Pacyna, Jana, Mittelalterliche Judenrechte – Norm und Anwendung im Magdeburger Rechtskreis (1250-1400) (= Quellen und Forschungen Band 8). Mitteldeutscher Verlag, Halle/Saale 2015. 243 S., 19 Abb. Besprochen von Ulrich-Dieter Oppitz.
Pacyna, Jana, Mittelalterliche Judenrechte – Norm und Anwendung im Magdeburger Rechtskreis (1250-1400) (= Quellen und Forschungen Band 8). Mitteldeutscher Verlag, Halle/Saale 2015. 243 S., 19 Abb. Besprochen von Ulrich-Dieter Oppitz.
Im Jahre 2012 wurde die vorliegende Arbeit der in Jena ausgebildeten Historikerin, die dem Graduiertenkolleg ‚Menschenwürde und Menschenrechte‘ angehörte, dort angenommen; in den Folgejahren wurde die Arbeit wohl noch überarbeitet, wie sich aus Zitaten späterer Veröffentlichungen zeigt. Nach der Projektskizze der Dissertation rekurriert die Arbeit „auf einen Ansatz der jüngeren Judenrechtsforschung, der die in der Forschungsliteratur nach 1945 gemeinhin entfaltete ‚Entrechtungsgeschichte‘ der Juden im Mittelalter mit der Erarbeitung einer ‚Berechtigungsgeschichte‘ konfrontiert.“ Bereits dieser Ansatz des Vorhabens zeigt, dass die langjährigen Forschungen der Trierer Forschungsgruppe um Alfred Haverkamp, Lukas Clemens und Stephan Laux am Arye Maimon-Institut nur unzulänglich zur Kenntnis genommen werden. Im Rahmen der Herausarbeitung dieses Unterschiedes stellt die Verfasserin fest, „(A)uch der ausgewiesene Judenrechtsexperte der 1940er – 1960er Jahre, Guido Kisch, hat sich zeitweise mit der Geschichte der Hallenser Juden auseinandergesetzt“ (S. 15 Anm. 26). Der Inhalt der ursprünglichen Arbeiten Kischs von 1929 und 1930 wurde 1970 durch eine erweiterte Neuausgabe fortgeführt. Nach dem Literaturverzeichnis hielt die Autorin diese Arbeit nicht für behandelnswert und zitierwürdig. Gleiches gilt für den Band 2 der ausgewählten Schriften Kischs (1978), der u. a. eine Überarbeitung der zitierten Arbeit von 1949 enthält. Eine sorgfältige Auseinandersetzung mit den Funden Kischs aus den Rechtsquellen des Untersuchungsgebiets, das sich die Autorin vorgenommen hat, hätte die Arbeit befruchtet. Selten geht eine Doktorarbeit, die wohl auch von Gutachtern gelesen wird, die ihr Votum für die Fakultät oder für eine Publikation in einer ansonsten angesehenen Reihe abgeben, mit einer vorliegenden umfangreichen Forschungsleistung eines hochqualifizierten Forschers so undifferenziert um, wie es diese Anmerkung der Autorin belegt. Während seiner Zeit als Hallenser Professor wirkte Kisch seit 1926 als Mitglied der Historischen Kommission für die Provinz Sachsen und für Anhalt, deren Nachfolgerin nun die vorliegende Arbeit in ihre Schriftenreihe aufnahm. In ähnlicher Weise stellt die Autorin zu den Forschungen von Barbara Mattes (S. 8) fest, der Schwabenspiegel sei für den zu untersuchenden Raum „allerdings irrelevant“, wobei sie die Forschungen Rudolf Grosses zum Schwabenspiegel in Mitteldeutschland unbeachtet lässt.
Die Verfasserin fasst ihre Ergebnisse dahingehend zusammen, dass sich im Verlauf des 13. und 14. Jahrhunderts die Rechtssituation der Juden nicht als grundsätzlich benachteiligt beschreiben lässt. Nach den von ihr herangezogenen Chroniken steht eine Beschuldigung und Vertreibung der Magdeburger Juden zur Zeit der Pestwelle von 1348/50 in Zweifel. Es müssen nach ihrer Ansicht diese Beobachtungen für den Magdeburger Raum neu überdacht werden. In ihrer Untersuchung setzt sie einen Zeitrahmen von 1250 bis 1400, der deutlich von dem Rahmen (bis 1350) abweicht, in dem die Trierer Arbeitsgruppe wohlbegründet forscht. Um einer möglichen Materialknappheit zu entgehen, behandelt sie auch Rechtsquellen, die nach 1400 entstanden sind, ohne dies besonders anzumerken. Die Autorin zieht für ihre Untersuchung die Hallischen Schöffenbücher heran und übt dabei Kritik an früheren Autoren, wie z. B. C. G. Homeyer, die diese Quellen nicht herangezogen haben. In Hertels Ausgabe ist aber bereits Homeyers Standpunkt, von dem abzuweichen auch in der Folgezeit aus systematischen Gründen kein Anlass bestand, zitiert: Die Schöffenbücher gehören zur Textgattung der Stadtbücher, sie zu dokumentieren lag nicht im Arbeitsplan Homeyers und seiner Nachfolger, die sich vornahmen, Handschriften der Rechtsbücher nachzuweisen. Soweit ersichtlich hat die Autorin kaum eigene Studien in den Originalquellen betrieben, sondern sich auf eine Sichtung der von ihr ausgewählten Literatur beschränkt; sollte bei einem Magdeburger Rechtsspruch (S. 197 Anm. 650) durch ein Archivzitat ein anderer Eindruck entstanden sein, so führt die folgende Anmerkung 651 zum Zitat des Abdruckes dieses Spruches. Zur Illustration ihrer Ausführungen bezieht sie sich oft auf Bilderhandschriften des Sachsenspiegels. Leider legt sie ihren Überlegungen meist die jüngste Handschrift (Wolfenbüttel) zugrunde, ohne auf die Abweichungen in älteren Handschriften (z. B. Heidelberg) einzugehen. Gerade beim Waffentragen der Juden oder auch bei der Form des Judenhuts ließen sich aus der Heidelberger Handschrift andere Schlüsse belegen als es geschah. Schwierig ist festzustellen, welchen räumlichen Bereich die Autorin für ihre Untersuchung abstecken will: „Magdeburger Rechtskreis“ umgreift sicher das Gebiet zwischen Saale und Kiew; ersichtlich sucht sie aber nur das Kerngebiet zwischen Magdeburg und Halle zu behandeln. Hier wäre eine Klärung wünschenswert gewesen. Die Autorin fand den Inhalt ihrer Fußnote 51 wohl so gelungen, dass sie ihn als Fußnote 63 nahezu wortgleich wiederholte; ähnlich verfährt sie auch bei Textpassagen.
In ihrer Zusammenfassung möchte sie als Ergebnis ihrer Arbeit festhalten, dass überlieferte Sonderrechte, wie Königsschutz und Marktschutz, an Bedeutung verloren hätten, weil sie im unsystematischen Schöffenrecht und im systematischen Schöffenrecht nicht mehr aufgeführt worden seien. Gleichzeitig stellt sie fest, dass z. B. der Marktschutz in einem Rechtsgangbuch enthalten sei. Dieser scheinbare Widerspruch folgt indes aus der engen Verbindung von Form und Norm, die das Recht im 13. und 14. Jahrhundert prägte. Die Schlussüberlegungen zur Bedeutung der Inklusion und ihrem etwaigen Scheitern sind wenig aus den vorhergehenden Ausführungen zu belegen und sollten daher durch andere Studien überprüft werden.
Neu-Ulm Ulrich-Dieter Oppitz