf einige Minuten zum Fenster hinaushalten werde, um seiner Armuth aufzuhelfen. - Daß wir uns immer wieder verfehlten, halte ich kaum für providentiell, lieber für sehr fatal. Die Depesche aus Frankfurt kam, Dank der Dummheit des Dienstpersonals, erst am 17. nach acht Uhr früh in meine Hände und meine sofortige Antwort darauf nach einigen Stunden als unbestellbar zurück. Um so bedenklicher wurde ich wegen meiner Abreise. Aber ich konnte sie nicht verschieben. Schleinitz im Dienste der Königin Augusta hat uns vor der Hand sehr geschadet. Das Geschwür war reif. Schl. selbst, überzeugt von der Unhaltbarkeit des gegenwärtigen Systems, hat vornehmlich deshalb seinen Abtritt genommen, wie die Ratten ein baufälliges Schiff zu verlassen pflegen. Aber er und v. d. Heydt stimmten darin überein, daß man todte abgenutzte Leute nicht durch den galvanischen Strich eines vermeintlichen Märtyrerthums wieder lebendig machen dürfe, und darum gegen mich. Schl., unterstützt von der K. A. und der Großfürstin Helene, haben obgesiegt mit Hülfe der wieder aufgenommenen Krönungsidee, für welche die Mäntel schon im Februar bestellt worden waren. Der schlecht maskirte Rückzug wurde nun angetreten und die fast fertige Ministerliste ad acta gelegt. Uebrigens bin ich zu glauben sehr geneigt, daß Schl., wie die K. A. und selbst der Fürst Hohenzollern an den nahen Untergang des jetzigen Lügensystems glauben und ihn zu befördern geneigt sind. Daß Schl. ausgetreten, ist in jeder Beziehung ein Fortschritt, wiewohl er nicht auf dem doctrinären Boden von Patow, Auerswald und Schwerin steht. Abgesehn von seiner Impotenz im Handeln stützte seine Anwesenheit das Ministerium nach oben. Der Mignon durfte nicht fallen; wohlan! er ist nun im Hafen. Wenn Graf Bernstorff nur halb der Mann ist, für den er von Vielen ausgegeben wird, so ist dieser zweite Keil wirksamer als der erste, oder er bleibt nicht vier Monate im Amte. Daß ich mich in der (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 837 Während der Festlichkeiten sah ich, daß in der Stimmung der Königin eine Veränderung vorgegangen war, die vielleicht mit dem inzwischen erfolgten Rücktritt von Schleinitz zusammenhing. Sie ergriff die Initiative zur Besprechung national-deutscher Politik mit mir. Ich begegnete dort zum ersten Male dem Grafen Bernstorff als Minister, der zu einer bestimmten Entschließung über seine Politik noch nicht gelangt zu sein schien und mir in unsern Gesprächen den Eindruck machte, als ringe er nach einer Meinung. Die Königin zeigte sich gegen mich freundlicher als seit langen Jahren, sie zeichnete mich in augenfälliger Weise aus, offenbar über die im Augenblick von dem Könige gewünschte Linie hinaus. In einem Moment, der ceremoniell für Unterhaltung kaum Zeit bot, blieb sie vor mir, der ich in dem Haufen stand, stehn und begann mit mir ein Gespräch über deutsche Politik, dem der sie führende König, ein Zeit lang vergebens, ein Ende zu machen suchte. Das Verhalten beider Herrschaften bei dieser und andern Gelegenheiten bewies, daß damals eine Meinungsverschiedenheit über die Behandlung der deutschen Frage zwischen ihnen bestand; ich vermuthe, daß Graf Bernstorff Ihrer Majestät nicht sympathisch war. Der König vermied, mit mir über Politik zu reden, wahrscheinlich in der Besorgniß, durch Beziehungen zu mir in eine reactionäre Beleuchtung zu gerathen. Diese Besorgniß beherrschte ihn noch im Mai 1862 und sogar noch im September 1862. Er hielt mich für fanatischer als ich war. Nicht ohne Einfluß war (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 843 [1-251] nothwendig verantwortliche Stellung eines einflußreichen Gesandten zu verzichten. Dabei konnte ich mir keine sichre Berechnung machen von dem Gewicht und der Richtung des Beistandes, den ich im Kampfe mit der steigenden Fluth der Parlamentsherrschaft bei dem Könige und seiner Gemalin, bei den Collegen und im Lande finden werde. Meine Lage, in Berlin im Gasthofe wie einer der intriguirenden Gesandten aus der Manteuffel'schen Zeit im Lichte eines Bewerbers vor Anker zu liegen, widerstrebte meinem Selbstgefühl. Ich bat den Grafen Bernstorff, mir entweder ein Amt oder meine Entlassung zu verschaffen. Er hatte die Hoffnung, bleiben zu können, noch nicht aufgegeben, er beantragte und erhielt in wenig Stunden meine Ernennung nach Paris. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 853 [1-253] sollte, zuckte er die Achseln, und als ich hinzusetzte, es bliebe dann nichts übrig, als daß er sich selbst erbarmte, schlüpfte er darüber hinweg, nicht abwehrend, nicht zustimmend. Daß mich dies beunruhigt, kann Sie nicht wundern. Ich nahm daher gestern Gelegenheit, an maßgebender Stelle die Ministerpräsidenten-Frage auf die Bahn zu bringen, und fand die alte Hinneigung zu Ihnen neben der alten Unentschlossenheit. Wer kann da helfen? Und wie soll dies enden? - - Keine regierungsfähige Partei! Die Demokraten sind selbstverständlich ausgeschlossen, aber die große Majorität besteht aus Demokraten und solchen, die es werden wollen, wenngleich ihr Adreßentwurf von Loyalitätsversicherungen trieft. Daneben die Constitutionellen, d. h. die Eigentlichen, ein Häuflein von wenig mehr als 20 Köpfen, Vincke an der Spitze, circa 15 Conservative, 30 Katholiken, einige 20 Polen. Wo also findet eine mögliche Regierung die nöthige Unterstützung? Welche Parthei kann bei dieser Gruppirung regieren außer den Demokraten, und diese können es, dürfen es erst recht nicht. Unter diesen Umständen, so sagt meine Logik, muß die jetzige Regierung im Amte bleiben, so schwierig es auch sein mag. Und eben deshalb muß sie sich mit Nothwendigkeit verstärken und zwar je eher, je lieber. - - Daß Graf Bernstorff immer zwei große Posten in Beschlag habe, scheint mir nun nicht eben durch Preußens Interesse geboten zu sein. Ich werde mich daher sehr freuen, wenn Sie nächstens zum Ministerpräsidenten ernannt werden, obgleich ich überzeugt bin, daß B. dann binnen Kurzem aus seiner Doppelstellung treten und nicht länger den Koloß, 1 Fuß in Berlin, 1 in London, spielen wird. Ich schiebe es Ihnen in's Gewissen, keinen Gegenzug zu thun, da er schließlich dahin führen könnte und würde, den König in die offenen Arme der Demokraten zu treiben. - - Zum 11. ds. M. ist Hohenlohes Urlaub um. Er wird nicht wiederkommen, sondern nur sein Entlassungsgesuch. Und dann, ja dann hoffe ich, wird der Telegraph Sie herrufen. Alle Patrioten ersehnen dies. Wie könnten Sie da zaudern und manövriren?" (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 942 Er ist außerdem durch die collegiale Form des Staatsministeriums mit ihren Majoritätsabstimmungen zu Compromissen und zu Nachgiebigkeit seinen Collegen gegenüber nach der preußischen Ministerverfassung täglich genöthigt. Eine wirkliche Verantwortlichkeit in der großen Politik aber kann nur ein einzelner leitender Minister, niemals ein anonymes Collegium mit Majoritätsabstimmung, leisten. Die Entscheidung über Wege und Abwege liegt oft in minimalen, aber einschneidenden Wendungen, zuweilen schon in der Tonart und der Wahl der Ausdrücke eines internationalen Actenstückes. Schon bei geringer Abweichung von der richtigen Linie wächst die Entfernung von derselben oft so rapid, daß der verlassene Strang nicht wieder erreicht werden kann, und die Umkehr bis zu dem Gabelpunkt, wo er verlassen wurde, unausführbar ist. Das übliche Amtsgeheimniß deckt die Umstände, unter denen eine Entgleisung stattgefunden hat, Menschenalter hindurch, und das Ergebniß der Unklarheit, in welcher der pragmatische Zusammenhang der Dinge bleibt, erzeugt bei leitenden Ministern, wie das bei manchen meiner Vorgänger der Fall war, Gleichgültigkeit gegen die sachliche Seite der Geschäfte, sobald die formale durch königliche Unterschrift oder parlamentarische Vota gedeckt erscheint. Bei Andern wieder führt der Kampf zwischen dem eignen Ehrgefühl und der Verstrickung der Competenzverhältnisse zu tödtlichen Nervenfiebern, wie bei dem Grafen Brandenburg, oder zu Symptomen von Geistesstörung, wie in einigen frühern Fällen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 944 [1-280] Gerechtigkeit zu vertheilen sei. Rein menschlich gesprochen, wird sie in der Hauptsache auf dem Könige selbst beruhn bleiben, denn er hat überlegne, ihn und die Geschäfte leitende Rathgeber zu keiner Zeit gehabt. Er behielt sich die Auswahl unter den Rathschlägen nicht nur jedes einzelnen Ministers, sondern auch unter den viel zahlreichern vor, die ihm von mehr oder weniger geistreichen Adjutanten, Cabinetsräthen, Gelehrten, unehrlichen Strebern, ehrlichen Phantasten und Höflingen vorgetragen wurden. Und diese Auswahl behielt er sich oft lange vor. Es ist oft weniger schädlich, etwas Unrichtiges als nichts zu thun. Ich habe nie den Muth gehabt, die Gelegenheiten, die mir dieser persönlich so liebenswürdige Herr mehrmals, zuweilen scharf und beinahe zwingend, in den Jahren 1852 bis 1856 geboten hat, sein Minister zu werden, zu benutzen oder ihre Verwirklichung zu fördern. Wie er mich betrachtete, hätte ich ihm gegenüber keine Autorität gehabt, und seine reiche Phantasie war flügellahm, sobald sie sich auf dem Gebiete praktischer Entschlüsse geltend machen sollte. Mir fehlte die schmiegsame Gefügigkeit zur Uebernahme und ministeriellen Vertretung von politischen Richtungen, an die ich nicht glaubte, oder für deren Durchführung ich dem Könige den Entschluß und die Consequenz nicht zutraute. Er unterhielt und förderte die Elemente des Zwiespalts zwischen seinen einzelnen Ministern; die Frictionen zwischen Manteuffel, Bodelschwingh und Heydt, die in triangularem Kampfe mit einander standen, waren dem Könige angenehm und ein politisches Hülfsmittel in kleinen Detail-Gefechten zwischen königlichem und ministeriellem Einfluß. Manteuffel hat mit vollem Bewußtsein die Camarilla-Thätigkeit von Gerlach, Rauch, Niebuhr, Bunsen, Edwin Manteuffel geduldet; er trieb seine Politik mehr defensiv als im Hinblick auf bestimmte Ziele, fortwurstelnd, wie Graf Taaffe sagte, und beruhigt, wenn er durch allerhöchste Unterschrift gedeckt war; doch hat der reine Absolutismus ohne Parlament immer noch das Gute, daß ihm ein Gefühl der Verantwortlichkeit für eigne Thaten bleibt. Gefährlicher ist der durch gefügige (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 974 [1-292] preußischen Nationalstaat verbunden, ohne die Dynastie so weiter leben würden? Würde Baiern, isolirt gedacht, geschlossen zusammenhalten, wenn die Wittelsbacher Dynastie spurlos verschwunden wäre? Einige Dynastien haben manche Erinnerungen, die nicht grade geeignet sind, die heterogenen Theile, aus denen diese Staaten geschichtlich gebildet sind, mit Anhänglichkeit zu erfüllen. Das Land Schleswig-Holstein hat garkeine dynastische Erinnerungen, namentlich nicht im anti-gottorpischen Sinne, und doch hat die Aussicht, einen selbständigen kleinen Hof mit Ministern, Hofmarschällen und Orden neu bilden zu können, und auf Kosten der preußischen und östreichischen Bundesleistungen eine kleinstaatliche Existenz zu führen, recht starke particularistische Bewegungen in den Elbherzogthümern hervorgerufen. Das Großherzogthum Baden hat seit dem Markgrafen Ludwig vor Belgrad kaum eine dynastische Erinnerung; das rasche Anwachsen dieses kleinen Fürstenthums unter französischer Protection im Rheinbunde, das Hofleben der letzten Fürsten der alten Linie, die eheliche Verbindung mit dem Hause Beauharnais, die Caspar Hauser-Geschichte, die revolutionären Vorgänge von 1832, die Vertreibung des bürgerfreundlichen Großherzogs Leopold, die Vertreibung des regirenden Hauses 1849 haben den Zwang der dynastischen Fügsamkeit im Lande nicht brechen können, und Baden hat 1866 seinen Krieg gegen Preußen und die deutsche Idee geführt, weil die dynastischen Interessen des regirenden Hauses es unabweislich machten. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 985 Bei der Vertheilung der Ministerien, wofür die Auswahl an Candidaten klein war, verursachte das Finanzministerium den geringsten Aufenthalt; es wurde Herrn Karl von Bodelschwingh - Bruder des im März 1848 abgetretenen Ministers des Innern, Ernst von Bodelschwingh - zugetheilt, der es bereits unter Manteuffel von 1851 bis 1858 gehabt hatte. Es zeigte sich freilich bald, daß er und der Graf Itzenplitz, dem das Handelsministerium zufiel, nicht im Stande waren, ihre Ministerien zu leiten. Beide beschränkten sich darauf, die Beschlüsse der sachkundigen Räthe mit ihrer Unterschrift zu versehn und nach Möglichkeit die Divergenzen zu vermitteln, in welche die Beschlüsse der theils liberalen, theils in engen Ressort-Gesichtspunkten befangenen Räthe mit der Politik des Königs und des Staatsministeriums gerathen konnten. Die sehr sachkundigen Mitglieder des Finanzministeriums gehörten innerlich der Mehrzahl nach der Opposition gegen das Conflictsministerium an und betrachteten es als eine kurze Episode in der liberalen Fortbildung der bürokratischen Regirungsmaschine; und wenn die tüchtigsten unter ihnen zu gewissenhaft waren, um die Thätigkeit der Regirung zu hemmen, so leisteten sie doch einen passiven Widerstand, wo ihr amtliches Pflichtgefühl ihnen einen solchen erlaubte, der immerhin nicht unerheblich war. Aus dieser Sachlage (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 987 Ebenso war der Handelsminister Graf Itzenplitz nicht im Stande, das Steuer seines überladenen ministeriellen Fahrzeugs selbständig zu führen, sondern trieb in der Strömung, welche seine Untergebenen ihm herstellten. Wenn es vielleicht unmöglich war, für die mannichfaltigen Verzweigungen des damaligen Handelsministeriums einen Chef zu finden, der in allen ihm unterstellten Disciplinen zur Führung seiner Untergebenen befähigt gewesen wäre, so stand der Graf Itzenplitz den von ihm zu lösenden Aufgaben viel fremder gegenüber, als z. B. von der Heydt, und verfiel ziemlich hülflos der in technischen Fragen sachkundigen Leitung der Decernenten, namentlich Delbrücks. Außerdem war er eine weiche Natur, ohne die zur Leitung eines so großen Ressorts nöthige Energie; selbst den Unredlichkeiten gegenüber, die damals einzelnen hervorragenden Mitarbeitern des Handelsministeriums schuldgegeben wurden und die den persönlich ehrliebenden Chef auf's Höchste beunruhigten, wurde ihm das Einschreiten sehr schwer, weil die technische Leistung der ihm selbst verdächtigen Beamten ihm unentbehrlich schien. Unterstützung meiner Politik hatte ich persönlich von den in Rede stehenden beiden Collegen nicht zu erwarten, weder nach ihrem Verständniß für dieselbe, noch nach dem Maß von Wohlwollen, welches sie für mich als jüngern und ursprünglich dem Geschäft nicht angehörigen Präsidenten übrig hatten. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 988 Als Minister des Innern fand ich Herrn von Jagow vor, der durch die Lebhaftigkeit seines Tones, seinen Wortreichthum und die rechthaberische Färbung seiner Discussion sich binnen Kurzem die Abneigung seiner Collegen in dem Grade zuzog, daß er durch den Grafen Friedrich Eulenburg ersetzt werden mußte. Charakteristisch für ihn ist ein Erlebniß, das wir mit ihm hatten, nachdem (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 990 Mein landwirthschaftlicher College von Selchow entsprach in seiner Begabung nicht dem Rufe, der ihm in der Provinzialverwaltung vorhergegangen war. Der König hatte ihm das zur Zeit wichtigste Ministerium des Innern zugedacht. Nach einer längern Unterredung, in der ich die Bekanntschaft des Herrn von Selchow machte, bat ich Se. Majestät, davon abzustehn, weil ich ihn der Aufgabe nicht für gewachsen hielt, und schlug statt seiner den Grafen Friedrich Eulenburg vor. Beide Herrn standen mit dem Könige in maurerischen Beziehungen und wurden bei den Schwierigkeiten, die die Vervollständigung des Ministeriums hatte, erst im December zum Eintritt bewogen. Der König hatte Zweifel an Graf Eulenburgs Sachkunde auf dem Gebiete (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 991 [1-300] des Innern, wollte ihm das Handelsministerium, dem Grafen Itzenplitz die Landwirthschaft und Selchow das Innere geben. Ich entwickelte dem gegenüber, daß die ressortmäßige Sachkunde als Handelsminister bei Eulenburg und Selchow auf ziemlich gleicher Stufe stehn und jedenfalls mehr bei ihren Räthen als bei ihnen selbst zu suchen sein würde, daß ich in diesem Falle viel mehr Gewicht auf persönliche Begabung, Geschick und Menschenkenntniß legte, als auf technische Vorbildung. Ich gäbe zu, daß Eulenburg arbeitsscheu und vergnügungssüchtig sei: er sei aber auch gescheidt und schlagfertig, und wenn er als Minister des Innern in der nächsten Zeit als der Vorderste auf der Bresche stehn müsse, so werde das Bedürfniß, sich zu wehren und die Schläge, die er bekommen, zu erwidern, ihn aus seiner Unthätigkeit heraus spornen. Der König gab mir endlich nach, und ich glaube auch noch heut, daß meine Wahl den Umständen nach richtig war; denn wenn ich auch unter dem Mangel an Arbeitsamkeit und Pflichtgefühl meines Freundes Eulenburg mitunter schwer gelitten habe, so war er doch in den Zeiten seiner Arbeitslust ein tüchtiger Gehülfe und immer ein feiner Kopf, nicht ohne Ehrgeiz und Empfindlichkeit, auch mir gegenüber. Wenn die Periode der Entsagung und angestrengten Arbeit länger als gewöhnlich dauerte, so verfiel er in nervöse Krankheiten. Jedenfalls waren er und Roon die Hervorragendsten in dem Conflictsministerium. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 996 Der Justizminister Graf zur Lippe hatte vielleicht von seiner Thätigkeit als Staatsanwalt die Gewohnheit beibehalten, auch das Schärfste mit lächelnder Miene, mit einem höhnischen Ausdrucke von Ueberlegenheit zu sagen, und verstimmte dadurch die Parlamente und die Collegen. Er stand nächst Bodelschwingh am weitesten rechts unter uns und war in Vertretung seiner Richtung schärfer als dieser, weil er in seinem Ressort sachkundig genug war, um seiner persönlichen Ueberzeugung folgen zu können, während Bodelschwingh den Geschäftsgang des Finanzministeriums ohne den willigen Beistand seiner sachkundigen Räthe nicht beherrschen konnte, diese Räthe aber in ihrer politischen Auffassung weiter links standen als ihr Chef und das ganze Ministerium. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 1014 Gegenüber der Bewegung in Polen, die gleichzeitig mit der Umwälzung in Italien, und nicht ohne Zusammenhang mit ihr, durch die Landestrauer, die kirchliche Feier vaterländischer Erinnerungstage und die Agitation der landwirthschaftlichen Vereine begann, war man in Petersburg ziemlich lange schwankend zwischen Polonismus und Absolutismus. Die den Polen freundliche Strömung hing zusammen mit dem in der höhern russischen Gesellschaft laut gewordenen Verlangen nach einer Verfassung. Man empfand es als eine Demüthigung, daß die Russen, die doch auch gebildete Leute wären, Einrichtungen entbehren müßten, die bei allen europäischen Völkern existirten, und daß sie über ihre eignen Angelegenheiten nicht mitzureden hätten. Der Zwiespalt in der Beurtheilung der polnischen Frage erstreckte sich bis in die höchsten militärischen Kreise und führte zwischen dem Statthalter in Warschau, General Graf Lambert, und dem Generalgouverneur General Gerstenzweig, zu einer leidenschaftlichen Erörterung, die mit dem nicht aufgeklärten gewaltsamen Tode des Letztern endete (Jan. 1862). Ich wohnte seiner Beisetzung in einer der evangelischen Kirchen Petersburgs bei. Diejenigen Russen, welche für sich eine Verfassung verlangten, machten zuweilen entschuldigend geltend, daß die Polen durch Russen nicht regirbar wären und als die Civilisirteren erhöhten Anspruch auf Betheiligung an ihrer Regirung hätten. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 1026 [1-312] Es ist nicht zu bezweifeln, daß die damalige Intimität mit den beiden Westmächten zu dem Entschlusse des Kaisers Franz Joseph mitgewirkt hat, am 2. August den Vorstoß mit dem Fürstencongreß gegen Preußen zu machen. Freilich hätte er sich dabei in einem Irrthum befunden und nicht gewußt, daß der Kaiser Napoleon der polnischen Sache schon überdrüssig und auf einen anständigen Rückzug bedacht war. Graf Goltz schrieb mir am 31. August 1): "Sie werden aus meiner heutigen Expedition ersehen, daß ich mit Cäsar Ein Herz und Eine Seele bin (in der That war er noch nie, auch zu Anfang meiner Mission nicht, so liebenswürdig und vertraulich wie diesmal), daß Oesterreich uns durch seinen Fürstentag, was unsre Beziehungen zu Frankreich anbetrifft, einen großen Dienst geleistet hat, und daß es nur einer befriedigenden Beilegung der polnischen Differenzen bedarf, um, Dank zugleich der Abwesenheit Metternichs und der heute erfolgten Abreise seiner hohen Freundin 2), in eine politische Lage zurückzugelangen, in welcher wir den kommenden Ereignissen mit Zuversicht entgegensehen können. Ich habe auf die Andeutungen des Kaisers hinsichtlich der polnischen Angelegenheit nicht so weit eingehen können, als ich es gewünscht hätte. Er schien mir ein Mediationsanerbieten zu erwarten; aber die Aeußerungen des Königs hielten mich zurück. Jedenfalls scheint es mir rathsam, das Eisen zu schmieden, so lange es warm ist; der Kaiser hat jetzt bescheidenere Ansprüche als je, und es ist zu besorgen, daß er wieder zu stärkeren Anforderungen zurückkehrt, wenn etwa Oesterreich das Frankfurter Ungeschick durch eine erhöhte Bereitwilligkeit in der polnischen Frage wieder gut zu machen bemüht sein sollte. Er will jetzt nur aus der Sache mit Ehren herauskommen, erkennt die sechs Punkte selbst als schlecht an und wird daher bei ihrer praktischen Durchführung gern ein Auge zudrücken, weshalb es ihm vielleicht sogar ganz recht ist, wenn er (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 1030 Dieser, schon 14 Tage vorher von dem General Fleury einem Mitgliede der preußischen Gesandschaft gradezu gemachten Insinuation, dem Kaiser Alexander zu dem bezeichneten Schritte zu rathen, haben wir keine Folge gegeben, und der diplomatische Feldzug der drei Mächte ist im Sande verlaufen. Der ganze Plan des Grafen Goltz schien mir weder politisch richtig noch würdig, mehr im Pariser Sinne als in unserm gedacht. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 1035 1) Vgl. zum Folgenden den Brief Bismarck's an Graf Bernstorff vom 9. März 1863, Bismarck-Jahrbuch VI 172 ff. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 1101 Die ersten Versuche auf der Bahn, auf der das Bündniß mit Oestreich 1879 erreicht wurde, fanden Statt, während der Graf Rechberg Ministerpräsident, respective Minister des Aeußern war (17. Mai 1859 bis 27. October 1864). Da die persönlichen Beziehungen, in denen ich zu ihm am Bundestage gestanden hatte, solchen Versuchen förderlich sein konnten und in einem Zeitpunkte förderlich gewesen sind, so schalte ich zwei Erlebnisse ein, die ich in Frankfurt mit ihm gehabt habe. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 1111 Ich hatte am 4. December 1862 gegenüber dem Grafen Karolyi, mit dem ich auf vertrautem Fuße stand, mit offnen Karten gespielt. Ich sagte ihm: (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 1113 Graf Karolyi, ein ehrlicher und unabhängiger Charakter, hat ohne Zweifel genau berichtet, was wir unter vier Augen vertraulich besprochen haben. In Wien aber hatte man seit der Olmützer und Dresdner Zeit und der Präpotenz Schwarzenbergs eine irrige Ansicht gewonnen; man hatte sich gewöhnt, uns für schwächer und namentlich für furchtsamer zu halten, als wir zu sein brauchen, und das Gewicht fürstlicher Verwandschaft und Liebe in Fragen internationaler Politik für die Dauer zu hoch in Ansatz gebracht. Die ältern militärischen Vermuthungen sprachen allerdings dafür, (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 1119 Wenn das östreichische Cabinet die vertrauliche Eröffnung, die ich dem Grafen Karolyi 1862 gemacht hatte, ohne irrthümliche Schätzung der Realitäten richtig gewürdigt und seine Politik dahin modificirt hätte, die Verständigung mit Preußen anstatt dessen Vergewaltigung durch Majoritäten und andre Einflüsse zu suchen, so hätten wir wahrscheinlich eine Periode dualistischer Politik in Deutschland erlebt oder doch versucht. Es ist freilich zweifelhaft, ob eine solche ohne die klärende Wirkung der Erfahrungen von 1866 und 1870 sich in einem für das deutsche Nationalgefühl annehmbaren Sinne friedlich, unter dauernder Verhütung des innern Zwiespalts, hätte entwickeln können. Der Glaube an die militärische Ueberlegenheit Oestreichs war in Wien und an den mittelstaatlichen Höfen zu stark für einen modus vivendi auf dem Fuße der Gleichheit mit Preußen. Der Beweis für Wien lag in den Proclamationen, die in den Tornistern der östreichischen Soldaten neben den neuen, zum Einzuge in Berlin bestimmten Uniformen gefunden wurden und deren Inhalt die Sicherheit verrieth, mit der man auf siegreiche Occupation der preußischen Provinzen gerechnet hatte. Auch die Ablehnung der letzten durch den Bruder des (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 1133 Nachdem der König auf der Rückreise von Baden-Baden (31. August) nach Berlin so nahe an Frankfurt vorüber gefahren war, daß der entschlossene Wille, sich nicht zu betheiligen, zu Tage lag, wurde die Mehrheit oder wurden wenigstens die mächtigsten Fürsten von einem Unbehagen erfaßt bei dem Gedanken an den Reformentwurf, der sie, wenn Preußen fern blieb, mit Oestreich allein in einem Verbande ließ, in dem sie nicht durch die Rivalität der beiden Großmächte gedeckt waren. Das Wiener Cabinet muß an die Möglichkeit geglaubt haben, daß die übrigen Bundesfürsten auf die dem Congreß am 17. August gemachte Vorlage auch dann eingehn würden, wenn sie in dem reformirten Bundesverhältniß schließlich mit Oestreich allein geblieben wären. Man würde sonst nicht den in Frankfurt verbliebenen Fürsten die Zumuthung gemacht haben, die östreichische Vorlage auch ohne Preußens Zustimmung anzunehmen und in die Praxis überzuführen. Die Mittelstaaten wollten aber in Frankfurt weder eine einseitig preußische, noch eine einseitig östreichische Leitung, sondern für sich ein möglichst einflußreiches Schiedsamt im Sinne der Trias, welches jede der beiden Großmächte auf das Bewerben um die Stimmen der Mittelstaaten anwies. Die östreichische Zumuthung, auch ohne Preußen abzuschließen, wurde beantwortet durch den Hinweis auf die Nothwendigkeit neuer Verhandlungen mit Preußen und die Kundgebung der eignen Neigung zu solchen. Die Form der Beantwortung der östreichischen Wünsche war nicht glatt genug, um in Wien keine Empfindlichkeit zu erregen. Die Wirkung auf den Grafen Rechberg, vorbereitet durch die guten Beziehungen, in denen unsre Frankfurter Collegenschaft abgeschlossen hatte, war, daß er sagte, (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 1136 Die durch die Ablehnung erzeugte Verstimmung war nach meinen Eindrücken hauptsächlich der Antrieb, der das Wiener Cabinet zu einer Verständigung mit Preußen im Widerspruche mit der bundestägigen Auffassung leitete. Diese neue Richtung entsprach dem östreichischen Interesse, auch wenn sie länger beibehalten worden wäre. Dazu wäre vor Allem erforderlich gewesen, daß Rechberg am Ruder blieb. Wäre damit eine dualistische Führung des Deutschen Bundes hergestellt worden, der sich die übrigen Staaten nicht versagt haben würden, sobald sie die Ueberzeugung gewonnen hätten, daß die Verständigung der beiden Vormächte ehrlich und dauerhaft war, so würden auch die Rheinbundgelüste einzelner süddeutschen Minister, die am schärfsten, was auch Graf Beust in seinen Denkwürdigkeiten sagen mag, in Darmstadt zum Ausdruck kamen, dem östreichisch-preußischen Einverständniß gegenüber verstummt sein. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 1138 Wenige Monate nach dem Frankfurter Congreß starb der König Friedrich VII. von Dänemark (15. November 1863). Das Mißlingen des östreichischen Vorstoßes, die Weigerung der übrigen Bundesstaaten, nach der preußischen Ablehnung mit Oestreich allein in engere Beziehung zu treten, brachten den Gedanken einer dualistischen Politik der beiden deutschen Großmächte, infolge der Eröffnung der schleswigholsteinischen Frage und Succession, in Wien der Erwägung nahe, und mit mehr Aussicht auf Verwirklichung, als im December 1862 vorgelegen hatte. Graf Rechberg machte in der Verstimmung über die Weigerung der Bundesgenossen, sich ohne Mitwirkung Preußens zu verpflichten, einfach Kehrt mit dem Bemerken, daß die Verständigung mit Preußen für Oestreich noch leichter sei als für (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 1152 Der Dualismus würde, wie ich ihn mir dachte, dem jetzt bestehenden Verhältniß ähnlich gewesen sein, jedoch mit dem Unterschiede, daß Oestreich auf die Staaten, die jetzt mit Preußen das Deutsche Reich bilden, bundesmäßigen Einfluß behalten haben würde. Rechberg war für Verstärkung des Gewichts von Mitteleuropa durch eine solche Verständigung der beiden Mächte gewonnen. Diese Gestaltung würde, im Vergleich zur Vergangenheit und, wie die Dinge damals lagen, immerhin ein Fortschritt zum Bessern gewesen sein, aber Dauer nur versprochen haben, so lange das Vertrauen zu den beiderseits leitenden Personen ungestört blieb. Graf Rechberg sagte mir bei meiner Abreise von Wien (26. August 1864), daß seine Stellung angefochten sei; durch die Erörterungen des Ministeriums und die Haltung des Kaisers zu demselben sei er in die Lage gerathen, fürchten zu müssen, daß seine Collegen, namentlich Schmerling, ihn über Bord schieben würden, wenn er nicht für die Zollvereinsbestrebungen Oestreichs, die den Kaiser vorzugsweise beschäftigten, wenigstens die Zusicherung beibringen könne, daß wir auf Verhandlungen in bestimmter Frist eingehn wollten. Ich hatte gegen ein solches pactum de contrahendo keine Bedenken, weil ich überzeugt war, daß es mir keine über die Grenzen des mir möglich Scheinenden hinaus gehenden Zugeständnisse würde (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 1154 Von der Unmöglichkeit der Zolleinigung überzeugt, hatte ich kein Bedenken, dem Grafen Rechberg den gewünschten Dienst zu erweisen, um ihn im Amte zu erhalten. Ich glaubte bei meiner Abreise nach Biarritz (5. October) sicher zu sein, daß der König an meinem Votum festhalten werde; und mir sind noch heut die Motive nicht klar, welche meine Collegen, den Finanzminister Karl von Bodelschwingh und den Handelsminister Grafen Itzenplitz, und ihren freihändlerischen spiritus rector Delbrück bestimmt haben, während meiner Abwesenheit den König auf einem ihm ziemlich fremden Gebiete mit so viel Entschiedenheit zu bearbeiten, daß durch unsre Ablehnung die Stellung Rechbergs, wie er es vorhergesagt hatte, erschüttert und er in dem auswärtigen Ministerium durch Mensdorff ersetzt wurde, der zunächst der Candidat Schmerlings war, (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 1159 Und wieder zwei Tage später schrieb mir Graf Goltz aus Paris: (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 1162 Nicht ohne Bedeutung für den Werth dualistischer Politik war die Frage, auf welches Maß von Sicherheit im Innehalten dieser Linie wir bei Oestreich rechnen konnten. Wenn man sich die Plötzlichkeit vergegenwärtigte, mit welcher Rechberg in der Verstimmung über den Mangel an Folgsamkeit der Mittelstaaten mit diesen gebrochen und sich mit uns ohne und gegen sie verbündet hatte, so konnte man die Möglichkeit nicht abweisen, daß ein Mangel an Uebereinstimmung mit Preußen in Einzelfragen ebenso unerwartet zu einer neuen Schwenkung führen könnte. Ueber Mangel an Aufrichtigkeit habe ich bei dem Grafen Rechberg nie zu klagen gehabt, aber er war, wie Hamlet sagt, spleenetic and rash in einem ungewöhnlichen Grade; und wenn die persönliche Verstimmung des Grafen Buol über unfreundliche Formen des Kaisers Nicolaus mehr als über politische Differenzen hingereicht hatte, die östreichische Politik in der Linie der bekannten Schwarzenbergischen Undankbarkeit (Nous étonnerons l'Europe par notre ingratitude) dauernd festzuhalten, so durfte man sich der Möglichkeit nicht verschließen, daß die sehr viel schwächern Bindemittel zwischen dem Grafen Rechberg und mir von irgend welcher Fluthwelle weggeschwemmt werden könnten. Der Kaiser Nicolaus hatte zu dem Glauben an die Zuverlässigkeit seiner Beziehungen zu Oestreich viel stärkere Unterlagen als wir zur Zeit des dänischen Krieges. Er hatte dem Kaiser Franz Joseph einen Dienst erwiesen, wie kaum je ein Monarch seinem Nachbarstaat gethan 1), und die Vortheile der gegenseitigen Anlehnung im monarchischen Interesse der Revolution gegenüber, der italienischen und ungarischen so gut wie der polnischen von 1846, fielen für Oestreich bei dem Zusammenhalten mit Rußland noch schwerer in das Gewicht als bei dem mit Preußen 1864 möglichen (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 1173 Für die huldreichen Eröffnungen, welche mir Graf Holnstein auf Befehl Eurer Majestät gemacht hat, bitte ich Allerhöchstdieselben den ehrfurchtsvollen Ausdruck meines Dankes entgegennehmen zu wollen. Das Gefühl meiner Dankbarkeit gegen Eure Majestät hat einen tiefern und breitern Grund als den persönlichen in der amtlichen Stellung, in welcher ich die hochherzigen Entschließungen Eurer Majestät zu würdigen berufen bin, durch welche Eure Majestät beim Beginne und bei Beendigung dieses Krieges der Einigkeit und der Macht Deutschlands den Abschluß gegeben haben. Aber es ist nicht meine, sondern die Aufgabe des deutschen Volkes und der Geschichte, dem durchlauchtigen bairischen Hause für Eurer Majestät vaterländische Politik und für den Heldenmuth Ihres Heeres zu danken. Ich kann nur versichern, daß ich Eurer Majestät, so lang ich lebe, in ehrlicher Dankbarkeit anhänglich und ergeben sein und mich jederzeit glücklich schätzen werde, wenn es mir vergönnt wird, Eurer Majestät zu Diensten zu sein. In der deutschen Kaiserfrage habe ich mir erlaubt, dem Grafen Holnstein einen kurzen Entwurf vorzulegen, welchem der Gedankengang zu Grunde liegt, der meinem Gefühl nach die deutschen Stämme bewegt: der deutsche Kaiser ist ihrer aller Landsmann, der König von Preußen ein Nachbar, dem unter diesem Namen Rechte, die ihre Grundlage nur in der freiwilligen Uebertragung durch die deutschen Fürsten und Stämme finden, nicht zustehn. Ich glaube, daß der deutsche Titel für das Präsidium die Zulassung desselben erleichtert, und die Geschichte lehrt, daß die großen Fürstenhäuser Deutschlands, Preußen eingeschlossen, die Existenz des von ihnen gewählten (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 1177 Mein lieber Graf! (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 1181 Groß, unsterblich ist das, was Sie für die deutsche Nation gethan haben, und ohne zu schmeicheln, darf ich sagen, daß Sie in der Reihe der großen Männer unseres Jahrhunderts den hervorragendsten Platz einnehmen. Möge Gott Ihnen noch viele, viele Jahre verleihen, damit Sie fortfahren können zu wirken für das Wohl und Gedeihen unseres gemeinsamen Vaterlandes. Meine besten Grüße Ihnen sendend, bleibe ich, mein lieber Graf, stets (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 1189 Das huldreiche Schreiben Eurer Majestät, welches Graf Holnstein mir überbracht hat, ermuthigt mich mit meinem Danke für den gnädigen Inhalt desselben, Eurer Majestät meine unterthänigsten Glückwünsche zu dem bevorstehenden Jahreswechsel darzubringen. Wohl selten hat Deutschland von einem neuen Jahre mit gleicher Zuversicht wie von dem bevorstehenden die Erfüllung nationaler Wünsche erwartet. Wenn diese Hoffnungen sich verwirklichen, wenn das geeinte Deutschland dahin gelangt, daß es seinen äußern Frieden in gesicherten Grenzen durch eigne Kraft verbürgen kann, gleichzeitig, ohne die freie Entwicklung der einzelnen Bundesglieder zu beeinträchtigen, so wird die entscheidende Stellung, die Eure Majestät zu der Neugestaltung des gemeinsamen Vaterlandes gewonnen haben, in der Geschichte und in der Dankbarkeit der Deutschen jederzeit unvergessen bleiben. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 1252 Ich ersuche Sie, der Fürstin den Ausdruck meiner besonderen Verehrung zu übermitteln und Ihren Sohn, den Grafen Herbert, recht vielmals von mir grüßen zu wollen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 1 [2-1] Neunzehntes Kapitel. Schleswig-Holstein. I. Zu meinem Nachfolger in Paris war Graf Robert von der Goltz ernannt worden, der seit 1855 Gesandter in Athen, Constantinopel und Petersburg gewesen war. Meine Erwartung, daß das Amt ihn disciplinirt, der Uebergang von der schriftstellerischen zu einer geschäftlichen Thätigkeit ihn praktischer, nüchterner gemacht und die Berufung auf den derzeit wichtigsten Posten der preußischen Diplomatie seinen Ehrgeiz befriedigt haben würde, sollte sich nicht sogleich und nicht völlig erfüllen. Am Ende des Jahres 1863 sah ich mich zu einer schriftlichen Erörterung mit ihm genöthigt, die leider nicht vollständig in meinem Besitz ist; von seinem Briefe vom 22. December, welcher den unmittelbaren Anlaß dazu gab, ist nur ein Bruchstück vorhanden 1), und in der Abschrift meiner Antwort fehlt der Eingang. Aber auch so hat diese ihren Werth als Schilderung der damaligen Situation und als Beleuchtung der daraus hervorgegangenen Entwicklung. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 26 „Was Eure Majestät stets gefürchtet und vermieden, was alle Einsichtigen voraussahen, daß ein ernstliches Zerwürfniß mit Oesterreich von Frankreich benutzt werden würde, um sich auf Kosten Deutschlands zu vergrößern (wo?) 2), liegt jetzt in L. Napoleons ausgesprochenem Programm aller Welt vor Augen. ... Die ganzen Rheinlande für die Herzogthümer wäre für ihn kein schlechter Tausch, denn mit den früher beanspruchten petites rectifications des frontières wird er sich gewiß nicht begnügen. Und Er ist der allmächtige Gebieter in Europa! ... Gegen den Urheber dieser (unsrer) Politik hege ich keine feindliche Gesinnung. Ich erinnere mich gerne, daß ich 1848 Hand in Hand mit ihm ging, um den König zu stärken. Im März 1862 rieth ich Eurer Majestät, einen Steuermann von conservativen Antecedentien zu wählen, der Ehrgeiz, Kühnheit und Geschick genug besitze, um das Staatsschiff aus den Klippen, in die es gerathen, herauszuführen, und ich würde Herrn von Bismarck genannt haben, hätte ich geglaubt, daß er mit jenen Eigenschaften die Besonnenheit und Folgerichtigkeit des Denkens und Handelns verbände, deren Mangel der Jugend kaum verziehen wird, bei einem Manne aber für den Staat, den er führt, lebensgefährlich ist. In der That war des Grafen Bismarck Thun von Anfang an voller Widersprüche. ... Von jeher ein entschiedener Vertreter der russisch-französischen Allianz, knüpfte er an die im preußischen Interesse Rußland zu leistende Hilfe gegen den polnischen Aufstand politische Projecte 3), (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 30 [2-14] die ihm beide Staaten entfremden mußten. Als ihm 1863 mit dem Tode des Königs von Dänemark eine Aufgabe in den Schooß fiel, so glücklich, wie sie nur je einem Staatsmanne zu Theil geworden, verschmähte er es, Preußen an die Spitze der einmüthigen Erhebung Deutschlands (in Resolutionen) *) zu stellen, dessen Einigung unter Preußens Führung sein Ziel war, verband sich vielmehr mit Oesterreich, dem principiellen Gegner dieses Planes, um später sich mit ihm unversöhnlich zu verfeinden. Den Prinzen von Augustenburg, dem Ew. M. wohlwollten, und von dem damals Alles zu erhalten war, mißhandelte er **), um ihn bald darauf durch den Grafen Bernstorff auf der Londoner Conferenz für den Berechtigten erklären zu lassen. Dann verpflichtet er Preußen im Wiener Frieden, nur im Einverständniß mit Oesterreich definitiv über die befreiten Herzogthümer zu disponiren 1), und läßt in denselben Einrichtungen treffen, welche die beabsichtigte ‚Annexion‘ deutlich verkündigen. ... (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 32 Dies Alles ist schlimm, aber noch viel schlimmer in meinen Augen, daß Graf Bismarck sich in dieser Handlungsweise mit der Gesinnung und den Zielen seines Königs in Widerspruch setzte und sein größtes Geschick darin bewies, daß er ihn Schritt für Schritt dem entgegengesetzten Ziele näher führte, bis die Umkehr unmöglich schien, während es nach meinem Dafürhalten die erste Pflicht eines Ministers ist, seinen Fürsten treu zu berathen, ihm die (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 36 [2-15] Mittel zur Ausführung seiner Absichten darzureichen und vor Allem dessen Bild vor der Welt rein zu erhalten. Eurer Majestät gerader, gerechter und ritterlicher Sinn ist weltbekannt und hat Allerhöchstdemselben das allgemeine Vertrauen, die allgemeine Verehrung zugewendet. Graf Bismarck aber hat es dahin gebracht, daß Eurer Majestät edelste Worte dem eigenen Lande gegenüber, weil nicht geglaubt, wirkungslos verhallen, und daß jede Verständigung mit andern Mächten unmöglich geworden, weil die erste Vorbedingung derselben, das Vertrauen, durch eine ränkevolle Politik zerstört worden ist. ... Noch ist kein Schuß gefallen, noch ist Verständigung unter einer Bedingung möglich. Nicht die Kriegsrüstungen sind einzustellen, vielmehr, wenn es nöthig ist, zu verdoppeln, um Gegnern, die unsre Vernichtung wollen, siegreich entgegen zu treten oder mit vollen Ehren aus dem verwickelten Handel herauszukommen. Aber jede Verständigung ist unmöglich, so lange der Mann an Eurer Majestät Seite steht. Ihr entschiedenes Vertrauen besitzt, der dieses Eurer Majestät bei allen andern Mächten geraubt hat“ 1). ... III. Als der König dieses Schreiben erhielt, war er schon aus der Verstrickung der darin wiederholten Argumente frei geworden durch den Gasteiner Vertrag vom 14./20. August 1865. Mit welchen Schwierigkeiten ich bei den Verhandlungen über diesen noch zu kämpfen hatte, welche Vorsicht zu beachten war, zeigt mein nachstehendes Schreiben an Se. Majestät: (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 40 [2-16] Dienstes mich veranlaßt, auf die Mittheilungen zurückzukommen, welche Eure Majestät soeben die Gnade hatten mir zu machen. Der Gedanke einer Theilung auch nur der Verwaltung der Herzogthümer würde, wenn er im Augustenburgischen Lager ruchbar würde, einen heftigen Sturm in Diplomatie und Presse erregen, weil man den Anfang der definitiven Theilung darin erblicken und nicht zweifeln würde, daß die Landestheile, welche der ausschließlich preußischen Verwaltung anheimfallen, für Augustenburg verloren sind. Ich glaube mit Eurer Majestät, daß I. M. die Königin die Mittheilungen geheim halten werde; wenn aber von Coblenz im Vertrauen auf die verwandschaftlichen Beziehungen eine Andeutung an die Königin Victoria, an die kronprinzlichen Herrschaften, nach Weimar oder nach Baden gelangte, so könnte allein die Thatsache, daß von uns das Geheimniß, welches ich dem Grafen Blome auf sein Verlangen zusagte, nicht bewahrt worden ist, das Mißtrauen des Kaisers Franz Joseph wecken und die Unterhandlung zum Scheitern bringen. Hinter diesem Scheitern steht aber fast unvermeidlich der Krieg mit Oestreich; Eure Majestät wollen es nicht nur meinem Interesse für den allerhöchsten Dienst, sondern meiner Anhänglichkeit an Allerhöchstdero Person zu Gute halten, wenn ich von dem Eindrucke beherrscht bin, daß Eure Majestät in einen Krieg mit einem andern Gefühle und mit freierem Muthe hineingehn werden, wenn die Nothwendigkeit dazu sich aus der Natur der Dinge und aus den monarchischen Pflichten ergiebt, als wenn der Hintergedanke Raum gewinnen kann, daß eine vorzeitige Kundwerdung der beabsichtigten Lösung den Kaiser abgehalten habe, zu dem letzten für Eure Majestät annehmbaren Auskunftsmittel die Hand zu bieten. Vielleicht ist meine Sorge thöricht und selbst wenn sie begründet wäre und Eure Majestät darüber hinweggehn wollten, so würde ich denken, daß Gott Eurer Majestät Herz lenkt, und meinen Dienst deshalb nicht minder freudig thun, aber zur Wahrung des Gewissens doch ehrfurchtsvoll anheimgeben, ob Eure Majestät mir nicht befehlen wollen, den Feldjäger telegraphisch von Salzburg zurückzurufen.†) Die äußere Veranlassung dazu könnte (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 41 [2-17] die ministerielle Expedition bieten, und es könnte morgen ein andrer an seiner Statt oder derselbe rechtzeitig abgehn. Eine Abschrift dessen, was ich an Werther über die Verhandlung mit Graf Blome telegraphirt habe, lege ich allerunterthänigst bei. Zu Eurer Majestät bewährter Gnade habe ich das ehrfurchtsvolle Vertrauen, daß Allerhöchstdieselben, wenn Sie meine Bedenken nicht gutheißen, deren Geltendmachung dem aufrichtigen Streben verzeihn wollen, Eurer Majestät nicht nur pflichtmäßig, sondern auch zu Allerhöchstdero persönlicher Befriedigung zu dienen.“ (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 60 [2-23] hohen Verdienste, dem ich so oft Gelegenheit hatte, meinen Dank auszusprechen, auch einen öffentlichen Beweis desselben zu geben, erhebe ich Sie hiermit mit Ihrer Descendenz in den Grafen Stand, eine Auszeichnung, welche auch immerhin beweisen wird, wie hoch ich Ihre Leistungen um das Vaterland zu würdigen wußte. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 64 Die unvortheilhafte Gestaltung, die Preußen auf dem Wiener Congreß als Lohn seiner Anstrengungen und Leistungen davon getragen hatte, war nur haltbar, wenn wir mit den zwischen beide Theile der Monarchie eingeschobenen Staaten des alten Bündnisses aus dem siebenjährigen Kriege sicher waren. Ich bin lebhaft bemüht gewesen, Hanover und den mir befreundeten Grafen Platen dafür zu gewinnen, und es war alle Aussicht vorhanden, daß wenigstens ein Neutralitätsvertrag zu Stande kommen werde, als am 21. Januar 1866 Graf Platen in Berlin mit mir über die Verheirathung der hanöverschen Prinzessin Friederike mit unserm jungen Prinzen Albrecht verhandelte, und wir das Einverständniß beider Höfe so weit zu Stande brachten, daß nur noch eine persönliche Begegnung der jungen Herrschaften vorbehalten wurde, um deren gegenseitigen Eindruck festzustellen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 97 Eine der Anlagen, zu denen ich die Berechtigung gefordert hatte, ist nach langem Zögern jetzt 1) in der Ausführung begriffen: der Nord-Ostsee-Canal. Im Interesse der deutschen Seemacht, die damals nur unter preußischem Namen entwicklungsfähig war, hatte ich, und nicht ich allein, einen hohen Werth auf die Herstellung des Canals und den Besitz und die Befestigung seiner beiden Mündungen gelegt. Das Verlangen, die Concentrirung der Streitkräfte zur See vermittelst Durchbrechung der Landstrecke, die beide Meere trennt, möglich zu machen, war in Nachwirkung des beinahe krankhaften Flottenenthusiasmus von 1848 noch sehr lebhaft, schlief aber zeitweise ein, als wir freie Verfügung über das Territorium erworben hatten. In meinem Bemühn, das Interesse wieder zu erwecken, stieß ich auf Widerspruch bei der Landesvertheidigungs-Commission, deren Vorsitzender der Kronprinz, deren eigentliche Spitze der Graf Moltke war. Letztrer erklärte als Mitglied des Reichstags am 23. Juni 1873 2), der Canal werde nur im (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 103 Im Hinblick auf eine, voraussichtlich französische, Blockade war bisher die Deckung Helgolands durch die englische Neutralität für uns nützlich; ein französisches Geschwader konnte daselbst kein Kohlendepot haben, sondern war genöthigt, zur Beschaffung des Kohlenbedarfs in bestimmten, nicht zu langen Zeiträumen nach französischen Häfen zurückzukehren oder eine große Anzahl von Frachtschiffen hin- und hergehn zu lassen. Jetzt haben wir den Felsen mit eigner Kraft zu vertheidigen, wenn wir verhindern wollen, daß die Franzosen im Falle des Krieges sich daselbst festsetzen. Welche Gründe um das Jahr 1885 den Widerstand der Landesvertheidigungs-Commission abgeschwächt haben, weiß ich nicht; vielleicht hatte Graf Moltke sich inzwischen überzeugt, daß der Gedanke eines deutsch-dänischen Bündnisses, mit dem er sich früher getragen hatte, unausführbar sei. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 113 [2-35] anstatt der frühern, schüchternen und zwiespältigen entgegengetreten, der wir vorwärts Berlin keine gleichwerthigen Streitkräfte gegenüberzustellen hatten, ohne Wien gegenüber zu schwach zu werden. Mainz war von Bundestruppen unter dem Befehl des bairischen Generals Grafen Rechberg besetzt; wären die Franzosen einmal darin gewesen, so würde es harte Arbeit gekostet haben, sie daraus zu entfernen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 132 Das alte Stammland der Brandenburger Markgrafen im Süden und Osten von Nürnberg etwa zu einer preußischen Provinz mit Nürnberg als Hauptstadt gemacht, wäre kaum ein Landestheil gewesen, den Preußen in Kriegsfällen von Streitkräften entblößen und unter den Schutz seiner dynastischen Anhänglichkeit hätte stellen können. Die letztre hat während der kurzen Zeit des preußischen Besitzes keine tiefen Wurzeln geschlagen, trotz der geschickten Verwaltung durch Hardenberg, und war seither in der bairischen Zeit vergessen, so weit sie nicht durch confessionelle Vorgänge in Erinnerung gebracht wurde, (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 169 Von Rußland war einer solchen Coalition gegenüber activer Beistand schwerlich zu erwarten. Mir selbst hatte der russenfreundliche Einfluß, den ich in der Zeit des Krimkrieges auf die Entschließungen Friedrich Wilhelms IV. auszuüben vermochte, das Wohlwollen des Kaisers Alexander erworben, und sein Vertrauen zu mir war in der Zeit meiner Gesandschaft in Petersburg gewachsen. Inzwischen aber hatte in dem dortigen Cabinet unter Gortschakows Leitung der Zweifel an der Nützlichkeit einer so bedeutenden Kräftigung Preußens für Rußland die Wirkung der kaiserlichen Freundschaft für den König Wilhelm und der Dankbarkeit für unsre Politik in der polnischen Frage von 1863 aufzuwiegen angefangen. Wenn die Mittheilung richtig ist, die Drouyn de Lhuys dem Grafen Vitzthum von Eckstädt *) gemacht hat, so hat Gortschakow im Juli 1866 den Kaiser Napoleon zu einem gemeinsamen Proteste gegen die Beseitigung des Deutschen Bundes aufgefordert und eine Ablehnung erfahren. Der Kaiser Alexander hatte in der ersten Ueberraschung und nach der Sendung Manteuffels nach Petersburg dem Ergebniß der Nikolsburger Präliminarien generell und obiter zugestimmt; der Haß gegen Oestreich, der seit dem Krimkriege die öffentliche Meinung der russischen „Gesellschaft“ beherrschte, hatte zunächst seine Befriedigung gefunden in den Niederlagen Oestreichs; dieser Stimmung standen aber russische Interessen gegenüber, die sich an den zarischen Einfluß in Deutschland und an dessen Bedrohung durch Frankreich knüpften. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 177 [2-57] Provinzen einzuführen. Eine ausweichende Antwort würde das Mißtrauen der Verfassungsparteien hervorgerufen oder belebt haben. Nach meiner Ueberzeugung war es überhaupt nothwendig, die Entwicklung der deutschen Frage durch keinen Zweifel an der Verfassungstreue der Regirung zu hemmen; durch jeden neuen Zwiespalt zwischen Regirung und Opposition wäre der vom Auslande zu erwartende äußere Widerstand gegen nationale Neubildungen gestärkt worden. Aber meine Bemühungen, die Opposition und ihre Redner zu überzeugen, daß sie wohlthäten, innere Verfassungsfragen gegenwärtig zurücktreten zu lassen, daß die deutsche Nation, wenn erst geeinigt, in der Lage sein werde, ihre innern Verhältnisse nach ihrem Ermessen zu ordnen; daß unsre gegenwärtige Aufgabe sei, die Nation in diese Lage zu versetzen, alle diese Erwägungen waren der bornirten und kleinstädtischen Parteipolitik der Oppositionsredner gegenüber erfolglos, und die durch sie hervorgerufenen Erörterungen stellten das nationale Ziel zu sehr in den Vordergrund nicht nur dem Auslande, sondern auch dem Könige gegenüber, der damals noch mehr die Macht und Größe Preußens als die verfassungsmäßige Einheit Deutschlands im Auge hatte. Ihm lag ehrgeizige Berechnung nach deutscher Richtung hin fern; den Kaisertitel bezeichnete er noch 1870 geringschätzig als den „Charaktermajor“, worauf ich erwiderte, daß Se. Majestät die Competenzen der Stellung allerdings schon verfassungsmäßig besäßen und der „Kaiser“ nur die äußerliche Sanction enthalte, gewissermaßen als ob ein mit Führung eines Regiments beauftragter Offizier definitiv zum Commandeur ernannt werde. Für das dynastische Gefühl war es schmeichelhafter, grade als geborner König von Preußen und nicht als erwählter und durch ein Verfassungsgesetz hergestellter Kaiser die betreffende Macht auszuüben, analog wie ein prinzlicher Regiments- Commandeur es vorzieht, nicht Herr Oberst, sondern Königliche Hoheit genannt zu werden und der gräfliche Lieutenant nicht Herr Lieutenant, sondern Herr Graf. Ich hatte mit diesen Eigenthümlichkeiten meines Herrn zu rechnen, wenn ich mir sein Vertrauen (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 230 Die Kämpfe während des vergangenen Winters mit dem Könige, der den Krieg nicht wollte, während des Feldzuges mit den Militärs, die nur Oestreich, nicht die übrigen Mächte Europas vor sich sahn, und mit dem Könige über den Friedensschluß und dann wieder über die Indemnität, hatten mich so angegriffen, daß ich der Ruhe und Erholung bedurfte. Ich ging zunächst am 26. September zu meinem Vetter, dem Grafen Bismarck-Bohlen in Karlsburg, und dann am 6. October nach Putbus, wo ich im Gasthofe schwer erkrankte. Der Fürst und die Fürstin Putbus gewährten mir eine liebenswürdige Gastfreiheit in einem Pavillon, der neben dem abgebrannten Schlosse stehn geblieben war. Nachdem der erste heftige Anlauf der Krankheit überstanden war, konnte ich die Geschäfte wieder in die Hand (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 247 [2-85] eine Demüthigung Deutschlands sah, die ich nicht amtlich verantworten wollte. Dieser Eindruck der Verletzung des nationalen Ehrgefühls durch den aufgezwungenen Rückzug war in mir so vorherrschend, daß ich schon entschlossen war, meinen Rücktritt aus dem Dienste nach Ems zu melden. Ich hielt diese Demüthigung vor Frankreich und seinen renommistischen Kundgebungen für schlimmer als die von Olmütz, zu deren Entschuldigung die gemeinsame Vorgeschichte und unser damaliger Mangel an Kriegsbereitschaft immer dienen werden. Ich nahm an, Frankreich werde die Entsagung des Prinzen als einen befriedigenden Erfolg escomptiren in dem Gefühl, daß eine kriegerische Drohung, auch wenn sie in den Formen internationaler Beleidigung und Verhöhnung geschehn und der Kriegsvorwand gegen Preußen vom Zaune gebrochen wäre, genüge, um Preußen zum Rückzuge auch in einer gerechten Sache zu nöthigen, und daß auch der Norddeutsche Bund in sich nicht das hinreichende Machtgefühl trage, um die nationale Ehre und Unabhängigkeit gegen französische Anmaßung zu schützen. Ich war sehr niedergeschlagen, denn ich sah kein Mittel, den fressenden Schaden, den ich von einer schüchternen Politik für unsre nationale Stellung befürchtete, wieder gut zu machen, ohne Händel ungeschickt vom Zaune zu brechen und künstlich zu suchen. Den Krieg sah ich schon damals als eine Nothwendigkeit an, der wir mit Ehren nicht mehr ausweichen konnten. Ich telegraphirte an die Meinigen nach Varzin, man sollte nicht packen, nicht abreisen, ich würde in wenig Tagen wieder dort sein. Ich glaubte nunmehr an Frieden; da ich aber die Haltung nicht vertreten wollte, durch welche dieser Friede erkauft gewesen wäre, so gab ich die Reise nach Ems auf und bat Graf Eulenburg, dorthin zu reisen und Sr. Majestät meine Auffassung vorzutragen. In gleichem Sinne sprach ich auch mit dem Kriegsminister von Roon: wir hätten die französische Ohrfeige weg, und wären durch die Nachgiebigkeit in die Lage gebracht, als Händelsucher zu erscheinen, wenn wir zum Kriege schritten, durch den allein wir den Flecken abwaschen könnten. Meine Stellung sei jetzt unhaltbar und (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 251 „Se. Majestät schreibt mir: ,Graf Benedetti fing mich auf der Promenade ab, um auf zuletzt sehr zudringliche Art von mir zu verlangen, ich sollte ihn autorisiren, sofort zu telegraphiren, daß ich für alle Zukunft mich verpflichtete, niemals wieder meine Zustimmung zu geben, wenn die Hohenzollern auf ihre Candidatur zurückkämen. Ich wies ihn zuletzt etwas ernst zurück, da man à tout jamais dergleichen Engagements nicht nehmen dürfe noch könne. Natürlich sagte ich ihm, daß ich noch nichts erhalten hätte und, da er über Paris und Madrid früher benachrichtigt sei als ich, er wohl einsähe, daß mein Gouvernement wiederum außer Spiel sei.‘ Seine Majestät hat seitdem ein Schreiben des Fürsten bekommen. Da Seine Majestät dem Grafen Benedetti gesagt, daß er Nachricht vom Fürsten erwarte, hat Allerhöchstderselbe, mit Rücksicht auf die obige Zumuthung, auf des Grafen Eulenburg und meinen Vortrag beschlossen, den Grafen Benedetti nicht mehr zu empfangen, sondern ihm (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 270 Die Verstimmung gegen mich, welche die höhern militärischen Kreise aus dem östreichischen Kriege mitgebracht hatten, dauerte während des französischen fort, gepflegt nicht von Moltke und Roon, aber von den „Halbgöttern“, wie man damals die höhern Generalstabsoffiziere nannte. Sie machte sich im Feldzuge für mich und meine Beamten bis in das Gebiet der Naturalverpflegung und Einquartirung fühlbar 1). Sie würde noch weiter gegangen sein, wenn sie nicht in der sich immer gleichbleibenden, weltmännischen Höflichkeit des Grafen Moltke ein Correctiv gefunden hätte. Roon war im Felde nicht in der Lage, mir als Freund und College Beistand zu leisten; er bedurfte im Gegentheil schließlich in Versailles meines Beistandes, um im Kreise des Königs seine militärischen Ueberzeugungen geltend zu machen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 274 Die durch diese Reden gekennzeichnete Verabredung wurde mir praktisch wahrnehmbar; ich wurde nicht nur zu den militärischen Berathungen nicht zugezogen, wie 1866 geschehn war, sondern es galt mir gegenüber strenge Geheimhaltung aller militärischen Maßregeln und Absichten als Regel. Dieses Ergebniß der unsern amtlichen Kreisen innewohnenden Rivalität der Ressorts war ein so augenfälliger Schaden für die Geschäftsführung, daß der in Angelegenheiten des Rothen Kreuzes im Hauptquartier anwesende Graf Eberhard Stolberg bei der freundschaftlichen Intimität, in der ich mit diesem, leider zu früh verstorbenen Patrioten stand, den König auf die Unzuträglichkeiten der Ausschließung seines verantwortlichen politischen Rathgebers aufmerksam machte. Nach dem Zeugnisse des Grafen hatte Se. Majestät darauf erwidert: „Ich sei in dem böhmischen Kriege in der Regel zu dem Kriegsrathe zugezogen worden, und es sei dabei vorgekommen, daß ich im Widerspruche mit der Majorität den Nagel auf den Kopf getroffen hätte; daß das den andern Generalen ärgerlich sei und sie ihr Ressort allein berathen wollten, sei nicht zu verwundern“ — ipsissima verba regis, nach dem Zeugnisse des Grafen Stolberg nicht nur mir, sondern auch Andern gegenüber. Das Maß von Einfluß, welches der König mir 1866 verstattet hatte, stand allerdings im Widerspruche mit militärischen Traditionen, sobald der Ministerpräsident allein nach den Abzeichen der Uniform classificirt wurde, die er im Felde trug, (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 285 Graf Beust hat selbst es sich angelegen sein lassen, nachzuweisen, wie „redlich, wenn auch erfolglos“ er sich bemüht habe, eine „collective Mediation der Neutralen“ zu Stande zu bringen *). Er erinnert daran, daß er schon unter dem 28. September nach London und unter dem 12. October nach Petersburg an die östreichischen Botschafter die Weisung gegeben hat, die Auffassung zu vertreten, ein collectiver Schritt allein werde Aussicht auf Erfolg haben; daß er zwei Monate später dem Fürsten Gortschakow sagen ließ: „Le moment d'intervenir est peut-être venu.“ Er reproducirt eine am 13. October, in der für uns kritischen Zeit 14 Tage vor der Capitulation von Metz, von ihm an den Grafen Wimpffen in Berlin gerichtete und von diesem dort verlesene Depesche **). (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 287 **) Es ist auffallend, daß Graf Wimpffen diese Instruction verlesen hat; sie weist ihn nur an, sich in einem bezeichneten Falle im Sinne derselben auszusprechen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 290 Darüber, welcher Art die „unparteiische Vermittlung“ gewesen sein würde, läßt der Graf Beust keinen Zweifel: mitiger les exigences du vainqueur, adoucir l'amertume des sentiments qui (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 292 [2-102] doivent accabler le vaincu 1). Daß die Gefühle der Franzosen über die erlittene Niederlage heut uns gegenüber weniger bitter sein würden, wenn die Neutralen uns genöthigt hätten, uns mit weniger zu begnügen, das wird ein so guter Kenner der französischen Geschichte und des französischen Nationalcharakters, wie der Graf Beust, schwerlich geglaubt haben. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 294 1) Depesche an Graf Chotek vom 12. October, Beust a. a. O. II 397. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 297 [2-104] zurückgeschreckt war, würde ich auch den der italienischen Republikaner für annehmbar gehalten haben, wenn es sich um Verhütung der Niederlage und um Vertheidigung unsrer nationalen Selbständigkeit gehandelt hätte. Die Velleitäten des Königs von Italien und des Grafen Beust, die durch unsre ersten glänzenden Erfolge zurückgedrängt waren, konnten bei der Stagnation vor Paris um so leichter wieder aufleben, als wir in den maßgebenden Kreisen eines so gewichtigen Factors wie England über zuverlässige Sympathien und namentlich über solche, welche bereit gewesen wären, sich auch nur diplomatisch zu bethätigen, keineswegs verfügen konnten. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 300 Fürst Gortschakow ist auf die Initiative, mit der ich ihn in dieser Richtung sondirte, nur widerstrebend eingegangen. Sein persönliches Uebelwollen war stärker als sein russisches Pflichtgefühl. Er wollte keine Gefälligkeit von uns, sondern Entfremdung gegen Deutschland und Dank bei Frankreich. Um unser Anerbieten in Petersburg wirksam zu machen, habe ich der durchaus ehrlichen und stets wohlwollenden Mitwirkung des damaligen russischen Militärbevollmächtigten Grafen Kutusoff bedurft. Ich werde dem Fürsten Gortschakow kaum Unrecht thun, wenn ich nach meinen mehre Jahrzehnte dauernden Beziehungen zu ihm annehme, daß die persönliche Rivalität mit mir bei ihm schwerer wog, als die Interessen Rußlands: seine Eitelkeit, seine Eifersucht gegen mich waren größer als sein Patriotismus.Bezeichnend für die krankhafte Eitelkeit Gortschakows waren einige gelegentliche Aeußerungen mir gegenüber, gelegentlich seiner Berliner Anwesenheit im Mai 1876. Er sprach von seiner Ermüdung und seiner Neigung, abzuscheiden, und sagte dabei: „Je ne puis cependant me présenter devant Saint-Pierre au ciel sans avoir présidé la moindre chose en Europe.“ Ich bat ihn in Folge dessen, das Präsidium in der damaligen Diplomatenconferenz, die aber nur eine officiöse war, zu übernehmen, was er that. In der Muße des Zuhörens bei seiner längeren Präsidialrede schrieb ich mit Bleistift: pompons, pompo, pomp, pom, po. Mein Nachbar, Lord Odo Russell, entriß mir das Blatt und behielt es. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 302 [2-106] Kaiser nicht ihn, sondern den Grafen Schuwalow als Hauptbevollmächtigten ernannt hatte, so daß nur dieser und nicht Gortschakow über die russische Stimme verfügte. Gortschakow hatte seine Mitgliedschaft des Congresses dem Kaiser gegenüber gewissermaßen erzwungen, was in Folge der rücksichtsvollen Behandlung, die im russischen höhern Dienste verdienten Staatsmännern gegenüber Tradition ist, gelingen konnte. Er suchte noch auf dem Congresse seine russische Popularität im Sinne der Moskauer Zeitung nach Möglichkeit frei zu halten von den Rückwirkungen russischer Concessionen, und bei Congreßsitzungen, wo solche in Aussicht standen, blieb er aus, unter dem Vorwande des Unwohlseins, trug aber Sorge, sich am Parterrefenster seiner Wohnung, unter den Linden, als gesund sehn zu lassen. Er wollte sich die Möglichkeit wahren, vor der russischen „Gesellschaft“ in Zukunft zu behaupten, daß er an den russischen Concessionen unschuldig wäre: ein unwürdiger Egoismus auf Kosten seines Landes. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 309 Graf Kutusoff war ein ehrlicher Soldat ohne persönliche Eitelkeit. Er war ursprünglich nach der Bedeutung seines Namens in hervorragender Stellung in Petersburg als Offizier der Garde- Kavallerie, hatte aber nicht das Wohlwollen des Kaisers Nicolaus; und als dieser, wie mir in Petersburg erzählt worden ist, vor der Front ihm zurief: „Kutusoff, du kannst nicht reiten, ich (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 310 [2-109] werde dich zur Infanterie versetzen,“ nahm er seinen Abschied und trat erst im Krimkriege in geringer Stellung wieder ein, blieb unter Alexander II. in der Armee und wurde endlich Militärbevollmächtigter in Berlin, wo seine ehrliche Bonhomie ihm viele Freunde erwarb. Er begleitete uns als russischer Flügeladjutant des preußischen Königs im französischen Kriege, und es war vielleicht ein Effect der ungerechten Beurtheilung seiner Reitfähigkeit, die ihm vom Kaiser Nicolaus zu Theil geworden war, daß er alle Marschetappen, auf denen der König und sein Gefolge gefahren wurden, nicht selten 50 bis 70 Werst im Tage, zu Pferde zurücklegte. Für seine Bonhomie und die Tonart auf den Jagden in Wusterhausen ist es bezeichnend, daß er gelegentlich vor dem Könige erzählte, seine Familie stamme aus Preußisch-Litthauen und sei unter dem Namen Kutu nach Rußland gekommen, worauf Graf Fritz Eulenburg in seiner witzigen Art bemerkte: „Den schließlichen ,Soff‘ haben Sie also erst in Rußland sich angeeignet“ — allgemeine Heiterkeit, in welche Kutusoff herzlich einstimmte. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 323 Die Initiative zu irgend einer Wendung in der Kriegführung ging in der Regel nicht von dem Könige aus, sondern von dem Generalstabe der Armee oder des Höchstcommandirenden am Orte, des Kronprinzen. Daß diese Kreise englischen Auffassungen, wenn sie sich in befreundeter Form geltend machten, zugänglich waren, war menschlich natürlich: die Kronprinzessin, die verstorbene Frau Moltkes, die Frau des Generalstabschefs, spätern Feldmarschalls, Grafen Blumenthal, und die Frau des demnächst maßgebenden Generalstabsoffiziers von Gottberg waren sämmtlich Engländerinnen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 324 Die Gründe der Verzögerung des Angriffs auf Paris, über die die Wissenden Schweigen beobachtet hatten, sind durch die in der „Deutschen Revue“ von 1891 erfolgten Veröffentlichungen aus den Papieren des Grafen Roon 1) Gegenstand publicistischer (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 334 Außer den bairischen Unterhändlern befand sich in Versailles als besondrer Vertrauensmann des Königs Ludwig der ihm als Oberststallmeister persönlich nahestehende Graf Holnstein. Derselbe übernahm auf meine Bitte in dem Augenblick, wo die Kaiserfrage kritisch war und an dem Schweigen Baierns und der Abneigung König Wilhelms zu scheitern drohte, die Ueberbringung eines Schreibens von mir an seinen Herrn, das ich, um die Beförderung nicht zu verzögern, sofort an einem abgedeckten Eßtische auf durchschlagendem Papiere und mit widerstrebender Tinte schrieb 2). Ich entwickelte darin den Gedanken, daß die bairische Krone die (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 337 [2-118] Präsidialrechte, für die die bairische Zustimmung geschäftlich bereits vorlag, dem Könige von Preußen ohne Verstimmung des bairischen Selbstgefühls nicht werde einräumen können; der König von Preußen sei ein Nachbar des Königs von Baiern, und bei der Verschiedenheit der Stammesbeziehungen werde die Kritik über die Concessionen, welche Baiern mache und gemacht habe, schärfer und für die Rivalitäten der deutschen Stämme empfindlicher werden. Preußische Autorität innerhalb der Grenzen Baierns ausgeübt, sei neu und werde die bairische Empfindung verletzen, ein deutscher Kaiser aber sei nicht der im Stamme verschiedene Nachbar Baierns, sondern der Landsmann; meines Erachtens könne der König Ludwig die von ihm der Autorität des Präsidiums bereits gemachten Concessionen schicklicher Weise nur einem deutschen Kaiser, nicht einem Könige von Preußen machen. Dieser Hauptlinie meiner Argumentation hatte ich noch persönliche Argumente hinzugefügt, in Erinnerung an das besondre Wohlwollen, welches die bairische Dynastie zu der Zeit, wo sie in der Mark Brandenburg regirte (Kaiser Ludwig), während mehr als einer Generation meinen Vorfahren bethätigt habe. Ich hielt dieses argumentum ad hominem einem Monarchen von der Richtung des Königs gegenüber für nützlich, glaube aber, daß die politische und dynastische Würdigung des Unterschieds zwischen kaiserlich deutschen und königlich preußischen Präsidialrechten entscheidend in's Gewicht gefallen ist. Der Graf trat seine Reise nach Hohenschwangau binnen zwei Stunden, am 27. November, an und legte sie unter großen Schwierigkeiten und mit häufiger Unterbrechung in vier Tagen zurück. Der König war wegen eines Zahnleidens bettlägrig, lehnte zuerst ab, ihn zu empfangen, nahm ihn aber an, nachdem er vernommen hatte, daß der Graf in meinem Auftrage und mit einem Briefe von mir komme. Er hat darauf im Bette mein Schreiben in Gegenwart des Grafen zweimal sorgfältig durchgelesen, Schreibzeug gefordert und das von mir erbetene und im Concept entworfene Schreiben an den König Wilhelm zu Papier gebracht. Darin war das (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 338 [2-119] Hauptargument für den Kaisertitel mit der coercitiven Andeutung wiedergegeben, daß Baiern die zugesagten, aber noch nicht ratificirten Concessionen nur dem deutschen Kaiser, aber nicht dem Könige von Preußen machen könne. Ich hatte diese Wendung ausdrücklich gewählt, um einen Druck auf die Abneigung meines hohen Herrn gegen den Kaisertitel auszuüben. Am siebenten Tage nach seiner Abreise, am 3. December, war Graf Holnstein mit diesem Schreiben des Königs wieder in Versailles; es wurde noch an demselben Tage durch den Prinzen Luitpold, jetzigen Regenten, unserm Könige officiell überreicht und bildete ein gewichtiges Moment für das Gelingen der schwierigen und vielfach in ihren Aussichten schwankenden Arbeiten, die durch das Widerstreben des Königs Wilhelm und durch die bis dahin mangelnde Feststellung der bairischen Erwägungen veranlaßt waren. Der Graf Holnstein hat sich durch diese in einer schlaflosen Woche zurückgelegte doppelte Reise und durch die geschickte Durchführung seines Auftrags in Hohenschwangau ein erhebliches Verdienst um den Abschluß unsrer nationalen Einigung durch Beseitigung der äußern Hindernisse der Kaiserfrage erworben. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 349 In Versailles hatte ich vom 5. bis 9. November mit dem Grafen Ledochowski, Erzbischofe von Posen und Gnesen, Verhandlungen gehabt, die sich vorwiegend auf die territorialen Interessen des Papstes bezogen. Gemäß dem Sprichwort „Eine Hand wäscht die andre“ machte ich ihm den Vorschlag, die Gegenseitigkeit der Beziehungen zwischen dem Papste und uns zu bethätigen durch päpstliche Einwirkung auf die französische Geistlichkeit im Sinne des Friedensschlusses, immer in Sorge, wie ich war, daß eine Einmischung der neutralen Mächte uns die Früchte der Siege verkümmern könne. Ledochowski und in engern Grenzen Bonnechose, Cardinal-Erzbischof von Rouen, machten bei verschiedenen Mitgliedern des hohen Clerus den Versuch, sie zu einer Einwirkung in dem bezeichneten Sinne zu bestimmen, hatten mir aber nur von einer kühlen, ablehnenden Aufnahme ihrer Schritte zu berichten, woraus ich entnahm, daß es der päpstlichen Macht entweder an Stärke oder an gutem Willen fehlen müsse, uns im Sinne des Friedens eine Hülfe zu gewähren, werthvoll genug, um die Verstimmung der deutschen Protestanten und der italienischen Nationalpartei und der letztern Rückwirkung auf die zukünftigen Beziehungen beider Völker (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 377 In die Hitze des Culturkampfes fiel ein Besuch des Königs Victor Emanuel in Berlin, (22.–26.) September 1873. Ich hatte durch Herrn von Keudell erfahren, daß der König eine Dose mit Brillanten, deren Werth auf 50–60000 Franken, ungefähr auf das sechs- bis achtfache des bei solchen Gelegenheiten üblichen, angegeben wurde, hatte anfertigen und dem Grafen Launay zur Ueberreichung an mich zustellen lassen. Gleichzeitig kam es zu meiner Kenntniß, daß Launay die Dose mit Angabe des Werthes seinem Hausnachbarn, dem bairischen Gesandten Baron Pergler von Perglas, gezeigt hatte, der unsern Gegnern in dem Culturkampfe persönlich nahe stand. Der hohe Werth des mir zugedachten Geschenkes konnte also Anlaß geben, es in Verbindung zu bringen mit der Anlehnung, die der König von Italien bei dem Deutschen Reiche damals erstrebte und erlangte. Als ich dem Kaiser meine Bedenken gegen die Annahme des Geschenkes vortrug, hatte er zunächst den Eindruck, als ob ich es überhaupt unter meiner Würde fände, eine Portraitdose anzunehmen, und sah darin eine Verschiebung der Traditionen, an die er gewöhnt war. Ich sagte: „Gegenüber einem solchen Geschenke von durchschnittlichem Werthe würde ich auf den Gedanken der Ablehnung nicht gekommen sein. In diesem Falle aber hätte nicht das fürstliche Bildniß, sondern hätten die verkäuflichen Diamanten das für die Beurtheilung des Vorgangs entscheidende Gewicht; mit Rücksicht auf die Lage des Culturkampfes müßte ich Anknüpfungspunkte für Verdächtigungen vermeiden, nachdem der den Umständen nach übertriebene Werth der Dose durch die nachbarlichen Beziehungen von Perglas constatirt und in der Gesellschaft hervorgehoben worden sei.“ Der Kaiser wurde schließlich meiner Auseinandersetzung zugänglich und schloß den Vortrag mit den Worten: „Sie haben Recht, nehmen Sie die Dose nicht (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 378 [2-138] an“ *). Nachdem ich meine Auffassung durch Herrn von Keudell zur Kenntniß des Grafen Launay gebracht hatte, wurde der Dose ein sehr hübsches und ähnliches Portrait des Königs substituirt mit folgender an meinen Annunziatenorden erinnernden eigenhändigen Unterschrift: (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 384 Die „Germania“ vom 6. December 1891 deducirt aus dem Briefwechsel zwischen dem Grafen von Roon und Moritz von (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 408 [2-145] bedeutungsschwere Sache gehalten werden würde, für einen Vorgang, der Sie und die Regierung zu einem gehorsamen Werkzeug der liberalen Partei herabwürdigen müßte. Zwar verstehe ich, daß es für unsre Politik nützlich, wenn die Liberalen die Hoffnung behalten, die Hand mit an's Ruder legen zu können. Aber ebenso begreife ich, daß es schädlich sein würde, wenn die Situation sich so gestaltete, daß ihre Theilnahme am Regiment eine unvermeidliche Nothwendigkeit wäre. Sie werden dagegen vielleicht bemerken, daß die Verworrenheit, Rath- und Kopflosigkeit der Conservativen — ganz abgesehen von der neidischen und boshaften Ueberhebung Einzelner — von selbst dahin führen werde, und daß Sie dagegen nichts thun können. Aber ist denn das ganz richtig? Hätten Sie Ihre bedeutenden Ressourcen ernstlich dazu verwandt, die conservative Partei, die leider noch immer nicht klar erkennt, daß ihre heutige Aufgabe eine andre sein muß, als 1862 und in den folgenden Jahren, zu endoctriniren und zu organisiren, und wollen Sie das heute noch versuchen, so wird nicht nur die Mesalliance mit den Liberalen vermieden werden können, sondern auch aus der reformirten conservativen Partei der dauerhafteste und sicherste Stab für die Wanderung auf dem schwierigen aber unvermeidlichen Wege conservativen Fortschritts in innerer reformatorischer Erneuerung gemacht werden können. — Wohl kann Ein Mensch, wie bedeutend er auch von Gott ausgestattet worden, nicht Alles selbst thun, was gethan werden muß. Indem ich dies ausspreche, schließe ich jeden Vorwurf aus, der für Sie in Vorstehendem gefunden werden könnte. Ich erkenne vielmehr gern und wiederholt an, daß Ihre amtlichen Helfer Ihnen und Ihren Zielen nicht die entsprechende Unterstützung gewähren. Und wenn ich von der Reform der conservativen Partei sprach, so erkenne ich an, daß diese Aufgabe zunächst die des Ministers des Innern sein sollte. Aber besitzt Graf E. das zu der Lösung derselben unentbehrliche Vertrauen? (und Pflichtgefühl!) 1) (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 412 „... Ueber Politik und Conflict möchte ich am liebsten gar nichts schreiben, nachdem ich auf Grund des am 9. mir gesandten vertraulichen Berichtes am 19. an Graf Bismarck geschrieben, um ihm mein Bedauern auszusprechen, daß die Dinge so verlaufen sind u. s. w. Die stenographischen Berichte, welche mir verheißen sind, können wahrscheinlich an meiner Auffassung der Dinge nichts ändern: Bismarck kann unmöglich Alles selbst thun. Die nothwendig gewordene Organisation oder Reorganisation der conservativen Partei ist rite Sache des Ministers des Innern, und weder Bismarck, noch ich, noch Blanckenburg oder sonst Jemand hat dazu den amtlichen Beruf. Ist der dazu allein Berufene dazu nicht geneigt oder geeignet, so fehlt ihm etwas Unentbehrliches für sein Amt, und die daraus sich ergebende Folgerung mag man ziehen und darnach verfahren. Was durch Bismarcks Verhalten gegen die Conservativen, durch meine oder Blanckenburgs Abwesenheit an heilsamer Einwirkung etwa unterblieben ist: daraus kann man auch für Bismarck kaum einen wohlbegründeten Vorwurf ableiten. Wenn man, wie ich, ganz sicher weiß, wie Ungeheures B. zu leisten hat und auch leistet, so kann man ihn billigerweise nicht schelten, daß er nicht auch noch mehr leistet und für seines Collegen Versäumniß oder Unfähigkeit eintritt. Der allein gegen ihn zu begründende Vorwurf würde vielmehr nur darin bestehen, wenn man mit Grund 1) Denkwürdigkeiten III 4 70 ff. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 416 [2-148] ärgerten, weil ich in meinem exceptionellen Lebenslauf aus dem mehr polnischen als deutschen Begriff der traditionellen Landadelsgleichheit herausgewachsen war. Daß ich vom Landjunker zum Minister wurde, hätte man mir verziehn, aber die Dotationen und vielleicht auch den mir sehr gegen meinen Willen verliehenen Fürstentitel verzieh man mir nicht. Die „Excellenz“ lag innerhalb des gewohnheitsmäßig Erreichbaren und Geschätzten; die „Durchlaucht“ reizte die Kritik. Ich kann das nachempfinden, denn dieser Kritik entsprach meine eigne. Als mir am Morgen des 21. März 1871 ein eigenhändiges Handschreiben des Kaisers die Erhebung in den Fürstenstand anzeigte, war ich entschlossen, Se. Majestät um Verzicht auf seine Absicht zu bitten, weil diese Standeserhöhung in die Basis meines Vermögens und in meine ganzen Lebensverhältnisse eine mir unsympathische Aenderung bringe. So gern ich mir meine Söhne als bequem situirte Landedelleute dachte, so unwillkommen war mir der Gedanke an Fürsten mit unzulänglichem Einkommen nach dem Beispiel von Hardenberg und Blücher, deren Söhne die Erbschaft des Titels nicht antraten — der Blüchersche wurde Jahrzehnte später (1861) erst infolge einer reichen und katholischen Heirath erneuert. In Erwägung aller Gründe gegen eine Standeserhöhung, die ganz außerhalb des Bereichs meines Ehrgeizes lag, langte ich auf den obern Stufen der Schloßtreppe an und fand dort zu meiner Ueberraschung den Kaiser an der Spitze der königlichen Familie, der mich herzlich und mit Thränen in seine Arme schloß, indem er mich als Fürsten begrüßte, und seine Freude, mir diese Auszeichnung gewähren zu können, laut äußerte. Dem gegenüber und unter den lebhaften Glückwünschen der königlichen Familie blieb mir keine Möglichkeit, meine Bedenken anzubringen. Das Gefühl, daß man als Graf wohlhabend sein kann, ohne unangenehm aufzufallen, als Fürst aber, wenn man letztres vermeiden will, reich sein muß, hat mich seitdem nie wieder verlassen. Ich würde die Mißgunst meiner frühern Freunde und Standesgenossen noch bequemer ertragen haben, wenn sie in meiner Gesinnung (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 429 Die exclusivere Fühlung mit den Nationalliberalen, zu welcher der Abfall der Conservativen mich nothwendig führte, wurde in Kreisen der letztern Grund oder Vorwand zu gesteigerter Animosität gegen mich. In der Zeit, während deren ich, durch Krankheit genöthigt, dem Grafen Roon den Vorsitz im Staatsministerium (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 430 [2-152] abgetreten hatte, von Neujahr bis November 1873, fanden bei ihm in kleinen und größern Kreisen abendliche Begegnungen mir feindlicher Politiker der rechten Seite statt. An diesen nahm Graf Harry Arnim, der Herrngesellschaften ohne politischen Zweck nicht zu besuchen pflegte, wenn er sich auf Urlaub in Berlin befand, in der Rolle Theil, daß er auf die Anwesenden den Eindruck machte, den mir Roon selbst mit den Worten wiedergab: „In dem steckt doch ein tüchtiger Junker!“ Die gesprächliche Verbindung, in welcher dieses Urtheil ausgesprochen wurde, und die öftere scharf accentuirte Wiederholung desselben im Munde meines Freundes und Collegen hatte die Tragweite eines Vorwurfs für mich wegen Mangels gleicher Eigenschaften, und einer Andeutung, als ob Arnim die innere Politik schneidiger und conservativer behandeln würde, wenn er an meiner Stelle wäre. In den Unterredungen, in denen dieses Thema des Arnimschen Junkerthums breit entwickelt wurde, gewann ich den Eindruck, daß auch mein alter Freund Roon unter der Einwirkung der bei ihm stattfindenden Conventikel in dem Vertrauen zu meiner Politik einigermaßen erschüttert war. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 433 [2-153] Eintritts ins Amt, 1862, civilistisch bekämpft, kritisirt und stiefmütterlich verkürzt wurde, und wie sie unter meiner Amtsführung aus der Alltäglichkeit des Garnisonlebens über Düppel, Sadowa und Sedan von 1864–1871 dreimal zum Einzuge in Berlin gelangte. Ich darf ohne Ueberhebung annehmen, daß König Wilhelm 1862 abdicirt hätte, daß die Politik, die den Ruhm der Armee gründete, vielleicht nicht oder nicht so, wie geschah, in's Leben getreten wäre, wenn ich ihre Leitung nicht übernommen hätte. Würde die Armee zu ihren Heldenthaten und Graf Moltke auch nur den Degen zu ziehn Gelegenheit erhalten haben, wenn König Wilhelm I. anders und durch Andre berathen worden wäre? Wohl sicher nicht, wenn er 1862 abdicirt hätte, weil er niemand fand, der die Gefahren seiner Stellung zu theilen und zu bestehn bereit war. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 459 Graf Harry Arnim vertrug wenig Wein und sagte mir einmal nach einem Frühstücksglase: „In jedem Vordermanne in der Carrière sehe ich einen persönlichen Feind und behandle ihn dementsprechend. Nur darf er es nicht merken, so lange er mein Vorgesetzter ist.“ Es war dies in der Zeit, als er nach dem Tode seiner ersten Frau aus Rom zurückgekommen, durch eine italienische Amme seines Sohnes in roth und gold Aufsehn auf den Promenaden erregte und in politischen Gesprächen gern Macchiavell und die Werke italienischer Jesuiten und Biographen citirte. Er posirte damals in der Rolle eines Ehrgeizigen, der keine Scrupel kannte, spielte hinreißend Klavier und war vermöge seiner Schönheit und Gewandheit gefährlich für die Damen, denen er den Hof machte. Diese Gewandheit auszubilden, hatte er frühzeitig begonnen, indem er als Schüler des Neustettiner Gymnasiums von den Damen einer wandernden Schauspielertruppe sich in die Lehre nehmen ließ und das mangelnde Orchester am Clavier ersetzte. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 461 [2-163] und Hofkreisen und in den Ministerien meiner Collegen, neben dem verstimmten Junkerthume und dessen Aera-Artikeln in der Kreuzzeitung, daran arbeiteten, mir das Vertrauen des Kaisers zu entziehn, spielte Graf Harry Arnim eine hervorragende Rolle. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 464 [2-164] als Botschafter nicht gewünscht habe, „weil man ihm kein Wort glauben würde“ 1). Graf Arnim hat wiederholt Versuche gemacht, ein Zeugniß des englischen Cabinets gegen diese meine Andeutung zu erlangen, und von den ihm mehr als mir wohlwollenden englischen Staatsmännern die Versicherung erhalten, daß ihnen nichts derart bekannt sei. Doch war die von mir angedeutete präventive Zurückweisung Arnims in einer Gestalt an den Kaiser gelangt, daß ich mich öffentlich auf Sr. Majestät Zeugniß über die Thatsache berufen konnte. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 468 [2-165] mit steigender Siegeszuversicht angriff, war damals die „Spener'sche Zeitung“, die, im Absterben begriffen, ihm käuflich war. In derselben ließ er Andeutungen machen, als ob er allein ein Mittel wisse, den Kampf mit Rom siegreich zu Ende zu führen, und daß nur mein unberechtigter Ehrgeiz einen überlegnen Staatsmann wie er sei, nicht an's Ruder kommen lasse. Gegen mich hat er sich über dieses Arcanum nicht ausgesprochen. Dasselbe bestand in dem von einzelnen Canonisten vertretenen Gedanken, daß die römisch- katholische Kirche durch die Beschlüsse des Vaticanums ihre Natur verändert habe, ein andres Rechtssubject geworden sei und die in ihrem frühern Dasein erworbenen Eigenthums- und Vertragsrechte verloren habe. Ich habe dieses Mittel früher als er erwogen, glaube aber nicht, daß es eine stärkere Wirkung auf den Austrag des Streites geübt haben würde, als die Gründung der altkatholischen Kirche es vermochte, deren Berechtigung logisch und juristisch noch einleuchtender und gerechtfertigter war, als es die angerathne Lossagung der Preußischen Regirung von ihren Beziehungen zur römischen Kirche gewesen sein würde. Die Zahl der Altkatholiken giebt das Maß für die Wirkung, welche dieser Schachzug auf den Bestand der Anhänger des Papstes und des Neokatholicismus geübt haben würde. Noch weniger versprach ich mir von dem Vorschlage, den Graf Arnim in einem der veröffentlichten Berichte gemacht hat, die preußische Regirung möge „Oratores“ zur Erörterung der dogmatischen Fragen in das Concil schicken. Ich vermuthe, daß er darauf durch den Titelkopf der von Paolo Sarpi verfaßten Geschichte des Tridentiner Concils gekommen ist, auf dem die Versammlung abgebildet ist und zwei, an einem besondern Tische sitzende Personen als Oratores Caesareae Majestatis bezeichnet sind. Ist meine Vermuthung richtig, so hat Graf Arnim wissen müssen, daß „orator“ in der clericalen Latinität jener Zeit der Ausdruck für Gesandter ist. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 471 [2-167] Graf Harry Arnim. mit einem gleichen Maße von Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit gepaart war. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 473 „Die Kreuzzeitung enthält heut eine perfide Einsendung, offenbar von Graf Arnim selbst auf die Melodie: Was habe ich denn Böses gethan? Nichts, als ganz persönliche Actenstücke vor der Indiscretion von Botschaftern und Kanzlisten gerettet; ich würde sie längst herausgegeben haben, wenn das Auswärtige Amt nicht so rücksichtslos und grob gewesen wäre. Es ist schwer, während der Untersuchung auf solche Lügen und Verdrehungen zu antworten: Einstweilen bringt die Weserzeitung gestern die sehr nützliche Notiz über den Inhalt mehrerer der vermißten Actenstücke. Gestern war Feldmarschall von Manteuffel bei mir, zumeist um sich nach der causa Arnim zu erkundigen. Er sprach in sehr passender Weise seine Ueberzeugung aus, daß man nicht anders habe handeln können, und daß er den Reichskanzler und die Diplomatie bedaure, mit solchen Erfahrungen die Geschäfte leiten zu müssen. Da er übrigens Arnim von Jugend auf kenne, und unter oder neben ihm in Nancy genug habe leiden müssen, so überrasche die Katastrophe ihn nicht; Arnim sei ein Mann, der bei jeder Sache nur gefragt habe: Was nützt oder schadet sie mir persönlich? Wörtlich dasselbe sagten mir Lord Odo Russell als Ergebniß seiner römischen Erfahrungen und Nothomb als Erinnerung aus Brüssel. Am merkwürdigsten war mir, daß der Feldmarschall wiederholt darauf zurückkam, daß Arnim im Sommer 72 angefangen habe, gegen E. D. zu conspiriren, ihn, Manteuffel, in dieser Beziehung im Sommer 73 habe sondiren wollen und durch seine Haltung gegen Thiers dessen Sturz mit allen üblen politischen Folgen hauptsächlich mit verschuldet habe. Ueber letzteres Kapitel sprach er mit großer Sach- und Personalkenntniß und nicht ohne Hindeutung auf den Einfluß, den damals Arnim sich allerhöchsten Orts zu verschaffen gewußt, durch Schüren gegen Republik und für legitime Ueberlieferung. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 476 „Ich mache für diese verbrecherische Tendenz alle Mitarbeiter des Blattes, auch alle diejenigen, die das Blatt durch Rath und durch That unterstützen, moralisch verantwortlich, zunächst insbesondre den Herrn von Loë, sodann aber auch den Grafen Harry von Arnim. Es ist garnicht zu bezweifeln, daß alle die Artikel ‚Arnim contra Bismarck‘ die es sich zur Aufgabe gemacht haben, seit Jahr und Tag die Person des Fürsten Bismarck anzugreifen, herabzusetzen, im Interesse des Grafen Arnim geschrieben werden.“ (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 481 [2-170] gegenüber Bundesgenossen finden würden, ließ sich nicht sicher voraussehn; jedenfalls hätte es in der Willkür Rußlands gestanden, die östreichisch-französische Freundschaft durch seinen Zutritt zu einer übermächtigen Coalition auszubilden, wie im siebenjährigen Kriege, oder uns doch unter dem diplomatischen Drucke dieser Möglichkeit in Abhängigkeit zu erhalten. Mit der Herstellung einer katholisirenden Monarchie in Frankreich wäre die Versuchung, gemeinschaftlich mit Oestreich Revanche zu nehmen, erheblich näher getreten. Ich hielt es deshalb dem Interesse Deutschlands und des Friedens widersprechend, die Restauration des Königthums in Frankreich zu fördern, und gerieth in Gegnerschaft zu den Vertretern dieser Idee. Dieser Gegensatz spitzte sich persönlich zu gegenüber dem damaligen französischen Botschafter Gontaut-Biron und unserm damaligen Botschafter in Paris, Grafen Harry Arnim. Der Erstre war im Sinne der Partei thätig, der er von Natur angehörte, der legitimistisch-katholischen; der Letztre aber speculirte auf die legitimistischen Sympathien des Kaisers, um meine Politik zu discreditiren und mein Nachfolger zu werden. Gontaut, ein geschickter und liebenswürdiger Diplomat aus alter Familie, fand bei der Kaiserin Augusta Anknüpfungspunkte einerseits in deren Vorliebe für katholische Elemente in und neben dem Centrum, mit denen die Regirung im Kampfe stand, andrerseits in seiner Eigenschaft als Franzose, die in den Jugenderinnerungen der Kaiserin aus der Zeit ohne Eisenbahnen an deutschen Höfen fast in gleichem Maße wie die Eigenschaft des Engländers zur Empfehlung diente 1). Ihre Majestät hatte französisch sprechende Diener, ihr französischer Vorleser Gérard *) fand Eingang in die Kaiserliche (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 490 [2-173] Von wem der Gedanke ausgegangen ist, weiß ich nicht; wenn von Gontaut, so wird er bei Gortschakow einen empfänglichen Boden gefunden haben bei dessen eitler Natur, seiner Eifersucht auf mich und dem Widerstande, den ich seinen Ansprüchen auf Präpotenz zu leisten gehabt hatte. Ich hatte ihm in vertraulichem Gespräch sagen müssen: „Sie behandeln uns nicht wie eine befreundete Macht, sondern comme un domestique, qui ne monte pas assez vite, quand on a sonné.“ Gortschakow beutete es aus, daß er dem Gesandten Grafen Redern und den auf ihn folgenden Geschäftsträgern an Autorität überlegen war, und benutzte mit Vorliebe zu Verhandlungen den Weg der Mittheilung seinerseits an unsre Vertretung in Petersburg unter Vermeidung der Instruirung des russischen Botschafters in Berlin behufs Besprechung mit mir. Ich halte es für Verleumdung, was Russen mir gesagt haben, das Motiv dieses Verfahrens sei gewesen, daß in dem Etat des auswärtigen Ministers ein Pauschquantum für Telegramme ausgeworfen sei und Gortschakow deshalb seine Mittheilungen lieber auf deutsche Kosten durch unsern Geschäftsträger als auf russische besorgt habe. Ich suche, obschon er sicher geizig war, das Motiv auf politischem Gebiete. Gortschakow war ein geistreicher und glänzender Redner und liebte es, sich als solchen namentlich den fremden, in Petersburg beglaubigten Diplomaten gegenüber zu zeigen. Er sprach französisch und deutsch mit gleicher Beredsamkeit, und ich habe seinen docirenden Vorträgen oft stundenlang gern zugehört als Gesandter und später als College. Mit Vorliebe hatte er als Zuhörer fremde Diplomaten und namentlich jüngere Geschäftsträger von Intelligenz, denen gegenüber die vornehme Stellung des auswärtigen Ministers, bei dem sie beglaubigt waren, dem oratorischen Eindrucke zu Hülfe kam. Auf diesem Wege gingen mir die Gortschakowschen Willensmeinungen in Formen zu, die an das Roma locuta est erinnerten. Ich beschwerte mich in Privatbriefen bei ihm direct über diese Form des Geschäftsbetriebes und über die Tonart seiner Eröffnungen und bat ihn, in mir nicht mehr den diplomatischen (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 493 Die Rolle des Friedensengels, sehr geeignet, Gortschakows Selbstgefühl durch den ihm über alles theuern Eindruck in Paris zu befriedigen, war von Gontaut in Berlin vorbereitet worden; es läßt sich annehmen, daß seine Gespräche mit dem Grafen Moltke und mit Radowitz, die später als Beweismittel für unsre kriegerischen Absichten angeführt wurden, von ihm mit Geschick herbeigeführt waren, um vor Europa das Bild eines von uns bedrohten, von Rußland beschützten Frankreich zur Anschauung zu bringen. In Berlin am 10. Mai 1875 angekommen, erließ Gortschakow unter dem Datum dieses Ortes ein zur Mittheilung bestimmtes telegraphisches Circular, welches mit den Worten anfing: „Maintenant, also unter russischem Druck, la paix est assurée,“ als ob das vorher nicht der Fall gewesen wäre. Einer der dadurch avisirten außerdeutschen Monarchen hat mir gelegentlich den Text gezeigt. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 502 „Eurer Majestät huldreiches Schreiben vom 8. d. M. aus Gastein habe ich mit ehrfurchtsvollem Danke erhalten und mich vor Allem gefreut, daß Eurer Majestät die Kur gut bekommen ist, trotz alles schlechten Wetters in den Alpen. Den Brief der Königin Victoria beehre ich mich wieder beizufügen; es wäre sehr interessant gewesen, wenn Ihre Majestät sich genauer über den Ursprung der damaligen Kriegsgerüchte ausgelassen hätte. Die Quellen müssen der hohen Frau doch für sehr sicher gegolten haben, sonst würde Ihre Majestät sich nicht von Neuem darauf berufen, und würde die englische Regirung auch nicht so gewichtige und für uns so unfreundliche Schritte daran geknüpft haben. Ich weiß nicht, ob Eure Majestät es für thunlich halten, die Königin Victoria beim Worte zu nehmen, wenn Ihre Majestät versichert, es sei Ihr ‚ein Leichtes nachzuweisen, daß Ihre Befürchtungen nicht übertrieben waren‘. Es wäre sonst wohl von Wichtigkeit zu ermitteln, von welcher Seite her so ‚kräftige Irrthümer‘ nach Windsor haben befördert werden können. Die Andeutung über Personen, welche als ‚Vertreter‘ der Regirung Eurer Majestät gelten müssen, scheint auf den Grafen Münster zu zielen. Derselbe kann ja sehr wohl gleich dem Grafen Moltke akademisch von der Nützlichkeit eines rechtzeitigen Angriffs auf Frankreich gesprochen haben, obschon ich es nicht weiß und er niemals dazu beauftragt worden (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 504 [2-178] ist. Man kann ja sagen, daß es für den Frieden nicht förderlich ist, wenn Frankreich die Sicherheit hat, daß es unter keinen Umständen angegriffen wird, es möge thun, was es wolle. Ich würde noch heut wie 1867 in der Luxemburger Frage Eurer Majestät niemals zureden, einen Krieg um deswillen sofort zu führen, weil wahrscheinlich ist, daß der Gegner ihn später besser gerüstet beginnen werde; man kann die Wege der göttlichen Vorsehung dazu niemals sicher genug im Voraus erkennen. Aber es ist auch nicht nützlich, dem Gegner die Sicherheit zu geben, daß man seinen Angriff jedenfalls abwarten werde. Deshalb würde ich Münster noch nicht tadeln, wenn er in solchem Sinne gelegentlich geredet hätte, und die englische Regirung hätte deshalb noch kein Recht gehabt, auf außeramtliche Reden eines Botschafters amtliche Schritte zu gründen, und sans nous dire gare die andern Mächte zu einer Pression auf uns aufzufordern. Ein so ernstes und unfreundliches Verfahren läßt doch vermuthen, daß die Königin Victoria noch andre Gründe gehabt habe, an kriegerische Absichten zu glauben als gelegentliche Gesprächswendungen des Grafen Münster, an die ich nicht einmal glaube. Lord Russell hat versichert, daß er jederzeit seinen festen Glauben an unsre friedlichen Absichten berichtet habe. Dagegen haben alle Ultramontane und ihre Freunde uns heimlich und öffentlich in der Presse angeklagt, den Krieg in kurzer Frist zu wollen, und der französische Botschafter, der in diesen Kreisen lebt, hat die Lügen derselben als sichre Nachrichten nach Paris gegeben. Aber auch das würde im Grunde noch nicht hinreichen, der Königin Victoria die Zuversicht und das Vertrauen zu den von Eurer Majestät selbst dementirten Unwahrheiten zu geben, das Höchstdieselbe noch in dem Briefe vom 20. Juni ausspricht. Ich bin mit den Eigenthümlichkeiten der Königin zu wenig bekannt, um eine Meinung darüber zu haben, ob es möglich ist, daß die Wendung, es sei ,ein Leichtes nachzuweisen‘, etwa nur den Zweck haben könnte, eine Uebereilung, die einmal geschehn ist, zu maskiren, anstatt sie offen einzugestehn. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 507 Graf Friedrich Eulenburg erklärte sich Sommer 1877 körperlich bankrott, und in der That war seine Leistungsfähigkeit sehr verringert, nicht durch Uebermaß von Arbeit, sondern durch die Schonungslosigkeit, mit der er sich von Jugend auf jeder Art von Genuß hingegeben hatte. Er besaß Geist und Muth, aber nicht immer Lust zu ausdauernder Arbeit. Sein Nervensystem war geschädigt und schwankte schließlich zwischen weinerlicher Mattigkeit und künstlicher Aufregung. Dabei hatte ihn in der Mitte der 70er Jahre, wie ich vermuthe, ein gewisses Popularitätsbedürfniß überfallen, das ihm früher fremd geblieben war, so lange er gesund genug war, um sich zu amüsiren. Diese Anwandlung war nicht frei von einem Anflug von Eifersucht auf mich, wenn wir auch alte Freunde waren. Er suchte sie dadurch zu befriedigen, daß er sich der Verwaltungsreform annahm. Sie mußte gelingen, wenn sie ihm Ruhm erwerben sollte. Um den Erfolg zu sichern, machte er bei den parlamentarischen Verhandlungen darüber unpraktische Concessionen und bürokratisirte den wesentlichen Träger unsrer ländlichen Zustände, den Landrathsposten, gleichzeitig mit der neuen Local-Verwaltung. Der Landrathsposten war in frühern Zeiten eine preußische Eigenthümlichkeit, der letzte Ausläufer der Verwaltungshierarchie, durch den sie mit dem Volke unmittelbar in Berührung stand. In dem socialen Ansehn aber stand der Landrath höher als andre Beamte gleichen Ranges. Man wurde früher nicht Landrath mit der Absicht, dadurch Carrière zu machen, sondern mit der Aussicht, sein Leben als Landrath des Kreises zu beschließen. Die Autorität eines solchen wuchs mit den Jahren (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 509 Als Nachfolger des Grafen Eulenburg hatte ich Rudolf von Bennigsen in's Auge gefaßt und habe im Laufe des Jahres 1877 in Varzin zweimal, im Juli und im December, Besprechungen mit ihm gehabt. Es fand sich dabei, daß er dem Boden unsrer Verhandlung eine weitre Ausdehnung zu geben suchte, als mit den Ansichten Sr. Majestät und mit meinen eignen Auffassungen vereinbar war. Ich wußte, daß es schon eine schwierige Aufgabe sein würde, ihn für seine Person dem Könige annehmbar zu (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 514 Bennigsen blieb aber dabei, nicht ohne Forckenbeck und Stauffenberg eintreten zu wollen, und ließ mich unter dem Eindrucke, daß mein Versuch mißlungen sei, einem Eindrucke, der schnell verstärkt wurde durch das Einlaufen eines ungewöhnlich ungnädigen Schreibens des Kaisers, aus dem ich ersah, daß Graf Eulenburg zu ihm mit der Frage in das Zimmer getreten sei: „Haben Eure Majestät schon von dem neuen Ministerium gehört? Bennigsen.“ Dieser Mittheilung folgte der lebhafte schriftliche Ausbruch kaiserlicher Entrüstung über meine Eigenmächtigkeit und über die Zumuthung, daß Er aufhören solle, „conservativ“ zu regiren. Ich war unwohl und abgespannt, und der Text des kaiserlichen Schreibens und der Eulenburgische Angriff fielen mir dermaßen auf die Nerven, daß ich von Neuem ziemlich schwer erkrankte, nachdem ich dem Kaiser durch Roon geantwortet hatte, ich könne ihm einen Nachfolger Eulenburgs doch nicht vorschlagen, ohne mich vorher vergewissert zu haben, daß der Betreffende die Ernennung annehmen werde; ich hätte Bennigsen für geeignet gehalten und seine Stimmungen sondirt, bei ihm aber nicht die Auffassung gefunden, die ich erwartet hätte, und die Ueberzeugung gewonnen, daß ich ihn nicht zum Minister vorschlagen könne; die ungnädige Verurtheilung, die ich durch das Schreiben erfahren hätte, nöthige mich, mein Abschiedsgesuch vom Frühjahr zu erneuern. Diese (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 518 [2-186] durch die Feindschaften am Hofe, die katholischen und weiblichen Einflüsse daselbst waren meine Stützpunkte außerhalb der nationalliberalen Fraction schwächer geworden und bestanden allein in dem persönlichen Verhältniß des Kaisers zu mir. Die Nationalliberalen nahmen davon nicht etwa einen Anlaß, unsre gegenseitigen Beziehungen dadurch zu stärken, daß sie mich unterstützten, sondern machten im Gegentheil den Versuch, mich gegen meinen Willen in das Schlepptau zu nehmen. Zu diesem Zwecke wurden Beziehungen zu mehren meiner Collegen angeknüpft; durch die Minister Friedenthal und Botho Eulenburg, welcher Letztre das Ohr meines Vertreters im Präsidium, des Grafen Stolberg hatte, wurden ohne mein Wissen amtliche Verständigungen mit den Präsidien beider Parlamente nicht nur bezüglich der Sitzungs- und Vertagungsfragen, sondern auch in Betreff materieller Vorlagen gegen meinen, den Collegen bekannten Willen eingeleitet. Der Gesammtandrang auf meine Stellung, das Streben nach Mitregentschaft oder Alleinherrschaft an meiner Stelle, das sich in dem Plane selbständiger Reichsminister und in den erwähnten Heimlichkeiten verrathen hatte, trat handgreiflich zu Tage in der Conseilsitzung, die der Kronprinz als Vertreter seines verwundeten Vaters am 5. Juni 1878 abhielt, um über die Auflösung des Reichstags nach dem Nobilingschen Attentate zu beschließen. Die Hälfte meiner Collegen oder mehr, jedenfalls die Majorität des Ministeriums und des Conseils, stimmte abweichend von meinem Votum gegen die Auflösung und machte dafür geltend, daß der vorhandene Reichstag, nachdem das Nobilingsche Attentat auf das Hödelsche gefolgt sei, bereit sein werde, seine jüngste Abstimmung zu ändern und der Regirung entgegen zu kommen. Die Zuversicht, die meine Collegen bei dieser Gelegenheit kundgaben, beruhte offenbar auf vertraulicher Verständigung zwischen ihnen und einflußreichen Parlamentariern, während mir gegenüber kein Einziger von den letztern auch nur eine Aussprache versucht hatte. Es schien, daß man sich über die Theilung meiner Erbschaft bereits verständigt hatte. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 519 [2-187] Ich war sicher, daß der Kronprinz, auch wenn alle meine Collegen andrer Ansicht gewesen wären, die meinige annehmen werde, abgesehn von der Zustimmung, die ich unter den 20 oder mehr zugezogenen Generalen und Beamten, wenigstens bei den erstern fand. Wenn ich überhaupt Minister bleiben wollte, was ja eine Opportunitätsfrage geschäftlicher sowohl wie persönlicher Natur war, die ich bei eigner Prüfung mir bejahte, so befand ich mich im Stande der Nothwehr und mußte suchen, eine Aenderung der Situation im Parlament und in dem Personalbestande meiner Collegen herbeizuführen. Minister bleiben wollte ich, weil ich, wenn der schwer verwundete Kaiser am Leben bliebe, was bei dem starken Blutverlust in seinem hohen Alter noch unsicher, fest entschlossen war, ihn nicht gegen seinen Willen zu verlassen, und es als Gewissenspflicht ansah, wenn er stürbe, seinem Nachfolger die Dienste, die ich ihm vermöge des Vertrauens und der Erfahrung, die ich mir erworben hatte, leisten konnte, nicht gegen seinen Willen zu versagen. Nicht ich habe Händel mit den Nationalliberalen gesucht, sondern sie haben im Complot mit meinen Collegen mich an die Wand zu drängen versucht. Die geschmacklose und widerliche Redensart von dem „an die Wand drücken, bis sie quietschten“, hat niemals in meinem Denken, geschweige denn auf meiner Lippe Platz gefunden — eine der lügenhaften Erfindungen, mit denen man politischen Gegnern Schaden zu thun sucht. Obenein war diese Redensart nicht einmal eignes Product derer, welche sie verbreiteten, sondern ein ungeschicktes Plagiat. Graf Beust erzählt in seinen Memoiren („Aus drei Viertel-Jahrhunderten“ Thl. I S. 5): (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 520 „Die Slaven in Oesterreich haben mir das beiläufig nie von mir gesprochene Wort aufgebracht, ‚man müsse sie an die Wand drücken‘. Der Ursprung dieses Wortes war folgender: Der frühere Minister, spätere Statthalter von Galizien, Graf Goluchowski, pflegte sich mit mir in französischer Sprache zu unterhalten. Seinen Bemühungen war es vorzugsweise zu danken, daß nach meiner Uebernahme des Ministerpräsidiums 1867 der galizische Landtag vor (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 521 [2-188] behaltlos für den Reichsrath wählte. Damals hatte ich zu Graf Goluchowski gesagt: ,Si cela se fait, les Slaves sont mis au pied du mur‘ — eine von der obigen sehr verschiedene Aeußerung.“ (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 524 Bei dem Plane, mich durch ein Cabinet Gladstone zu ersetzen, war auf den Grafen Botho Eulenburg gerechnet, seit dem 31. März 1878 Minister des Innern, welchem seine Verwandschaft den traditionellen Hofeinfluß seiner und der Dönhoffschen Familie sicherte. Er (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 526 Meine Beziehungen zu ihm wurden zuerst geschädigt durch einen Ausbruch der Empfindlichkeit, die bei ihm äußerlich durch die volle Höflichkeit guter Erziehung verdeckt wurde, aber doch von einer für den geläufigen und vertraulichen Geschäftsverkehr störenden Schärfe war. Mein damaliger Beistand für vertrauliche Geschäfte, der Geheim-Rath Tiedemann, veranlaßte durch die Form, in der er einen Auftrag während meiner Abwesenheit von Berlin bei dem Grafen ausrichtete, diesen zu einer mir unerwarteten brieflichen Explosion. Da mein Auftrag an Tiedemann ein sachliches und noch lebendiges Interesse hat, so lasse ich die Correspondenz folgen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 528 Eure Hochwohlgeboren bitte ich, Herrn Minister Grafen Eulenburg und Herrn Geheim-Rath Hahn mein Bedauern darüber auszusprechen, daß der Entwurf des Socialistengesetzes in der Provinzial- Correspondenz amtlich publicirt worden ist, bevor er im Bundesrath vorgelegt war. Die Veröffentlichung präjudicirt jeder Amendirung durch uns und ist für Baiern und andre Dissentirende verletzend. Nach meinen Verhandlungen von hier aus mit Baiern muß ich annehmen, daß letztres an seinem Widerspruche gegen das Reichsamt unbedingt festhält. Würtemberg und, wie ich höre, auch Sachsen widersprechen dem Reichsamt nicht im Prinzip, wohl aber angebrachter Maßen, indem sie die Zuziehung von Richtern perhorresciren. Diesem Widerspruche kann ich mich persönlich nur anschließen. Es handelt sich nicht um richterliche, sondern um politische Functionen, und auch das preußische Ministerium darf in seinen Vorentscheidungen nicht einem richterlichen Collegium unterstellt und auf diese Weise für alle Zukunft in seiner politischen Bewegung gegen den Socialismus (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 542 Mit etc. Graf Eulenburg.“ (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 545 Es ist bekannt, unter welchen Umständen Graf Eulenburg im Februar 1881 seinen Abschied nahm, und daß er im August desselben Jahres zum Oberpräsidenten in Kassel ernannt wurde. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 549 Der Reichstag trat nach den jetzigen Ferien zum ersten Mal zusammen. Während der Discussion trat der Graf Eulenburg ein; sogleich schwieg die Discussion; nach einer langen Pause ertheilte der Präsident dem letzten Redner von Neuem das Wort. Schweigen! Der Präsident hebt die Sitzung auf. Nun entsteht ein Tumult und Geschrei. Keinem Mitgliede darf ein Orden während der Session des Reichstags ertheilt werden; der Monarch darf nicht in der Session genannt werden. Andern Tages Sitzung. Eulenburg erscheint und wird mit solchem Zischen und Lärm empfangen — darüber erwache ich in einer nervösen Agitation, daß ich lange mich nicht erholen konnte und zwei Stunden von ½5 bis ½7 Uhr nicht schlafen konnte. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 560 [2-195] Die Beschwerde des Grafen Eulenburg über Tiedemann und die darin sofort gestellte Cabinetsfrage waren mir in ihrer Form um so mehr auf die Nerven gefallen, als ich an den Folgen einer schweren Erkrankung litt, die durch die Einwirkung der auf den Kaiser gemachten Attentate und den gleichzeitigen Zwang zur Arbeit in dem Präsidium des Berliner Congresses hervorgerufen, zwar aus amtlichem Pflichtgefühle zurückgedrängt, aber durch die Gasteiner Kur mehr verschärft als geheilt war. Diese Kur, der mein Mitarbeiter, der Staatsminister Bernhard von Bülow, am 20. October 1879 erlag, wirkt auf überarbeitete Nerven nicht beruhigend, wenn sie durch Arbeit oder Gemüthsbewegung gestört wird. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 562 Die Aufgaben eines leitenden Ministers einer europäischen Großmacht mit parlamentarischer Verfassung sind an sich hinreichend aufreibender Natur, um die Arbeitsfähigkeit eines Mannes zu absorbiren; sie werden es in höherm Maße, wenn der Minister, wie in Deutschland und Italien, einer Nation über das Stadium ihrer Ausbildung hinwegzuhelfen und wie bei uns mit einem starken Isolirungstrieb der Parteien und Individuen zu kämpfen hat. Wenn man Alles, was der Mensch an Kräften und Gesundheit besitzt, an die Lösung solcher Aufgaben setzt, so ist man gegen alle Erschwerungen derselben, welche nicht sachlich nothwendig sind, doppelt empfindlich. Ich glaubte schon zu Anfang der 70er Jahre mit meiner Gesundheit zu Ende zu sein und überließ deshalb das Präsidium des Cabinets dem einzigen mir persönlich Nahestehenden unter meinen Collegen, dem Grafen Roon, wurde aber damals (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 563 [2-196] Intrigen. nicht durch sachliche Schwierigkeiten entmuthigt. Um letztres herbeizuführen, mußte die feindliche Intrige der Kreise hinzutreten, auf deren Unterstützung ich vorzugsweise glaubte rechnen zu können, und die sich zur Zeit der „Reichsglocke“ in den Beziehungen der durch dieses Blatt vertretenen Elemente in erster Linie zum Hofe und den Conservativen und zu vielen meiner amtlichen Mitarbeiter kennzeichnete. Die Thatsache, daß ich bei dem mir sonst so gnädigen Monarchen keinen genügenden Beistand gegen die Hof- und Hauseinflüsse des Reichsglockenringes fand, hatte mich am meisten entmuthigt und das Gewicht der Erwägungen vervollständigt, die mich zu meinem Abschiedsgesuche vom 27. März 1877 bewogen hatten. Die Gürtelrose, an welcher ich krank war, als Graf Schuwalow 1878 von mir die Berufung des Congresses verlangte, kennzeichnete den Fehlbetrag in dem damaligen Zustande meiner Gesundheit, war eine Quittung über Erschöpfung der Nerven. Mehr als die „Reichsglocke“ und deren Zubehör am Hofe hatte daran der Mangel an Aufrichtigkeit in der Mitwirkung einiger meiner amtlichen Mitarbeiter Antheil. Meine Vertretung durch das Vicepräsidium des Grafen Stolberg nahm durch den Einfluß, den die Minister Friedenthal und dann Graf Botho Eulenburg auf meinen Vertreter ausübten, eine Gestalt an, die mir schließlich den Eindruck machte, daß ich mich einem Systeme allmäligen Abdrängens von den Geschäften der politischen Leitung gegenüber befand. Das Symbol dieses Systems machte sich in der Thatsache kenntlich, daß die amtlichen Kundgebungen des Staatsministeriums aus der damaligen Zeit meiner Mitunterschrift entbehrten. Es geschah das nicht auf meinen Wunsch oder mit meiner Zustimmung, sondern unter Benutzung meiner Gleichgültigkeit gegen Aeußerlichkeiten, und ich habe diese Vorgänge ungerügt gelassen, bis ich über die systematische Absichtlichkeit derselben keinen Zweifel mehr haben konnte. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 565 [2-197] Juni 1878, aber sie beleuchten zum Theil retrospectiv die damalige Lage und ihre Triebfedern. Graf Botho Eulenburg als Minister des Innern gab damals auf der Tribüne des Landtags ohne Zwang sein Wohlwollen für den Abgeordneten Rickert gegenüber einem Artikel der „Nordd. Allg. Ztg.“ mit absichtlicher Klarheit zu erkennen, für mich um so einleuchtender, als ich keinen Zweifel hatte, daß er jenen von ihm gemißbilligten Artikel mit mir in Verbindung brachte. Wie in der Nacht beim Gewitter jeder Blitz die Gegend deutlich zeigt, so gestatteten auch mir einzelne Schachzüge meiner Gegner die Gesammtheit der Situation zu überblicken, die durch äußerlich achtungsvolle Kundgebungen von persönlichem Wohlwollen bei thatsächlicher Boycottirung erzeugt wurde. Ob ein Cabinet Gladstone, dessen Mission durch die Namen Stosch, Eulenburg, Friedenthal, Camphausen, Rickert und beliebige Abschwächungen des Gattungsbegriffs „Windthorst“ mit katholischen Hofeinflüssen bezeichnet werden kann, wenn es gelang, dasselbe zu Stande zu bringen, in sich haltbar gewesen wäre, ist eine Frage, die sich die Interessenten wohl nicht vorgelegt hatten; der Hauptzweck war der negative, mich zu beseitigen, und über den waren einstweilen die Inhaber der Antheilscheine auf die Zukunft einig. Jeder konnte nachher wieder hoffen, den Andern hinauszudrängen, wie das bei uns im System aller der heterogenen Coalitionen liegt, die nur in der Abneigung gegen das Bestehende einig sind. Die ganze Combination hatte damals keinen Erfolg, weil weder der König noch der Kronprinz dafür zu gewinnen waren. Ueber die Beziehungen des Letztern zu mir waren die strebenden Gegner damals wie später 1888 stets falsch unterrichtet. Er hatte bis an sein Lebensende dasselbe Vertrauen zu mir wie sein Vater, und die Neigung, es zu erschüttern, erreichte bei seiner Gemalin niemals dieselbe kampfbereite Entschiedenheit wie bei der Kaiserin Augusta, die sich auch in der Wahl der Mittel freier bewegte. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 581 [2-202] amtlich bekannt gemacht wird, welche in der Oeffentlichkeit, ungeachtet der in den Acten verbleibenden Versicherung des Gegentheils, dasjenige bekundet, was man im constitutionellen Sprachgebrauch Mangel an Vertrauen des Monarchen zu seinen Ministern zu nennen pflegt. Dagegen haben Minister natürlich kein andres Hülfsmittel, als den Rücktritt aus ihrer Stellung. Unzweifelhaft trifft der vorliegende Fall, soweit er diese Natur hat, mehr mich als meine Collegen. Die letztern sind von der Reichsglocke und andern Blättern, in denen die Tendenzen der Herrn von Gruner, von Schleinitz, Graf Nesselrode, Nathusius-Ludom vertreten wurden, theils garnicht, theils doch nicht in dem Maße wie ich öffentlich verleumdet worden. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 582 Eine Begnadigung des Herrn von Nathusius, eine Auszeichnung des Grafen Nesselrode und des Herrn von Gruner grade in der Zeit, wo die Verleumdungen des Organs dieser Herrn gegen mich die öffentliche Meinung und die Gerichte beschäftigten, wo der Zusammenhang jener Herrn mit diesen Blättern offenkundig wurde, enthalten einen Act Königlichen Wohlwollens für Leute, die durch weiter nichts bekannt sind, als durch ihre Feindschaft gegen die Regirung und durch öffentliche Verletzung meiner Ehre. Letztre aber sollte, so lange ich des Königs Diener bin, unter Sr. Majestät Schutze stehn. Wird mir das Gegentheil dieses Schutzes zu Theil, so liegt ein persönliches Motiv vor, welches mich viel gebieterischer aus dem Dienste vertreibt, als die Rücksicht auf meine Gesundheit es jemals könnte. Diese Entschließungsgründe liegen nur persönlich für mich vor, werden aber je nach der Entwicklung der Sache für die Möglichkeit meines Wiedereintritts in die Geschäfte entscheidend sein. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 616 Daß das russische Cabinet in den Abmachungen von Reichstadt den Oestreichern für ihre Neutralität die Erwerbung Bosniens zugestanden hat, läßt annehmen, daß Herr von Oubril uns nicht die Wahrheit sagte, indem er versicherte, es werde sich in dem Balkankriege nur um eine promenade militaire, um Beschäftigung des trop plein des Heeres und um Roßschweife und Georgenkreuze handeln; dafür wäre Bosnien ein zu hoher Preis gewesen. Wahrscheinlich hatte man in Petersburg darauf gerechnet, daß Bulgarien, wenn von der Türkei losgelöst, dauernd in Abhängigkeit von Rußland bleiben werde. Diese Berechnung würde wahrscheinlich auch dann nicht zugetroffen sein, wenn der Friede von San Stefano ungeschmälert zur Ausführung gekommen wäre. Um nicht vor dem eignen Volke für diesen Irrthum verantwortlich zu sein, hat man sich mit Erfolg bemüht, der deutschen Politik, der „Untreue“ des deutschen Freundes die Schuld für den unbefriedigenden Ausgang des Krieges aufzubürden. Es war das eine unehrliche Fiction; wir hatten niemals etwas Andres in Aussicht gestellt als wohlwollende Neutralität, und wie ehrlich wir es damit gemeint haben, ergibt sich schon daraus, daß wir uns durch die von Rußland verlangte Geheimhaltung der Reichstadter Abmachungen vor uns in unserm Vertrauen und Wohlwollen für Rußland nicht irre machen ließen, sondern bereitwillig dem Wunsche, den der Graf Peter Schuwalow mir nach Friedrichsruh überbrachte, entgegen kamen, einen Congreß nach Berlin zu berufen. Der Wunsch (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 631 Betrachtungen analog denen, welche den Versuch widerriethen, die complicirten Schwierigkeiten von 1863 auf dem Wege eines russischen Bündnisses zu lösen 1), standen in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre ebenfalls einer stärkern Accentuirung der russischen Freundschaft ohne Oestreich entgegen. Ich weiß nicht, in wie weit Graf Peter Schuwalow vor Beginn des letzten Balkankrieges und während des Congresses ausdrücklich beauftragt war, die Frage eines deutsch-russischen Bündnisses zu besprechen; er war nicht in Berlin beglaubigt, sondern in London, seine persönlichen Beziehungen zu mir gestatteten ihm aber, sowohl bei seinen vorübergehenden Berührungen Berlins auf der Durchreise wie während des Congresses mit mir alle Eventualitäten rückhaltlos zu besprechen. Anfang Februar 1877 hatte ich von ihm ein längeres Schreiben aus London erhalten; meine Antwort und seine Erwiderung darauf lasse ich folgen: (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 657 Noch vor dem Congreß berührte Graf Schuwalow die Frage eines russisch-deutschen Schutz- und Trutzbündnisses und stellte sie direct. Ich besprach mit ihm offen die Schwierigkeiten und Aussichten, die die Bündnißfrage und zunächst, wenn der Dreibund der Ostmächte nicht haltbar wäre, die Wahl zwischen Oestreich und Rußland für uns habe. Er sagte unter Anderm in der Discussion: „vous avez le cauchemar des coalitions“, worauf ich erwiderte: „nécessairement“. Als das sicherste Mittel dagegen bezeichnete er ein festes, unerschütterliches Bündniß mit Rußland, weil bei Ausschluß der letztern Macht aus dem Kreise unsrer Coalitionsgegner keine für uns lebensgefährliche Combination möglich sei. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 659 [2-225] einschränkte und allen übrigen Staaten den russischen Wünschen entsprechend absagte, Rußland gegenüber in eine ungleiche Stellung gerathen könne, weil die geographische Lage und die autokratische Verfassung Rußlands diesem für das Aufgeben des Bündnisses stets mehr Leichtigkeit gewähre, als wir haben würden, und weil das Festhalten an der alten Tradition des preußisch-russischen Bundes doch immer nur auf zwei Augen stehe, d. h. von dem Gemüthsleben des jedesmaligen Kaisers von Rußland abhänge. Unsre Beziehungen zu Rußland beruhten wesentlich auf dem persönlichen Verhältniß beider Monarchen zu einander und auf dessen richtiger Pflege durch höfische und diplomatische Geschicklichkeit, respective Gesinnung der beiderseitigen Vertreter. Wir hätten das Beispiel gehabt, daß bei ziemlich hülflosen preußischen Gesandten in Petersburg durch die Geschicklichkeit von Militärbevollmächtigten, wie der Generale von Rauch und Graf Münster, die gegenseitigen Beziehungen intim geblieben wären, trotz mancher berechtigten Empfindlichkeit auf beiden Seiten. Wir hätten ebenso erlebt, daß jähzornige oder reizbare Vertreter Rußlands, wie Budberg und Oubril, durch ihre Haltung in Berlin und durch ihre Berichterstattung, wenn sie persönlich verstimmt waren, Eindrücke erzeugten, welche auf die gegenseitigen Gesammtbeziehungen zweier Völker von einundeinhalb Hundert Millionen gefährlich zurückwirken konnten. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 664 Ich kehre von dieser Abschweifung zu den Besprechungen zurück, die ich zur Zeit des Balkankrieges mit dem Grafen Peter Schuwalow gehabt habe. Ich sagte ihm, daß wir, wenn wir der Festigkeit eines Bündnisses mit Rußland die Beziehungen zu allen andern Mächten zum Opfer brächten, uns bei acuten Vorkommnissen von französischer und östreichischer Revanchelust bei unsrer exponirten geographischen Lage in einer gefährlichen Abhängigkeit von Rußland befinden würden. Die Verträglichkeit Rußlands mit Mächten, die nicht auch ohne sein Wohlwollen bestehn könnten, hätte ihre Grenzen, namentlich bei einer Politik, wie die des Fürsten (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 679 Graf Schuwalow hatte vollkommen Recht, wenn er mir sagte, daß mir der Gedanke an Coalitionen böse Träume verursache 1). Wir hatten gegen zwei der europäischen Großmächte siegreiche Kriege geführt; es kam darauf an, wenigstens einen der beiden mächtigen Gegner, die wir im Felde bekämpft hatten, der Versuchung zu entziehn, die in der Aussicht lag, im Bunde mit andern Revanche nehmen zu können. Daß Frankreich das nicht sein konnte, lag für jeden Kenner der Geschichte und der gallischen Nationalität auf der Hand, und wenn ein geheimer Vertrag von Reichstadt ohne unsre Zustimmung und unser Wissen möglich war, so war auch die alte Kaunitzsche Coalition von Frankreich, Oestreich, Rußland nicht unmöglich, sobald die ihr entsprechenden, in Oestreich latent vorhandenen Elemente dort an das Ruder kamen. Sie konnten Anknüpfungspunkte finden, von denen aus sich die alte Rivalität, das alte Streben nach deutscher Hegemonie als Factor der östreichischen Politik wieder beleben ließ in Anlehnung, sei es an Frankreich, die zur Zeit des Grafen Beust und der Salzburger Begegnung mit Louis Napoleon, August 1867, in der Luft schwebte, sei es in Annäherung an Rußland, wie sie sich in dem geheimen Abkommen von Reichstadt erkennen ließ. Die Frage, welche Unterstützung Deutschland von England in einem solchen Falle zu erwarten haben würde, will ich nicht ohne Weitres im Rückblick auf die Geschichte des siebenjährigen Krieges und des Wiener Congresses beantworten, es aber doch als wahrscheinlich bezeichnen, daß ohne die Siege Friedrichs des Großen die Sache des Königs von Preußen damals noch früher von England wäre fallen gelassen worden. In dieser Situation lag die Aufforderung zu dem Versuch, (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 691 Als Kaiser Wilhelm sich nach Alexandrowo begab (3. September), hatte ich schon in Gastein eine Begegnung mit dem Grafen Andrassy eingeleitet, die am 27. und 28. August stattfand. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 692 [2-238] Nachdem ich ihm die Lage dargelegt hatte, zog er daraus die Folgerung mit den Worten: „Gegen ein russisch-französisches Bündniß ist der natürliche Gegenzug ein östreichisch-deutsches.“ Ich erwiderte, daß er damit die Frage formulirt habe, zu deren Besprechung ich unsre Zusammenkunft angeregt hätte, und wir kamen leicht zu einer vorläufigen Verständigung über ein rein defensives Bündniß gegen einen russischen Angriff auf einen von beiden Theilen, dagegen fand mein Vorschlag, das Bündniß auch auf andre als russische Angriffe auszudehnen, bei dem Grafen keinen Anklang. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 697 [2-239] Abschluß des Defensivbundes mit Oestreich. werth wäre. Die russischen Bestrebungen sind unruhig und friedlos geblieben; der Einfluß des panslavistischen Chauvinismus auf die Stimmungen des Kaisers Alexander hat sich gesteigert, und mit der, wie es leider scheint, ernstlichen Ungnade des Grafen Schuwalow hat dessen Werk, der Berliner Congreß, seine Verurtheilung durch den Kaiser erfahren. Der leitende Minister, insoweit es einen solchen in Rußland gegenwärtig giebt, ist der Kriegsminister Milutin. Auf sein Verlangen sind jetzt nach dem Frieden, wo Rußland von niemand bedroht ist, die gewaltigen Rüstungen erfolgt, welche trotz der Finanzopfer des Krieges den Friedensstand des russischen Heeres um 56000, den Stand der mobilen westlichen Kriegsarmee um fast 400000 Mann steigerten. Diese Rüstungen können nur gegen Oestreich oder Deutschland bestimmt sein, und die Truppenaufstellungen im Königreich Polen entsprechen einer solchen Bestimmung. Der Kriegsminister hat auch den technischen Commissionen *) gegenüber rückhaltlos geäußert, daß Rußland sich auf einen Krieg ,mit Europa‘ einrichten müsse. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 701 In dieser Lage hat nun Rußland in den letzten Wochen an uns Forderungen gestellt, welche darauf hinausgehn, daß wir definitiv zwischen Rußland und Oestreich optiren sollen, indem wir die deutschen Mitglieder der orientalischen Commissionen anwiesen, in den zweifelhaften Fragen mit Rußland zu stimmen, während in diesen Fragen unsrer Meinung nach die richtige Auslegung der Congreßbeschlüsse auf Seiten der durch Oestreich, England und Frankreich gebildeten Majorität ist, und Deutschland deshalb mit dieser gestimmt hat, so daß Rußland theils mit, theils ohne Italien allein die Minorität bildet. Obschon diese Fragen, wie z. B. die Lage der Brücke bei Silistria, die der Türkei vom Congreß concedirte Militärstraße in Bulgarien, die Verwaltung der Post und Telegraphie und der Grenzstreit über einzelne Dörfer an sich im Vergleich mit dem Frieden großer Reiche sehr unbedeutende sind, so war das russische Verlangen, daß wir in Betreff derselben nicht mehr mit Oestreich, sondern mit Rußland stimmen sollten, nicht einmal, sondern wiederholt von unzweideutigen Drohungen begleitet bezüglich der Folgen, welche unsre Weigerung eventuell für die internationalen Beziehungen beider Länder haben würde. Diese auffällige Thatsache war, da sie mit dem Rücktritt des Grafen Andrassy *) zusammenfiel, geeignet, die Besorgniß zu erwecken, daß (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 702 *) Am 14. August hatte der Kaiser Franz Joseph die von dem Grafen Andrassy nachgesuchte Entlassung im Prinzip genehmigt, sich aber die definitive (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 706 *) Enthebung vorbehalten, bis über den Nachfolger Beschluß gefaßt sei. Der Graf verstand sich dazu, noch einige Zeit in Function zu bleiben, um das Bündniß mit Deutschland zu Stande zu bringen. Am 8. October wurde seine Verabschiedung und die Ernennung seines Nachfolgers Haymerle veröffentlicht. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 711 Wenn ich für meine Pflicht halte, meine Ansicht über die Lage und die Politik des Deutschen Reiches in Ehrfurcht zu Eurer Majestät Kenntniß zu bringen, so wollen Allerhöchstdieselben der Thatsache in Gnaden Rechnung tragen, daß Graf Andrassy und ich uns die Geheimhaltung des vorstehend dargelegten Planes gegenseitig zugesagt haben und bisher nur Ihre Majestäten die beiden Kaiser Kenntniß haben von der Absicht ihrer leitenden Minister, eine Vereinbarung zwischen Allerhöchstdenselben herbeizuführen.“ (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 736 [2-248] Reise nach Baden-Baden zu machen, so übernahm sie Graf Stolberg; er führte die Verhandlungen, wenn auch unter starkem Widerstreben Sr. Majestät, glücklich zu Ende. Der Kaiser war von den politischen Argumenten nicht überzeugt worden, sondern ertheilte das Versprechen, den Vertrag zu ratificiren, nur aus Abneigung gegen einen Personenwechsel in dem Ministerium. Der Kronprinz war von Hause aus für das östreichische Bündniß lebhaft eingenommen, aber ohne Einfluß auf seinen Vater. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 754 Der Beistand Oestreichs ist für uns gegen Rußland leichter zu haben als gegen Frankreich, nachdem die Frictionen dieser beiden Mächte in dem von ihnen umworbenen Italien in der alten Form nicht mehr existiren. Für ein monarchisches und katholisch gesinntes Frankreich, wenn ein solches wieder erstanden, wäre die Hoffnung nicht erstorben, ähnliche Beziehungen zu Oestreich wieder zu gewinnen, wie sie während des siebenjährigen Krieges und auf dem Wiener Congreß vor der Rückkehr Napoleons von Elba bestanden, in der polnischen Frage 1863 drohten, im Krimkriege und zur Zeit des Grafen Beust von 1866 bis 1870 in Salzburg und Wien Aussicht auf Verwirklichung hatten. Bei etwaiger Wiederherstellung (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 755 [2-255] der Monarchie in Frankreich würde die durch die italienische Rivalität nicht mehr abgeschwächte gegenseitige Anziehung der beiden katholischen Großmächte unternehmende Politiker in Versuchung führen können, mit der Wiederbelebung derselben zu experimentiren. In der Beurtheilung Oestreichs ist es auch heut noch ein Irrthum, die Möglichkeit einer feindseligen Politik auszuschließen, wie sie von Thugut, Schwarzenberg, Buol, Bach und Beust getrieben worden ist. Kann sich nicht die Politik für Pflicht gehaltner Undankbarkeit, deren Schwarzenberg sich Rußland gegenüber rühmte, in andrer Richtung wiederholen, die Politik, die uns von 1792 bis 1795, während wir mit Oestreich im Felde standen, Verlegenheit bereitete und im Stiche ließ, um uns gegenüber in den polnischen Händeln stark genug zu bleiben, die bis dicht an den Erfolg bestrebt war, uns einen russischen Krieg auf den Hals zu ziehn, während wir als nominelle Verbündete für das Deutsche Reich gegen Frankreich fochten, die sich auf dem Wiener Congreß bis nahe zum Kriege zwischen Rußland und Preußen geltend machte? Die Anwandlungen, ähnliche Wege einzuschlagen, werden für jetzt durch die persönliche Ehrlichkeit und Treue des Kaisers Franz Joseph niedergehalten, und dieser Monarch ist nicht mehr so jung und ohne Erfahrung, wie zu der Zeit, da er sich von der persönlichen Rancüne des Grafen Buol gegen den Kaiser Nicolaus zum politischen Druck auf Rußland bestimmen ließ, wenig Jahre nach Vilagos; aber seine Garantie ist eine rein persönliche, fällt mit dem Personenwechsel hinweg, und die Elemente, die die Träger einer rivalisirenden Politik zu verschiedenen Epochen gewesen sind, können zu neuem Einflusse gelangen. Die Liebe der galizischen Polen, des ultramontanen Clerus für das Deutsche Reich ist vorübergehender und opportunistischer Natur, ebenso das Uebergewicht der Einsicht in die Nützlichkeit der deutschen Anlehnung über das Gefühl der Geringschätzung, mit dem der vollblütige Magyar auf den Schwaben herabsieht. In Ungarn, in Polen sind französische Sympathien auch heut lebendig, und im Clerus der habsburgischen (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 756 [2-256] Gesammtmonarchie würde eine katholisch-monarchische Restauration in Frankreich die Beziehungen wieder beleben können, die 1863 und zwischen 1866 und 1870 in gemeinsamer Diplomatie und in mehr oder weniger reifen Vertragsbildungen ihren Ausdruck fanden. Die Bürgschaft, die diesen Möglichkeiten gegenüber in der Person des heutigen Kaisers von Oestreich und Königs von Ungarn liegt, steht, wie gesagt, auf zwei Augen; eine voraussehende Politik soll aber alle Eventualitäten im Auge behalten, die im Reiche der Möglichkeit liegen. Die Möglichkeit eines Wettbewerbes zwischen Wien und Berlin um russische Freundschaft kann ebenso gut wiederkommen, wie sie zur Zeit von Olmütz vorhanden war, und zur Zeit des Reichstadter Vertrages unter dem uns sehr wohlgesinnten Grafen Andrassy Lebenszeichen gab. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 771 [2-262] Daß die Pforte auf ein russisches Protectorat in dieser Form eingehe, liegt nicht nur in der Möglichkeit, sondern, wenn die Sache geschickt betrieben wird, auch in der Wahrscheinlichkeit. Der Sultan hat in frühern Jahrzehnten glauben können, daß die Eifersucht der europäischen Mächte ihm gegen Rußland Garantien gewähre. Für England und Oestreich war es eine traditionelle Politik, die Türkei zu erhalten; aber die Gladstoneschen Kundgebungen haben dem Sultan diesen Rückhalt entzogen, nicht nur in London, sondern auch in Wien, denn man kann nicht annehmen, daß das Wiener Cabinet die Traditionen der Metternichschen Zeit (Ypsilanti, Feindschaft gegen die Befreiung Griechenlands) hätte in Reichstadt fallen lassen, wenn es der englischen Unterstützung sicher geblieben wäre. Der Bann der Dankbarkeit gegen den Kaiser Nicolaus war bereits durch Buol während des Krimkrieges gebrochen, und auf dem Pariser Congresse war die Haltung Oestreichs um so deutlicher in die alte Metternichsche Richtung zurückgetreten, als sie nicht durch die finanziellen Beziehungen jenes Staatsmannes zum russischen Kaiser gemildert, vielmehr durch Kränkung der Eitelkeit des Grafen Buol verschärft war. Das Oestreich von 1856 würde ohne die zersetzende Wirkung ungeschickter englischer Politik selbst um den Preis Bosniens sich weder von England noch von der Pforte losgesagt haben. So wie die Sachen aber heut liegen, ist es nicht wahrscheinlich, daß der Sultan von England oder Oestreich noch so viel Beistand und Schutz erwartet, wie ihm Rußland, ohne eigne Interessen Preis zu geben, zusagen und vermöge seiner Nachbarschaft erfolgreich gewähren kann. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 827 Von dem Augenblicke des Antritts der Regentschaft an hatte Prinz Wilhelm den Mangel an geschäftlicher Vorbildung so lebhaft empfunden, daß er keine Arbeit Tag und Nacht scheute, um demselben abzuhelfen. Wenn er „Staatsgeschäfte erledigte“, so arbeitete er wirklich, mit vollem Ernst und voller Gewissenhaftigkeit. Er las alle Eingänge, nicht blos die, welche ihn anzogen, studirte die Verträge und Gesetze, um sich ein selbständiges Urtheil zu bilden. Er kannte keine Vergnügung, die den Staatsgeschäften Zeit entzogen hätte. Er las niemals Romane oder sonst Bücher, die nicht Bezug auf seinen Herrscherberuf hatten. Er rauchte nicht, spielte nicht Karten. Wenn nach einem Jagddiner in Wusterhausen die Gesellschaft sich in das Zimmer begab, in dem Friedrich Wilhelm I. das Tabakscollegium zu versammeln pflegte, so ließ er sich, damit die Anwesenden in seiner Gegenwart rauchen durften, eine der langen holländischen Thonpfeifen reichen, that einige Züge und legte sie mit einem krausen Gesichte aus der Hand. Als er in Frankfurt, damals noch Prinz von Preußen, auf einem Balle in ein Zimmer gerieth, in dem Hazard gespielt wurde, sagte er zu mir: „Ich will doch auch einmal mein Glück versuchen, habe aber kein Geld bei mir, geben Sie mir etwas.“ Da auch ich kein Geld bei mir zu tragen pflegte, so half der Graf Theodor Stolberg aus. Der Prinz setzte einige Male einen Thaler, verlor jedes Mal und verließ das Zimmer. Seine einzige Erholung war, nach einem arbeitsvollen Tage in seiner Theaterloge zu sitzen; aber auch dort durfte ich als Minister ihn in dringenden Fällen aufsuchen, (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 831 [2-282] Vaters. Der Einfluß seiner Gemalin brachte ihn in reifern Jahren in Opposition gegen das traditionelle Prinzip, und die Unfähigkeit seiner Minister der Neuen Aera und das überstürzende Ungeschick der liberalen Parlamentarier in der Conflictszeit weckte in ihm wiederum den alten Pulsschlag des preußischen Prinzen und Offiziers, zumal er mit der Frage, ob die Bahn, die er einschlug, gefährlich sei, niemals rechnete. Wenn er überzeugt war, daß Pflicht und Ehre, oder eins von beiden, ihm geboten, einen Weg zu betreten, so ging er ihn ohne Rücksicht auf die Gefahren, denen er ausgesetzt sein konnte, in der Politik ebenso wie auf dem Schlachtfelde. Einzuschüchtern war er nicht. Die Königin war es, und das Bedürfniß des häuslichen Friedens mit ihr war ein unberechenbares Gewicht, aber parlamentarische Grobheiten oder Drohungen hatten nur die Wirkung, seine Entschlossenheit im Widerstande zu stärken. Mit dieser Eigenschaft hatten die Minister der Neuen Aera und ihre parlamentarischen Stützen und Gefolgschaften niemals gerechnet. Graf Schwerin war in seinem Mißverstehn dieses furchtlosen Offiziers auf dem Throne so weit gegangen, zu glauben, ihn durch Ueberhebung und Mangel an Höflichkeit einschüchtern zu können 1). In diesen Vorgängen lag der Wendepunkt des Einflusses der Minister der Neuen Aera, der Altliberalen und der Bethmann-Hollwegschen Partei, von dem ab die Bewegung rückläufig wurde, die Leitung in Roons Hände fiel und der Ministerpräsident Fürst Hohenzollern mit seinem Adjuncten Auerswald meinen Eintritt in das Ministerium wünschten. Die Königin und Schleinitz verhinderten ihn einstweilen noch, als ich im Frühjahr 1860 in Berlin war, aber die Aeußerlichkeiten, die zwischen dem Herrn und seinen Ministern vorgekommen waren, hatten in die gegenseitigen Beziehungen doch einen Riß gebracht, der nicht mehr vernarbte. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 850 Der Kaiser konnte heftig werden, ließ sich aber in der Discussion von der etwaigen Heftigkeit dessen, mit dem er discutirte, nicht anstecken, sondern brach dann die Unterredung vornehm freundlich ab. Ausbrüche wie in Versailles bei Abwehr des Kaisertitels waren sehr selten. Wenn er heftig wurde gegen Leute, denen er wohlwollte, wie dem Grafen Roon oder mir, so war er entweder durch den Gegenstand selbst erregt oder durch fremde, außeramtliche Besprechungen vorher an Auffassungen gebunden, die sich sachlich nicht vertreten ließen. Graf Roon hörte dergleichen Explosionen an, wie ein Militär in der Front den Verweis eines hohen Vorgesetzten, den er nicht verdient zu haben glaubt, aber er litt nervös darunter und secundär auch körperlich. Auf mich haben Ausbrüche von Heftigkeit des Kaisern, die ich seltner erlebte als Roon, niemals contagiös, eher abkühlend gewirkt. Ich hatte mir die Logik zurechtgelegt, daß ein Herrscher, der mir in dem Maße Vertrauen und Wohlwollen schenkte, wie Wilhelm I., in seinen Unregelmäßigkeiten für mich die Natur einer vis major habe, gegen die zu reagiren mir nicht gegeben sei, etwa wie das Wetter oder die See, wie ein Naturereigniß, auf das ich mich einrichten müsse; und wenn mir das nicht gelang, so hatte ich eben meine Aufgabe nicht richtig angegriffen. Dieser mein Eindruck beruhte nicht auf meiner generellen Auffassung der Stellung eines Königs von Gottes Gnaden zu seinem Diener, sondern auf meiner persönlichen Liebe zu Kaiser Wilhelm I. Ihm gegenüber lag mir persönliche Empfindlichkeit sehr fern, er konnte mich ziemlich ungerecht behandeln, ohne in mir Gefühle der Entrüstung (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 884 [2-296] durch Graf Lehndorff und von diesem selbst zu hören, daß Sie jetzt mehr an sich als an die Papiere denken werden. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 902 Ich benutze den Tag, um Ihren Schwiegersohn den Grafen Rantzau hiermit zum Legationsrath zu ernennen, da ich glaube Ihnen damit eine Freude zu machen.Auch sende ich Ihnen die Copie meines großen Ahnherrn, des Großkurfürsten, wie er auf der langen Brücke steht, zum Andenken an den heutigen Tag, der noch recht oft für Sie und uns wiederkehren möge. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)