Quinkert, Babette, Propaganda und Terror in Weißrussland 1941-1944. Die deutsche „geistige“ Kriegführung gegen Zivilbevölkerung und Partisanen (= Krieg in der Geschichte 45). Schöningh, Paderborn 2009. 420 S., 20 Abb. Besprochen von Werner Augustinovic.
Quinkert, Babette, Propaganda und Terror in Weißrussland 1941-1944. Die deutsche „geistige“ Kriegführung gegen Zivilbevölkerung und Partisanen (= Krieg in der Geschichte 45). Schöningh, Paderborn 2009. 420 S., 20 Abb. Besprochen von Werner Augustinovic.
Bereits vor mehr als einem Jahrzehnt hat sich Christian Gerlach in seiner monumentalen, „Kalkulierte Morde“ (1999) betitelten Studie des weißrussischen Raumes angenommen und die dortige Wirtschafts- und Vernichtungspolitik der deutschen Besatzungsbehörden in ihrer Interdependenz einer näheren Betrachtung unterzogen, wobei ihm der Nachweis ursächlicher Zusammenhänge zwischen wirtschaftlichen Interessen und gewaltsamen Eingriffen in die Bevölkerungsstruktur des Gebietes gelungen ist. Die überarbeitete Fassung der von Wolfgang Benz betreuten Dissertation Babette Quinkerts, eingereicht 2006 an der Technischen Universität Berlin, ergänzt nun zehn Jahre später die Arbeit Gerlachs um eine akribische Analyse der – wie sie zeigen kann – keineswegs nur als Begleitmusik dieser Maßnahmen fungierenden Propaganda.
Nach einleitenden Bemerkungen zur Fragestellung und zum Forschungsstand erschließt sich der Inhalt des Bandes in drei unterschiedlich großen Abschnitten. Zunächst widmet sich die Verfasserin auf 45 Druckseiten der Entwicklung der deutschen psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion seit dem Ersten Weltkrieg bis zum Angriff im Juni 1941. Der zweite, deutlich umfangreichere Abschnitt (insgesamt 70 Seiten) präsentiert den Propagandaapparat und die Entwicklung der Mittel und der Logistik der Propaganda im besetzten Weißrussland von 1941 bis 1944. Die Darstellung der Propagandapraxis und ihrer Modifikationen, ausgehend von einem anfänglichen Destabilisierungs- und Zersetzungskonzept über eine „Propaganda der Tat“ bis hin zur Kampagne der Mobilisierung eines „Neuen Europa“ gegen den Bolschewismus, bildet jedoch das zentrale inhaltliche Anliegen dieser Arbeit und damit zugleich den mit einem Umfang von 230 Seiten gut drei Fünftel des Gesamttextes einnehmenden dritten Teil der Studie.
Vehement widerspricht die Verfasserin älteren Positionen der Forschung, wonach es im Zweiten Weltkrieg auf deutscher Seite keine von langer Hand geplante psychologische Kriegsführung gegeben und in den Ansichten über die Gestaltung des Ostraums grundsätzlich unvereinbare Vorstellungen bei den maßgeblichen Akteuren Hitler (Kolonisierung), Rosenberg (Dekomposition) und der Wehrmacht (Reformen) vorgeherrscht hätten. Wie sie überzeugend darzulegen weiß, verfolgten solche weitgehend auf Selbstzeugnisse Beteiligter gestützte Darstellungen primär apologetische wie exkulpatorische Ziele und würden den tatsächlichen Gegebenheiten keineswegs gerecht.
Eine kritische Auswertung des überwiegend schriftlichen Quellenmaterials in den Archiven fördere hingegen anderes zutage: Bereits seit dem Ende des Ersten Weltkriegs habe man sich besonders in Deutschland intensiv mit psychologischen Fragen der Kriegsführung auseinandergesetzt und schon Mitte der 1930er Jahre konzeptionelle und institutionelle Vorbereitungen für die politisch-propagandistische Ausrichtung in einem möglichen Krieg mit der Sowjetunion getroffen, die dann 1941 die konkrete Vorbereitung des Krieges bestimmt und maßgeblichen Einfluss auf die damit verbundenen rechtswidrigen Befehle (Kriegsgerichtsbarkeitserlass, Kommissarbefehl) genommen hätten. Da der Propagandabegriff „aus nationalsozialistischer Perspektive immer auch den ‚komplementären Faktor‘ Gewalt implizierte“ (S. 21), beruhte auch das deutsche Eroberungs- und Herrschaftskonzept auf einer Kombination aus Terror und Propaganda: „Im Frühjahr 1941 gingen sowohl die deutsche militärische als auch die politische Führung davon aus, dass eine antisemitische und antikommunistische Hasspropaganda – in Kombination mit dem tatsächlichen Mord an den ‚jüdisch-bolschewistischen‘ Funktionären – die Rote Armee und die sowjetische Gesellschaft quasi von innen her sprengen […] würde“ (S. 370f.).
Verwaltungstechnisch stand Weißrussland in den Grenzen von heute zur Zeit der deutschen Besatzung, wie zwei Gerlachs Studie entnommene Karten für 1941 und 1944 illustrieren (S. 418f.), in der westlichen Hälfte unter ziviler (mit Masse als Generalkommissariat Weißruthenien des Reichskommissariats Ostland) und in seiner östlichen Hälfte unter Militärverwaltung (Rückwärtiges Heeresgebiet Mitte, später rückwärtige Armeegebiete). Kompetenzen und Propagandamittel verteilten sich daher sowohl auf den Propagandaapparat der Wehrmacht als auch auf das Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete (RMO), das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP), das Auswärtige Amt (AA) und auf Sicherheitspolizei und Sicherheitsdienst (SD). In den Debatten um eine durch die Änderung der militärischen Lage erforderliche Modifizierung der Propaganda gab es zwischen den unterschiedlichen Stäben und Behörden jedoch stets „trotz punktueller Differenzen […] insgesamt einen recht weitgehenden Konsens über das notwendige Vorgehen“ (S. 372).
Bedingt durch ihre unübersehbaren Gewaltakte scheiterte das ursprüngliche Dekompositionskonzept der deutschen Besatzer schon in seinen Ansätzen; schon im August 1941 wurde klar, dass es ihnen nicht gelungen war, „die weißrussische Bevölkerung zu zersetzen und gegen Juden und Kommunisten bzw. ‚Großrussen‘ aufzuhetzen. Die ‚Befreiungs‘-Parolen der Eroberer gerieten unmittelbar in Konflikt mit den von ihnen begangenen Massenverbrechen. Währenddessen operierte die sowjetische Gegenseite […] sehr effektiv: Die Abteilung WPr (= Wehrmachtpropaganda; W.A.) sprach ‚geradezu von einer Flugblattinvasion‘ gegenüber der Bevölkerung in den deutsch besetzten Gebieten“ (S. 161). Ein quantitativer Ausbau und inhaltliche Modifizierungen der deutschen Propaganda vor allem auf dem Agrarsektor, in dem „formale Umbenennungen, minimale Veränderungen und vorsichtige Ankündigungen auf eine spätere ‚Lösung‘ der Kolchosfrage zugelassen wurden“ (S. 194), blieben ebenso erfolglos, da sich „der übergroßen Mehrheit der einheimischen Bevölkerung […] faktisch weder politische, wirtschaftliche noch soziale Anreize für eine Kooperation mit der Besatzungsmacht (boten)“ (S. 200).
Dies sollte 1942, als es den Deutschen immer schwerer fiel, mit ihren schwachen Besatzungskräften der kämpfenden Front in den Weiten der rückwärtigen Gebiete den Rücken freizuhalten, durch große, positiv besetzte Propagandakampagnen unter dem Motto „Propaganda der Tat“ mit den Schwerpunkten neue Agrarordnung, Partisanenbekämpfung und Ostarbeiterwerbung erreicht werden. Da auch dies nicht zuletzt an der Wahrnehmung der brutalen Realität des Besatzungsalltags scheiterte, führte der „Entschluss, den akuten Personalmangel der Wehrmacht im Osten durch die Rekrutierung von Hunderttausenden von Zivilisten und Kriegsgefangene auszugleichen“ (S. 273), zu einem weiteren Schwenk, zur Mobilisierung des „Neuen Europa“ 1943/1944 mit nationalen Avancen und Massenveranstaltungen im „Befreiungskampf“ gegen den Bolschewismus unter der Führung Deutschlands. Babette Quinkert spricht in diesem Zusammenhang auch von „weitreichende(n) Konsequenzen, nicht zuletzt auf die ‚geistige‘ Kriegführung nach innen, also gegenüber der deutschen Bevölkerung“ und von einer „taktisch motivierte(n) Flexibilität des Antislawismus, die es in Bezug auf den Antisemitismus nicht gab“ (S. 373). Der siegreiche Vormarsch der Roten Armee und die Befreiung der besetzten sowjetischen Gebiete machten schließlich im Spätsommer 1944 unmissverständlich klar, dass es den Deutschen „weder militärisch noch politisch gelungen“ war, die Sowjetunion zu besiegen (S. 366).
Der größte Ertrag der vorliegenden Studie, die mit 20 eindrucksvollen Farbreproduktionen deutscher Propagandamittel aufwarten kann, liegt sicherlich darin, dass es der Verfasserin gelingt, die genuin symbiotische Verflechtung von Propaganda und Gewalt am Beispiel der deutschen Besatzungsherrschaft in Weißrussland überzeugend zu explizieren und das Zerrbild des Propagandisten als einem „unschuldigen“ Opfer der Politik ins Reich der Legende zu verweisen. In diesem Licht wäre wohl auch neu zu überdenken, ob die bisherige justizielle Würdigung der „Propagandatäter“ deren Anteil am Taterfolg gerecht wird.
Kapfenber Werner Augustinovic