Rechtswissenschaft als juristische Doktrin. Ein rechtshistorisches Seminar in Stockholm 29. bis 30. Mai 2009, vorgelegt v. Peterson, Claes (= Rättshistoriska Studier 25). Rönnells Antikvariat, Stockholm 2011. 346 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Rechtswissenschaft als juristische Doktrin. Ein rechtshistorisches Seminar in Stockholm 29. bis 30. Mai 2009, vorgelegt v. Peterson, Claes (= Rättshistoriska Studier 25). Rönnells Antikvariat, Stockholm 2011. 346 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Im Mai 2009 veranstaltete das Institut für rechtsgeschichtliche Forschung in Stockholm ein rechtswissenschaftliches Seminar mit dem Thema Rechtswissenschaft als juristische Doktrin. Die Wahl dieses Themas wurde nach dem kurzen Vorwort Claes Petersons in hohem Grad von Jan Schröder angeregt, der in Recht als Wissenschaft (2001) eine wichtige Grundlage für eine moderne Betrachtung des akademischen Studiums des Rechts geschaffen hat. Am Seminar nahmen führende Gelehrte aus Deutschland, England, Finnland, Norwegen und Schweden Teil, so dass ein reicher Ideenaustausch durch Referate und Diskussionsbeiträge eröffnet werden konnte.
Claes Peterson konnte dieses Ergebnis erfreulicherweise nach kurzer Zeit in einem gediegenen Band mit graphisch bunt verfremdeten Umschlag der Allgemeinheit zur Verfügung stellten. Rönnells Antikvariat AB sandte ebenso freundlich von sich aus ein Rezensionsexemplar, das der Allgemeinheit zur gefälligen Inanspruchnahme dargeboten werden konnte. Leider hat beides nicht zur Gewinnung eines sachkundigen Rezensenten geführt, der sich der hochkarätigen Thematik gegenüber zu einer umfassenden Stellungnahme bereit gefunden hätte, so dass der Herausgeber mit wenigen Zeilen auf den wichtigen Band hinweisen muss.
Eröffnet wird das alphabetisch geordnete Werk mit einem Beitrag Martin Avenarius’ über das Studium russischer Stipendiaten bei Savigny, Bedingungen und Wahrnehmung rechtswissenschaftlichen Transfers und Savignys Anschauung des Vorgangs und ihre Gründung auf religiöse Überzeugungen. Danach stellt Hans-Peter Haferkamp Pandektisten am Katheder vor, untersucht Typen von Pandektenlehrbüchern, verbindet Lehrbuch und mündlichen Vortrag, Pandektenvorlesung und Pandektensystem, Pandektenvorlesung und Institutionenvorlesung sowie Pandektenvorlesung und „heutiges“ römisches Recht und gelangt mit Jhering zu dem Ergebnis, dass der Theoretiker sich aus dem Lehrer entwickelt hat, nicht aus dem Wissenschaftler. Im Anschluss hieran bespricht Jaakko Husa die aus seiner Sicht falsche Dichotomie von Theorie und Praxis vor allem an Hand der Legal Families bzw. legal Families und stellt Michael Lobban das Verhältnis von Theorie und Praxis in der Entwicklung des Common Law im 19. Jahrhundert vor.
Max Lyles widmet sich der Frage Tradition, Conviction or Necessity unter besonderer Berücksichtigung Ernst Viktor Nordlings und Axel Hägerströms. Dag Michalsen behandelt die Modernität des römischen Prätors in der europäischen Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts. Richard Nordquist verfolgt die Entstehung der Rechtsgeschichte als Rechtsquelle, Claes Peterson die Diskussion zwischen Julius Herrmann von Kirchmann und Friedrich Julius Stahl über die Wertlosigkeit der Rechtswissenschaft in Theorie und Praxis.
Joachim Rückert behandelt Theorie und Praxis am Beispiel der historischen Rechtsschule. Über Sprachspiele und Realitäten, die Theorie der Theorie und Praxis, Wissenschaft als Kern der Theorie und Praxis, die Praxis in der Theorie und Praxis sowie die persönliche Praxis Savignys ermittelt er beeindruckende Ergebnisse. Sie erlauben ihm einen Ausblick bis heute mit abschließender Bilanz. Am Ende bietet er eine chronologische Quellensammlung zu Theorie - Praxis - Savigny von 1788 bis 1854 und ein Eingehen auf Personalunionen „Historische Schule“ - Praxis.
Marie Sandström fragt danach, ob die Legal Doctrine Master oder Servant ist, und endet nach Lügen, Statistiken, Schatztruhen, Katzen und Tauben bei der weiteren Frage zurück zur Zukunft?. Danach befasst sich Jan Schröder mit dem Verhältnis von Rechtswissenschaft, Juristenausbildung und Rechtspraxis in Deutschland seit dem 18. Jahrhundert, wobei er von der Entwicklung zur „Rechtswissenschaft“ und dem gegenwärtigen Status in Deutschland ausgeht und danach die Bedeutung der Rechtstheorie in der Juristenausbildung und in der Anwendung des Rechtes untersucht.
Alan Watson stellt Gesetzgebung und Auslegung einander gegenüber. Betrachtungsgegenstand ist Schottland im 17. Jahrhundert. Seinen Befund fasst er hintergründig in der Bezeichnung Rain Water zusammen.
Ziel des einen Teil eines größeren Vorhabens der juristischen Fakultät in Stockholm bildenden Seminars über die Geschichte der rechtswissenschaftlichen und juristischen Methodenlehre war die Diskussion der Rechtswissenschaft im Lichte der Theorie-Praxis-Frage. Im Mittelpunkt stand dabei die Überlegung, inwieweit die Rechtswissenschaft als Wissenschaft betrachtet werden kann und worin diese Wissenschaft besteht. Insgesamt wurden für die Beantwortung rechtshistorische, rechtsvergleichende, rechtstheoretische und methodenhistorische Aspekte in den Studien eines verwickelten geschichtlichen Vorganges verwoben. Auch wenn keine einfache allgemeine Antwort gegeben werden konnte, dürfte das Seminar die Teilnehmer vielfach bereichert haben und die Leser dementsprechend in vielen theoretisch-praktischen Hinsichten in gleicher Weise dauerhaft fördern.
Innsbruck Gerhard Köbler