Weller, Andreas, Die Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs im französischen Rechtsgebiet der preußischen Rheinprovinz (= Rheinische Schriften zur Rechtsgeschichte 14). Nomos, Baden-Baden 2011. 361 S. Besprochen von Werner Schubert.
Weller, Andreas, Die Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs im französischen Rechtsgebiet der preußischen Rheinprovinz (= Rheinische Schriften zur Rechtsgeschichte 14). Nomos, Baden-Baden 2011. 361 S. Besprochen von Werner Schubert.
Die weitgehende Vereinheitlichung des bürgerlichen Rechts durch das Bürgerliche Gesetzbuch zum 1. 1. 1900 war verbunden nicht nur mit dem Erlass umfangreicher Übergangsgesetze meist in Form von Ausführungsgesetzen, sondern auch mit einer reichhaltigen Judikatur zu den altrechtlichen Fällen. Diese Aspekte der Aufarbeitung der vor dem 1. 1. 1900 ganz oder teilweise abgeschlossenen Rechtssachverhalte ist bisher kaum in das Blickfeld der rechtshistorischen Literatur gelangt, weshalb es wichtig erscheint, dass sich Weller dieser Materie für das Rechtsgebiet des rheinpreußisch-französischen Rechts angenommen hat. In einem ersten Teil behandelt Weller die weitgehende Beibehaltung des französischen Zivilrechts in der preußischen Rheinprovinz nach 1814 (S. 27-62). Erst zwischen 1885 und 1888 wurde das neue preußische Grundstücksrecht von 1872 mit Modifikationen eingeführt (S. 54ff.). Abweichend vom innerpreußischen Recht konnte die Auflassung nicht nur vor dem Grundbuchamt, sondern auch vor einem Notar erfolgen. Das französische Prozessrecht war bereits durch die Reichsjustizgesetze von 1877 abgelöst worden. Allerdings behauptete sich die umfangreiche Mündlichkeit des Verfahrens, welche die Civilprozessordnung nicht ausgeschlossen hatte, noch sehr lange (S. 180). Im zweiten Kapitel geht es um den „Kampf um den Erhalt rheinischer Eigenheiten in den Gesetzgebungsverfahren zum Bürgerlichen Gesetzbuch und den preußischen Ausführungsgesetzen“ (S. 63-116). Bedeutsam sind in diesem Zusammenhang die meist vergeblichen Versuche insbesondere des Rheinischen Notariatsvereins, auf den Inhalt der BGB-Entwürfe Einfluss zu nehmen (S. 80ff.). Als Erfolg konnte das rheinisch-französische Recht lediglich die Zulassung auch des holographischen Testaments auf Antrag zweier rheinischer Reichstagsabgeordneter verbuchen. Während die anderen größeren Bundesstaaten wie vor allem Bayern, Württemberg und Baden die Möglichkeit der Berücksichtigung von Besonderheiten ihrer Rechtsordnung im EGBGB weitgehend durchsetzen konnten, geschah Gleiches nicht für das rheinpreußische Recht durch Preußen. Auch für das preußische AGBGB konnten die rheinpreußischen Abgeordneten im Gesetzgebungsverfahren nur die Zulässigkeit auch der notariellen Beurkundung der Auflassung erreichen. An der Vermittlung von Nachlass- und Gesamtgutsauseinandersetzungen sowie an Immobiliarzwangsversteigerungen waren sie nicht mehr beteiligt (S. 105ff.).
Das dritte Kapitel befasst sich mit dem „Einzug des BGB in das Rechtsleben“ (S. 117-246). Hier bringt Weller vor allem einen Überblick über die Bestimmungen des preußischen AGBGB im Hinblick auf das bisherige rheinische Recht. Der sachenrechtliche Teil (S. 139ff.) hätte im Hinblick auf die Komplexität der Materie noch ausführlicher sein können. Das bis 1900 begründete Stockwerkseigentum sowie Teile des Nachbarrechts blieben bestehen (vgl. preuß. AGBGB Art. 89 Ziff. 2). Art. 1384 C.c. war bis zum Inkrafttreten des preußischen Haftpflichtgesetzes von 1909 für die Haftung des Staates für Amtspflichtverletzungen maßgebend. Die Anlegung der Grundbücher war 1900 noch nicht flächendeckend erfolgt, so dass insoweit noch das französische Grundstücksrecht Anwendung fand (S. 195ff.). Nach den Überleitungsregelungen für das bürgerliche Recht behandelt Weller Änderungen der Gerichtsverfassung, die spärliche Neuausstattung der Gerichtsbibliotheken mit neuer Literatur (S. 228 ff.), die Verjüngung der Richterschaft durch freiwillige Pensionierung von 279 Richtern (S. 232) und die Bedeutung des Notariats insbesondere für die inhaltliche Erschließung des BGB durch Vorträge und Arbeitshilfen (S. 237ff.). Im vierten Kapitel geht Weller einführungsspezifischen Rechtsfragen am Beispiel der rheinischen Gerichtspraxis nach (S. 247-331). Vorweg bringt Weller einen Überblick über die Systematik und den Inhalt der EGBGB-Übergangsvorschriften, die anstatt einer „Prinzipalnorm“ einen umfangreichen „Katalog spezieller Einzelbestimmungen“ enthielten (S. 248). Die Rechtsprechung wurde bis 1906 berücksichtigt; von dieser Zeit an hört mit der Gründung des Oberlandesgerichts Düsseldorf „das rheinische Rechtsgebiet auch als historische Einheit“ auf zu existieren (S. 22). Die rheinischen Gerichte verfolgten hinsichtlich der EGBGB-Bestimmungen eine restriktive Linie. Für die Wirksamkeit einer Forderungszession, die vor dem 1. 1. 1900 erfolgt war, galt weiterhin das Signifikationserfordernis des Art. 1690 C.c. (S. 268). Das Vorzugsrecht des Vermieters an eingebrachten Sachen des Mieters blieb bestehen (S. 271f.). Das Verbot einer recherche de la paternité (Art. 340 C.c.) blieb für die rheinischen Gerichte – entgegen einem Reichsgerichtsurteil vom 10. 5. 1901 (RGZ 48, 168) – weiterhin nicht auf die innerrheinischen Sachverhalte beschränkt. Testamente, die vor dem Inkrafttreten des BGB errichtet worden waren, wurden nach altem Recht ausgelegt (S. 313ff.). Sehr umstritten war lange Zeit, inwieweit die Notare die von ihnen verwahrten offenen Testamente den Amtsgerichten auszuliefern hatten (S. 324 ff.).
Das Werk wird abgeschlossen mit einer knappen Zusammenfassung (S. 332ff.) und einem Ausblick auf das weitere Schicksal des EGBGB und des preußischen AGBGB (S. 336ff.). Weller hat detailliert herausgearbeitet, dass man trotz des erbitterten Widerstandes insbesondere der Notare in Einzelfragen nicht von einer „Neuauflage des ‚einfachen Kampfes um das Rheinische Recht’“ sprechen kann. In diesem Zusammenhang wäre eine zusammenfassende Einordnung der Judikatur der rheinischen Gerichte im Vergleich zur Judikatur des Reichsgerichts in der Übergangszeit erwünscht gewesen. Insgesamt hat Weller mit seinem Werk einen bisher wenig beachteten Aspekt der Vereinheitlichung des deutschen Zivilrechts auf breiter Quellengrundlage umfassend erschlossen. Weitere Darstellungen des Übergangs vom überkommenen Recht zum neuen Recht des BGB für die preußischen Rechtsgebiete des ALR und des gemeinen Rechts sowie für die größeren Bundesstaaten (Bayern, Württemberg, Sachsen, Baden) würden weiteren Aufschluss geben über die Implementation des BGB in das deutsche Rechtsleben.
Kiel
Werner Schubert