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AAAKöbler, Gerhard, National in Bismarcks Gedanken und Erinnerungen, 2016

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Abs. 4 Als normales Product unsres staatlichen Unterrichts verließ ich Ostern 1832 die Schule als Pantheist, und wenn nicht als Republikaner, doch mit der Ueberzeugung, daß die Republik die vernünftigste Staatsform sei, und mit Nachdenken über die Ursachen, welche Millionen von Menschen bestimmen könnten, Einem dauernd zu gehorchen, während ich von Erwachsenen manche bittre oder geringschätzige Kritik über die Herrscher hören konnte. Dazu hatte ich von der turnerischen Vorschule mit Jahn'schen Traditionen (Plamann), in der ich vom sechsten bis zum zwölften Jahre gelebt, deutsch-nationale Eindrücke mitgebracht. Diese blieben im Stadium theoretischer Betrachtungen und waren nicht stark genug, um angeborne preußisch-monarchische Gefühle auszutilgen. Meine geschichtlichen Sympathien blieben auf Seiten der Autorität. Harmodius und Aristogiton sowohl wie Brutus waren für mein kindliches Rechtsgefühl Verbrecher und Tell ein Rebell und Mörder. Jeder deutsche Fürst, der vor dem 30jährigen Kriege dem Kaiser widerstrebte, ärgerte mich, vom Großen Kurfürsten an aber war ich parteiisch genug, antikaiserlich zu urtheilen und natürlich zu finden, daß der siebenjährige Krieg sich vorbereitete. Doch blieb mein deutsches Nationalgefühl so stark, daß ich im Anfang der Universitätszeit zunächst zur Burschenschaft in Beziehung gerieth, (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 5 [1-2] welche die Pflege des nationalen Gefühls als ihren Zweck bezeichnete. Aber bei persönlicher Bekanntschaft mit ihren Mitgliedern mißfielen mir ihre Weigerung, Satisfaction zu geben, und ihr Mangel an äußerlicher Erziehung und an Formen der guten Gesellschaft, bei näherer Bekanntschaft auch die Extravaganz ihrer politischen Auffassungen, die auf einem Mangel an Bildung und an Kenntniß der vorhandenen, historisch gewordenen Lebensverhältnisse beruhte, von denen ich bei meinen siebzehn Jahren mehr zu beobachten Gelegenheit gehabt hatte als die meisten jener durchschnittlich ältern Studenten. Ich hatte den Eindruck einer Verbindung von Utopie und Mangel an Erziehung. Gleichwohl bewahrte ich innerlich meine nationalen Empfindungen und den Glauben, daß die Entwicklung der nächsten Zukunft uns zur deutschen Einheit führen werde; ich ging mit meinem amerikanischen Freunde Coffin die Wette darauf ein, daß dieses Ziel in zwanzig Jahren erreicht sein werde. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 200 [1-53] trat die deutsche Frage mehr in den Vordergrund als vorher, und innerhalb des Ministeriums wurden in dieser Beziehung große Hoffnungen auf den Sachsen von Carlowitz gesetzt, dessen anerkannte Beredsamkeit in deutsch-nationalem Sinne wirken würde. Wie der Graf Brandenburg über die deutsche Sache dachte, darüber habe ich damals von ihm unmittelbare Mittheilungen nicht erhalten. Er gab nur seine Bereitwilligkeit zu erkennen, mit soldatischem Gehorsam zu thun, was der König befehlen würde. Später in Erfurt sprach er sich offner zu mir darüber aus. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 204 [1-55] vor. Die Neigung, diese Möglichkeit auszunutzen, muß im Gemüthe des Königs zurückgetreten sein vor der Besorgniß, dasjenige Maß von Wohlwollen in nationaler und liberaler Richtung zu verlieren, auf dem die Hoffnung beruhte, daß Preußen ohne Krieg und in einer mit legitimistischen Vorstellungen verträglichen Weise das Vorgewicht in Deutschland zufallen würde. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 212 [1-59] waren damals aufrichtiger und ungeschulter, wenn auch die Leidenschaften, der Haß und die gegenseitige Mißgunst der Fractionen und ihrer Führer, die Neigung, die Landesinteressen den Fractionsinteressen zu opfern, heut vielleicht stärker entwickelt sind. En tout cas le diable n'y perd rien. Byzantinismus und verlogene Speculation auf Liebhabereien des Königs wurden wohl in kleinen höhern Kreisen betrieben, aber bei den parlamentarischen Fractionen war der Wettlauf um die Gunst des Hofes noch nicht im Gange; der Glaube an die Macht des Königthums war irrthümlicher Weise meist geringer als der an die eigne Bedeutung; man fürchtete nichts mehr, als für servil oder für ministeriell zu gelten. Die Einen strebten nach eigner Ueberzeugung das Königthum zu stärken und zu stützen, die Andern glaubten, ihr und des Landes Wohl in Bekämpfung und Schwächung des Königs zu finden; es liegt darin ein Beweis, daß, wenn nicht die Macht, doch der Glaube an die Macht des preußischen Königthums damals schwächer war als heut zu Tage. Die Unterschätzung der Macht der Krone erlitt auch durch die Thatsache keine Aenderung, daß der persönliche Wille eines nicht sehr willensstarken Monarchen wie Friedrich Wilhelms IV. hinreichte, der ganzen deutschen Bewegung durch Ablehnung der Kaiserkrone die Spitze abzubrechen, und daß die sporadischen Aufstände, die demnächst für die Durchführung nationaler Wünsche ausbrachen, von der Königlichen Gewalt mit Leichtigkeit unterdrückt wurden. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 213 Die günstige Situation, welche für Preußen in der kurzen Zeit von der Niederlage des Fürsten Metternich in Wien bis zum Rückzuge der Truppen aus Berlin bestanden hatte, erneuerte sich, wenn auch in schwächern Umrissen, dank der Wahrnehmung, daß der König und sein Heer nach allen Mißgriffen noch stark genug waren, den Aufstand in Dresden niederzuwerfen und das Drei-Königsbündniß zu Stande zu bringen. Eine schnelle Ausnutzung der Lage im nationalen Sinne war vielleicht möglich, setzte aber klare und praktische Ziele und entschlossenes Handeln voraus. Beides fehlte. Die günstige Zeit ging verloren mit Erwägungen von (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 214 [1-60] Einzelheiten der künftigen Verfassung, unter denen eine der breitesten Stellen die Frage von dem Gesandschaftsrecht der deutschen Fürsten neben dem des Deutschen Reiches einnahm 1). Ich habe damals in den mir zugänglichen Kreisen am Hofe und unter den Abgeordneten die Ansicht vertreten, daß das Gesandschaftsrecht nicht die Wichtigkeit habe, die man ihm beilegte, sondern der Frage von dem Einflusse der einzelnen Bundesfürsten im Reiche oder im Auslande untergeordnet sei. Wäre der Einfluß eines solchen auf die Politik gering, so würden seine Gesandschaften im Auslande den einheitlichen Eindruck des Reiches nicht abschwächen können; bliebe sein Einfluß auf Krieg und Frieden, auf die politische und finanzielle Leitung des Reiches oder auf die Entschließungen fremder Höfe stark genug, so gebe es kein Mittel, zu verhindern, daß fürstliche Correspondenzen oder irgend welche mehr oder weniger distinguirte Privatleute, bis in die Kategorie der internationalen Zahnärzte hinein, die Träger politischer Verhandlungen würden. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 218 [1-62] Könige selbst habe constatiren können, haben die Sympathien der höhern Beamtenschichten theils für die liberale, theils für die nationale Seite der Bewegung viel beigetragen - ein Element, das ohne einen Impuls von oben wohl hemmend, aber nicht thatsächlich entscheidend in's Gewicht fallen konnte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 223 Ich hatte schon damals das Vertrauen, daß die militärische Kraft Preußens genügen werde, um alle Aufstände zu überwältigen, und daß die Ergebnisse der Ueberwältigung zu Gunsten der Monarchie und der nationalen Sache um so erheblicher sein würden, je größer der zu überwindende Widerstand gewesen wäre, und vollständig befriedigend, wenn alle Kräfte, von denen Widerstand zu erwarten war, in einem und demselben Feldzuge überwunden werden konnten. Während der Aufstände in Baden und der Pfalz war es eine Zeit lang zweifelhaft, wohin ein Theil der bairischen Armee gravitiren würde. Ich erinnere mich, daß ich dem bairischen Gesandten, Grafen Lerchenfeld, als er grade in diesen kritischen Tagen von mir Abschied nahm, um nach München zu reisen, sagte: "Gott gebe, daß auch Ihre Armee, so weit sie unsicher ist, offen abfällt; dann wird der Kampf groß, aber ein entscheidender werden, der das Geschwür heilt. Machen Sie mit dem unsichern Theil Ihrer Truppen Frieden, so bleibt das Geschwür unterköthig." Lerchenfeld, besorgt und bestürzt, nannte mich leichtsinnig. Ich schloß das Gespräch mit den Worten: "Seien Sie sicher, wir reißen Ihre und unsre Sache durch; je toller je besser." Er glaubte mir (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 236 Es ist merkwürdig, daß in den beiden Familien, welche damals in Deutschland und in Preußen den nationalen Liberalismus vertraten, Gagern und Auerswald, je drei Brüder vorhanden waren, unter denen je ein General, daß diese beiden Generale die praktischeren Politiker unter ihren Brüdern waren und beide in Folge der revolutionären Bewegungen ermordet wurden, deren Entwicklung jeder von ihnen in seinem Wirkungskreise in gutem patriotischen Glauben gefördert hatte. Der General von Auerswald, der am 18. September 1848 bei Frankfurt ermordet wurde, wie man sagt, weil er für Radowitz gehalten wurde, hatte sich zur (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 248 [1-71] Stockhausen übernahm es, mein in der Lausitz liegendes Regiment zu benachrichtigen, daß er dem Lieutenant von Bismarck befohlen habe, in Berlin zu bleiben. Ich begab mich zunächst zu meinem Landtagscollegen Justizrath Geppert, der damals an der Spitze zwar nicht meiner Fraction, aber doch derjenigen Zahlreichen stand, welche man das rechte Centrum hätte nennen können, und die zur Unterstützung der Regirung geneigt waren, aber die energische Wahrnehmung der nationalen Aufgabe Preußens nicht nur prinzipiell, sondern auch durch sofortige militärische Bethätigung für angezeigt hielten. Ich stieß bei ihm in erster Linie auf parlamentarische Ansichten, die mit dem Programme des Kriegsministers nicht übereinstimmten, mußte mich also bemühn, ihn von einer Auffassung abzubringen, die ich selbst vor meiner Unterredung mit Stockhausen in der Hauptsache getheilt hatte, und die man als natürliches Erzeugniß eines verletzten nationalen oder preußischmilitärischen Ehrgefühls bezeichnen kann. Ich erinnere mich, daß unsre Besprechungen von langer Dauer waren und wiederholt werden mußten. Ihre Wirkung auf die Fractionen der Rechten läßt sich aus der Adreßdebatte entnehmen. Ich selbst habe am 3. December meine damalige Ueberzeugung in einer Rede ausgesprochen, der die nachstehenden Sätze entnommen sind 1): (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 285 [1-86] von Gleichartigkeit des Verbrauchs; schon die Unterschiede der Interessen innerhalb des deutschen Zollvereins zwischen Nord und Süd, Ost und West sind schwer und nur mit dem guten Willen zu überwinden, der der nationalen Zusammengehörigkeit entspringt; zwischen Ungarn und Galizien einerseits und dem Zollverein andrerseits ist die Verschiedenheit des Verbrauchs zollpflichtiger Waaren zu stark, um eine Zollgemeinschaft durchführbar erscheinen zu lassen. Der Vertheilungsmaßstab für die Zollverträge würde stets für Deutschland nachtheilig bleiben, auch wenn die Ziffern es für Oestreich zu sein schienen. Letztres lebt in Cis- und mehr noch in Trans-Leithanien vorwiegend von eignen, nicht von importirten Erzeugnissen. Außerdem hatte ich damals allgemein und habe ich auch heut noch sporadisch nicht das nöthige Vertrauen zu undeutschen Unterbeamten im Osten. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 302 Für die deutsche Sache behielt man in den dem Königthum widerstrebenden Kreisen eine kleine Hoffnung auf Hebelkräfte im Sinne des Herzogs von Coburg, auf englischen und selbst französischen Beistand, in erster Linie aber auf liberale Sympathien des deutschen Volks. Die praktisch wirksame Bethätigung dieser Hoffnungen beschränkte sich auf den kleinen Kreis der Hof-Opposition, die unter dem Namen der Fraction Bethmann-Hollweg den Prinzen von Preußen für sich und ihre Bestrebungen zu gewinnen suchte. Es war dies eine Fraction, die an dem Volke garkeinen und an der damals als "Gothaer" bezeichneten nationalliberalen Richtung geringen Anhalt hatte. Ich habe diese Herrn nicht grade für nationaldeutsche Schwärmer gehalten, im Gegentheil. Der einflußreiche, noch heut (1891) lebende langjährige Adjutant des Kaisers Wilhelm, Graf Karl von der Goltz, der einen stets offnen Zugang für seinen Bruder und dessen Freunde abgab, war ursprünglich ein eleganter und gescheidter Garde-Offizier, Stockpreuße und Hofmann, der an dem außerpreußischen Deutschland nur so viel Interesse nahm, als seine Hofstellung es mit sich brachte. Er war ein Lebemann, Jagdreiter, sah gut aus, hatte Glück bei Damen und wußte sich auf dem Hofparket geschickt zu benehmen; aber die Politik stand bei ihm nicht in erster Linie, sondern galt ihm erst, (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 385 In die Pläne der Ausschlachtung Rußlands hatte man den Prinzen von Preußen nicht eingeweiht. Wie es gelungen, ihn für eine Wendung gegen Rußland zu gewinnen, ihn, der vor 1848 seine Bedenken gegen die liberale und nationale Politik des Königs nur in den Schranken brüderlicher Rücksicht und Unterordnung geltend gemacht hatte, zu einer ziemlich activen Opposition gegen die Regirungspolitik zu bewegen, trat in einer Unterredung hervor, die ich mit ihm in einer der Krisen hatte, in welchen mich der König zum Beistande gegen Manteuffel nach Berlin berufen hatte. Ich wurde gleich nach meiner Ankunft zu dem Prinzen befohlen, der mir in einer durch seine Umgebung erzeugten Gemüthserregung den Wunsch aussprach, ich solle dem Könige im westmächtlichen und antirussischen Sinne zureden. Er sagte: "Sie sehn sich hier zwei streitenden Systemen gegenüber, von denen das eine durch Manteuffel, das andre, russenfreundliche, durch Gerlach und den Grafen Münster in Petersburg vertreten ist. Sie kommen frisch hierher, sind von dem Könige gewissermaßen als Schiedsmann berufen. Ihre Meinung wird daher den Ausschlag geben, und ich beschwöre Sie, sprechen Sie sich so aus, wie es nicht nur die europäische Situation, sondern auch ein richtiges Freundesinteresse für Rußland erfordert. Rußland ruft ganz Europa gegen sich auf und wird schließlich unterliegen. Alle diese prächtigen Truppen," - es war dies nach den für die Russen nachtheiligen Schlachten vor Sebastopol - "alle unsre Freunde, die dort geblieben sind," - er nannte mehre - "würden noch leben, wenn wir richtig eingegriffen und Rußland zum Frieden gezwungen hätten." Es würde damit enden, daß Rußland, unser alter Freund und Bundesgenosse, vernichtet oder in gefährlicher Weise geschädigt würde. Unsre, von Otto Fürst von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. I. 8 (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 413 Wirksamer noch als durch die politischen Argumentationen der Bethmann-Hollwegschen Coterie wurde der Prinz von seiner Gemalin im westmächtlichen Sinne beeinflußt und in eine Art von Oppositionsstellung gegen den Bruder gebracht, die seinen militärischen Instincten fern lag. Die Prinzessin Augusta hat aus ihrer weimarischen Jugendzeit bis an ihr Lebensende den Eindruck bewahrt, daß französische und noch mehr englische Autoritäten und Personen den einheimischen überlegen seien. Sie war darin echt deutschen Blutes, daß sich an ihr unsre nationale Art bewährte, welche in der Redensart ihren schärfsten Ausdruck findet: "Das ist nicht weit her, taugt also nichts." Trotz Goethe, Schiller und allen andern Größen in den elyseischen Gefilden von Weimar war doch diese geistig hervorragende Residenz nicht frei von dem Alp, der bis zur Gegenwart auf unserm Nationalgefühl gelastet hat: daß ein Franzose und vollends ein Engländer durch seine (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 439 Ich suchte mich der Rolle, welche der König mich spielen ließ, in schicklicher Weise zu entziehn und die Verständigung zwischen ihm und Manteuffel nach Möglichkeit anzubahnen; so in den ernsten Zerwürfnissen, welche über Rhino Quehl entstanden. Nachdem durch Wiederherstellung des Bundestages nationale Sonderbestrebungen Preußens einstweilen behindert waren, ging man in Berlin an eine Restauration der innern Zustände, mit welcher der König gezögert hatte, so lange er darauf bedacht war, sich die Liberalen in den übrigen deutschen Staaten nicht zu entfremden. Ueber das Ziel und die Gangart der Restauration zeigte sich aber sofort zwischen dem Minister Manteuffel und der "kleinen aber mächtigen Partei" eine Meinungsverschiedenheit, die sich merkwürdigerweise in einen Streit über Halten oder Fallenlassen einer verhältnißmäßig untergeordneten Persönlichkeit zuspitzte und zu einem scharfen, öffentlichen Ausbruch führte. In demselben Briefe vom 11. Juli 1851, durch welchen er mich von meiner Ernennung zum Bundestagsgesandten benachrichtigte, schrieb Manteuffel: (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 782 J'avais espéré que par ce retard de ma réponse je serais mis à même d'y joindre celle que j'attends de Berlin à l'envoi dont vous avez bien voulu me charger à destination de Sa Majesté le Roi. Je ne la tiens pas encore, mais je ne puis partir, mon Prince, sans vous dire, combien je suis touché de la manière digne et aimable à la fois dont vous faites les honneurs du département que vous dirigez, et de la capitale que vous habitez, en montrant à l'étranger un noble modèle de l'hospitalité nationale. Le magnifique ouvrage que vous avez bien voulu me donner, restera toujours un ornament précieux de ma bibliothèque et un objet auquel se rattache le (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 837 Während der Festlichkeiten sah ich, daß in der Stimmung der Königin eine Veränderung vorgegangen war, die vielleicht mit dem inzwischen erfolgten Rücktritt von Schleinitz zusammenhing. Sie ergriff die Initiative zur Besprechung national-deutscher Politik mit mir. Ich begegnete dort zum ersten Male dem Grafen Bernstorff als Minister, der zu einer bestimmten Entschließung über seine Politik noch nicht gelangt zu sein schien und mir in unsern Gesprächen den Eindruck machte, als ringe er nach einer Meinung. Die Königin zeigte sich gegen mich freundlicher als seit langen Jahren, sie zeichnete mich in augenfälliger Weise aus, offenbar über die im Augenblick von dem Könige gewünschte Linie hinaus. In einem Moment, der ceremoniell für Unterhaltung kaum Zeit bot, blieb sie vor mir, der ich in dem Haufen stand, stehn und begann mit mir ein Gespräch über deutsche Politik, dem der sie führende König, ein Zeit lang vergebens, ein Ende zu machen suchte. Das Verhalten beider Herrschaften bei dieser und andern Gelegenheiten bewies, daß damals eine Meinungsverschiedenheit über die Behandlung der deutschen Frage zwischen ihnen bestand; ich vermuthe, daß Graf Bernstorff Ihrer Majestät nicht sympathisch war. Der König vermied, mit mir über Politik zu reden, wahrscheinlich in der Besorgniß, durch Beziehungen zu mir in eine reactionäre Beleuchtung zu gerathen. Diese Besorgniß beherrschte ihn noch im Mai 1862 und sogar noch im September 1862. Er hielt mich für fanatischer als ich war. Nicht ohne Einfluß war (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 915 [1-269] sondern um Königliches Regiment oder Parlamentsherrschaft handle, und daß die letztre unbedingt und auch durch eine Periode der Dictatur abzuwenden sei. Ich sagte: "In dieser Lage werde ich, selbst wenn Eure Majestät mir Dinge befehlen sollten, die ich nicht für richtig hielte, Ihnen zwar diese meine Meinung offen entwickeln, aber wenn Sie auf der Ihrigen schließlich beharren, lieber mit dem Könige untergehn, als Eure Majestät im Kampfe mit der Parlamentsherrschaft im Stiche lassen." Diese Auffassung war damals durchaus lebendig und maßgebend in mir, weil ich die Negation und die Phrase der damaligen Opposition für politisch verderblich hielt im Angesicht der nationalen Aufgaben Preußens, und weil ich für Wilhelm I. persönlich so starke Gefühle der Hingebung und Anhänglichkeit hegte, daß mir der Gedanke, in Gemeinschaft mit ihm zu Grunde zu gehn, als ein nach Umständen natürlicher und sympathischer Abschluß des Lebens erschien. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 920 Die Königliche Autorität hatte bei uns unter dem Mangel an Selbständigkeit und Energie unsrer auswärtigen und namentlich unsrer deutschen Politik gelitten; in demselben Boden wurzelte die Ungerechtigkeit der bürgerlichen Meinung über die Armee und deren Offiziere und die Abneigung gegen militärische Vorlagen und Ausgaben. In den parlamentarischen Fractionen fand der Ehrgeiz der Führer, Redner und Minister-Candidaten Nahrung und Deckung hinter der nationalen Verstimmung. Klare Ziele hatten unsrer Politik seit dem Tode Friedrichs des Großen entweder gefehlt oder sie waren ungeschickt gewählt oder betrieben; letztres von 1786 bis 1806, wo unsre Politik planlos begann und traurig endete. Man entdeckt in ihr bis zum vollen Ausbruch der französischen Revolution keine Andeutung einer national-deutschen Richtung. Die ersten Spuren einer solchen, die sich im Fürstenbunde in den Ideen von einem preußischen Kaiserthum, in der Demarcationslinie, in der Erwerbung deutscher Landstriche finden, sind Ergebnisse nicht nationaler, sondern preußisch-particularistischer Bestrebungen. Im Jahr 1786 lag das stärkere Interesse noch nicht auf deutsch-nationalem Gebiete, sondern in dem Gedanken polnischer territorialer Erwerbungen, und bis in den Krieg von 1792 hinein war das Mißtrauen zwischen Preußen und Oestreich weniger durch die deutsche als durch die polnische Rivalität beider Mächte genährt. In den Händeln der Thugut-Lehrbach'schen Periode spielte der Streit (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 942 Er ist außerdem durch die collegiale Form des Staatsministeriums mit ihren Majoritätsabstimmungen zu Compromissen und zu Nachgiebigkeit seinen Collegen gegenüber nach der preußischen Ministerverfassung täglich genöthigt. Eine wirkliche Verantwortlichkeit in der großen Politik aber kann nur ein einzelner leitender Minister, niemals ein anonymes Collegium mit Majoritätsabstimmung, leisten. Die Entscheidung über Wege und Abwege liegt oft in minimalen, aber einschneidenden Wendungen, zuweilen schon in der Tonart und der Wahl der Ausdrücke eines internationalen Actenstückes. Schon bei geringer Abweichung von der richtigen Linie wächst die Entfernung von derselben oft so rapid, daß der verlassene Strang nicht wieder erreicht werden kann, und die Umkehr bis zu dem Gabelpunkt, wo er verlassen wurde, unausführbar ist. Das übliche Amtsgeheimniß deckt die Umstände, unter denen eine Entgleisung stattgefunden hat, Menschenalter hindurch, und das Ergebniß der Unklarheit, in welcher der pragmatische Zusammenhang der Dinge bleibt, erzeugt bei leitenden Ministern, wie das bei manchen meiner Vorgänger der Fall war, Gleichgültigkeit gegen die sachliche Seite der Geschäfte, sobald die formale durch königliche Unterschrift oder parlamentarische Vota gedeckt erscheint. Bei Andern wieder führt der Kampf zwischen dem eignen Ehrgefühl und der Verstrickung der Competenzverhältnisse zu tödtlichen Nervenfiebern, wie bei dem Grafen Brandenburg, oder zu Symptomen von Geistesstörung, wie in einigen frühern Fällen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 955 Roon, der zugegen war, sprach beim Nachhausegehn seine Unzufriedenheit mit meinen Aeußerungen aus, sagte u. A., er hielte dergleichen "geistreiche Excurse" unsrer Sache nicht für förderlich. Meine eignen Gedanken bewegten sich zwischen dem Wunsche, Abgeordnete für eine energische nationale Politik zu gewinnen, und der Gefahr, den König in seiner vorsichtigen und gewaltsame Mittel scheuenden Veranlagung mißtrauisch gegen mich und meine Absichten zu machen. Um dem vermuthlichen Eindruck der Presse auf ihn bei Zeiten entgegen zu wirken, fuhr ich ihm nach Jüterbogk entgegen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 967 Niemals, auch in Frankfurt nicht, bin ich darüber in Zweifel gewesen, daß der Schlüssel zur deutschen Politik bei den Fürsten und Dynastien lag und nicht bei der Publicistik in Parlament und Presse oder bei der Barrikade. Die Kundgebungen der öffentlichen Meinung der Gebildeten in Parlament und Presse konnten fördernd und aufhaltend auf die Entschließung der Dynastien wirken, aber sie förderten zugleich das Widerstreben der letztern vielleicht häufiger, als daß sie eine Pression in nationaler Richtung ausgeübt hätten. Schwächere Dynastien suchten Schutz in Anlehnung bei der nationalen Sache, Herrscher und Häuser, die sich zum Widerstande fähiger fühlten, mißtrauten der Bewegung, weil mit der Förderung der deutschen Einheit eine Verminderung der Unabhängigkeit zu Gunsten der Centralgewalt oder der Volksvertretung in Aussicht stand. Die preußische Dynastie konnte voraussehn, daß ihr die Hegemonie mit einer Vermehrung von Ansehn und Macht im künftigen Deutschen Reiche schließlich zufallen würde. Ihr kam die von den andern Dynastien befürchtete capitis deminutio voraussichtlich zu Gute, so weit sie nicht durch ein nationales Parlament absorbirt wurde. Seit im Frankfurter Bundestage die dualistische Auffassung Oestreich-Preußen, unter deren Eindruck ich dorthin gekommen war, dem Gefühl der Nothwendigkeit Platz gemacht hatte, unsre Stellung gegen präsidiale Angriffe und Ueberlistungen zu wahren, nachdem ich den Eindruck erhalten hatte, daß die gegenseitige (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 969 Ich erinnere mich eines Wendepunkts, der in meinen Ansichten eintrat, als ich in Frankfurt die mir bis dahin unbekannte Depesche des Fürsten Schwarzenberg vom 7. December 1850 zu lesen bekam, in welcher er die Olmützer Ergebnisse so darstellt, als ob es von ihm abgehangen hätte, Preußen "zu demüthigen" oder großmüthig zu pardonniren. Der mecklenburgische Gesandte, Herr von Oertzen, mein ehrlicher und conservativer Gesinnungsgenosse in dualistischer Politik, mit dem ich darüber sprach, suchte mein durch diese Schwarzenbergische Depesche verletztes preußisches Gefühl zu besänftigen. Trotz der für preußisches Gefühl demüthigenden Inferiorität unsres Auftretens in Olmütz und Dresden war ich noch gut östreichisch nach Frankfurt gekommen; der Einblick in die Schwarzenbergische Politik "avilir, puis démolir", den ich dort actenmäßig gewann, enttäuschte meine jugendlichen Illusionen. Der gordische Knoten deutscher Zustände ließ sich nicht in Liebe dualistisch lösen, nur militärisch zerhauen; es kam darauf an, den König von Preußen, bewußt oder unbewußt, und damit das preußische Heer für den Dienst der nationalen Sache zu gewinnen, mochte man vom borussischen Standpunkte die Führung Preußens oder auf dem nationalen die Einigung Deutschlands als die Hauptsache betrachten; beide Ziele deckten einander. Das war mir klar, und ich deutete es an, als ich in der Budgetcommission (30. September 1862) die vielfach entstellte Aeußerung über Eisen und Blut that (s. o. S. 283). (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 970 [1-290] Preußen war nominell eine Großmacht, jedenfalls die fünfte; es hatte diese Stellung durch die geistige Ueberlegenheit Friedrichs des Großen erlangt und durch die gewaltigen Leistungen der Volkskraft 1813 rehabilitirt. Ohne die ritterliche Haltung des Kaisers Alexander I., die er von 1812 unter Steinischem, jedenfalls deutschem Einfluß bis zum Wiener Congreß beobachtete, wäre es fraglich geblieben, ob die nationale Begeisterung der vier Millionen Preußen des Tilsiter Friedens und einer andern vielleicht gleichen Zahl von sympathizers in altpreußischen oder deutschen Ländern genügt hätte, von der damaligen Humboldtischen und Hardenbergischen Diplomatie und der Schüchternheit Friedrich Wilhelms III. so verwerthet zu werden, daß auch nur die künstliche Neubildung Preußens, so wie sie 1815 geschah, zu Stande gekommen wäre. Das Körpergewicht Preußens entsprach damals nicht seiner geistigen Bedeutung und seiner Leistung in den Freiheitskriegen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 978 [1-294] Umstände der nationalen Bewegung von 1848 bis 1850. Ich habe ein volles Verständniß für die Anhänglichkeit der heutigen welfischen Partei an die alte Dynastie, und ich weiß nicht, ob ich ihr, wenn ich als Alt-Hanoveraner geboren wäre, nicht angehörte. Aber ich würde auch in dem Falle immer der Wirkung des nationalen deutschen Gefühls mich nicht entziehn können und mich nicht wundern, wenn die vis major der Gesammtnationalität meine dynastische Mannestreue und persönliche Vorliebe schonungslos vernichtete. Die Aufgabe, mit Anstand zu Grunde zu gehn, fällt in der Politik, und nicht blos in der deutschen, auch andern und stärker berechtigten Gemüthsregungen zu, und die Unfähigkeit, sie zu erfüllen, vermindert einigermaßen die Sympathie, welche die kurbraunschweigische Vasallentreue mir einflößt. Ich sehe in dem deutschen Nationalgefühl immer die stärkere Kraft überall, wo sie mit dem Particularismus in Kampf geräth, weil der letztre, auch der preußische, selbst doch nur entstanden ist in Auflehnung gegen das gesammtdeutsche Gemeinwesen, gegen Kaiser und Reich, im Abfall von Beiden, gestützt auf päpstlichen, später französischen, in der Gesammtheit welfchen Beistand, die alle dem deutschen Gemeinwesen gleich schädlich und gefährlich waren. Für die welfischen Bestrebungen ist für alle Zeit ihr erster Merkstein in der Geschichte, der Abfall Heinrichs des Löwen vor der Schlacht bei Legnano, entscheidend, die Desertion vom Kaiser und Reich im Augenblick des schwersten und gefährlichsten Kampfes, aus persönlichem und dynastischem Interesse. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 979 Dynastische Interessen haben in Deutschland insoweit eine Berechtigung, als sie sich dem allgemeinen nationalen Reichsinteresse anpassen; sie können mit diesem sehr wohl Hand in Hand gehn, und ein reichstreuer Herzog im alten Sinne ist dem Ganzen unter Umständen nützlicher als direkte Beziehungen des Kaisers zu den herzoglichen Hintersassen. So weit aber die dynastischen Interessen uns mit neuer Zersplitterung und Ohnmacht der Nation bedrohn sollten, müßten sie auf ihr richtiges Maß zurückgeführt (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 980 [1-295] werden. Das deutsche Volk und sein nationales Leben können nicht unter fürstlichen Privatbesitz vertheilt werden. Ich bin mir jeder Zeit klar darüber gewesen, daß diese Erwägung auf die kurbrandenburgische Dynastie dieselbe Anwendung findet, wie auf die bairische, die welfische und andre; ich würde gegen das brandenburgische Fürstenhaus keine Waffen gehabt haben, wenn ich ihm gegenüber mein deutsches Nationalgefühl durch Bruch und Auflehnung hätte bethätigen müssen; die geschichtliche Prädestination lag aber so, daß meine höfischen Talente hinreichten, um den König und damit schließlich sein Heer der deutschen Sache zu gewinnen. Ich habe gegen den preußischen Particularismus vielleicht noch schwierigere Kämpfe durchzuführen gehabt als gegen den der übrigen deutschen Staaten und Dynastien, und mein angebornes Verhältniß zu dem Kaiser Wilhelm I. hat mir diese Kämpfe erschwert. Doch ist es mir schließlich stets gelungen, trotz der starken dynastischen, aber Dank der dynastisch berechtigten und in entscheidenden Momenten immer stärker werdenden nationalen Strebungen des Kaisers seine Zustimmung für die deutsche Seite unsrer Entwicklung zu gewinnen, auch wenn eine mehr dynastische und particularistische von allen andern Seiten geltend gemacht wurde. In der Nikolsburger Situation wurde mir dies nur mit dem Beistande des damaligen Kronprinzen möglich. Die territoriale Souveränetät der einzelnen Fürsten hatte sich im Laufe der deutschen Geschichte zu einer unnatürlichen Höhe entwickelt; die einzelnen Dynastien, Preußen nicht ausgenommen, hatten an sich dem deutschen Volke gegenüber auf Zerstückelung des letztern für ihren Privatbesitz, auf den souveränen Antheil am Leibe des Volkes niemals ein höheres historisches Recht, als unter den Hohenstaufen und unter Karl V. in ihrem Besitz war. Die unbeschränkte Staatssouveränetät der Dynastien, der Reichsritter, der Reichsstädte und Reichsdörfer war eine revolutionäre Errungenschaft auf Kosten der Nation und ihrer Einheit. Ich habe stets den Eindruck des Unnatürlichen von der Thatsache gehabt, daß die Grenze, welche den niedersächsischen (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 981 [1-296] Altmärker bei Salzwedel von dem kurbraunschweigischen Niedersachsen bei Lüchow, in Moor und Haide dem Auge unerkennbar, trennt, doch den zu beiden Seiten plattdeutsch redenden Niedersachsen an zwei verschiedene, einander unter Umständen feindliche völkerrechtliche Gebilde verweisen will, deren eines von Berlin, und das andre früher von London, später von Hanover regirt wurde, das eine Augen rechts nach Osten, das andre Augen links nach Westen bereit stand, und daß friedliche und gleichartige, im Connubium verkehrende Bauern dieser Gegend, der eine für welfisch-habsburgische, der andre für hohenzollernsche Interessen auf einander schießen sollten. Daß dieß überhaupt möglich war, beweist die Tiefe und Gewalt des Einflusses dynastischer Anhänglichkeit auf den Deutschen. Daß die Dynastien jederzeit stärker geblieben sind als Presse und Parlamente, hat sich durch die Thatsache bestätigt, daß 1866 Bundesländer, deren Dynastien im Bereich des östreichischen Einflusses lagen, ohne Rücksicht auf nationale Bestrebungen mit Oestreich, und nur solche, welche "unter den preußischen Kanonen" lagen, mit Preußen gingen. Von den letztern machten allerdings Hanover, Hessen und Nassau Ausnahmen, weil sie Oestreich für stark genug hielten, um alle Zumuthungen Preußens siegreich abweisen zu können. Sie haben infolge dessen die Zeche bezahlt, da es nicht gelang, dem Könige Wilhelm die Vorstellung annehmbar zu machen, daß Preußen, an der Spitze des Norddeutschen Bundes, einer Vergrößerung seines Gebietes kaum bedürfen würde. Gewiß aber ist, daß auch 1866 die materielle Macht der Bundesstaaten den Dynastien und nicht den Parlamenten folgte, und daß sächsisches, hanöversches und hessisches Blut nicht für die deutsche Einheit, sondern dagegen vergossen ist. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1024 [1-311] mit den Westmächten zu Gunsten der polnischen Bewegung bewies, daß Oestreich die russische Rivalität in einem wieder auferstandenen Polen nicht fürchtete. Hatte es doch dreimal, im April, im Juni und unter dem 12. August mit Frankreich und England gemeinsame Schritte zu Gunsten der Polen in Petersburg gethan. "Wir haben", heißt es in der östreichischen Note vom 18. Juni 1), "nach den Bedingungen geforscht, durch die dem Königreiche Polen Ruhe und Frieden wiedergegeben werden könnten, und sind dahin gelangt, diese Bedingungen in den folgenden sechs Punkten zusammen zu fassen, die wir der Erwägung des Cabinets von Sankt Petersburg empfehlen: 1. Vollständige und allgemeine Amnestie, 2. Nationale Vertretung, welche an der Gesetzgebung des Landes theilnimmt und Mittel einer wirksamen Controlle besitzt, 3. Ernennung von Polen zu den öffentlichen Aemtern in solcher Weise, daß eine besondre nationale und dem Lande Vertrauen einflößende Administration gebildet werde, 4. Volle und gänzliche Gewissensfreiheit und Aufhebung der die Ausübung des katholischen Cultus treffenden Beschränkungen, 5. Ausschließlicher Gebrauch der polnischen Sprache als amtlicher Sprache in der Verwaltung, der Justiz und dem Unterrichtswesen, 6. Einführung eines regelmäßigen und gesetzlichen Rekrutirungssystems." Den Vorschlag Gortschakows, daß Rußland, Oestreich und Preußen sich in's Einvernehmen setzen möchten, um das Loos ihrer betreffenden polnischen Unterthanen festzustellen, wies die östreichische Regirung mit der Erklärung zurück, "daß das zwischen den drei Cabineten von Wien, London und Paris hergestellte Einverständniß ein Band zwischen ihnen bildet, von dem Oestreich sich jetzt nicht loslösen kann, um abgesondert mit Rußland zu unterhandeln". Es war das die Situation, in welcher Kaiser Alexander Sr. Majestät in eigenhändigem Schreiben nach Gastein den Entschluß, den Degen zu ziehn, kundgab und Preußens Bündniß verlangte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1107 [1-334] die Hegemonie für die Belebung unsrer nationalen Gefühle und für die verfassungsmäßige Entwicklung nützlich war. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1113 Graf Karolyi, ein ehrlicher und unabhängiger Charakter, hat ohne Zweifel genau berichtet, was wir unter vier Augen vertraulich besprochen haben. In Wien aber hatte man seit der Olmützer und Dresdner Zeit und der Präpotenz Schwarzenbergs eine irrige Ansicht gewonnen; man hatte sich gewöhnt, uns für schwächer und namentlich für furchtsamer zu halten, als wir zu sein brauchen, und das Gewicht fürstlicher Verwandschaft und Liebe in Fragen internationaler Politik für die Dauer zu hoch in Ansatz gebracht. Die ältern militärischen Vermuthungen sprachen allerdings dafür, (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1130 Wenn ich meinen Widerstand gegen das Streben des Königs nach Frankfurt aufgegeben und ihn seinem Wunsche gemäß dorthin begleitet hätte, um in dem Fürstencongreß die preußisch-östreichische Rivalität in eine gemeinsame Bekämpfung der Revolution und des Constitutionalismus zu verwandeln, so wäre Preußen äußerlich geblieben, was es vorher war, hätte freilich unter dem östreichischen Präsidium durch bundestägliche Beschlüsse die Möglichkeit gehabt, seine Verfassung in analoger Weise revidiren zu lassen, wie das mit der hanöverschen, der hessischen und der mecklenburgischen und in Lippe, Hamburg, Luxemburg geschehn war, damit aber den nationaldeutschen Weg geschlossen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1168 [1-352] langweilte und er den von ihr unabhängigen Richtungen seiner Phantasie durch den Champagner zu Hülfe kam. Der Eindruck, den er mir machte, war ein sympathischer, obschon ich mir mit einiger Verdrießlichkeit sagen mußte, daß mein Bestreben, ihn als Tischnachbar angenehm zu unterhalten, unfruchtbar blieb. Es war dies das einzige Mal, daß ich den König Ludwig von Angesicht gesehn habe, ich bin aber mit ihm, seit er bald nachher (10. März 1864) den Thron bestiegen hatte, bis an sein Lebensende in günstigen Beziehungen und in verhältnißmäßig regem brieflichem Verkehre geblieben und habe dabei jederzeit von ihm den Eindruck eines geschäftlich klaren Regenten von national deutscher Gesinnung gehabt, wenn auch mit vorwiegender Sorge für die Erhaltung des föderativen Prinzips der Reichsverfassung und der verfassungsmäßigen Privilegien seines Landes. Als außerhalb des Gebietes politischer Möglichkeit liegend ist mir sein in den Versailler Verhandlungen auftauchender Gedanke erinnerlich, daß das deutsche Kaiserthum resp. Bundes-Präsidium zwischen dem preußischen und dem bairischen Hause erblich alterniren solle. Die Zweifel darüber, wie dieser unpraktische Gedanke praktisch zu machen, wurden überholt durch die Verhandlungen mit den bairischen Vertretern in Versailles und deren Ergebnisse, wonach dem Präsidium des Bundes, also dem Könige von Preußen, die Rechte, die er heut dem bairischen Bundesgenossen gegenüber ausübt, schon in der Hauptsache bewilligt waren, ehe es sich um den Kaisertitel handelte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1180 Mein Brief an Ihren König, meinen vielgeliebten hochverehrten Oheim, wird morgen in dessen Hände gelangen. - Ich wünsche von ganzem Herzen, daß mein Vorschlag beim Könige, den übrigen Bundesgliedern, welchen ich geschrieben, und auch bei der Nation vollsten Anklang finde, und ist es mir ein befriedigendes Bewußtsein, daß ich vermöge meiner Stellung in Deutschland wie beim Beginne so beim Abschlusse dieses ruhmreichen Krieges in der Lage war, einen entscheidenden Schritt zu Gunsten der nationalen Sache thun zu können. Ich hoffe aber auch mit Bestimmtheit, daß Bayern seine Stellung fortan erhalten bleibt, da sie mit einer treuen, rückhaltlosen Bundespolitik wohl vereinbarlich ist und verderblicher Centralisation am sichersten steuert. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1189 Das huldreiche Schreiben Eurer Majestät, welches Graf Holnstein mir überbracht hat, ermuthigt mich mit meinem Danke für den gnädigen Inhalt desselben, Eurer Majestät meine unterthänigsten Glückwünsche zu dem bevorstehenden Jahreswechsel darzubringen. Wohl selten hat Deutschland von einem neuen Jahre mit gleicher Zuversicht wie von dem bevorstehenden die Erfüllung nationaler Wünsche erwartet. Wenn diese Hoffnungen sich verwirklichen, wenn das geeinte Deutschland dahin gelangt, daß es seinen äußern Frieden in gesicherten Grenzen durch eigne Kraft verbürgen kann, gleichzeitig, ohne die freie Entwicklung der einzelnen Bundesglieder zu beeinträchtigen, so wird die entscheidende Stellung, die Eure Majestät zu der Neugestaltung des gemeinsamen Vaterlandes gewonnen haben, in der Geschichte und in der Dankbarkeit der Deutschen jederzeit unvergessen bleiben. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1270 Die nationalliberale Partei wird, wie ich hoffe, durch die letzte Reichstagssession ihrer Scheidung in eine monarchische und eine fortschrittliche, also republikanische Hälfte entgegengeführt werden. Der Versuch des frühern Präsidenten von Forckenbeck, die gesetzgebenden Gewalten des Reichs der directen Controlle eines deutschen Städtebundes zu unterwerfen, und die Brandreden an die (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1271 [1-370] Adresse der besitzlosen Classen von Lasker und Richter haben die revolutionäre Tendenz dieser Abgeordneten so klar und nackt hingestellt, daß für Anhänger der monarchischen Regirungsform keine politische Gemeinschaft mehr mit ihnen möglich ist. Der Plan des Städtebundes mit seinem ständigen Ausschuß am Sitze des Reichstages war der Berufung der "Föderirten" aus den französischen Provinzialstädten im Jahre 1792 nachgebildet. Der Versuch fand im deutschen Volke keinen Anklang, zeigt aber, wie auch in unsern fortschrittlichen Abgeordneten das Material für Conventsdeputirte zu finden wäre. Die Vorarbeiter der Revolution recrutiren sich bei uns ziemlich ausschließlich aus dem gelehrten Proletariat, an welchem Norddeutschland reicher ist als der Süden. Es sind die studirten und hochgebildeten Herrn, ohne Besitz, ohne Industrie, ohne Erwerb, welche entweder vom Gehalt im Staatsund Gemeindedienst oder von der Presse, häufig von beiden leben, und welche im Reichstage erheblich mehr als die Hälfte der Abgeordneten stellen, während im wählenden Volke ihre Anzahl einen geringen Procentsatz nicht überschreitet. Diese Herrn sind es, welche das revolutionäre Ferment liefern und die fortschrittliche und nationalliberale Fraction und die Presse leiten. Die Sprengung ihrer Fraction ist nach meinem unterthänigsten Dafürhalten eine wesentliche Aufgabe der erhaltenden Politik, und die Reform der wirthschaftlichen Interessen bildet den Boden, auf welchem die Regirungen diesem Ziele mehr und mehr näher treten können. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 17 Wäre das höchste Ziel nicht zu erreichen gewesen, so konnten wir trotz aller Augustenburgischen Verzichtleistungen auf die Einsetzung dieser Dynastie und die Herstellung eines neuen Mittelstaates eingehn, wenn die preußischen und deutsch-nationalen Interessen sichergestellt wurden, die durch das Wesentliche der nachmaligen Februarbedingungen, Militärconvention, Kiel als Bundeshafen und den Nord-Ostsee-Canal, gedeckt waren. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 24 Die öffentliche Meinung war in den gebildeten Mittelständen Deutschlands ohne Zweifel augustenburgisch, in derselben Urtheilslosigkeit, welche sich früher den Polonismus und später die künstliche Begeisterung für die battenbergische Bulgarei als deutsches Nationalinteresse unterschieben ließ. Die Mache der Presse war in diesen beiden etwas analogen Lagen betrübend erfolgreich und die öffentliche Dummheit für ihre Wirkung so empfänglich wie immer. Die Neigung zur Kritik der Regirung war 1864 auf der Höhe des Satzes: Nein, er gefällt mir nicht, der neue Bürgermeister. Ich weiß nicht, ob es heut noch Jemanden gibt, der es für vernünftig hielte, wenn nach Befreiung der Herzogthümer aus ihnen ein neues Großherzogthum hergestellt worden wäre, mit Stimmberechtigung am Bundestage und dem sich von selbst ergebenden Berufe, sich vor Preußen zu fürchten und es mit seinen Gegnern zu halten; damals aber wurde die Erwerbung der Herzogthümer für Preußen als eine Ruchlosigkeit von allen denen betrachtet, welche seit 1848 sich als die Vertreter der nationalen Gedanken aufgespielt hatten. Mein Respect vor der sogenannten öffentlichen Meinung, das heißt, vor dem Lärm der Redner und der Zeitungen, war niemals groß gewesen, wurde aber in Betreff der auswärtigen Politik in den beiden oben verglichenen Fällen noch erheblich herabgedrückt. Wie stark die Anschauungsweise des Königs bis dahin von dem landläufigen Liberalismus durch den Einfluß der Gemalin und der Bethmann-Hollwegschen Streberfraction imprägnirt war, beweist die Zähigkeit, mit der er an dem Widerspruch festhielt, in welchem das Oestreichisch-Frankfurter-Augustenburger Programm mit dem preußischen Streben nach nationaler Einheit stand. Logisch begründet konnte diese Politik dem König gegenüber unmöglich werden; er hatte sie, ohne eine chemische Analyse ihres Inhalts vorzunehmen, (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 51 Das Vertrauen der Bevölkerung zur Weisheit des Königs ist groß genug, daß sie sich sagt, sollte das Land dabei (durch Einführung der zweijährigen Dienstzeit) zu Grunde gehn oder in Schaden kommen, so wird es ja der König nicht leiden. Die Leute unterschätzen eben die Bedeutung der Verfassung in Folge der frühern Traditionen. Ich bin überzeugt, daß ihr in die Weisheit des Königs gesetztes Vertrauen sie nicht täuschen wird; aber ich kann doch nicht leugnen, daß es mir einen peinlichen Eindruck macht, wenn ich sehe, daß angesichts einer großen nationalen Frage, die seit 20 Jahren die öffentliche Meinung beschäftigt hat, diejenige Versammlung, die in Europa für die Concentration der Intelligenz und des Patriotismus in Preußen gilt, zu keiner andern Haltung, als zu der einer impotenten Negative sich erheben kann. Es ist dies, meine Herrn, nicht die Waffe, mit der Sie dem Königthum das Scepter aus der Hand winden werden, es ist auch nicht das (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 114 Unter dem Druck der französischen Intervention und zu einer Zeit, als es sich noch nicht übersehn ließ, ob es gelingen werde, sie auf dem diplomatischen Gebiete festzuhalten, entschloß ich mich, dem Könige den Appell an die ungarische Nationalität anzurathen. Wenn Napoleon in der angedeuteten Weise in den Krieg eingriff, Rußlands Haltung zweifelhaft blieb, namentlich aber die Cholera in unsrer Armee weitre Fortschritte machte, so konnte unsre Lage eine so schwierige werden, daß wir zu jeder Waffe, die uns die entfesselte nationale Bewegung nicht nur in Deutschland, sondern auch in Ungarn und Böhmen darbieten konnte, greifen mußten, um nicht zu unterliegen 1). (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 127 [2-38] östreichischen folgen werde, lag in der historischen Consequenz, selbst dann, wenn wir dem Kaiser Napoleon die kleinen Spesen, die er für seine Neutralität von uns erwartete, hätten bewilligen können. Auch nach russischer Seite hin konnte man zweifeln, welche Wirkung eintreten werde, wenn man sich dort klar machte, welche Erstarkung für uns in der nationalen Entwicklung Deutschlands lag. Wie sich die spätern Kriege um die Behauptung des Gewonnenen gestalten würden, war nicht vorauszusehn; in allen Fällen aber war es von hoher Wichtigkeit, ob die Stimmung, die wir bei unsern Gegnern hinterließen, unversöhnlich, die Wunden, die wir ihnen und ihrem Selbstgefühl geschlagen, unheilbar sein würden. In dieser Erwägung lag für mich ein politischer Grund, einen triumphirenden Einzug in Wien, nach Napoleonischer Art, eher zu verhüten als herbeizuführen. In Lagen, wie die unsrige damals war, ist es politisch geboten, sich nach einem Siege nicht zu fragen, wie viel man dem Gegner abdrücken kann, sondern nur zu erstreben, was politisches Bedürfniß ist. Die Verstimmung, die mein Verhalten mir in militärischen Kreisen eintrug, habe ich als die Wirkung einer militärischen Ressortpolitik betrachtet, der ich den entscheidenden Einfluß auf die Staatspolitik und deren Zukunft nicht einräumen konnte. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 151 [2-46] könnten wir dann leichter davonkommen lassen, sagte er, und bestand auf den schon erwähnten Gebietsabtretungen von Oestreich. Ich erwiderte: Wir hätten nicht eines Richteramts zu walten, sondern deutsche Politik zu treiben; Oestreichs Rivalitätskampf gegen uns sei nicht strafbarer als der unsrige gegen Oestreich; unsre Aufgabe sei Herstellung oder Anbahnung deutsch-nationaler Einheit unter Leitung des Königs von Preußen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 157 Nachdem die Präliminarien mit Oestreich unterzeichnet waren, fanden sich Bevollmächtigte von Würtemberg, Baden und Darmstadt ein. Den würtembergischen Minister von Varnbüler zu empfangen, lehnte ich zunächst ab, weil die Verstimmung gegen ihn bei uns stärker war als gegen Pfordten. Er war politisch gewandter als der Letztre, aber auch weniger durch deutsch-nationale Skrupel behindert. Seine Stimmung beim Ausbruch des Krieges hatte sich in dem Vae victis! ausgedrückt und war zu erklären aus den Stuttgarter Beziehungen zu Frankreich, die insbesondre durch die Vorliebe der Königin von Holland, einer würtembergischen Prinzessin, getragen waren. Dieselbe hatte, so lange ich in Frankfurt war, viel für mich übrig, ermuthigte mich in meinem Widerstande gegen Oestreichs (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 164 In Berlin war ich äußerlich mit dem Verhältniß Preußens zu den neuerworbenen Provinzen und den übrigen norddeutschen Staaten, innerlich mit der Stimmung der auswärtigen Mächte und Erwägung ihres wahrscheinlichen Verhaltens beschäftigt. Unsre innere Lage hatte für mich und vielleicht für Jeden den Charakter des Provisoriums und der Unreife. Die Rückwirkung der Vergrößerung Preußens, der bevorstehenden Verhandlungen über den Norddeutschen Bund und seine Verfassung ließen unsre innere Entwicklung ebenso sehr im Fluß begriffen erscheinen wie unsre Beziehungen zum deutschen und außerdeutschen Auslande es waren vermöge der europäischen Situation, in der der Krieg abgebrochen wurde. Ich nahm als sicher an, daß der Krieg mit Frankreich auf dem Wege zu unsrer weitern nationalen Entwicklung, sowohl der intensiven als der über den Main hinaus extensiven, nothwendig werde geführt werden müssen, und daß wir diese Eventualität bei allen unsern Verhältnissen im Innern wie nach Außen im Auge zu behalten hätten. Louis Napoleon sah in einiger Vergrößerung Preußens in Norddeutschland nicht nur keine Gefahr für Frankreich, sondern ein Mittel gegen die Einigung und nationale Entwicklung Deutschlands; er glaubte, daß dessen außerpreußische (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 165 [2-52] Glieder sich dann des französischen Schutzes um so bedürftiger fühlen würden. Er hatte Rheinbundreminiscenzen und wollte die Entwicklung in der Richtung eines Gesammt-Deutschlands hindern. Er glaubte es zu können, weil er die nationale Stimmung des Tages nicht kannte und die Situation nach seinen süddeutschen Schulerinnerungen und nach diplomatischen Berichten beurtheilte, die nur auf ministerielle und sporadisch dynastische Stimmungen gegründet waren. Ich war überzeugt, daß ihr Gewicht schwinden würde; ich nahm an, daß ein Gesammt-Deutschland nur eine Frage der Zeit, und daß zu deren Lösung der Norddeutsche Bund die erste Etappe sei, daß aber die Feindschaft Frankreichs und vielleicht Rußlands, das Revanchebedürfniß Oestreichs für 1866 und der preußisch- dynastische Particularismus des Königs nicht zu früh in die Schranken gerufen werden dürfe. Ich war nicht zweifelhaft, daß ein deutsch- französischer Krieg werde geführt werden müssen, bevor die Gesammt- Einrichtung Deutschlands sich verwirklichte. Diesen Krieg hinauszuschieben, bis unsre Streitkräfte durch Anwendung der preußischen Wehrgesetzgebung nicht blos auf Hanover, Hessen und Holstein, sondern, wie ich damals schon nach der Fühlung mit den Süddeutschen hoffen durfte, auch auf diese, gestärkt wären, war ein Gedanke, der mich damals beherrschte. Ich hielt einen Krieg mit Frankreich im Hinblick auf die Erfolge der Franzosen im Krimkriege und in Italien für eine Gefahr, die ich damals überschätzte, indem mir die für Frankreich erreichbare Truppenziffer, die Ordnung und die Organisation und das Geschick in der Führung als höher und besser vorschwebten, als sich 1870 bestätigt hat. Die Tapferkeit des französischen Troupiers und die Höhe des nationalen Gefühls und der verletzten Eitelkeit haben sich vollkommen in dem Maße bewährt, wie ich sie für die Eventualität einer deutschen Invasion in Frankreich eingeschätzt hatte, in Erinnerung an die Erlebnisse von 1814, 1792, und zu Anfang des vorigen Jahrhunderts im spanischen Erbfolgekriege, wo das Eindringen fremder Heere stets ähnliche Erscheinungen wie das Stökern in einem Ameisenhaufen hervorgerufen hat. Für leicht habe (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 166 [2-53] ich den französischen Krieg niemals gehalten, ganz abgesehn von den Bundesgenossen, die Frankreich in dem östreichischen Revanchegefühl und in dem russischen Gleichgewichtsbedürfniß finden konnte. Mein Bestreben, diesen Krieg hinauszuschieben, bis die Wirkung unsrer Wehrgesetzgebung und militärischen Erziehung auf alle nicht altpreußischen Landestheile sich vollständig hätte entwickeln können, war also natürlich, und dieses mein Ziel war 1867 bei der Luxemburger Frage nicht annähernd erreicht. Jedes Jahr Aufschub des Krieges stärkte unser Heer um mehr als 100000 gelernte Soldaten. Bei der Indemnitätsfrage dem Könige gegenüber und bei der Verfassungsfrage im preußischen Landtage aber stand ich unter dem Druck des Bedürfnisses, dem Auslande keine Spur von vorhandenen oder bevorstehenden Hemmnissen durch unsre innre Lage, sondern nur die einige nationale Stimmung zur Anschauung zu bringen, um so mehr, als sich nicht ermessen ließ, welche Bundesgenossen Frankreich im Kriege gegen uns haben werde. Die Verhandlungen und Annäherungsversuche zwischen Frankreich und Oestreich in Salzburg und anderswo bald nach 1866, konnten unter Leitung des Herrn von Beust erfolgreich sein, und schon die Berufung dieses verstimmten sächsischen Ministers zur Leitung der Wiener Politik ließ darauf schließen, daß sie die Richtung der Revanche einschlagen würde. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 175 Es geschah hauptsächlich unter dem Einfluß dieser Erwägungen auf dem Gebiete der auswärtigen Politik, daß ich mich entschloß, jeden Schachzug im Innern danach einzurichten, ob der Eindruck der Solidität unsrer Staatskraft dadurch gefördert oder geschädigt werden könne. Ich sagte mir, daß das nächste Hauptziel die Selbständigkeit und Sicherheit nach Außen sei, daß zu diesem Zwecke nicht nur die thatsächliche Beseitigung innern Zwiespaltes, sondern auch jeder Schein davon nach dem Auslande und in Deutschland vermieden werden müsse; daß, wenn wir erst Unabhängigkeit von dem Auslande hätten, wir auch in unsrer innern Entwicklung uns frei bewegen könnten, wir uns dann so liberal oder so reactionär einrichten könnten, wie es gerecht und zweckmäßig erschiene; daß wir alle innern Fragen vertagen könnten bis zur Sicherstellung unsrer nationalen Ziele nach Außen. Ich zweifelte nicht an der Möglichkeit, der königlichen Macht die nöthige Stärke zu geben, um unsre innere Uhr richtig zu stellen, wenn wir erst nach Außen die Freiheit erworben haben würden, als große Nation selbständig zu leben. Bis dahin war ich bereit, der Opposition nach Bedürfniß black-mail zu zahlen, um zunächst unsre volle Kraft und in der Diplomatie den Schein dieser einigen Kraft und die Möglichkeit in die Wagschale werfen zu können, im Falle der Noth auch revolutionäre Nationalbewegungen gegen unsre Feinde entfesseln zu können. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 177 [2-57] Provinzen einzuführen. Eine ausweichende Antwort würde das Mißtrauen der Verfassungsparteien hervorgerufen oder belebt haben. Nach meiner Ueberzeugung war es überhaupt nothwendig, die Entwicklung der deutschen Frage durch keinen Zweifel an der Verfassungstreue der Regirung zu hemmen; durch jeden neuen Zwiespalt zwischen Regirung und Opposition wäre der vom Auslande zu erwartende äußere Widerstand gegen nationale Neubildungen gestärkt worden. Aber meine Bemühungen, die Opposition und ihre Redner zu überzeugen, daß sie wohlthäten, innere Verfassungsfragen gegenwärtig zurücktreten zu lassen, daß die deutsche Nation, wenn erst geeinigt, in der Lage sein werde, ihre innern Verhältnisse nach ihrem Ermessen zu ordnen; daß unsre gegenwärtige Aufgabe sei, die Nation in diese Lage zu versetzen, alle diese Erwägungen waren der bornirten und kleinstädtischen Parteipolitik der Oppositionsredner gegenüber erfolglos, und die durch sie hervorgerufenen Erörterungen stellten das nationale Ziel zu sehr in den Vordergrund nicht nur dem Auslande, sondern auch dem Könige gegenüber, der damals noch mehr die Macht und Größe Preußens als die verfassungsmäßige Einheit Deutschlands im Auge hatte. Ihm lag ehrgeizige Berechnung nach deutscher Richtung hin fern; den Kaisertitel bezeichnete er noch 1870 geringschätzig als den „Charaktermajor“, worauf ich erwiderte, daß Se. Majestät die Competenzen der Stellung allerdings schon verfassungsmäßig besäßen und der „Kaiser“ nur die äußerliche Sanction enthalte, gewissermaßen als ob ein mit Führung eines Regiments beauftragter Offizier definitiv zum Commandeur ernannt werde. Für das dynastische Gefühl war es schmeichelhafter, grade als geborner König von Preußen und nicht als erwählter und durch ein Verfassungsgesetz hergestellter Kaiser die betreffende Macht auszuüben, analog wie ein prinzlicher Regiments- Commandeur es vorzieht, nicht Herr Oberst, sondern Königliche Hoheit genannt zu werden und der gräfliche Lieutenant nicht Herr Lieutenant, sondern Herr Graf. Ich hatte mit diesen Eigenthümlichkeiten meines Herrn zu rechnen, wenn ich mir sein Vertrauen (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 180 Im Hinblick auf die Nothwendigkeit, im Kampfe gegen eine Uebermacht des Auslandes im äußersten Nothfall auch zu revolutionären Mitteln greifen zu können, hatte ich auch kein Bedenken getragen, die damals stärkste der freiheitlichen Künste, das allgemeine Wahlrecht, schon durch die Circulardepesche vom 10. Juni 1866 mit in die Pfanne zu werfen, um das monarchische Ausland abzuschrecken von Versuchen, die Finger in unsre nationale omelette zu stecken. Ich habe nie gezweifelt, daß das deutsche Volk, sobald es einsieht, daß das bestehende Wahlrecht eine schädliche Institution sei, stark und klug genug sein werde, sich davon frei zu machen. Kann es das nicht, so ist meine Redensart, daß es reiten könne, wenn es erst im Sattel säße 1), ein Irrthum gewesen. Die Annahme des allgemeinen Wahlrechts war eine Waffe im Kampfe gegen Oestreich und weitres Ausland, im Kampfe für die deutsche Einheit, zugleich eine Drohung mit letzten Mitteln im Kampfe gegen Coalitionen. In einem Kampfe derart, wenn er auf Tod und Leben geht, sieht man die Waffen, zu denen man greift, und die Werthe, die man durch ihre Benutzung zerstört, nicht an: der einzige Rathgeber ist zunächst der Erfolg des Kampfes, die Rettung der Unabhängigkeit nach Außen; die Liquidation und Aufbesserung der dadurch angerichteten Schäden hat nach dem Frieden stattzufinden. Außerdem halte ich noch heut das allgemeine Wahlrecht nicht blos theoretisch, sondern auch praktisch für ein berechtigtes Prinzip, sobald nur die Heimlichkeit beseitigt wird, die außerdem einen Charakter hat, der mit den besten Eigenschaften des germanischen Blutes in Widerspruch steht. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 192 [2-62] hundert gehoben hatte. Das Ergebniß würde der Regirung noch günstiger gewesen sein, wenn die Wahl einige Tage nach der entscheidenden Schlacht stattgefunden hätte; aber auch so war es in Verbindung mit der schwunghaften Stimmung im Lande immerhin geeignet, nicht blos conservativen, sondern auch reactionären Bestrebungen Hoffnung auf Gelingen zu geben. Für diejenigen, welche nach der Rückbildung zum Absolutismus oder doch nach einer Restauration im ständischen Sinne strebten, war durch die Vergrößerung der Monarchie, durch die parlamentarische Situation beim Ausbruch des Krieges und den ungeschickten und ehrgeizigen Eigensinn der Führer der Opposition ein Anknüpfungspunkt gegeben, um die preußische Verfassung zu suspendiren und zu revidiren. Sie war auf das vergrößerte Preußen nicht zugeschnitten, noch weniger aber auf die Einschichtung in die zukünftige Verfassung Deutschlands. Die Verfassungsurkunde selbst enthielt einen Artikel (118), welcher, entstanden unter dem Eindruck der nationalen Stimmung zur Zeit der Verfassungsbildung und aus dem Entwurf von 1848 entnommen, zur Unterordnung der preußischen Verfassung unter eine neu zu schaffende deutsche berechtigte. Es war also eine Gelegenheit gegeben, mit dem formalen Anstrich der Legalität die Verfassung und die Bestrebungen der Conflictsmajorität nach parlamentarischer Herrschaft aus den Angeln zu heben, und dies lag im Hintergrunde des Bemühns der äußersten Rechten und ihrer nach Prag abgeordneten Mitglieder. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 195 — erinnern, wenn man es aus dem Zweifel in die Affirmative übersetzt: der Kaiser ist der westmächtlichen und östreichisch-polnischen Chikanen müde und entschlossen den Degen zu ziehn, um sich von ihnen frei zu machen; an die Freundschaft und die gleichen Interessen des Königs appellirend, fordert er ihn zu gemeinsamem Handeln auf, so zu sagen in erweitertem Sinne der Alvenslebenschen Convention vom Februar desselben Jahres. Dem Könige wurde es schwer, einerseits dem nahen Verwandten und nächsten Freunde eine ablehnende Antwort zu geben, andrerseits sich mit dem Entschlusse vertraut zu machen, seinem Lande die Uebel eines großen Krieges aufzuerlegen, dem Staate und der Dynastie die Gefahren eines solchen zuzumuthen. Auch die Seite seines Gemüthslebens, die ihn geneigt machte, die Frankfurter Fürstenversammlung zu besuchen, das Gefühl der Zusammengehörigkeit mit allen alten Fürstenhäusern, trat in ihm der Versuchung entgegen, der Anrufung des befreundeten Neffen und den preußisch-russischen Familientraditionen eine Folge zu geben, die zu dem Bruch mit dem deutschen Bundesverhältniß und der Gesammtheit der deutschen Fürstenfamilien führen mußte. In meinem mehre Tage dauernden Vortrage vermied ich es, die Seite der Sache zu betonen, welche für unsre innere Politik von Gewicht gewesen sein würde, weil ich nicht der Meinung war, daß ein Krieg grade im Bunde mit Rußland gegen Oestreich und alle Gegner, mit denen wir es 1866 zu thun bekamen, uns der Erfüllung unsrer nationalen Aufgabe näher gebracht haben würde. Es ist ja ein namentlich in der französischen Politik gebräuchliches Mittel, innere Schwierigkeiten durch Kriege zu überwinden; in Deutschland aber würde dieses Mittel nur dann wirksam gewesen sein, wenn der betreffende Krieg in der Linie der nationalen (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 196 [2-64] Entwicklung gelegen hätte. Dazu wäre vor Allem erforderlich gewesen, daß er nicht mit der, unklugerweise noch immer von der öffentlichen Meinung verurtheilten russischen Assistenz geführt wurde. Die deutsche Einheit mußte ohne fremde Einflüsse zu Stande kommen, aus eigner nationaler Kraft. Ueberdies hatte der innere Conflict, von dem der König bei meinem Eintritt in das Ministerium bis zu dem Entschlusse zur Abdication beeindruckt war, an Herrschaft über seine Entschließungen erheblich eingebüßt, seitdem er Minister gefunden hatte, die bereit waren, seine Politik offen, ohne Winkelzüge zu vertreten. Er hatte seitdem die Ueberzeugung gewonnen, daß die Krone, wenn es zum revolutionären Bruche gekommen wäre, stärker gewesen sein würde; die Einschüchterungen der Königin und der Minister der neuen Aera hatten ihre Kraft verloren. Dagegen hielt ich in meinen Vorträgen mit meiner Ansicht von der militärischen Stärke, die ein deutsch-russisches Bündniß, namentlich im ersten Anlauf haben würde, nicht zurück. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 200 [2-66] wird. Obwohl der König die Frage nicht in demselben Maße wie ich unter den deutsch-nationalen Gesichtspunkt zog, so unterlag er doch nicht der Versuchung, der Ueberhebung der östreichischen Politik und der Landtagsmajorität, der Geringschätzung, die beide der preußischen Krone bezeigten, im Bunde mit Rußland ein gewaltthätiges Ende zu machen. Wenn er auf die russische Zumuthung einging, so würden wir bei der Schnelligkeit unsrer Mobilisirung, bei der Stärke der russischen Armee in Polen und bei der damaligen militärischen Schwäche Oestreichs wahrscheinlich, mit oder ohne den Beistand der damals noch unbefriedigten Begehrlichkeit Italiens, Oestreich übergelaufen haben, bevor Frankreich ihm wirksame Hülfe leisten konnte. Wenn man sicher gewesen wäre, daß das Ergebniß dieses Ueberlaufens ein Dreikaiserbündniß unter Schonung Oestreichs gewesen wäre, so wäre meine Beurtheilung der Situation vielleicht nicht zutreffend zu nennen gewesen. Aber diese Sicherheit war Angesichts der divergirenden Interessen Rußlands und Oestreichs im Orient nicht vorhanden; es war kaum wahrscheinlich und auch der russischen Politik nicht zusagend, daß eine siegreiche preußisch- russische Coalition Oestreich gegenüber auch nur mit dem Maße von Schonung verführe, welches von preußischer Seite 1866 im Interesse der Möglichkeit künftiger Wiederannäherung beobachtet worden ist. Ich fürchtete deshalb, daß wir im Falle unsres Sieges über die Zukunft Oestreichs mit Rußland nicht einig sein würden, und daß Rußland selbst bei weitern Erfolgen gegen Frankreich nicht darauf werde verzichten wollen, Preußen in einer unterstützungsbedürftigen Stellung an seiner Westgrenze zu erhalten; am allerwenigsten wäre von Rußland eine Hülfe für eine nationale Politik im Sinne der preußischen Hegemonie zu erwarten gewesen. Tilsit, Erfurt, Olmütz und andre historische Erinnerungen sagten: vestigia terrent. Kurz, ich hatte nicht das Vertrauen zu der Gortschakowschen Politik, daß wir auf dieselbe Sicherheit rechnen könnten, welche Alexander I. 1813 gewährte, bis die Zukunftsfragen, was aus Polen und Sachsen werden und ob Deutschland gegen (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 202 Die Versuchung war groß gewesen für einen Monarchen, dessen Stellung den maßlosen Angriffen der Fortschrittspartei und dem Druck der östreichischen Diplomatie nicht blos auf dem nationalen Gebiete des Frankfurter Fürstencongresses, sondern auch auf dem polnischen von Seiten der drei großen verbündeten Mächte England, Frankreich und Oestreich ausgesetzt war. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 203 Daß der König 1863 seine schwer gekränkte Empfindung als Monarch und als Preuße nicht über die politischen Erwägungen Herr werden ließ, beweist, wie stark in ihm das nationale Ehrgefühl und der gesunde Menschenverstand in der Politik waren. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 206 [2-68] in Preußen gegen Parlament und Presse ein Regirungssystem durchzuführen, das von dem ganzen übrigen Deutschland bekämpft wurde. Maßregeln, die bei uns gegen die Presse zu ergreifen gewesen sein würden, würden in Dessau keine Gültigkeit gehabt haben, und Oestreich und Süddeutschland würden ihre Revanche einstweilen dadurch genommen haben, daß sie die von Preußen verlassene Führung auf liberalem und nationalem Gebiete übernahmen. Die nationale Partei in Preußen selbst würde mit den Gegnern der Regirung sympathisirt haben; wir konnten dann innerhalb der verbesserten preußischen Grenzen staatsrechtlich eine Stärkung des Königthums gewinnen, aber doch in Gegenwart stark dissentirender einheimischer Elemente, denen sich die Opposition in den neuen Provinzen angeschlossen haben würde. Wir hätten dann einen preußischen Eroberungskrieg geführt, aber der nationalen Politik Preußens würden die Sehnen durchschnitten worden sein. In dem Bestreben, der deutschen Nation die Möglichkeit einer ihrer geschichtlichen Bedeutung entsprechenden Existenz durch Einheit zu verschaffen, lag das gewichtigste Argument zur Rechtfertigung des geführten deutschen „Bruderkrieges“; die Erneuerung eines solchen wurde unabwendbar, wenn der Kampf zwischen den deutschen Stämmen lediglich im Interesse der Stärkung des preußischen Sonderstaates fortgesetzt wurde. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 208 [2-69] Indemnität. der parlamentarischen Majoritäten, das Erforderniß der Verständigung beider für jede Aenderung des gesetzlichen status quo ist ein gerechtes, und wir hatten nicht nöthig, an der preußischen Verfassung Erhebliches zu bessern. Es läßt sich mit derselben regiren, und die Bahn deutscher Politik wäre verschüttet worden, wenn wir 1866 daran änderten. Vor dem Siege würde ich nie von „Indemnität“ gesprochen haben; jetzt, nach dem Siege, war der König in der Lage, sie großmüthig zu gewähren und Frieden zu schließen, nicht mit seinem Volke — der war nie unterbrochen worden, wie der Verlauf des Krieges gezeigt hat, — sondern mit dem Theile der Opposition, welcher irre geworden war an der Regirung, mehr aus nationalen, als aus parteipolitischen Gründen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 215 [2-71] Kluft zwischen den Ost- und den Westprovinzen auszufüllen und Preußen ein haltbar abgerundetes Gebiet auch für den Fall des frühern oder spätern Mißlingens der nationalen Neubildung zu schaffen. Bei der Annexion von Hanover und Kurhessen handelte es sich also um Herstellung einer unter allen Eventualitäten wirksamen Verbindung zwischen den beiden Theilen der Monarchie. Die Schwierigkeiten der Zollverbindung zwischen unsern beiden Gebietstheilen und die Haltung Hanovers im letzten Kriege hatten das Bedürfniß eines unbeschränkt in einer Hand befindlichen territorialen Zusammenhanges im Norden von Neuem anschaulich gemacht. Wir durften der Möglichkeit, bei künftigen östreichischen oder andern Kriegen ein oder zwei feindliche Corps von guten Truppen im Rücken zu haben, nicht von Neuem ausgesetzt werden. Die Besorgniß, daß die Dinge sich einmal so gestalten könnten, wurde verschärft durch die überschwängliche Auffassung, die der König Georg V. von seiner und seiner Dynastie Mission hatte. Man ist nicht jeden Tag in der Lage, einer gefährlichen Situation der Art abzuhelfen, und der Staatsmann, den die Ereignisse in den Stand setzen, letztres zu thun, und der sie nicht benutzt, nimmt eine große Verantwortlichkeit auf sich, da die völkerrechtliche Politik und das Recht der deutschen Nation, ungetheilt als solche zu leben und zu athmen, nicht nach privatrechtlichen Grundsätzen beurtheilt werden kann. Der König von Hanover schickte durch einen Adjutanten nach Nikolsburg einen Brief an den König, den ich Se. Majestät nicht anzunehmen bat, weil wir nicht gemüthliche, sondern politische Gesichtspunkte im Auge zu halten hätten, und weil die Selbständigkeit Hanovers mit der völkerrechtlichen Befugniß, seine Truppen nach dem jedesmaligen Ermessen des Souveräns gegen oder für Preußen in's Feld führen zu können, mit der Durchführung deutscher Einheit unvereinbar war. Die Haltbarkeit der Verträge allein ohne die Bürgschaft einer hinreichenden Hausmacht des leitenden Fürsten hat niemals hingereicht, der deutschen Nation Frieden und Einheit im Reiche zu sichern. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 220 [2-73] Hohenzollerns auf Kosten Würtembergs fordern wollten. Ich konnte darin weder für Preußen noch für die nationale Zukunft einen Nutzen sehn und hielt überhaupt das Vergeltungsprinzip nicht für eine vernünftige Basis unsrer Politik 1), die auch da, wo unser Gefühl verletzt war, nicht von der eignen Verstimmung, sondern von der objectiven Erwägung geleitet werden sollte. Grade weil Varnbüler uns gegenüber einige diplomatische Sünden auf dem Conto hatte, war er für mich ein nützlicher Unterhändler, und indem ich mich dazu verstand, die Vergangenheit zu vergessen, gewann ich durch den Vorgang Würtembergs im Abschluß des Bündnisses (13. August) den Weg zu den andern. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 231 [2-77] nehmen durch Correspondenz mit Savigny. Als der letzte preußische Gesandte am Bundestage war er der natürliche Erbe des Decernates über die im Vordergrunde stehende deutsche Politik. Er führte die Verhandlungen mit Sachsen zu Ende, was vor meiner Abreise nicht gelungen war. Ihr Ergebniß ist publici juris, und ich kann mich einer Kritik derselben enthalten. Die militärische Selbständigkeit Sachsens wurde demnächst unter Vermittlung des Generals von Stosch durch persönliche Entschließungen Sr. Majestät weiter entwickelt, als sie nach dem Vertrage bemessen war. Die geschickte und ehrliche Politik der beiden letzten sächsischen Könige hat diese Concessionen gerechtfertigt, namentlich so lange es gelingt, die bestehende preußisch-östreichische Freundschaft zu erhalten. Es ist in den geschichtlichen und confessionellen Traditionen, in der menschlichen Natur und speciell in den fürstlichen Ueberlieferungen begründet, daß der enge Bund zwischen Preußen und Oestreich, der 1879 geschlossen wurde, auf Baiern und Sachsen einen concentrirenden Druck ausübt, um so stärker, je mehr das deutsche Element in Oestreich, Vornehm und Gering, seine Beziehungen zur habsburgischen Dynastie zu pflegen weiß. Die parlamentarischen Excesse des deutschen Elements in Oestreich und deren schließliche Wirkung auf die dynastische Politik drohten nach dieser Richtung hin das Gewicht des deutsch-nationalen Elementes nicht nur in Oestreich abzuschwächen. Die doctrinären Mißgriffe der parlamentarischen Fractionen sind den Bestrebungen politisirender Frauen und Priester in der Regel günstig. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 237 Die Einmischung Frankreichs galt in ihren Anfängen spanischen, nicht preußischen Angelegenheiten; die Fälschung der Napoleonischen Politik, vermöge deren die Frage zu einer preußischen werden sollte, war eine international unberechtigte und provocirende und bewies mir, daß der Moment gekommen war, wo Frankreich Händel mit uns suchte und bereit war, dafür jeden Vorwand zu ergreifen, der brauchbar schien. Ich betrachtete die französische Einmischung zunächst als eine Verletzung und deshalb als eine Beleidigung Spaniens und erwartete, daß das spanische Ehrgefühl sich dieses (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 239 [2-82] Eingriffs erwehren würde. Nachdem später die Sache die Wendung genommen hatte, daß Frankreich im Sinne seines Eingriffs in die spanische Unabhängigkeit uns mit Krieg bedrohte, habe ich einige Tage lang erwartet, daß die spanische Kriegserklärung gegen Frankreich der französischen gegen uns folgen werde. Ich war nicht darauf gefaßt, daß eine selbstbewußte Nation wie die spanische Gewehr beim Fuß hinter den Pyrenäen ruhig zusehn werde, wie die Deutschen sich auf Tod und Leben für Spaniens Unabhängigkeit und freie Königswahl gegen Frankreich schlugen. Das spanische Ehrgefühl, das sich in der Karolinen-Frage so empfindlich anstellte, ließ uns 1870 einfach im Stich. Wahrscheinlich sind in beiden Fällen die Sympathien und internationalen Verbindungen der republikanischen Parteien entscheidend gewesen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 241 In Frankreich aber suchte man nach einem Kriegsfalle gegen Preußen, der möglichst frei von national-deutscher Färbung wäre, und glaubte einen solchen auf dynastischem Gebiete in dem Auftreten eines spanischen Thronprätendenten des Namens Hohenzollern gefunden zu haben. Dabei war die Ueberschätzung der militärischen Ueberlegenheit Frankreichs und die Unterschätzung des nationalen Sinnes in Deutschland wohl die Hauptursache, daß man die Haltbarkeit dieses Kriegsvorwandes nicht mit Ehrlichkeit und nicht mit (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 242 [2-83] Sachkunde geprüft hatte. Der deutsch-nationale Aufschwung, welcher der französischen Kriegserklärung folgte, vergleichbar einem Strome, der die Schleusen bricht, war für die französischen Politiker eine Ueberraschung; sie lebten, rechneten und handelten in Rheinbundserinnerungen, genährt durch die Haltung einzelner westdeutscher Minister und durch ultramontane Einflüsse, welche hofften, daß Frankreichs Siege, gesta Dei per Francos, die Ziehung weitrer Consequenzen des Vaticanums in Deutschland, gestützt auf Allianz mit dem katholischen Oestreich, erleichtern würden. Ihre ultramontanen Tendenzen waren der französischen Politik in Deutschland förderlich, in Italien nachtheilig, da das Bündniß mit letzterm schließlich an der Weigerung Frankreichs, Rom zu räumen, scheiterte. In dem Glauben an die Ueberlegenheit der französischen Waffen wurde der Kriegsvorwand, man kann sagen, an den Haaren herbeigezogen, und anstatt Spanien für seine, wie man annahm, antifranzösische Königswahl verantwortlich zu machen, hielt man sich an den deutschen Fürsten, der es nicht abgelehnt hatte, dem Bedürfniß der Spanier auf deren Wunsch durch Gestellung eines brauchbaren und voraussichtlich in Paris als persona grata betrachteten Königs abzuhelfen, und an den König von Preußen, den nichts als der Familienname und die deutsche Landsmannschaft zu dieser spanischen Angelegenheit in Beziehung brachte. Schon in der Thatsache, daß das französische Cabinet sich erlaubte, die preußische Politik über die Annahme der Wahl zur Rede zu stellen, und zwar in einer Form, die durch die Interpretation der französischen Blätter zu einer öffentlichen Bedrohung wurde, schon in dieser Thatsache lag eine internationale Unverschämtheit, die für uns nach meiner Ansicht die Unmöglichkeit involvirte, auch nur um einen Zoll breit zurückzuweichen. Der beleidigende Charakter der französischen Zumuthung wurde verschärft nicht nur durch die drohenden Herausforderungen der französischen Presse, sondern auch durch die Parlamentsverhandlungen und die Stellungnahme des Ministeriums Gramont-Ollivier (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 245 schon diese Aeußerung war eine amtliche internationale Bedrohung mit der Hand am Degengriff. Die Phrase: „La Prusse cane“ bildete in der Presse eine Erläuterung zu der Tragweite der Parlamentsverhandlungen vom 6. und 7. Juli, die für unser nationales Ehrgefühl nach meiner Empfindung jede Nachgiebigkeit unmöglich machte. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 247 [2-85] eine Demüthigung Deutschlands sah, die ich nicht amtlich verantworten wollte. Dieser Eindruck der Verletzung des nationalen Ehrgefühls durch den aufgezwungenen Rückzug war in mir so vorherrschend, daß ich schon entschlossen war, meinen Rücktritt aus dem Dienste nach Ems zu melden. Ich hielt diese Demüthigung vor Frankreich und seinen renommistischen Kundgebungen für schlimmer als die von Olmütz, zu deren Entschuldigung die gemeinsame Vorgeschichte und unser damaliger Mangel an Kriegsbereitschaft immer dienen werden. Ich nahm an, Frankreich werde die Entsagung des Prinzen als einen befriedigenden Erfolg escomptiren in dem Gefühl, daß eine kriegerische Drohung, auch wenn sie in den Formen internationaler Beleidigung und Verhöhnung geschehn und der Kriegsvorwand gegen Preußen vom Zaune gebrochen wäre, genüge, um Preußen zum Rückzuge auch in einer gerechten Sache zu nöthigen, und daß auch der Norddeutsche Bund in sich nicht das hinreichende Machtgefühl trage, um die nationale Ehre und Unabhängigkeit gegen französische Anmaßung zu schützen. Ich war sehr niedergeschlagen, denn ich sah kein Mittel, den fressenden Schaden, den ich von einer schüchternen Politik für unsre nationale Stellung befürchtete, wieder gut zu machen, ohne Händel ungeschickt vom Zaune zu brechen und künstlich zu suchen. Den Krieg sah ich schon damals als eine Nothwendigkeit an, der wir mit Ehren nicht mehr ausweichen konnten. Ich telegraphirte an die Meinigen nach Varzin, man sollte nicht packen, nicht abreisen, ich würde in wenig Tagen wieder dort sein. Ich glaubte nunmehr an Frieden; da ich aber die Haltung nicht vertreten wollte, durch welche dieser Friede erkauft gewesen wäre, so gab ich die Reise nach Ems auf und bat Graf Eulenburg, dorthin zu reisen und Sr. Majestät meine Auffassung vorzutragen. In gleichem Sinne sprach ich auch mit dem Kriegsminister von Roon: wir hätten die französische Ohrfeige weg, und wären durch die Nachgiebigkeit in die Lage gebracht, als Händelsucher zu erscheinen, wenn wir zum Kriege schritten, durch den allein wir den Flecken abwaschen könnten. Meine Stellung sei jetzt unhaltbar und (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 253 Der Haltung Frankreichs gegenüber zwang uns nach meiner Ansicht das nationale Ehrgefühl zum Kriege, und wenn wir den Forderungen dieses Gefühls nicht gerecht wurden, so verloren wir auf dem Wege zur Vollendung unsrer nationalen Entwicklung den ganzen 1866 gewonnenen Vorsprung, und das 1866 durch unsre militärischen Erfolge gesteigerte deutsche Nationalgefühl südlich des Mains, wie es sich in der Bereitwilligkeit der Südstaaten zu den Bündnissen ausgesprochen hatte, mußte wieder erkalten. Das in den süddeutschen Staaten neben dem particularistischen und dynastischen Staatsgefühle lebendige Deutschthum hatte bis 1866 das politische Bewußtsein gewissermaßen mit der gesammtdeutschen Fiction unter 1) (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 255 [2-89] Oestreichs Leitung beschwichtigt, theils aus süddeutscher Vorliebe für den alten Kaiserstaat, theils in dem Glauben an die militärische Ueberlegenheit desselben über Preußen. Nachdem die Ereignisse den Irrthum der Schätzung festgestellt hatten, war grade die Hülflosigkeit der süddeutschen Staaten, in der Oestreich sie bei dem Friedensschlusse gelassen hatte, ein Motiv für das politische Damascus, das zwischen Varnbülers „Vae Victis“ zu dem bereitwilligen Abschlusse des Schutz- und Trutzbündnisses mit Preußen lag. Es war das Vertrauen auf die durch Preußen entwickelte germanische Kraft und die Anziehung, welche einer entschlossenen und tapfern Politik innewohnt, wenn sie Erfolg hat und dann sich in vernünftigen und ehrlichen Grenzen bewegt. Diesen Nimbus hatte Preußen gewonnen; er ging unwiderruflich oder doch auf lange Zeit verloren, wenn in einer nationalen Ehrenfrage die Meinung im Volke Platz griff, daß die französische Insulte „La Prusse cane“ einen thatsächlichen Hintergrund habe. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 256 In derselben psychologischen Auffassung, in welcher ich 1864 im dänischen Kriege aus politischen Gründen gewünscht hatte, daß nicht den altpreußischen, sondern den westfälischen Bataillonen, die bis dahin keine Gelegenheit gehabt hatten, unter preußischer Führung ihre Tapferkeit zu bewähren, der Vortritt gelassen werde, und bedauerte, daß der Prinz Friedrich Carl meinem Wunsche entgegen gehandelt hatte, in derselben Auffassung war ich überzeugt, daß die Kluft, die die Verschiedenheit des dynastischen und Stammesgefühls und der Lebensgewohnheiten zwischen dem Süden und dem Norden des Vaterlandes im Laufe der Geschichte geschaffen hatte, nicht wirksamer überbrückt werden könne als durch einen gemeinsamen nationalen Krieg gegen den seit Jahrhunderten aggressiven Nachbar. Ich erinnerte mich, daß schon in dem kurzen Zeitraume von 1813 bis 1815, von Leipzig und Hanau bis Belle Alliance, der gemeinsame und siegreiche Kampf gegen Frankreich die Beseitigung des Gegensatzes ermöglicht hatte zwischen einer hingebenden Rheinbundspolitik und dem nationaldeutschen (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 257 [2-90] Aufschwung der Zeit von dem Wiener Congresse bis zu der Mainzer Untersuchungscommission, unter der Signatur Stein, Görres, Jahn, Wartburg bis zu dem Exceß von Sand. Das gemeinsam vergossene Blut von dem Uebergange der Sachsen bei Leipzig bis zu der Betheiligung unter englischem Commando bei Belle Alliance hatte ein Bewußtsein gekittet, vor dem die Rheinbundserinnerungen erloschen. Die Entwicklung der Geschichte in dieser Richtung wurde unterbrochen durch die Besorgniß, welche die Uebereilung des nationalen Dranges für den Bestand staatlicher Einrichtungen erweckte. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 258 Dieser Rückblick bestärkte mich in meiner Ueberzeugung, und die politischen Erwägungen in Betreff der süddeutschen Staaten fanden mutatis mutandis auch auf unsre Beziehungen zu der Bevölkerung von Hanover, Hessen, Schleswig-Holstein Anwendung. Daß diese Auffassung richtig war, beweist die Genugthuung, mit der heut, nach zwanzig Jahren, nicht nur die Holsteiner, sondern auch die Hanseaten der 1870er Heldenthaten ihrer Söhne gedenken. Alle diese Erwägungen, bewußt und unbewußt, verstärkten in mir die Empfindung, daß der Krieg nur auf Kosten unsrer preußischen Ehre und des nationalen Vertrauens auf dieselbe vermieden werden könne. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 296 Ich fand den Krieg, wie er lag, zu ernst und zu gefährlich, um in einem Kampfe, in dem nicht nur unsre nationale Zukunft, sondern auch unsre staatliche Existenz auf dem Spiele stand, mich zur Ablehnung irgend eines Beistandes bei bedenklichen Wendungen der Dinge für berechtigt zu halten. Ebenso wie ich 1866 nach und infolge der Einmischung durch Napoleons Telegramm vom 4. Juli vor dem Beistande einer ungarischen Insurrection nicht (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 297 [2-104] zurückgeschreckt war, würde ich auch den der italienischen Republikaner für annehmbar gehalten haben, wenn es sich um Verhütung der Niederlage und um Vertheidigung unsrer nationalen Selbständigkeit gehandelt hätte. Die Velleitäten des Königs von Italien und des Grafen Beust, die durch unsre ersten glänzenden Erfolge zurückgedrängt waren, konnten bei der Stagnation vor Paris um so leichter wieder aufleben, als wir in den maßgebenden Kreisen eines so gewichtigen Factors wie England über zuverlässige Sympathien und namentlich über solche, welche bereit gewesen wären, sich auch nur diplomatisch zu bethätigen, keineswegs verfügen konnten. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 313 [2-110] wenn unsre Truppen vor Paris, im Westen, Norden und Osten Frankreichs vor Seuchen bewahrt blieben. Die Frage, wie der Gesundheitszustand des deutschen Heeres sich in den Beschwerden eines so ungewöhnlich harten Winters bewähren werde, entzog sich jeder Berechnung. Es war unter diesen Umständen keine übertriebene Aengstlichkeit, wenn ich in schlaflosen Nächten von der Sorge gequält wurde, daß unsre politischen Interessen nach so großen Erfolgen durch das zögernde Hinhalten des weitern Vorgehns gegen Paris schwer geschädigt werden könnten. Eine weltgeschichtliche Entscheidung in dem Jahrhunderte alten Kampfe zwischen den beiden Nachbarvölkern stand auf dem Spiele und in Gefahr, durch persönliche und vorwiegend weibliche Einflüsse ohne historische Berechtigung gefälscht zu werden, durch Einflüsse, die ihre Wirksamkeit nicht politischen Erwägungen verdankten, sondern Gemüthseindrücken, welche die Redensarten von Humanität und Civilisation, die aus England bei uns importirt werden, auf deutsche Gemüther noch immer haben; war uns doch während des Krimkrieges von England aus nicht ohne Wirkung auf die Stimmung gepredigt worden, daß wir „zur Rettung der Civilisation“ die Waffen für die Türken ergreifen müßten. Die entscheidenden Fragen konnten, wenn man wollte, als ausschließlich militärische behandelt werden, und man konnte das als Vorwand nehmen, um mir das Recht der Betheiligung an der Entscheidung zu versagen; sie waren aber doch solche, von deren Lösung die diplomatische Möglichkeit in letzter Instanz abhing, und wenn der Abschluß des französischen Krieges ein weniger günstiger für Deutschland gewesen wäre, so blieb auch dieser gewaltige Krieg mit seinen Siegen und seiner Begeisterung ohne die Wirkung, die er für unsre nationale Einigung haben konnte. Es war mir niemals zweifelhaft, daß der Herstellung des Deutschen Reiches der Sieg über Frankreich vorhergehn mußte, und wenn es uns nicht gelang, ihn diesmal zum vollen Abschluß zu bringen, so waren weitre Kriege ohne vorgängige Sicherstellung unsrer vollen Einigung in Sicht. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 330 Auch bei dem Kronprinzen habe ich für mein Streben, den Kaisertitel herzustellen, welches nicht einer preußisch-dynastischen Eitelkeit, sondern allein dem Glauben an seine Nützlichkeit für Förderung der nationalen Einheit entsprang, im Anfange der günstigen Wendung des Krieges nicht immer Anklang gefunden. Seine Königliche Hoheit hatte von irgend einem der politischen Phantasten, denen er sein Ohr lieh, den Gedanken aufgenommen, die Erbschaft des von Karl dem Großen wiedererweckten „römischen“ Kaiserthums sei das Unglück Deutschlands gewesen, ein ausländischer, für die Nation ungesunder Gedanke. So nachweisbar letztres auch geschichtlich sein mag, so unpraktisch war die Bürgschaft gegen analoge Gefahren, welche des Prinzen Rathgeber in dem Titel „König“ der Deutschen sahen. Es lag heut zu Tage keine Gefahr vor, daß der Titel, welcher allein in der Erinnerung des Volkes lebt, dazu beitragen würde, die Kräfte Deutschlands den eignen Interessen zu entfremden und dem transalpinen Ehrgeize bis nach Apulien hin dienstbar zu machen. Das aus einer irrigen Vorstellung entspringende Verlangen, das der Prinz gegen mich aussprach, war nach meinem Eindrucke ein völlig ernstes und geschäftliches, dessen Inangriffnahme durch mich gewünscht wurde. Mein Einwand, anknüpfend an die Coexistenz der Könige von Bayern, Sachsen, Würtemberg mit dem intendirten Könige in Germanien oder Könige der Deutschen führte zu meiner Ueberraschung auf die weitre Consequenz, daß die genannten Dynastien aufhören müßten, den Königstitel zu führen, um wieder den herzoglichen anzunehmen. Ich sprach die Ueberzeugung aus, daß sie sich dazu gutwillig nicht verstehn würden. Wollte man dagegen Gewalt anwenden, so würde dergleichen Jahrhunderte hin (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 338 [2-119] Hauptargument für den Kaisertitel mit der coercitiven Andeutung wiedergegeben, daß Baiern die zugesagten, aber noch nicht ratificirten Concessionen nur dem deutschen Kaiser, aber nicht dem Könige von Preußen machen könne. Ich hatte diese Wendung ausdrücklich gewählt, um einen Druck auf die Abneigung meines hohen Herrn gegen den Kaisertitel auszuüben. Am siebenten Tage nach seiner Abreise, am 3. December, war Graf Holnstein mit diesem Schreiben des Königs wieder in Versailles; es wurde noch an demselben Tage durch den Prinzen Luitpold, jetzigen Regenten, unserm Könige officiell überreicht und bildete ein gewichtiges Moment für das Gelingen der schwierigen und vielfach in ihren Aussichten schwankenden Arbeiten, die durch das Widerstreben des Königs Wilhelm und durch die bis dahin mangelnde Feststellung der bairischen Erwägungen veranlaßt waren. Der Graf Holnstein hat sich durch diese in einer schlaflosen Woche zurückgelegte doppelte Reise und durch die geschickte Durchführung seines Auftrags in Hohenschwangau ein erhebliches Verdienst um den Abschluß unsrer nationalen Einigung durch Beseitigung der äußern Hindernisse der Kaiserfrage erworben. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 350 [2-124] Vierundzwanzigstes Kapitel: Culturkampf. in den Kauf zu nehmen, die das Ergebniß eines öffentlichen Eintretens für die päpstlichen Interessen bezüglich Roms sein mußte. In den Wechselfällen des Krieges ist unter den streitenden italienischen Elementen Anfangs der König als der für uns möglicherweise gefährliche Gegner erschienen. Später ist uns die republikanische Partei unter Garibaldi, die uns bei Ausbruch des Krieges ihre Unterstützung gegen Napoleonische Velleitäten des Königs in Aussicht gestellt hatte, auf dem Schlachtfelde in einer mehr theatralischen als praktischen Erregtheit und in militärischen Leistungen entgegengetreten, deren Formen unsre soldatischen Auffassungen verletzten. Zwischen diesen beiden Elementen lag die Sympathie, welche die öffentliche Meinung der Gebildeten in Italien für das in der Geschichte und in der Gegenwart parallele Streben des deutschen Volkes hegen und dauernd bewahren konnte, lag der nationale Instinct, der denn auch schließlich stark und praktisch genug gewesen ist, mit dem frühern Gegner Oestreich in den Dreibund zu treten. Mit dieser nationalen Richtung Italiens würden wir durch ostensible Parteinahme für den Papst und seine territorialen Ansprüche gebrochen haben. Ob und in wie weit wir dafür den Beistand des Papstes in unsern innern Angelegenheiten gewonnen haben würden, ist zweifelhaft. Der Gallicanismus erschien mir stärker, als ich ihn 1870 der Infallibilität gegenüber einschätzen konnte, und der Papst schwächer, als ich ihn wegen seiner überraschenden Erfolge über alle deutschen, französischen, ungarischen Bischöfe gehalten hatte. Bei uns im Lande war das jesuitische Centrum demnächst stärker als der Papst, wenigstens unabhängig von ihm; der germanische Fractions- und Parteigeist unsrer katholischen Landsleute ist ein Element, dem gegenüber auch der päpstliche Wille nicht durchschlägt. Desgleichen lasse ich dahingestellt, ob die am 16. desselben Monats vor sich gegangenen Wahlen zum preußischen Landtage durch das Fehlschlagen der Ledochowskischen Verhandlungen beeinflußt worden sind. Die letztern wurden in etwas andrer Richtung (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 366 Nach seinem Abgange war ich vor die Frage gestellt, ob und wie weit ich bei der Wahl eines neuen Cultuscollegen die mehr juristische als politische Linie Falks im Auge behalten, oder meinen mehr gegen Polonismus als gegen Katholicismus gerichteten Auffassungen ausschließlich folgen sollte. In dem Culturkampfe war die parlamentarische Regirungspolitik durch den Abfall der Fortschrittspartei und ihren Uebergang zum Centrum gelähmt, indem sie im Reichstage einer durch gemeinsame Feindschaft zusammengehaltnen Majorität von Demokraten aller Schattirungen, im Bunde mit Polen, Welfen, Franzosenfreunden und Ultramontanen, ohne Unterstützung durch die Conservativen gegenüberstand. Die Consolidirung unsrer neuen Reichseinheit wurde durch diese Zustände gehemmt und, wenn sie dauerten oder sich verschärften, gefährdet. Der nationale Schaden konnte auf diesem Wege größer werden, als auf dem eines Verzichtes auf den meiner Ansicht nach entbehrlichen Theil der Falkschen Gesetzgebung. Für nicht entbehrlich hielt ich die Beseitigung der Verfassungsartikel, die Kampfmittel gegen den Polonismus und vor allen die Herrschaft des Staates über die Schule. Wahrten wir die, so behielten wir aus dem Culturkampfe beim Frieden immer einen werthvollen Siegespreis im Vergleich mit den Zuständen vor Ausbruch des Kampfes. Ueber die Grenze, bis zu der wir der Curie (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 427 Ich weiß nicht, wie weit ich conservativer Mitwirkung hätte entgegenkommen können, jedenfalls weiter, als es in den durch den Bruch entstandenen Verhältnissen geschehn ist. Ich hielt für die damalige Zeit bei den Gefahren, die unsre Kriege geschaffen hatten, die Unterschiede der Parteidoctrinen für untergeordnet im Vergleiche mit der Nothwendigkeit der politischen Deckung nach Außen durch möglichst geschlossene Einheit der Nation in sich. Als erste Bedingung galt mir die Unabhängigkeit Deutschlands auf Grund einer zum Selbstschutz hinreichend starken Einheit, und ich hatte und habe zu der Einsicht und Besonnenheit der Nation das Vertrauen, daß sie Auswüchse und Fehler der nationalen Einrichtungen heilen und ausmerzen wird, wenn sie daran nicht durch die Abhängigkeit von dem übrigen Europa und von innern Fractions- und Sonderinteressen verhindert wird, wie es bis 1866 der Fall war. In dieser Auffassung kam es mir auf die Frage, ob liberal, ob conservativ, in der damaligen Kriegs- und Coalitionsgefahr so wenig wie heut in erster Linie an, sondern auf die freie Selbstbestimmung der Nation und ihrer Fürsten. Ich gebe auch heut diese Hoffnung nicht auf, wenn auch ohne die Gewißheit, daß unsre politische Zukunft nicht noch durch Mißgriffe und Unfälle im weitern Ausbau geschädigt werden wird. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 436 *) Dr. Perrot, Hauptmann a. D., geb. in Trier, gest. 1891, Verfasser national-ökonomischer Brochüren, zuletzt Kaufmann. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 450 Man hätte glauben sollen, daß die nationalliberale Partei, durch deren Begünstigung ich mir das Uebelwollen meiner frühern conservativen Parteigenossen zugezogen hatte, durch die rohen und unwürdigen Angriffe auf meine persönliche Ehrenhaftigkeit bewogen worden wäre, mir in der Abwehr irgendwie beizustehn, oder doch zu erkennen zu geben, daß sie die Angriffe nicht billigte und die Ansicht meiner Verleumder über mich nicht theilte; ich erinnere mich aber nicht, in jener Zeit irgend einen nationalliberalen Versuch, mir zur Hülfe zu kommen, in der Presse oder sonst im öffentlichen Leben, wahrgenommen zu haben. Es schien im Gegentheil, als ob im nationalliberalen Lager eine gewisse Genugthuung darüber herrschte, daß die conservative Partei mich angriff (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 470 [2-166] abgelehnte Forderung der Herausgabe bestimmter, zweifellos amtlicher Bestandtheile der Botschaftsacten durchzusetzen. Mir kam es nur darauf an, als Vorgesetzter die amtliche Autorität zu wahren; ein Straferkenntniß gegen Arnim habe ich weder erstrebt noch erwartet, im Gegentheile würde ich, nachdem ein solches erfolgt war, seine Begnadigung wirksam befürwortet haben, wenn dieselbe in der durch das Contumacial-Erkenntniß geschaffenen Lage juristisch zulässig gewesen wäre. Mich trieb keine persönliche Rachsucht, sondern, wenn man eine tadelnde Bezeichnung finden will, eher bürokratische Rechthaberei eines in seiner Autorität mißachteten Vorgesetzten. War schon das Erkenntniß in dem ersten Proceß auf neun Monat Gefängniß ein meiner Ansicht nach übertrieben strenges, so war die Verurtheilung in dem zweiten Processe zu fünf Jahren Zuchthaus doch nur, wie der Verurtheilte selbst richtig bemerkt hat, dadurch möglich geworden, daß der regelmäßige Strafrichter nicht in der Lage ist, die Sünden der Diplomatie in internationalen Verhandlungen mit vollem Verständnisse zu beurtheilen. Dieses Erkenntniß würde ich nur dann für adäquat gehalten haben, wenn der Verdacht erwiesen gewesen wäre, daß der Verurtheilte seine Verbindungen mit dem Baron Hirsch benutzt hätte, um die Verzögerung der Ausführung seiner Instructionen Börsenspeculationen dienstbar zu machen. Ein Beweis dafür ist in dem Gerichtsverfahren weder geführt, noch versucht worden. Die Annahme, daß er lediglich aus geschäftlichen Gründen die Ausführung einer präcisen Weisung unterlassen habe, blieb immerhin zu seinen Gunsten möglich, obschon ich mir den Gedankengang, dem er dabei gefolgt sein müßte, nicht klar machen kann. Der erwähnte Verdacht ist aber meinerseits nicht ausgesprochen worden, obschon er dem Auswärtigen Amte und der Hofgesellschaft durch Pariser Correspondenzen und Reisende mitgetheilt worden war und in diesen Kreisen colportirt wurde. Es war ein Verlust für den diplomatischen Dienst bei uns, daß die ungewöhnliche Begabung Arnims für diesen Dienst nicht (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 480 Wenn nach dem Frankfurter Frieden eine katholisirende Partei, sei es royalistischer, sei es republikanischer Form, in Frankreich am Ruder geblieben wäre, so würde es schwerlich gelungen sein, die Erneuerung des Krieges so lange, wie geschehn, hinauszuschieben. Es war alsdann zu befürchten, daß die beiden von uns bekämpften Nachbarmächte, Oestreich und Frankreich, auf dem Boden der gemeinsamen Katholicität sich einander nähern und uns entgegentreten würden, und die Thatsache, daß es in Deutschland so wenig wie in Italien an Elementen fehlte, deren confessionelles Gefühl stärker war als das nationale, hätte zur Verstärkung und Ermuthigung einer solchen katholischen Allianz gedient. Ob wir ihr (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 510 [2-181] machen; er aber faßte die Sache so auf, als ob es sich um einen durch die politische Situation gegebenen Systemwechsel handelte, um die Uebernahme der Leitung durch die nationalliberale Partei. Das Streben nach dem Mitbesitz des Regiments hatte sich schon erkennbar gemacht in dem Eifer, mit dem die Partei das Stellvertretungsgesetz betrieben hatte in der Meinung, auf diesem Wege ein collegialisches Reichsministerium anzubahnen, in dem anstatt des allein verantwortlichen Reichskanzlers selbständige Ressorts mit collegialischer Abstimmung wie in Preußen die Entscheidung hätten. Bennigsen wollte daher nicht einfach Eulenburgs Nachfolger werden, sondern verlangte, daß mit ihm wenigstens Forckenbeck und Stauffenberg einträten. Der Erstre sei der geeignete Mann für das Innere und werde dort dieselbe Geschicklichkeit und Thatkraft wie in der Verwaltung der Stadt Berlin bewähren; er selbst würde das Finanzministerium wählen; Stauffenberg müsse an die Spitze des Reichsschatzamts treten, um mit ihm zusammen zu wirken. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 512 [2-182] etwa die bezeichnete Richtung einhalten wollte, bald zwischen dem Könige und seiner Fraction zu wählen haben. Er möge sich klar machen, daß wenn es mir gelänge, seine Ernennung durchzusetzen, damit ihm und seiner Partei eine mächtige Handhabe zur Verstärkung und Erweiterung ihres Einflusses geboten sei; er möge sich das Beispiel Roons vergegenwärtigen, der als der einzige Conservative in das liberale Auerswaldsche Ministerium trat und der Krystallisationspunkt wurde, um den es sich in ein conservatives verwandelte. Er möge nichts Unmögliches von mir verlangen, ich kennte den König und die Grenzen meines Einflusses genau genug; mir wären die Parteien ziemlich gleichgültig, sogar ganz gleichgültig, wenn ich von den eingestandenen und nicht eingestandenen Republikanern absähe, die nach rechts mit der Fortschrittspartei abschlössen. Mein Ziel sei die Befestigung unsrer nationalen Sicherheit; zu ihrer innern Ausgestaltung werde die Nation Zeit haben, wenn erst ihre Einheit und damit ihre Sicherheit nach Außen consolidirt sein werde. Für die Erreichung des letztern Zwecks sei gegenwärtig auf dem parlamentarischen Gebiete die nationalliberale Partei das stärkste Element. Die conservative Partei, der ich im Parlament angehört, habe die geographische Ausdehnung, deren sie in der heutigen Bevölkerung fähig sei, erreicht und trage nicht das Wachsthum in sich, um zu einer nationalen Majorität zu werden; ihr naturgeschichtliches Vorkommen, ihr Standort sei beschränkt in unsern neuen Provinzen; im Westen und Süden von Deutschland habe sie nicht dieselben Unterlagen wie in Alt-Preußen; in Bennigsens Heimath, Hanover, namentlich habe man nur zwischen Welfen und Nationalliberalen zu wählen, und die letztern böten einstweilen die beste Unterlage von allen denen, auf welchen das Reich Wurzel schlagen könne. Diese politische Erwägung veranlasse mich, ihnen, als der gegenwärtig stärksten Partei, entgegen zu kommen, indem ich ihren Führer zum Collegen zu werben suchte, ob für die Finanzen oder das Innere, sei mir gleichgültig. Ich sähe die Sache von dem rein politischen Standpunkte (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 515 [2-184] Correspondenz fand in den letzten Tagen des Jahres 1877 statt, und meine neue Erkrankung fiel grade in die Neujahrsnacht. Der Kaiser antwortete mir auf das Schreiben Roons, er sei über das Sachverhältniß getäuscht worden und wünsche, daß ich seinen vorhergehenden Brief als nicht geschrieben betrachte. Jede weitre Verhandlung mit Bennigsen verbot sich durch diesen Vorgang von selbst, ich hielt es aber in unserm politischen Interesse nicht für zweckmäßig, Letztern von der Beurtheilung in Kenntniß zu setzen, die seine Person und Candidatur bei dem Kaiser gefunden hatte. Ich ließ die für mich definitiv abgeschlossene Unterhandlung äußerlich in suspenso; als ich dann wieder in Berlin war, ergriff Bennigsen die Initiative, um die seiner Meinung nach noch schwebende Angelegenheit in freundschaftlicher Form zum negativen Abschluß zu bringen. Er fragte mich im Reichstagsgebäude, ob es wahr sei, daß ich das Tabakmonopol einzuführen strebe, und erklärte auf meine bejahende Antwort, daß er dann die Mitwirkung als Minister ablehnen müsse. Ich verschwieg ihm auch dann noch, daß mir jede Möglichkeit, mit ihm zu verhandeln, durch den Kaiser schon seit Neujahr abgeschnitten war. Vielleicht hatte er sich auf anderm Wege überzeugt, daß sein Plan einer grundsätzlichen Modification der Regirungspolitik im Sinne der nationalliberalen Anschauungen bei dem Kaiser auf unüberwindliche Hindernisse stoßen würde, namentlich seit einer von Stauffenberg gehaltenen Rede über die Nothwendigkeit der Abschaffung des Art. 109 der preußischen Verfassung (Forterhebung der Steuern). Wenn die nationalliberalen Führer ihre Politik geschickt betrieben hätten, so hätten sie längst wissen müssen, daß bei dem Kaiser, dessen Unterschrift sie zu ihrer Ernennung bedurften und begehrten, es keinen empfindlicheren politischen Punkt gab als diesen Artikel, und daß sie sich den hohen Herrn nicht sichrer entfremden konnten als durch den Versuch, ihm dieses Palladium zu entreißen. Als ich Sr. Majestät vertraulich den Verlauf meiner Verhandlungen mit Bennigsen erzählte und dessen Wunsch in Betreff Stauffenbergs (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 516 [2-185] erwähnte, war der Kaiser noch unter dem Eindrucke der Rede des Letztern und sagte, indem er mit dem Finger auf seine Schulter deutete, wo auf der Uniform die Regimentsnummer sitzt: „Nro. 109 Regiment Stauffenberg“. Wenn der Kaiser damals den von mir zur Herstellung der Uebereinstimmung mit der Reichstagsmajorität gewünschten Eintritt Bennigsens genehmigt und selbst wenn der Letztre bald die Unmöglichkeit eingesehn hätte, das Cabinet und den König in seine Fractionsrichtung zu bringen, so würden sich doch, wie ich heut überzeugt bin, die einigermaßen doctrinäre Schärfe des Fractionsprogramms und die Empfindlichkeit der monarchischen Auffassung des Kaisers nicht lange mit einander vertragen haben. Damals war ich dessen nicht so sicher gewesen, um nicht den Versuch zu machen, ob ich Se. Majestät bewegen könnte, sich der nationalliberalen Auffassung zu nähern. Die Schärfe des Widerstandes, die allerdings durch Eulenburgs feindliche Einwirkung gesteigert worden war, übertraf meine Erwartung, obschon mir bekannt war, daß der Kaiser gegen Bennigsen und seine frühere Thätigkeit in Hanover eine instinctive monarchische Abneigung hegte. Obwohl die nationalliberale Partei in Hanover und die Wirksamkeit ihres Führers vor und nach 1866 die „Verstaatlichung“ Hanovers wesentlich erleichtert hatte, und der Kaiser ebenso wenig wie sein Vater 1805 eine Neigung hatte, diesen Erwerb rückgängig zu machen, so war der fürstliche Instinct in ihm doch herrschend genug, um solches Verhalten eines hanöverschen Unterthanen gegen die welfische Dynastie mit innerlichem Unbehagen zu beurtheilen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 518 [2-186] durch die Feindschaften am Hofe, die katholischen und weiblichen Einflüsse daselbst waren meine Stützpunkte außerhalb der nationalliberalen Fraction schwächer geworden und bestanden allein in dem persönlichen Verhältniß des Kaisers zu mir. Die Nationalliberalen nahmen davon nicht etwa einen Anlaß, unsre gegenseitigen Beziehungen dadurch zu stärken, daß sie mich unterstützten, sondern machten im Gegentheil den Versuch, mich gegen meinen Willen in das Schlepptau zu nehmen. Zu diesem Zwecke wurden Beziehungen zu mehren meiner Collegen angeknüpft; durch die Minister Friedenthal und Botho Eulenburg, welcher Letztre das Ohr meines Vertreters im Präsidium, des Grafen Stolberg hatte, wurden ohne mein Wissen amtliche Verständigungen mit den Präsidien beider Parlamente nicht nur bezüglich der Sitzungs- und Vertagungsfragen, sondern auch in Betreff materieller Vorlagen gegen meinen, den Collegen bekannten Willen eingeleitet. Der Gesammtandrang auf meine Stellung, das Streben nach Mitregentschaft oder Alleinherrschaft an meiner Stelle, das sich in dem Plane selbständiger Reichsminister und in den erwähnten Heimlichkeiten verrathen hatte, trat handgreiflich zu Tage in der Conseilsitzung, die der Kronprinz als Vertreter seines verwundeten Vaters am 5. Juni 1878 abhielt, um über die Auflösung des Reichstags nach dem Nobilingschen Attentate zu beschließen. Die Hälfte meiner Collegen oder mehr, jedenfalls die Majorität des Ministeriums und des Conseils, stimmte abweichend von meinem Votum gegen die Auflösung und machte dafür geltend, daß der vorhandene Reichstag, nachdem das Nobilingsche Attentat auf das Hödelsche gefolgt sei, bereit sein werde, seine jüngste Abstimmung zu ändern und der Regirung entgegen zu kommen. Die Zuversicht, die meine Collegen bei dieser Gelegenheit kundgaben, beruhte offenbar auf vertraulicher Verständigung zwischen ihnen und einflußreichen Parlamentariern, während mir gegenüber kein Einziger von den letztern auch nur eine Aussprache versucht hatte. Es schien, daß man sich über die Theilung meiner Erbschaft bereits verständigt hatte. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 669 Der Dreibund, den ich ursprünglich nach dem Frankfurter Frieden zu erreichen suchte und über den ich schon im September 1870 von Meaux aus in Wien und Petersburg sondirt hatte, war ein Bund der drei Kaiser mit dem Hintergedanken des Beitritts des monarchischen Italiens und gerichtet auf den, wie ich befürchtete, in irgend einer Form bevorstehenden Kampf zwischen den beiden europäischen Richtungen, die Napoleon die republikanische und die kosakische genannt hat und die ich nach heutigen Begriffen bezeichnen möchte einerseits als das System der Ordnung auf monarchischer Grundlage, andrerseits als die sociale Republik, auf deren Niveau die antimonarchische Entwicklung langsam oder sprungweise hinabzusinken pflegt, bis die Unerträglichkeit der dadurch geschaffenen Zustände die enttäuschte Bevölkerung für gewaltsame Rückkehr zu monarchischen Institutionen in cäsarischer Form empfänglich macht. Diesem circulus vitiosus zu entgehn, oder das Eintreten in ihn der gegenwärtigen Generation oder ihren Kindern womöglich zu ersparen, halte ich für eine Aufgabe, die den noch lebenskräftigen Monarchien näher liegen sollte als die Rivalilät um den Einfluß auf die nationalen Fragmente, welche die Balkanhalbinsel bevölkern. Wenn die monarchischen Regirungen (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 670 [2-230] für das Bedürfniß des Zusammenhaltens im Interesse staatlicher und gesellschaftlicher Ordnung kein Verständniß haben, sondern sich chauvinistischen Regungen ihrer Unterthanen dienstbar machen, so befürchte ich, daß die internationalen revolutionären und socialen Kämpfe, die auszufechten sein werden, um so gefährlicher und für den Sieg der monarchischen Ordnung schwieriger sich gestalten werden. Ich habe die nächstliegende Assecuranz gegen diese Kämpfe seit 1871 in dem Dreikaiserbunde und in dem Bestreben gesucht, dem monarchischen Prinzipe in Italien eine feste Anlehnung an diesen Bund zu gewähren. Ich war nicht ohne Hoffnung auf einen dauernden Erfolg, als im September 1872 die Zusammenkunft der drei Kaiser in Berlin, demnächst die Besuche meines Kaisers in Petersburg im Mai, des Königs von Italien in Berlin im September, des deutschen Kaisers in Wien im October des folgenden Jahres stattfanden. Die erste Trübung dieser Hoffnung wurde 1875 verursacht durch die Hetzereien des Fürsten Gortschakow 1), der die Lüge verbreitete, daß wir Frankreich, bevor es sich von seinen Wunden erholt hätte, zu überfallen beabsichtigten. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 687 In dieser Erwägung nöthigte mich der drohende Brief des Kaisers Alexander (1879) zu festem Entschlusse behufs Abwehr und Wahrung unsrer Unabhängigkeit von Rußland. Ein östreichisches Bündniß war ziemlich bei allen Parteien populär, bei den Conservativen aus einer geschichtlichen Tradition, bezüglich deren man zweifelhaft sein kann, ob sie grade von dem Standpunkt einer conservativen Fraction heut zu Tage als folgerichtig gelten könne. Thatsache ist aber, daß die Mehrheit der Conservativen in Preußen die Anlehnung an Oestreich als ihren Tendenzen entsprechend ansieht, auch wenn vorübergehend eine Art von Wettlauf im Liberalismus zwischen den beiden Regirungen stattfand. Der conservative Nimbus des östreichischen Namens überwog bei den meisten Mitgliedern dieser Fraction den Eindruck der theils überwundenen, theils neuen Vorstöße auf dem Gebiete des Liberalismus und der gelegentlichen Neigung zu Annäherungen an die Westmächte und speciell an Frankreich. Noch näher lagen die Erwägungen, welche den Katholiken den Bund mit der vorwiegend katholischen Großmacht als nützlich erscheinen ließen. Der nationalliberalen Partei war ein vertragsmäßig verbrieftes Bündniß des neuen Deutschen Reiches mit Oestreich ein Weg, auf dem man der Lösung der 1848er Cirkelquadratur näher kam, ohne an den Schwierigkeiten zu scheitern, die einer unitarischen Verbindung nicht nur zwischen Oestreich und Preußen- Deutschland, sondern schon innerhalb des östreichisch-ungarischen (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 701 In dieser Lage hat nun Rußland in den letzten Wochen an uns Forderungen gestellt, welche darauf hinausgehn, daß wir definitiv zwischen Rußland und Oestreich optiren sollen, indem wir die deutschen Mitglieder der orientalischen Commissionen anwiesen, in den zweifelhaften Fragen mit Rußland zu stimmen, während in diesen Fragen unsrer Meinung nach die richtige Auslegung der Congreßbeschlüsse auf Seiten der durch Oestreich, England und Frankreich gebildeten Majorität ist, und Deutschland deshalb mit dieser gestimmt hat, so daß Rußland theils mit, theils ohne Italien allein die Minorität bildet. Obschon diese Fragen, wie z. B. die Lage der Brücke bei Silistria, die der Türkei vom Congreß concedirte Militärstraße in Bulgarien, die Verwaltung der Post und Telegraphie und der Grenzstreit über einzelne Dörfer an sich im Vergleich mit dem Frieden großer Reiche sehr unbedeutende sind, so war das russische Verlangen, daß wir in Betreff derselben nicht mehr mit Oestreich, sondern mit Rußland stimmen sollten, nicht einmal, sondern wiederholt von unzweideutigen Drohungen begleitet bezüglich der Folgen, welche unsre Weigerung eventuell für die internationalen Beziehungen beider Länder haben würde. Diese auffällige Thatsache war, da sie mit dem Rücktritt des Grafen Andrassy *) zusammenfiel, geeignet, die Besorgniß zu erwecken, daß (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 740 [2-249] Wilhelm I. giebt nach. Verträge zwischen Großstaaten. nationaler oder confessioneller Natur sich stärker als bisher zeigen, wenn russische Versuchungen und Anerbietungen auf dem Gebiet der orientalischen Politik wie zur Zeit Katharinas und Josephs II. hinzutreten, wenn italienische Begehrlichkeiten Oestreichs Besitz am Adriatischen Meere bedrohn und seine Streitkräfte in ähnlicher Weise wie zu Radetzkys Zeit in Anspruch nehmen sollten: dann würde der Kampf, dessen Möglichkeit mir vorschwebt, ungleicher sein. Es braucht nicht gesagt zu werden, wie viel gefährdeter Deutschlands Lage erscheint, wenn man sich auch Oestreich, Herstellung der Monarchie in Frankreich, im Einverständniß beider mit der Römischen Curie, im Lager unsrer Gegner denkt mit dem Bestreben, die Ergebnisse von 1866 aus der Welt zu schaffen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 759 Wir müssen und können der östreichisch-ungarischen Monarchie das Bündniß ehrlich halten; es entspricht unsern Interessen, den historischen Traditionen Deutschlands und der öffentlichen Meinung unsres Volkes. Die Eindrücke und Kräfte, unter denen die Zukunft der Wiener Politik sich zu gestalten haben wird, sind jedoch complicirter als bei uns, wegen der Mannigfaltigkeit der Nationalitäten, der Divergenz ihrer Bestrebungen, der clericalen Einflüsse und der in den Breiten des Balkan und des Schwarzen Meeres für die Donauländer liegenden Versuchungen. Wir dürfen Oestreich nicht verlassen, aber auch die Möglichkeit, daß wir von der Wiener Politik freiwillig oder unfreiwillig verlassen werden, nicht aus den Augen verlieren. Die Möglichkeiten, die uns in solchen Fällen offen bleiben, muß die Leitung der deutschen Politik, wenn sie ihre Pflicht thun will, sich klar machen und gegenwärtig halten, bevor sie eintreten, und sie dürfen nicht von Vorliebe oder Verstimmung abhängen, sondern nur von objectiver Erwägung der nationalen Interessen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 763 Die internationale Politik ist ein flüssiges Element, das unter Umständen zeitweilig fest wird, aber bei Veränderungen der Atmosphäre in seinen ursprünglichen Aggregatzustand zurückfällt. Die clausula rebus sic stantibus wird bei Staatsverträgen, die Leistungen bedingen, stillschweigend angenommen. Der Dreibund ist eine strategische Stellung, welche Angesichts der zur Zeit seines Abschlusses drohenden Gefahren rathsam und unter den obwaltenden Verhältnissen zu erreichen war. Er ist von Zeit zu Zeit verlängert (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 785 [2-268] Gelegenheiten, zur Anschauung zu bringen, daß wir befriedigt und friedliebend sind, auch in Zukunft nicht ausbleiben werden. Ich habe während meiner Amtsführung zu drei Kriegen gerathen, dem dänischen, dem böhmischen und dem französischen, aber mir auch jedesmal vorher klar gemacht, ob der Krieg, wenn er siegreich wäre, einen Kampfpreis bringen würde, werth der Opfer, die jeder Krieg fordert und die heut so viel schwerer sind, als in dem vorigen Jahrhundert. Wenn ich mir hätte sagen müssen, daß wir nach einem dieser Kriege in Verlegenheit sein würden, uns wünschenswerthe Friedensbedingungen auszudenken, so würde ich mich, so lange wir nicht materiell angegriffen waren, schwerlich von der Nothwendigkeit solcher Opfer überzeugt haben. Internationale Streitigkeiten, die nur durch den Volkskrieg erledigt werden können, habe ich niemals aus dem Gesichtspunkte des Göttinger Comments und der Privatmensuren-Ehre aufgefaßt, sondern stets nur in Abwägung ihrer Rückwirkung auf den Anspruch des deutschen Volkes, in Gleichberechtigung mit den andern großen Mächten Europas ein autonomes politisches Leben zu führen, wie es auf der Basis der uns eigenthümlichen nationalen Leistungsfähigkeit möglich ist. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 963 [2-308] Es leuchtet ein, daß eine Aenderung der bisherigen Verhältnisse, infolge deren die bisher dem Kanzler zugeschriebene Verantwortlichkeit auf die Anordnungen der kaiserlichen Executiv-Gewalt beschränkt und ihm die Befugniß, geschweige denn die Verpflichtung, im Reichstage zu erscheinen und zu discutiren, entzogen würde, nicht eine nur formelle sein, sondern auch die Schwerkraft der Factoren unsres öffentlichen Lebens wesentlich verändern würde. Ich habe mir die Frage, ob es sich empföhle, derartigen Eventualitäten näher zu treten, vorgelegt zu der Zeit, als ich mich im December 1884 einer Reichstagsmehrheit gegenüber fand, die sich aus einer Coalition der verschiedenartigsten Elemente zusammensetzte, aus der Socialdemokratie, den Polen, Welfen, Franzosenfreunden aus dem Elsaß, den freisinnigen Krypto-Republikanern und gelegentlich aus mißgünstigen Conservativen am Hofe, im Parlamente und in der Presse — der Coalition, die zum Beispiel die Geldbewilligung für einen zweiten Director im Auswärtigen Amt ablehnte. Die Unterstützung, die ich dieser Opposition gegenüber am Hofe, im Parlamente und außerhalb desselben fand, war keine unbedingte, und nicht frei von der Mitwirkung mißgünstiger und rivalisirender Streber. Ich habe damals die Frage Jahre hindurch mit wechselnder Ansicht über ihre Dringlichkeit bei mir und mit Andern erwogen, ob das Maß nationaler Einheit, welches wir gewonnen hatten, zu seiner Sicherstellung nicht einer andern Form bedürfe, als der zur Zeit gültigen, die aus der Vergangenheit überliefert und durch die Ereignisse und durch Compromisse mit Regirungen und Parlamenten entwickelt war. Ich habe in jener Zeit, wie ich glaube, auch in öffentlichen Reden angedeutet, daß der König von Preußen, wenn ihm der Reichstag die kaiserliche Wirksamkeit über die Grenzen der Möglichkeit monarchischer Einrichtungen erschwere, sich zu einer stärkern Anlehnung an die Unterlagen veranlaßt sehn könne, welche die preußische Krone und Verfassung ihm gewähre 1). Ich hatte bei (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 965 [2-309] Herstellung der Reichsverfassung befürchtet, daß die Gefährdung unsrer nationalen Einheit in erster Linie von dynastischen Sonderbestrebungen zu befürchten sei, und hatte mir daher zur Aufgabe gestellt, das Vertrauen der Dynastien durch ehrliche und wohlwollende Wahrung ihrer verfassungsmäßigen Rechte im Reiche zu gewinnen, habe auch die Genugthuung gehabt, daß insbesondre die hervorragenden Fürstenhäuser eine gleichzeitige Befriedigung ihres nationalen Sinnes und ihrer particulären Ansprüche fanden. In dem Ehrgefühle, das den Kaiser Wilhelm I. seinen Bundesgenossen gegenüber beseelte, habe ich stets ein Verständniß für die politische Nothwendigkeit gefunden, das dem eignen stark dynastischen Gefühle schließlich doch überlegen war. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 966 Auf der andern Seite hatte ich darauf gerechnet, in den gemeinsamen öffentlichen Einrichtungen, namentlich in dem Reichstage, in Finanzen, basirt auf indirecten Steuern und in Monopolen, deren Erträge nur bei dauernd gesichertem Zusammenhange flüssig bleiben, Bindemittel herzustellen, die haltbar genug wären, um centrifugaler Anwandlung einzelner Bundesregirungen Widerstand zu leisten. Die Ueberzeugung, daß ich mich in dieser Rechnung geirrt, daß ich die nationale Gesinnung der Dynastien unterschätzt, die der deutschen Wähler oder doch des Reichstags überschätzt hatte, war Ende der siebziger Jahre in mir noch nicht zum Durchbruch gekommen, mit so viel Uebelwollen ich auch im Reichstage, am Hofe, in der conservativen Partei und deren „Declaranten“ zu kämpfen gehabt hatte. Jetzt habe ich den Dynastien Abbitte zu leisten; ob die Fractionsführer mir ein pater peccavi schuldig sind, darüber wird die Geschichte einmal entscheiden. Ich kann nur das Zeugniß ablegen, daß ich den Fractionen, den arbeitsscheuen Mitgliedern sowohl wie den Strebern, in deren Hand die Führung und das Votum ihrer Gefolgschaften lag, eine schwerere Schuld an der Schädigung unsrer Zukunft beimesse, als sie selbst fühlen. „Get you home, you fragments,“ sagt Coriolan. Nur die Führung des Centrums kann ich nicht eine unfähige nennen, aber sie (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)