Original Ergebnisseite.

Wegener, Tim, Die Bevölkerung hat vollstes Vertrauen zum Führer … - Lage- und Stimmungsberichte aus dem Landkreis Celle 1933-1945, hg. vom Museumsverein Celle e. V. und vom Landkreis Celle (= Quellen und Darstellungen zur Geschichte des Landkreises Celle 14). Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld 2016. 523 S., Abb. Besprochen von Werner Schubert.

Wegener, Tim, Die Bevölkerung hat vollstes Vertrauen zum Führer … - Lage- und Stimmungsberichte aus dem Landkreis Celle 1933-1945, hg. vom Museumsverein Celle e. V. und vom Landkreis Celle (= Quellen und Darstellungen zur Geschichte des Landkreises Celle 14). Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld 2016. 523 S., Abb. Besprochen von Werner Schubert.

 

Lage- und Stimmungsberichte der unteren Verwaltungsebene für die Zeit von 1933-1945 sind bisher in nennenswertem Umfang nicht veröffentlicht worden. Es ist deshalb zu begrüßen, dass der Celler Historiker die im Archiv des Landeskreises Celle aufbewahrten Lage- und Stimmungsberichte in vollem Umfang herausgegeben hat. Es handelt sich um die weitgehend erhalten gebliebenen Berichte des Landrats des Landkreises Celle an den Regierungspräsidenten/die Staatspolizeistelle Harburg-Wilhelmsburg (im Krieg nur noch an den Regierungspräsidenten), um Berichte des Celler Arbeitsamts über die Entwicklung des Arbeitseinsatzes, Berichte über die Entwicklung der Wirtschaft, Berichte der Kreisbauernschaft Celle und 200 Berichte von Gemeindebürgermeistern aus der Kriegszeit. Die Gliederung der Berichte an den Regierungspräsidenten war vorgegeben (für die Zeit ab 1941 umfasste sie 13 Punkte, u. a. Arbeitseinsatz, Ausländer, Ernährung, Stimmung, aufgetretene organisatorische Mängel). Die Berichte des Landrats aus dem Jahr 1933 sind äußerst knapp und zum Teil tabellarisch, während die Berichte von 1934 bis Mai 1935 ausführlicher sind. Für die Zeit von Mitte 1935 bis 1937 war die Berichterstattung ausgesetzt; sie setzte 1938 wieder ein. Für dieses Jahr ist allerdings nur ein Lagebericht überliefert; erst für die Zeit ab September 1939 ist die Überlieferung der Berichte nahezu lückenlos.

 

S. 30-75 geht Wegener auf den „Landkreis Celle – Eine Skizze“ näher ein, ohne dass eine detaillierte inhaltliche Auswertung der publizierten Berichte beabsichtigt wurde. Landrat des Kreises Celle war von 1920-1945 Wilhelm Heinrich (geb. in Rendsburg/Schleswig-Holstein). Er gehörte zu den wenigen Landräten, die ihr Amt 1933 behielten und die ganze NS-Zeit im Amt blieben (S. 32f.). Eine biografische Würdigung Heinrichs, die insbesondere für eine Detailanalyse der Lageberichte wichtig wäre, steht noch aus. Der Landkreis Celle war einer der größten Kreise im Deutschen Reich, wurde in der NS-Zeit industrialisiert (Ölförderung, Rüstungsindustrie) und verfügte über einen großen Truppenübungsplatz und Fliegerhorst. Auf dem Gebiet des Landkreises liegt auch das Lager (später KZ) Bergen-Belsen.

 

Aus rechtshistorischer Sicht sind zunächst die Lageberichte von 1934/1935 von Interesse. Wiederholt wird die Praxis, aber auch die Kritik am Reichserbhofgesetz angesprochen (u. a. S. 112, 121, 123) sowie auch das Entschuldungsverfahren. S. 145 weist der Lagebericht vom Februar 1935 sarauf hin, dass der Kreis durch die Einrichtung der Landhelfer „in zunehmendem Maße mit den Kosten unehelicher Kinder belastet“ werde. Insofern dürften die Bestimmungen der Fürsorgepflichtordnung änderungsbedürftig sein, „die wohl auch im Übrigen den Auffassungen des nationalsozialistischen Staates nicht mehr in allen Punkten entsprechen dürfte“. S. 102ff. geht es um die Strafanzeige gegen einen Sturmbannführer wegen Körperverletzung eines Kaufmannslehrlings (u. a. Schreiben eines Gendarmeriepostens an den Landrat). In einem Nachtrag zum Lagebericht teilte der Landrat mit, dass der Sturmbannführer wegen Körperverletzung sofort nach der Tat seiner Posten enthoben und aus der SA entfernt worden sei. Außerdem sei gegen ihn ein Verfahren auf Ausschließung aus der Partei anhängig gemacht worden (S. 105).

 

Die Lageberichte des Landrats aus der Kriegszeit und die Berichte der Bürgermeister sind durchweg nicht von unmittelbarer rechtshistorischer Relevanz. Jedoch geben die Berichte insbesondere über den Arbeitseinsatz, die im Kreis beschäftigten Ausländer und die Stimmung in der Bevölkerung einen detaillierten Einblick in die Probleme der Kriegsjahre, vor deren Hintergrund insbesondere die Verurteilungen durch die Sondergerichte zu sehen sind (hierzu das Werk Wolf-Dieter Mechlers, Kriegsalltag an der „Heimatfront“: Das Sondergericht Hannover im Einsatz gegen „Rundfunkverbrecher“, „Schwarzschlachter“, „Volksschädlinge“ und andere „Straftäter“ 1939-1945, Hannover 1997). Ergänzend sei auch auf die noch nicht veröffentlichten Lageberichte des Präsidenten des Oberlandesgerichts Celle und des Celler Generalstaatsanwalts hingewiesen.

 

Insgesamt liegt mit der Edition Tim Wegeners ein Quellenwerk vor, das dem Rechtshistoriker insbesondere den tatsächlichen Hintergrund der Rechtswirklichkeit unter dem Nationalsozialismus erschließt.

 

Kiel

Werner Schubert