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The History of Parliament-The House of Commons 1820-1832, hg. v. Fisher, David R., 7 Bände. Cambridge University Press, Cambridge 2009. 6512 S., 7 Farbabb. Besprochen von Roland Kleinhenz.

The History of Parliament-The House of Commons 1820-1832, hg. v. Fisher, David R., 7 Bände. Cambridge University Press, Cambridge 2009. 6512 S., 7 Farbabb. Besprochen von Roland Kleinhenz.

 

Das monumentale Forschungsprojekt einer Geschichte des englischen/britischen Parlaments seit seiner Gründung im 13. Jahrhundert nahm seinen Anfang mit der Idee des Unterhausabgeordneten Colonel Josiah Wedgwood, diese Geschichte in Form von Biografien aller Ober- und Unterhausmitglieder (Bischöfe, Peers und Abgeordnete) und aller Unterhauswahlkreise zu schreiben. 1928 stieß Wedgwood das Projekt offiziell zusammen mit über 200 Unterhausabgeordneten bei Premierminister Stanley Baldwin an. Dieser setzte 1929 eine aus Unterhausabgeordneten und Historikern bestehende Kommission ein, die im September 1932 ihren ersten und einzigen Bericht zu einem Bearbeitungszeitraum von 1264-1832, von der Gründung des Parlaments bis zur Verabschiedung der ersten großen Wahlkreisreform, erstattete (Interim Report of the Committee on House of Commons Personnel and Politics, 1264-1832, H.M.S.O., Cmd. 4130, London 1932). Das Projekt kam aber vor Beginn des Zweiten Weltkrieges kaum in Gang, weil nicht die notwendige finanzielle Ausstattung bereit gestellt worden war. Wedgwood forschte gleichwohl auf eigene Faust mit einigen Helfern an den Abgeordnetenbiografien für den Zeitraum von 1439-1509 und gab 1936 und 1938 jeweils einen Band heraus (Wedgwood, J. C., History of Parliament. Biographies of the Members of the Commons House, 1439-1509, London, 1936 und Wedgwood, J. C., History of Parliament. Register of the Ministers and of the Members of Both Houses, 1439-1509, London, 1938). Erst 1940 wurde mit der Errichtung des „History of Parliament Trust“ die rechtliche Plattform für das Forschungsvorhaben geschaffen. Es folgten die Wirren des Krieges, während dessen Wedgwood 1943 verstarb. Dann war es der an der Universität von Manchester lehrende und der Kommission von 1929 angehörende Professor Lewis Bernstein Namier, ein gebürtiger Pole, der Wedgwoods Stab aufnahm und nicht nur zum zweiten Gründungsvater des Vorhabens, sondern bis zu seinem Tod im Jahre 1960 zu dessen treibender Kraft werden sollte. Sein unablässiges Drängen bei der Regierung auf eine angemessene finanzielle Ausstattung des gegründeten Trust hatte schließlich einige Jahre nach Kriegsende Erfolg. Der britische Finanzminister bewilligte am 20. 2. .1951 dem Trust einen Regierungszuschuss (Grant-in-Aid) von 17.000 £ jährlich über einen Zeitraum von 20 Jahren, den die Treuhänder (Trustees) damals als Endtermin für das Vorhaben ansahen (Official Report, House of Commons (5th Series), Bd. 484, Sp. 1067-70). Hinsichtlich des zeitlichen Rahmens hatten sich alle Beteiligten aber maßlos verschätzt und nicht einmal heute, nach 60 Jahren, können Trustees und Historiker zuverlässig den Endtermin des Projekts angeben, das in der Tat zu einem Jahrhundertwerk und einzigartigen nationalen Prestigeprojekt der Parlamentsforschung im Vereinigten Königreich geworden ist. 1970 wurde die finanzielle Ausstattung des Trust durch die Regierung ausgeweitet und verlängert, wobei auch außerstaatliche Unterstützung schon damals vorhanden war, etwa durch die Yale University. Ab 1994/1995 änderte sich das Finanzierungssystem des Trust, indem nicht mehr die Regierung die Finanzausstattung des Trust besorgt, sondern beide Häuser des Parlaments siew unter sich aufteilen, mit einem Übergewicht (67:33) des Unterhauses (The Official Report, House of Commons [6th Series], Bd. 559, Sp. 1204 und Internetseite des History of Parliament Trust, URL: http://www.histparl.ac.uk/governance.html#trustees). Eine wichtige Weichenstellung erfolgte 1998, als das Oberhaus beschloss, seine eigene Geschichte in die Darstellung mit einbeziehen zu lassen (Hansard, House of Lords Debates, Bd. 590, Sp. 1291, Ziff. 3). Der Beschluss wird seit April 1999 umgesetzt. Namier war noch gegen eine solche Einbeziehung gewesen (s. Cannadine, D., The History of Parliament: Past, Present and Future?, Parliamentary History, Bd. 26 [Edinburgh, 2007], S. 366ff. [369/70]). Die Geschichte des Oberhauses (House of Lords) für die Zeiträume 1660-1832 und 1603-1660 ist in Bearbeitung (s. den Arbeitsplan für 2010-2011 auf der Internetseite des Trust, Stand Oktober 2010, URL: http://www.histparl.ac.uk/downloads/doc/plan2010.doc, dort S. 5 und 17 [Übersicht über die Veröffentlichung der geplanten Bände zum Oberhaus für den Zeitraum 1660-1832] sowie den Tätigkeitsbericht für den Zeitraum 2009-10, URL: http://www.histparl.ac.uk/downloads/doc/review2009-10.doc, S. 8/9 und 14 [hier die Übersicht über die bereits fertig gestellten Biografien zu Mitgliedern des Oberhauses]). Hier greift auch ein neues methodisches Konzept. So sollen neben den herkömmlichen Biografienbände auch Bände über das House of Lords als Institution erscheinen und als dritte Säule sind Publikationen wichtiger Quellen, wie der Journale der Lords sowie über die Verfahrensweise und die Mitglieder des Oberhauses als verlinktes System einer „electronic history“ geplant (erst kürzlich sind die meisten der erschienenen Bände über die Commons elektronisch für jedermann zugänglich gemacht worden, zusätzlich versehen mit vielen sehr schönen und instruktiven Abbildungen von Abgeordneten und Wahlkreisen, URL: http://www.historyofparliamentonline.org/; die hier zu besprechenden Bände für den Zeitraum 1820-1832 werden Ende 2011 dort zugänglich sein). Die ersten Bände zum Oberhaus für den Zeitraum 1660-1715 sollen 2013 erscheinen. Bereits 2010 wurde die strategische Neuausrichtung im Hinblick auf eine ganzheitliche Parlamentsgeschichte, also unter Einbeziehung des Oberhauses, durch eine erste einführende Publikation einer illustrierten Geschichte des Oberhauses von 1660-1715, angezeigt (Honour, Interest & Power: An Illustrated History of the House of Lords, 1660-1715, hg. v. Paley, Ruth/Seaward, Paul, London, 2010).

 

Erst 1964 erschienen die ersten Bände der History, die das goldene Zeitalter parlamentarischer Redekunst, von 1754 bis 1790, behandelten. Sie wurden posthum für Namier von dessen Schüler und Mitautor John Brooke herausgegeben (Namier, Lewis/Brooke, John, The History of Parliament: the House of Commons 1754-1790, London, H.M.S.O., 1964, 2. Aufl., Secker & Warburg, London, 1985). Kernstück waren die beiden Bände, in denen die Biografien der Unterhausabgeordneten enthalten sind. Die Einleitung (Introductory Survey) und die Darstellung der Wahlkreise (Constituencies) von England, Schottland und Wales sind noch in einem Band vereint. Später, nach den von Romney Sedgwick 1970 herausgegebenen Bänden für den Zeitraum 1715-1754 (Sedgwick, Romney, The History of Parliament: the House of Commons 1715-1754, H. M. S. O., London, 1970) wurden separate Einleitungs- und Wahlkreisbände herausgegeben. Charakteristisch für alle bisher erschienenen Bände ist jedenfalls die Dreiteilung mit dem Schwerpunkt Biografien an der Spitze, dann Wahlkreise und dann ein mehr oder minder umfangreicher Einleitungsband als überblicksartige Darstellung über das Unterhaus der bereffenden Periode.

 

Mit dem hier zu besprechenden, für 490 Pfund käuflichen Satz von Bänden für den Zeitraum 1820-1832 und den zwischenzeitlich, Ende 2010, erschienenen Bänden für den Zeitraum 1604-1629 (Thrush, Andrew/Ferris, John P., The History of Parliament: the House of Commons 1604-1629, Cambridge University Press, Cambridge, 2010) liegen nunmehr insgesamt 41 Bände für zehn Zeiträume zwischen 1386 und 1832 vor. Man mag eine Vorstellung von der gewaltigen Forschungsleistung bekommen, wenn man sich vor Augen hält, dass bislang 21.425 Abgeordnetenbiografien abgefasst wurden, dazu 2.800 Wahlkreisartikel. Da eine Anzahl von Abgeordneten dem Unterhaus während mehrerer Zeiträume angehörte, ist die Zahl der Persönlichkeiten als solche naturgemäß geringer. Cannadine (a. a. O., S. 379) geht von über 14.000 aus. Dazu kommen die Biografien von erstmalig dem Unterhaus angehörenden Abgeordneten der Zeiträume von 1820-1832 und 1604-1629. Für den ersteren Zeitraum waren es 700 Abgeordnete (I, S. 240), die dem Unterhaus erstmals ab 1820 angehörten. Mit den Bänden für den Zeitraum 1604-1629 kommt man somit bis jetzt auf an die 16.000 durch alle Zeiträume ihrer Unterhauszugehörigkeit erfasste Abgeordnete zwischen 1386 und 1832.

 

Besonders seit den Bänden für den Zeitraum 1690-1715 wächst der Umfang der Biografienbände stark. Aber mit den hier zu besprechenden Bänden wurde ein Höchststand erreicht. Für 1820-1832 wurden pro Abgeordnetem durchschnittlich 2,91 Seiten aufgewandt, bei 1.367 Abgeordneten sind dies insgesamt 3.982 Seiten. Im Vergleich zu den Bänden für 1690-1715 ist dies fast eine Verdoppelung der Seitenzahl (dort im Schnitt 1,59 Seiten bei 1.982 Abgeordneten und insgesamt 3.148 Seiten). Die Bände für 1604-1629 liegen deutlich unter dem Schnitt für 1820-1832 (im Schnitt 1,94 Seiten je Abgeordneter bei 1.782 Abgeordneten und insgesamt 3.449 Seiten). Der Grund für diese übermäßige Zunahme liegt nicht nur darin, dass etwa für den Zeitraum 1820-1832 mehr Quellen als für alle anderen behandelten Zeiträume vorliegen, sondern auch und vor allem darin, dass nun eine Tendenz vorherrscht, gegen den allgemeingültigen Grundsatz des multum non multa alles oder möglichst viel, was an Fakten über einen Abgeordneten ausfindig gemacht wurde, in die Biografie hineinzupacken, egal ob für die parlamentarische Laufbahn des Abgeordneten wichtig oder nicht.

 

Und damit bin ich beim Kern der hier zu besprechenden Reihe: den vier Biografienbänden mit zusammen knapp 4.000 Seiten. Die 1.367 Biografien aller Abgeordneten, die den insgesamt vier Unterhäusern des Zeitraumes von 1820-1832 angehörten, wurden von 12 Autoren verfasst, die meisten vom Herausgeber Fisher selbst. Bis zur Publikation der Bände vergingen 23 Jahre. Auch wenn die Schwerpunkte je nach Autor teils unterschiedlich gesetzt sind, folgen die Biografien doch einem systematisch gleichförmigen Aufbau, augenscheinlich um ein relativ homogenes Erscheinungsbild abzugeben, wie es bei derartigen Großprojekten mit unterschiedlichen Autoren unerlässlich ist. Vorangestellt ist jeweils eine kurze tabellarische Übersicht, die damit beginnt, welchen Wahlkreis der Abgeordnete vertreten hat. Hier ist es ratsam, parallel die Wahlkreisgeschichte in dem betreffenden Wahlkreisband gegenzulesen. Es folgen dann die wesentlichen biografischen Daten, von der Geburt über die schulische, universitäre oder andere Art der Ausbildung, familiäre Verhältnisse (Heirat, Kinder) bis zum Tod. Darunter werden dann übersichtlich die öffentlichen Ämter (wie Staatsdienst, Justiz usw.) oder militärische Ränge und Funktionen angegeben. Anschließend folgt der Text der Biografie. Dabei werden oft auch die Aktivitäten des Abgeordneten während seiner Zugehörigkeit zu den Unterhäusern außerhalb des Zeitraumes von 1820 bis 1832 je nach Autor unterschiedlich lang geschildert, durchaus abweichend von Bänden betreffend frühere Zeiträume (vergleiche dazu etwa die „Urbände“ zum Zeitraum 1754-1790). Die parlamentarischen Aktivitäten des betreffenden Abgeordneten werden in Bezug auf die Behandlung der öffentlichen Angelegenheiten im Unterhaus („public business“) weitgehend lückenlos wiedergegeben, ganz im Sinne eines qualitativ hochwertigen lexikalischen Nachschlagewerkes. In Bezug auf das im kontinental-juristischen Sinne so genannte Verwaltungshandeln des Unterhauses („private business“), wo es beispielsweise um den Bau von Straßen, Brücken, Kanälen, oder ganz typisch für die Zeit um die Einführung von Gaslichtbeleuchtung in den Städten ging), ist die Darstellung der parlamentarischen Aktivitäten des betreffenden Abgeordneten vielfach lückenhaft oder fehlt auch ganz. Das „private business“ wurde grundsätzlich in den Sitzungen des Unterhauses zuerst behandelt und nahm regelmäßig einen weitaus höheren Anteil an der Gesamttätigkeit des Unterhauses ein als das „public business“, so auch für den Zeitraum von 1820 bis1832 (verabschiedet wurden 2.488 private acts und 1.318 public acts, s. den Einleitungsband, S. 297). Die parlamentarische Laufbahn der Abgeordneten wird anhand ihrer Aktivitäten im Unterhaus, vornehmlich bei Gegenständen des public business, insbesondere Gesetzesvorlagen (bills), dargestellt. Im wesentlichen wird hier aufgelistet, ob und wie sich der Abgeordnete durch Redebeiträge beteiligt und wie er konkret abgestimmt hat. Dabei werden die parlamentarischen Befassungsgegenstände grundsätzlich nur erwähnt und nicht näher erläutert. Bei der Darstellung des so wichtigen Abstimmungsverhaltens der Abgeordneten wird grundsätzlich nur erklärt, wie der Abgeordnete abgestimmt hat, ob er dafür oder dagegen war, nicht aber aus welchen Gründen er so oder so abgestimmt hat. Allein wie der Abgeordnete abgestimmt hat, ist aber bereits sehr interessant, um die Abgeordneten untereinander zu vergleichen, auch um Abweichungen vom gewöhnlichen Abstimmungsverhalten zu ermitteln. Dies kann sehr gut anhand der fast in jeder Biografie behandelten bedeutenderen Tagesordnungsgegenstände/Gesetzesvorlagen erhellt werden. An derartigen Gegenständen sind etwa zu nennen: die sogenannte Queen Caroline Affaire von 1820/1821, die verschiedenen Gesetzesvorlagen zur bürgerlichen Emanzipation von Katholiken, die Abstimmung über die Zivilliste des Königs vom 15. 11. 1830, die den Sturz der Regierung des Herzogs von Wellington zur Folge hatte, die Abstimmungen über die Gesetzesvorlagen zu der großen Wahlkreisreform (Parliamentary Representation Bills für England und Wales, Schottland und Irland), 1831/1832, einschließlich der Vertrauensabstimmungen vom 10. 10. 1831 und 10. 5. 1832, die Abstimmungen im Zusammenhang mit der russisch-holländischen Anleihe (Russian-Dutch loan) im Januar und Juli 1832. Hilfreich wäre es gewesen, etwa als Anhang im Einleitungsband, eine tabellarische Übersicht über das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten bei wichtigen public bills und Beschlussfassungen (wie Tadelsabstimmungen und Vertrauensabstimmungen, außenpolitischen Grundsatzdebatten etc.) hinzuzufügen, um diese wichtige Materie noch besser greifbar zu machen.

 

Dargestellt wird durchweg auch, zu welcher politischen Partei oder Gruppierung (auch der sogenannten „personal parties“), der Abgeordnete zu rechnen war und wie die patronage secretaries der Regierung, diese „Buchhalter“ über Regierungsanhänger und Regierungsgegner, regelmäßig bei bedeutenderen Gegenständen das Abstimmungsverhalten des betreffenden Abgeordneten vorhersagten und sich dabei doch hin und wieder täuschten.

 

Oft überbordend dargestellt werden Details aus dem Privatleben der Abgeordneten, die mit ihrer parlamentarischen Arbeit nichts zu tun hatten. Dies ist zwar vielfach interessant und unterhaltsam, doch wäre hier grundsätzlich mehr Zurückhaltung angebracht gewesen, wie dies bei früheren Bandreihen noch der Fall war. Und als positiver Nebeneffekt wäre der Seitenumfang geringer und die Lesbarkeit zügiger gewesen. Ein positives Gegenbeispiel für eine Darstellung in diesem engeren Sinne, also beschränkt auf das Verhalten des Abgeordneten im Parlament oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit dort, stellt die Biografie Farrells über den Abgeordneten Henry Bankes dar (IV, S. 146-154). Dieser hinterließ ein ausführliches parlamentarisches Tagebuch. Dort begründet er häufig, warum er so oder so abgestimmt hat. Farrell zitiert ausgiebig aus diesem Tagebuch. Hier haben wir es aufgrund einer erstklassigen unveröffentlichten Primärquelle mit einer strikt parlamentsorientierten Biografie zu tun, was (leider) eher die Ausnahme ist, aber auch eine der Grenzen des ganzen Projekts klar aufzeigt, wenn es darum geht, die Beweggründe von Abgeordneten für ihr politisches Verhalten, insbesondere für ihre politische Willensbildung, darzustellen. Freilich ist das Problem gleichzeitig auch ein allgemeines und stellt sich auch bei Einzeldarstellungen. Im Übrigen gilt zu Recht der Grundsatz, je prominenter der Abgeordnete, umso ausführlicher seine Biografie, was regelmäßig dadurch möglich wird, dass zu solchen Abgeordneten mehr überliefert ist. Klar zu sehen ist aber, dass es sich bei der Masse der Abgeordneten um unbedeutende oder weniger bedeutende handelt, vor allem um die klassischen Hinterbänkler (back benchers), deren Wert sich aber bei der politischen Willensbildung, der Stimmabgabe, zeigte, wie auch heute. Dominiert wurde das Unterhaus, wie schon zu früheren Zeiten, von einer kleinen Elite oder Aristokratie zumeist herausragender Redner.

 

Der Umfang der Biografien wurde grundsätzlich richtig bemessen, nämlich gleichsam symmetrisch zur parlamentarischen Bedeutung des Abgeordneten. So hat nach meiner Zählung die Masse der Biografien nur einen Umfang von bis zu fünf Seiten (1153), 159 haben sechs bis zehn Seiten, 36 haben 11 bis 15 Seiten, sieben haben 16-20 Seiten, fünf haben 21-25 Seiten, zwei haben 26-30 Seiten, drei haben 31-35 Seiten, je eine hat 36-40 und 41-45 Seiten. Am längsten ist die Biografie Fishers über Robert Peel, Innenminister in den Regierungen des Earl of Liverpool und des Herzogs von Wellington und späterer Premierminister unter Königin Victoria (45 Seiten). Von den längeren Biografien sind diejenigen über folgende Abgeordnete besonders interessant (Aufzählung ohne Rang): Henry Grey Bennet (IV, S. 241-251), den radikalen Whigs zugehörig, die in Anlehnung an die Bergpartei der französischen Nationalversammlung „mountains“ genannt wurden (s. Dean Rapp, The Left-Wing Whigs: Whitbread, the Mountain and Reform, 1809-1815, Journal of British Studies, Bd. 21 [Chicago, 1982], S. 35 Fn. 2); James Abercromby (IV, S. 2-18), Schotte, einer der besten Redner; John Wilson Croker (IV, S. 798-813), ein kompromissloser Gegner der Reform des Unterhauses von 1831/32 und fähiger Redner; der Redegigant Henry Peter Brougham (IV, S. 348-369); Sir Francis Burdett (IV, S. 426-450), radikaler „reforming Tory“; natürlich George Canning (IV, S. 544-571), Außenminister und 1827 zeitlich bislang kürzester Premierminister der britischen Parlamentsgeschichte (110 Tage), ein überragender Redner, der mit den Redegiganten der vorangegangenen Epoche, wie dem jüngeren Pitt und Charles James Fox, auf eine Stufe gestellt wurde (Fisher erwähnt in seiner Darstellung über Canning auch den kontrovers diskutierten Vergleich zwischen Cannings Außenpolitik und derjenigen von Premierminister Neville Chamberlain in den 1930er Jahren, IV, S. 568, re. Sp.); Henry Goulborn (V, S. 327-342) und William Huskisson (V, S. 801-822), zeitweilig Führer des Unterhauses, beides gute Redner; John Cam Hobhouse (V, S. 631-663) und der radikale, hyperaktive Whig Joseph Hume (V, S. 752-784); der führende irische Jurist William Conyngham Plunket, einer der größten Redner (VI, S. 799-810); Sir James Mackintosh (VI, S. 258-281); Lord John Russell (VI, S. 1056-1076), der „Vater der Parlamentsreform“, der am 1. 3. 1831 die historische Gesetzesvorlage zur Reform des Unterhauses dort einbrachte; der führende irische Politiker Daniel O´Connell (VI, S. 522-553), Verfechter der Gleichberechtigung der Katholiken (catholic emancipation) und Gegner der Union Irlands mit Großbritannien (Antiunionist), der in Irland zum nationalen Mythos wurde; Sir Robert Peel (VI, S. 672-716), vielfach als die Nummer eins unter den Rednern des Unterhauses gehandelt; die Rednerlegende Lord Stanley (VII, S. 158-170), angeblich die Nummer zwei nach Robert Peel; der Ire Richard Sheil (VII, S. 78-88), einer der brillantesten Redner; Henry John Temple, 3rd Viscount Palmerston (VII, S. 379-397); George Tierney (VII, S. 439-456); Charles Wetherell (VII, S. 707-723); Charles Watkin Williams Wynn (VII, S. 797-823), ein Experte des parlamentarischen Verfahrens (ein anderer Verfahrensspezialist war der Abgeordnete Littleton, VI, S. 128-139 [129]), dessen Großvater Anführer der Toryopposition in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts gegen Premierminister Sir Robert Walpole war; schließlich John Charles Spencer, Viscount Althorp (VII, S. 199-235), Führer des Unterhauses; nicht zu vergessen auch der Hinterbänkler William Wilberforce (VII, S. 756-766), bekanntester Kämpfer im Unterhaus für die Abschaffung der Sklaverei. Zwei weitere Biografien haben mich besonders beeindruckt: Zum einen ist dies diejenige von Farrell über Thomas Babington Macaulay (VI, S. 224-237), den großen Historiker und Redner (besonders in den Debatten über die Reform des Unterhauses, s. VI, S. 236). Macaulay bereitete wegen seines schnellen Sprechens zuweilen den Parlamentsreportern der Presse Schwierigkeiten (VI, S. 228 li.Sp.). Besonders beeindruckend sind aber die Wiedergabe eines Berichtes von Macaulay über die zweite Lesung der Reformbill im Unterhaus am 22. 3. 1831 (VI, S. 229) und seine Ausführungen über das Geheimnis des Erfolgs beim Reden (VI, S. 235). Zum zweiten ragt die Biografie Fishers über John William Ward heraus (VII, S. 637-642), zeigt sie doch in seltener Klarheit die Brillanz wie das Scheitern des menschlichen Geistes anhand dieses Unterhausabgeordneten beispielhaft auf.

 

Einer besonders positiven Erwähnung bedürfen auch die Biografien Margaret Escotts über Fachleute im Unterhaus, Sir George Cockburn einerseits (IV, S. 683-691) für Marineangelegenheiten und Thomas William Coke andererseits (IV, S. 700-705) für Landwirtschaft. Escott stellt hier ausführlich die spezifische parlamentarische Tätigkeit dieser Abgeordneten im Rahmen ihrer Fachgebiete vor.

 

Die Biografiebände sind aber nicht zuletzt aus einem allgemeinen, ja philosophischen Gesichtspunkt heraus besonders lehrreich: Sie zeigen anhand des Wirkens dieser Abgeordneten für das Wohl des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Irland zugleich die menschlichen Stärken und Schwächen in ihrem Werden, Bestehen und Vergehen. Sie können damit auf den Leser begeisternd oder anspornend wie resignierend zugleich wirken.

 

Auch die Darstellung der 383 Unterhauswahlkreise in England, Wales, Schottland und Irland ist bislang die umfangreichste, die es je gab, mit zwei Bänden und zusammen 1.856 Seiten. Das entspricht 4,85 Seiten je Wahlkreis. Für den Zeitraum 1790-1820, in dem die irischen Wahlkreise bereits einbezogen waren (Union mit Großbritannien im Jahre 1800), passte die Darstellung der Wahlkreise noch in einen einzigen Band mit 704 Seiten, entsprechend 1,84 Seiten je Wahlkreis. Der größte Teil der Darstellung über die Wahlkreise (1.258 Seiten) entfällt auf die 245 englischen Wahlkreise, 202 Boroughs, 41 Counties und zwei Universitäten (Oxford und Cambridge), die zusammen 485 von insgesamt 658 Unterhausabgeordneten stellten (gesamter Band II und Band III, S. 1-328). Die 24 walisischen Wahlkreise (12 Boroughs und 12 Counties), die 24 Abgeordnete stellten, werden auf 128 Seiten (III, S. 329-456) dargestellt, die 48 schottischen Wahlkreise mit zusammen 45 Abgeordneten (66 Burghs, aufgeteilt in 15 Wahlkreise und 27 Counties mit je einem Abgeordneten und 6 Counties, die im Rotationsprinzip sich abwechselten und insgesamt 3 Abgeordnete entsandten) auf 197 Seiten (III, S. 457-653). Den Abschluss der Darstellung bildet Irland, das jüngste Mitglied des Vereinigten Königreiches, mit 272 Seiten (III, S. 655-926). Irland entsandte aus seinen 33 Boroughs, 32 Counties und einer Universität (Trinity College Dublin), also aus 66 Wahlkreisen, insgesamt 100 Abgeordnete.

 

Der Aufbau der Wahlkreisartikel folgt wie derjenige der biografischen einem gleichförmigen Muster. Dem Artikel vorangestellt ist jeweils ein Überblick, dem die wichtigsten Daten über den Wahlkreis sofort zu entnehmen sind. Dies erleichtert die Erfassung des anschließenden Textes sehr und dient dem schnellen Informationsgewinn. So werden die Unterhauskandidaten, die bei den regulären Wahlen und bei Nachwahlen den Unterhaussitz errungen haben, genannt, teilweise unter Angabe der Zahl der Stimmen, mit denen sie gewählt wurden. Die Anzahl der Wahlberechtigten wird genannt, wenn auch nur auf ein bestimmtes Jahr oder mehrere bestimmte Jahre bezogen, manchmal auch nicht exakt, sondern mit einer ungefähren Angabe und schließlich wird das durchaus unterschiedliche Wahlrecht geschildert, aufgrund dessen sich die Wahlberechtigten bestimmten. Dazu wird die Gesamtbevölkerung des Wahlkreises regelmäßig zu Anfang und Ende der Periode angegeben, so dass das Verhältnis von Wahlberechtigten zur Gesamtbevölkerung sogleich deutlich wird und etwa mit späteren großen Wahlrechtsreformen (wie diejenigen von 1867 und 1884) verglichen werden kann.

 

Der Textteil der Wahlkreisartikel beginnt mit der Beschreibung der Lage und geografischen Ausdehnung des Wahlkreises. Ferner werden die soziale Zusammensetzung der Bevölkerung, Wirtschafts- und Arbeitsstruktur, beschrieben, natürlich auch die politische Bedeutung des Wahlkreises, respektive für die Regierung. Die Darstellung des Ablaufs von Wahlen, der Kandidaten und ihrer Wahlprogramme, der Wahlergebnisse, der politischen Entwicklung zwischen den Wahlen und nicht zuletzt der herrschenden Einflussnehmer auf Lokalpolitik und Kandidaten nimmt zu Recht einen breiten Raum ein und ist das spannendste an den Darstellungen. Ebenso wird untersucht, wie und mit welchen Petitionen aus dem Wahlkreis heraus an die Häuser des Parlaments die Beeinflussung der allgemeinen politischen (public business) oder lokalen Entwicklung (private business) erfolgte. Abschließend wird, da die Wahlkreisreform von 1832 den Kulminationspunkt der Periode darstellt, deren Auswirkung im betreffenden Wahlkreis geschildert.

 

Aus der Gesamtheit der Wahlkreisdarstellungen und der Ergebniszusammenfassung im Einleitungsband zur Wahlkreisreform von 1832 wird deutlich, dass kaum mehr als die Spitzen eines in sich unausgewogenen, weil historisch gewachsenen und im wesentlichen bis dato unveränderten Repräsentativsystems beseitigt werden konnten. Insbesondere geschah dies dadurch, dass vor allem sogenannte rotten oder pocket Boroughs, die wegen der geringen Zahl an Wahlberechtigten besonders korruptionsanfällig, ja käuflich, waren, ganz aufgelöst (disfranchisement) und dem County, in dem sie sich geografisch befanden, eingegliedert wurden. So entsandten, um besonders krasse Beispiele für eine repräsentative Ungerechtigkeit zu nennen, Borough-Wahlkreise wie Gatton mit 7 Wahlberechtigten (gelegen im County Surrey, III, S. 75/76), Old Sarum (im County Wiltshire, III, S. 206-209), Erstwahlkreis des berühmten älteren Pitt (s. Sedgwick, a. a. O., I, S. 350), mit weniger als 11 Wahlberechtigten, Marlborough (County Wiltshire, III, S. 201-205) mit 12 Wahlberechtigten, Buckingham (County Buckinghamshire, II, S. 64-66) mit 13 Wahlberechtigten, St. Germans (County Cornwall, II, S. 183-184) mit 23 Wahlberechtigten in 1831, Bossiney (County Cornwall, II, S. 139-142) mit 25 Wahlberechtigten in 1831, jeweils zwei Abgeordnete ins Unterhaus, ebenso viele wie der prestigeträchtigste und größte Borough-Wahlkreis Westminster mit über 10.000 Wahlberechtigten (s. II, S. 679-696). Der Borough-Wahlkreis Weymouth and Melcombe Regis im County Dorset in Südwestengland entsandte als einer von zwei Borough-Wahlkreisen im Vereinigten Königreich seit der Zusammenlegung der zwei vorher getrennten Wahlkreise in 1571 vier Abgeordnete ins Unterhaus, bei geschätzten 600-800 Wahlberechtigten und einer Gesamtbevölkerung von 7.655 in 1831 (II, S. 345), ebenso wie London mit 8.369 Wahlberechtigten im Jahre 1826 und einer Gesamtbevölkerung von 122.395 im Jahr 1831 (II, S. 674). Nach der Reform von 1832 entsandte Weymouth und Melcombe Regis dann nur noch zwei Abgeordnete (II, S. 352), London blieb weiterhin bei vier. Westminster stellte auch nach der Reform von 1832 nur zwei Abgeordnete. Die Wahlkreisreform dezimierte vor allem die englischen rotten/pocket Boroughs. Nach der Reform entsandte England noch 471 Abgeordnete, davon 323 aus Borough-Wahlkreisen (80 weniger als vor der Reform), Wales kam auf insgesamt 29 Abgeordnete, Schottland auf 53 und Irland auf 105 (Zahlen bei Thomas Erskine May, A Treatise upon the Law, Privileges, Proceedings and Usage of Parliament, Charles Knight & Co., London, 1844, S. 23). Farrell weist zu Recht auf die ungerechte Sitzverteilung zulasten Irlands hin, das mit 32 % der Gesamtbevölkerung des Vereinigten Königreiches nur 16 % der Unterhausabgeordneten stellte (I, S. 215).

 

Jon Parry hat in seiner lesenswerten Internetrezension der hier besprochenen Bände zu Recht auf die Qualität der Wahlkreisdarstellungen und deren zum Teil unzureichende Verwertung im Einleitungsband hingewiesen, was die Stärke bestimmter Parteien oder Gruppierungen im Wahlkreis und die thematischen Auseinandersetzungen bei bestimmten Wahlen anbelangt (Jon Parry, review of The History of Parliament: The House of Commons 1820-1832, (review no. 945), URL: http://www.history.ac.uk/reviews/review/945, veröffentlicht im August 2010; hinzuweisen ist noch auf eine Kurzrezension vom 22. 1. 2010 aus der Sicht des Politikers, des Unterhausabgeordneten Keith Simpson, URL: http://www.totalpolitics.com/life/3758/book-review-the-age-of-reform.thtml). Insgesamt aber werden die Wahlkreisdarstellungen, wie schon die Biografienbände, jedenfalls was die Zusammenführung aller verfügbaren Fakten angeht, kaum übertroffen werden können, es sei denn innerhalb von Einzelstudien zum Wahlkreis. Von daher sind sie schlicht Pflichtlektüre, wo immer es um die Einbeziehung eines betreffenden Wahlkreises oder Abgeordneten in die wissenschaftliche Arbeit geht.

 

Leider gibt es dabei einen lästigen herstellungstechnischen Fehler, indem im Band III (Teil 2 der Wahlkreisdarstellungen) die Seiten 367-390 seitenverkehrt eingebunden wurden.

 

Der Einleitungsband (Introductory Survey) als dritte Säule der Reihe folgt dem herkömmlichen Aufbau entsprechender Bände für vorhergehende Zeiträume. Spiegelbildlich zu den Einzelbänden über die Wahlkreise und Abgeordneten des Unterhauses sind Übersichtskapitel über Wahlkreise (I, S. 1-216) und Abgeordnete (I, S. 240-282) zu finden. Die Wahlkreiskapitel sind unterteilt in die vier Länder des Vereinigten Königreichs. Fisher behandelt England und Schottland, Escott Wales und Farrell Irland. Dargestellt werden im Wesentlichen das Wahlsystem in den Counties und Boroughs (Schottland: Burghs), die Zusammensetzung der Wählerschaft, Unterhauskandidaten, Wahlanfechtungen sowie die Wahlrechtsreformgesetzgebung von 1831/1832. Die Parlamentsabgeordneten werden systematisch untersucht nach sozialer Herkunft, Vermögen, Ausbildung, Religion, Posteninhaber der Regierung (placemen), Landedelleute (country gentlemen), Anwälte, Heeres- und Seeoffiziere, Geschäftsleute, den für die See- und Handelsmacht Großbritannien wichtigen Kolonialisten (West und East Indians), sowie allgemein noch nach Walisern, Schotten und Iren. Zum Abschluss folgen die skandalumwitterten und unglücklichen Abgeordneten, einschließlich derer, die in geistige Umnachtung fielen oder im Selbstmord endeten (Prominentester: Viscount Castlereagh, Außenminister und Führer des Unterhauses in der Regierung des Earl of Liverpool, der sich am 12. 8. 1822 das Leben nahm, s. VII, S. 298). Auf die vier Parlamentswahlen des Zeitraums (1820, 1826, 1830 und 1831) geht Fisher kurz ein (I, S. 217-239).

 

Es folgt das Kapitel über den Verfahrensgang des Unterhauses und seine Befassungsgegenstände, das Escott besorgt hat. Die Darstellung ist instruktiv und übersichtlich. Besonders hervorzuheben sind die auf eigenen Untersuchungen Escotts beruhenden Darstellungen zur Anwesenheit von Abgeordneten und zu dem Thema Reden und Redner im Unterhaus. Jon Parry hat in seiner Rezension (vgl. weiter oben) richtig bemerkt, dass eine sprachliche Analyse („linguistic analysis“) zu Parlamentsreden fehlt. Doch würde eine solche Analyse den Rahmen einer knappen Darstellung innerhalb eines Einleitungsbandes bei weitem sprengen, wenn sie auch nur halbwegs erschöpfend betrieben werden würde. Die Forschung zur parlamentarischen Oratorik wie zur rhetorischen Strategie in Parlamentsdebatten, nicht nur britischen, steckt allgemein noch in den Kinderschuhen (hier versuchen etwa Johannes Helmrath und Jörg Feuchter am Sonderforschungsbereich 640 der Humboldt-Universität zu Berlin neue Wege zu beschreiten). Escott geht zu Recht auf Details des rechtlichen Verfahrensgangs im Unterhaus weitgehend nicht ein, da dieser Gegenstand in den einschlägigen Lehrbüchern nachgelesen werden kann (etwa von John Hatsell, Precedents of Proceedings in the House of Commons, 4. Aufl., 4 Bde., Luke Hansard and sons, London, 1818 und Thomas Erskine May (s. oben) und der von Escott erwähnten neueren Monografie von Clare Wilkinson, The Practice and Procedure of the House of Commons c. 1784-1832, Aberystwyth University Ph. D. thesis, 1998). Allerdings sind Escott, wenn sie auf Verfahrensfragen eingeht, einige kleinere Fehler unterlaufen. Es ist richtig, wenn sie bemerkt, dass das taktische Verfahrensmittel der „previous question“ (der Antrag, dass sofort über den Hauptantrag abgestimmt werden soll) nicht in Ausschüssen des Unterhauses angewandt werden durfte (I, S. 311), was auch heute noch gilt. Dafür gab und gibt es aber, was Escott nicht erwähnt, im Ausschussstadium ein verfahrensmäßiges Äquivalent, nämlich den Antrag, dass der Vorsitzende des Ausschusses seinen Vorsitz niederlegen solle („that the Chairman do leave the Chair“, vgl. Hatsell, II, S. 116/117, May, S. 225). In dieser Allgemeinheit nicht zutreffend ist Escotts Aussage, dass bei Abstimmungen im Unterhaus die mit „ja“ (aye) stimmenden Abgeordneten den Vorteil hatten, im Sitzungssaal verbleiben zu dürfen (I, S. 313). Bei einem Abänderungsantrag in Form einer Auslassung bestimmter Worte des Hauptantrages (Auslassungsamendment) etwa war und ist dies nicht der Fall. Hier haben die Jastimmen (= für die Auslassung Stimmenden) den Sitzungssaal zu verlassen (vgl. Hatsell, II, S. 192/193 und dort zu weiteren Fällen). Ein entsprechendes Beispiel aus dem Zeitraum ist die von Escott in anderem Zusammenhang zitierte Abstimmung vom 14. 5. 1830 (vgl. Commons Journals [CJ], Bd. 85, S. 426). Hinzuweisen ist darauf, dass der von Escott (I, S. 311) und von den Autoren in den Biografien zahlreich verwendete Begriff „wrecking amendment“ für einen den Hauptantrag entstellenden Abänderungsantrag (besonders im Zusammenhang mit dem Abänderungsantrag des Abgeordneten Gascoyne vom 19. 4. 1831, durch den die erste Reformbill mit knapper Mehrheit zu Fall gebracht wurde), kein terminus technicus des parlamentarischen Verfahrensrechts war (s. hierzu Hatsell, II, S. 117) und ist (auch heute findet sich kein Begriff für einen derartigen „destruktiven“ Abänderungsantrag im Verfahrensrecht, s. die Standing Orders des Unterhauses für public business mit Stand 2011, Nr. 31-33, URL: http//www.publications.parliament.uk/pa/cm201011/cmstords/700/700.pdf). Bei der Zitierung des Textes der Anträge in der Debatte des Unterhauses vom 14. 5. 1830 ist Escott insofern ein Fehler unterlaufen, als es statt „placed“ jeweils richtig heißen muss „pleased“ (vgl. die Antragstexte im offiziellen Sitzungsprotokoll, CJ, Bd. 85, S. 425/26). Wenn Escott eine verfahrensrechtliche Neuerung vom Februar 1821 erwähnt, wonach im Sinne einer Beschleunigungsmaxime der Militärhaushalt (bestehend aus den Teilhaushalten: Navy, Army and Ordnance Estimates) nunmehr innerhalb von 10 Tagen, ab der Geschäftsaufnahme des Committee of Supply (das Unterhaus als Finanzausschuss) dort einzubringen sei, hätte sie die Originalquelle zitieren sollen. Dort, vgl. CJ, Bd. 76, S. 87, vom 19. 2. 1821, ist zu lesen, dass diese Regel nur gilt, wenn das Parlament erst nach Weihnachten einberufen wurde; wurde es davor einberufen, waren die Teilhaushalte spätestens bis 15. Januar des Folgejahres einzubringen (s. den Text, wo es heißt: …and that such Estimates should be presented within ten days after the opening of the Committee of Supply, when Parliament shall not be assembled till after Christmas.). Weiter erwähnenswert wäre die erneute Verabschiedung eines Unterhausbeschlusses am 22. 2. 1821 in der wichtigen Form der Standing Order gewesen (CJ, Bd. 76, S. 101), wonach Gesetzesvorlagen, die mit Ausgaben verbunden sind (sogenannte Money Bills), verfahrensmäßig in dem als Ausschuss des gesamten Hauses (Committee of the whole House) konstituierten Unterhaus zu beginnen haben. Die diesbezüglich erste Standing Order hierzu stammt vom 29. 3. 1707, CJ, Bd. 15, S. 367. Tagte das Haus nicht als Ausschuss, konnte der Abgeordnete grundsätzlich nur einmal sprechen. Anders im Ausschuss, wo er beliebig oft sprechen konnte, wenn er denn zu Wort kam, so dass hier der breiteste Raum für intensive Diskussionen war.

 

Escott schweigt sich, wie auch die Autoren der Biografien in ihren Darstellungen, leider darüber aus, dass der vielfach erwähnte Antrag Lord Ebrington vom 10. 10. 1831 (s. hierzu CJ, Bd. 86, S. 901) die erste ausdrückliche Vertrauensfrage der englischen/britischen Parlamentsgeschichte war. Dies wäre eine Erwähnung wert gewesen. Hier sollte, im Zusammenhang mit der wichtigsten Gesetzesvorlage des Zeitraums, zur Reform des Unterhauses, eine Regierung durch ein ausdrückliches Vertrauensvotum des Unterhauses im Amt gehalten werden. Eine solche Verfahrensweise war zumindest unüblich, denn sie widersprach dem Leitbild des Parlaments, die Regierung zu kontrollieren, sie notfalls durch Misstrauensvotum oder Absetzungsantrag zu stürzen. So hatte der erste ausdrückliche Misstrauensantrag der britischen Parlamentsgeschichte gegen die Regierung des Lord North bereits fast 50 Jahre vorher stattgefunden, am 15. 3. 1782 (s. CJ, Bd. 38, S. 896). Absetzungsanträge gab es schon viel früher.

 

Nicht eingegangen wird von Escott auf die Problematik, dass sich Abgeordnete mitunter über die Presse beschwerten, ihre Reden würden ungenau oder falsch wiedergegeben (vgl. etwa IV, S. 883; VI, S. 935). Bekanntlich wurden offizielle Wortprotokolle im Unterhaus sehr spät, erst ab 1909, eingeführt.

 

Es folgt ein von Fisher besorgtes Kapitel über Politik und Parteien (politics and parties) in den vier Legislaturperioden des Zeitraumes (I, S. 319-373). Hier wird im wesentlichen in einer quantitativen Analyse das Stimmverhalten von Abgeordneten bei ausgewählten Abstimmungen während der vier Legislaturperioden untersucht, so dass sehr genaue Zahlenangaben zu Regierungsanhängern und Regierungsgegnern nunmehr vorliegen, wobei die Regierung nominell immer die Mehrheit besaß. Fisher kommt für das erste Unterhaus (von 1820-1826) zu dem Ergebnis, dass „wahrscheinlich nur“ knapp über die Hälfte der Abgeordneten (56 %) entweder der Regierung oder der Opposition fest zuzuordnen war (I, S. 373, siehe auch S. 322). Dies interpretiert Jon Parry in seiner Rezension (s. oben) im Ergebnis richtig dahingehend, dass die Parteiverbundenheit (party affiliation) in den frühen 1820er Jahren noch allgemein stark gewesen sei. Allerdings zeigen Fishers statistische Analysen gerade, dass bei wichtigen Abstimmungen, Abstimmungen „along party lines“ oder Vertrauensabstimmungen eine noch stärkere Lagerbildung vorherrschte und jede Regierung grundsätzlich mit höheren Mehrheiten rechnen konnte.

 

Während bezüglich der Gebiete Schottland, Irland und Wales das Thema Wahlrechtsreform in die Länderdarstellung integriert ist, ist es beim größten Gebiet, England, das am stärksten von der Reform betroffen war, zu Recht als eigenes Kapitel behandelt worden, für das Salmon verantwortlich zeichnet. Er hebt hervor, nichts neues, dass die Grenzen einer Anzahl von Counties und damit einhergehend deren Wählerschaft erweitert worden seien und zwar zulasten der Boroughs und weiter, dass die Wählerschaft bereits zwischen 1820 und 1831 von 314.970 auf 434.530 oder um 38 % gestiegen sei und dann durch die Wahlkreisreform von 1831 auf 1832 nochmals um 41 % auf 614.654 (I, S. 411). Das entspricht etwa einem Siebtel der männlichen Erwachsenen bei einer Gesamtbevölkerung Englands in 1832 von etwa 14 Millionen.

 

Der Einleitungsband schließt nach herkömmlichem Muster ab mit einem ausführlichen von Fisher besorgten Anhang (S. 413-491). Hier finden sich Übersichten und Tabellen über Parlamente des Zeitraums, Sprecher des Unterhauses, Premierminister und Führer des Unterhauses (sprich der Unterhausmehrheit), Beamte, Wahlkreise, Parlamentslisten insbesondere Abstimmungslisten und ein Index über die Boroughs (dort wird der weiter oben erwähnte Borough-Wahlkreis Gatton fälschlicherweise beim County Cornwall gelistet, Appendix VIII, S. 463) sowie eine nützliche von Escott erstellte Bibliografie von Manuskriptquellen.

 

Als Ergebnis bleibt festzuhalten, dass mit der vorliegenden Reihe ein weiterer wichtiger Baustein hin zu einer im wesentlichen Biografien- und Wahlkreisgeschichte des englischen/britischen Parlaments in lexikalischer Form gelegt wurde. Dabei beeindruckt am meisten die schier unendliche Zahl an Fakten über Abgeordnete und Wahlkreise, welche die Autoren in einer beachtlichen Gemeinschaftsleistung zusammengetragen haben. Insoweit stellen die Bände dieser Reihe die vorläufige Krönung einer bestimmten Art der historischen Darstellung zur Parlamentsgeschichte dar. Allenfalls Einzelstudien werden noch tiefgreifendere Erkenntnisse bringen können. Allerdings ist erstens die zeitliche Dimension nicht zu vernachlässigen, die das Gesamtbild doch etwas trübt. Wenn die fehlenden Bände für das Unterhaus zu dem Zeitraum von 1422 bis 1504 erschienen sein werden, werden mehr als 70 Jahre Arbeit hinter dem Projekt liegen. Auch mit einem neuen Konzept für die Geschichte des Oberhauses und auch des Unterhauses, hier in der vorläufigen Planungsphase von 1832 bis 1945, dürfte es noch Jahrzehnte dauern, bis eine komplette Geschichte des dann bald 800jährigen Parlaments vorliegt, zumal für die Zeit vor 1386 derzeit nichts über ein genaues Planungskonzept bekannt ist. Und wenn zweitens von den Treuhändern und Historikern eine entscheidende Schwachstelle des Gesamtkonzepts, nämlich die weitgehend fehlende institutionelle Geschichte des Parlaments erkannt wurde und die Korrektur dieser Entwicklung nun beim Oberhaus mit der Herausgabe eines institutionellen Bandes 2013 ansetzen soll, bleibt abzuwarten, inwieweit es möglich sein wird, in vernünftiger Zeit eine Institutionengeschichte für das Oberhaus und Unterhaus ab 1832 mit der entsprechenden Qualität der bisherigen Biografien- und Wahlkreisbände zu schreiben. Und dann wird drittens für den Zeitraum von 1264 bis 1832 die Darstellung einer Institutionengeschichte des Parlaments noch nachzuholen sein. Und viertens werden vermutlich immer noch wesentliche Elemente fehlen, die zu einer allumfassenden Parlamentsgeschichte gehören. Dies betrifft ivor allem die Geschichte der im Parlament behandelten Gegenstände, der „measures“, insbesondere der öffentlichen Gesetzgebung (public bill legislation) und des Verwaltungshandelns (private bill legislation). Zu einer Geschichte des Parlaments gehören ja nicht nur die Akteure (men), sondern vor allem die Maßnahmen, Gesetze etc. (measures), die diskutiert oder beschlossen wurden. Diese Verknüpfung von „men and measures“ wurde vielfach in Parlamentsdebatten des 18. Jahrhunderts beschworen. Es ist ein Hauptmanko der derzeitigen Konzeption, dass die Biografien oft nicht verständlich sind, weil man nicht weiß, worum es bei den geschilderten parlamentarischen Gegenständen/Gesetzgebungsvorhaben ging und welche Vorstellungen/Begründungen/Motive/Strategien Regierung und Opposition jeweils in Ansehung des Gegenstandes hatten. Außerdem wäre zu untersuchen, inwieweit das Verhalten der Abgeordneten oder Peers bei den Sitzungen des jeweiligen Hauses oder seiner Ausschüsse, insbesondere das alles entscheidende Abstimmungsverhalten, durch die Parteizugehörigkeit oder die Zugehörigkeit zu Gruppierungen etwa so genannter personal parties oder factions beeinflusst oder bestimmt wurde. Dazu gehört auch die Darstellung, wie Parteien oder Gruppierungen in den Häusern des Parlaments organisiert waren und technisch dafür sorgten, wo möglich und nötig, eine Abstimmungsdisziplin herzustellen.

 

So wird der größte praktische Nutzen der bisher erschienenen Bände der History of Parliament, einschließlich der hier besprochenen, darin liegen, für Spezialforschungen das nötige Grundwissen, oft aber viel mehr, zur Verfügung zu stellen. Und allgemein wird jeder interessierte Leser gerne zu den Bänden greifen, um sich über einzelne Abgeordnete oder Wahlkreise auf hohem wissenschaftlichem Niveau zu informieren.

 

Mit dem wissenschaftlichen Wert einher geht schließlich die nicht zu unterschätzende Symbolkraft, dem ältesten Parlament der Welt, dieser „Mutter der Parlamente“ und dem „government by discussion“ westlicher Prägung schon jetzt ein großartiges Denkmal aus mehreren Zehnmillionen Worten gesetzt zu haben. In diesem Sinne ist dem unvollendeten Jahrhundertprojekt eine weitere Steigerung zu wünschen.

 

Erfurt                                                              Roland Kleinhenz