Preuß, Hugo, Gesammelte Schriften, Band 2 Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie im Kaiserreich, hg. und eingel. v. Schefold, Dian in Zusammenarbeit mit Müller, Christoph. Mohr (Siebeck), Tübingen 2009. X, 891 S. Besprochen von Karsten Ruppert.
Preuß, Hugo, Gesammelte Schriften, Band 2 Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie im Kaiserreich, hg. und eingel. v. Schefold, Dian in Zusammenarbeit mit Müller, Christoph. Mohr (Siebeck), Tübingen 2009. X, 891 S.
Preuß, Hugo, Gesammelte Schriften, Band 4 Politik und Verfassung in der Weimarer Republik, hg. v. Lehnert, Detlef. Mohr (Siebeck), Tübingen 2008. XI, 739 S. Besprochen von Karsten Ruppert.
Das Schicksal von Hugo Preuß ist es, zu seinen Lebzeiten eher am Rande seines Faches, des Staats-, Verfassungs- und Verwaltungsrechts, gestanden zu haben, doch in der Erinnerungskultur der Bundesrepublik Deutschland aufgewertet worden zu sein. Zu dieser Ehre ist er vor allem als Schöpfer der Weimarer Reichsverfassung gekommen; doch war er unter den Juristen seiner Zeit auch noch einer der wenigen Demokraten, der zudem - auch dies selten - seine Profession sowohl wissenschaftlich wie praktisch als zur Politik hin offen betrieb. Diese Sonderstellung unter den deutschen Juristen war es denn auch gewesen, die den Rat der Volksbeauftragten veranlasste, den damaligen Professor für öffentliches Recht und Rektor der Berliner Handelshochschule damit zu beauftragen, den Entwurf einer Verfassung für das neue Deutschland zu erarbeiten. Er lag den Beratungen der Nationalversammlung zugrunde und wurde in dieser Zeit auch von Reichsinnenminister Preuß in den parlamentarischen Gremien vertreten. Kennzeichnend für die Situation war, dass die Sozialdemokraten über keinen eigenen Juristen für diese Aufgabe verfügten. Denn Hugo Preuß war wie viele deutsche Juden Linksliberaler und Mitbegründer der eigentlichen Verfassungspartei der Weimarer Republik, der Deutschen Demokratischen Partei (DDP).
Davon überzeugt, dass Hugo Preuß als Demokrat in schwieriger Zeit, als Jurist und historische Gestalt noch nicht ausreichend gewürdigt wird, hat sich die Hugo-Preuß-Gesellschaft daran begeben, seine Schriften g zugänglich zu machen. Sie wird dabei von einigen Förderern unterstützt. Da sich darunter auch der Deutsche Bundestag und das Bundesministerium der Justiz befindet, hat das Unternehmen einen offiziösen Anstrich. Das wird nochmals dadurch sichtbar, dass der Impetus, an einem Vorkämpfer des demokratischen Verfassungsstaats und jüdischem Außenseiter etwas gutzumachen, nicht zu verkennen ist. Schon die erste Sammlung der Schriften von Hugo Preuß ist 1926 von dem damaligen Publizisten und Parteifreund Theodor Heuß, dem ersten Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland also, eingeleitet worden.
Nicht aufgenommen in die gesammelten Schriften wurde die Dissertation von Preuß aus dem Privatrecht. Das ist nicht ganz einsichtig. denn sie ist niemals veröffentlicht worden, galt lange Zeit als verschollen, ist inzwischen aber wieder aufgetaucht. Die Begründung, dass sie inzwischen längst überholt sei, überzeugt nicht ganz, denn das gilt für nicht wenige der vorgelegten Abhandlungen ebenfalls. Einige für die Entwicklung des juristischen Denkens von Preuß aufschlussreiche Passagen hätten durchaus von Nutzen sein können. Hingegen ist es einsichtig, dass auf den Wiederabdruck der beiden umfangreichsten Werke von Preuß, seine Habilitation über die Gebietskörperschaften und seine Studie zur verfassungspolitischen Entwicklung Deutschlands und Westeuropas, verzichtet wurde, da sie im Nachdrucken leicht zugänglich sind.
Der anzuzeigende zweite Band enthält Publikationen aus der Wilhelminischen Zeit bis zum Ersten Weltkrieg und wird mit einer gründlichen Einführung von Dian Schefold eröffnet. Die Studien der ersten Abteilung sind mit der Überschrift „Theoretische Grundlagen“ doch etwas überbewertet. Denn es handelt sich um einige konventionelle Erörterungen methodischer Fragen und begrifflicher Klärungen aus dem öffentlichen Recht. Sie verraten die Prägung, die auf die zeitweise Zusammenarbeit mit Otto von Gierke zurückgeht. Denn für Preuß ist das Genossenschaftswesen das Kennzeichen und der Schlüssel für die deutsche Verfassungsentwicklung. Von nicht geringerem Einfluss für den Verwaltungsjuristen war der in die USA emigrierte Ernst Lieber, dem er ebenso wie dem Schweizer Juristen und Politiker Johann Caspar Bluntschli sowohl einige dogmatische als auch biografische Studien gewidmet hat. Durch das Studium der Schriften beider wurde für Preuß der Zusammenhang von individueller Freiheit und Selbstverwaltung zu einer festen Grundüberzeugung. Von ihr aus hat er über ein Jahrzehnt lang, wie die in der dritten Abteilung publizierten Schriften belegen, die Diskussion um die preußische Verwaltungsreform begleitet. Auch in den ebenfalls noch mit abgedruckten Einzelstudien dieser Jahre geht es um die Einhegung der Gewalt des grundsätzlich positiv bewerten Staates durch das Recht. Das gilt sowohl für den Staat als Akteur im Rahmen des Völkerrechts als auch als Inhaber der Souveränität. In der Neuinterpretation dieses zentralen Begriffs des Staatsrechts liegt wohl seine größte dogmatische Leistung. Gegen die, wie Preuß sie bezeichnet, „römischrechtliche“ Auffassung, welche die gesamte staatliche Gewalt ungeteilt in einer Institution konzentriert, in der Regel dem Monarchen, stellt er die „organisch-germanistische Alterative“. In ihr sei der Staat ein Organismus von Institutionen, von der Gemeinde bis zur Nation, in dem die Teile rechtlich miteinander verbunden und sich gegenseitig in Schach haltend, die oberste Staatsgewalt gemeinsam ausüben.
Die stärker politischen Abhandlungen zu Reichsverfassung, Kolonialpolitik, Finanzen und besonders dem Militäretat zeigen das für Preuß typische Vorgehen: die juristische Analyse eines politischen Konflikts mit dem Zweck, eine „liberale“ Lösung, in dem Sinne einer weniger obrigkeitsstaatlichen, zu finden. Noch nachträglich kann man ihm den Respekt dafür nicht versagen, dass er an solchen wissenschaftlichen und weltanschaulichen Positionen festgehalten hat, obwohl er sich so immer mehr in eine Außenseiterstellung manövrieren musste. Aus den 200 Seiten abgedruckter Besprechungen längst vergessener Werke ist kein zusätzlicher Gewinn zu ziehen; sie hätte man sich daher auch sparen können.
Der vierte Band enthält die Schriften zu Politik und Verfassung der Weimarer Republik bis zum Todesjahr 1925, also die historisch wohl wichtigsten überhaupt. Zu ihnen wird durch eine Einleitung Detlef Lehnerts hingeführt, die mehr ein Essay über den Demokraten und Juristen Preuß ist, als dass sie die folgenden Schriften erschließt. Sie erfasst nicht nur ihren Gegenstand stets kompetent, sondern ordnet ihn auch in die Zeit wie die Traditionen ein. Die Ausführungen geraten allerdings manchmal allzu sehr zu einer Laudatio. Denn die Kommentare, Reden, Interviews, mit denen Preuß sein Verfassungswerk erläuterte und im Lauf der Beratungen verteidigte, zeigen doch auch dessen Grenzen deutlich auf und machen damit auch die später zutage tretende Problematik der Weimarer Reichsverfassung deutlich. Preuß ist zu sehr von der Vernunft und zu wenig von den nationalen Traditionen wie emotionalen Werten Deutschlands ausgegangen. Das wird schön illustriert an dem nicht verwirklichten Vorschlag, Preußen in gleich große Gebiete aufzuteilen. Darüber hinaus hat ihn zu sehr demokratischer und parlamentarischer Idealismus geleitet, der sowohl die Erfahrungen des Kaiserreichs als auch die harten Realitäten des aktuellen Bürgerkriegs verfehlte.
Als Mitglied der Verfassunggebenden Preußischen Landesversammlung und des Preußischen Landtags war Preuß auch an der Entstehung der Verfassung dieses Reichslandes beteiligt, hat wohl aber mehr dessen Städte- und Landgemeindeordnung beeinflusst. Wie und in welchem Umfang ist unter anderem an den abgedruckten Ausführungen abzulesen. Ein beträchtlicher Teil der Stellungnahmen zur Tagespolitik und Reden macht deutlich, dass Preuß in seinen letzten Jahren vor allem Verteidiger der Republik und deren politischer Ordnung war. Dabei hat er sich sowohl durch die scharfen Angriffe auf deren Feinde wie durch das Bemühen um einen „Verfassungspatriotismus“ und als Verteidiger des Systems Verdienste erworben. Hier findet sich viel Tagesaktualität und vor allem in den Ausführungen zu Verwaltungsrechtsfragen einiges, das wohl auch Spezialisten kaum noch interessieren wird.
So gewichtig dieser Band also historisch ist, so zeigt er doch auch einen Autor, der sich denkerisch nicht weiter entwickelte. Die politische Arbeit ließ ihm zur wissenschaftlichen wohl auch keine Zeit. So finden wir einen Polemiker, der mit dem alten System ebenso abrechnet wie mit dessen Nutznießern und einen publizistisch agilen Verfassungsjuristen, der sich mit der Tradition des Föderalismus erkennbar schwer tut und seine Angriffe auf die Souveränität weiterhin vor allem als solche gegen den Obrigkeitsstaat versteht.
Als Folge der Ausbürgerung und Vertreibung der Familie durch die Nationalsozialisten ist der Nachlass von Hugo Preuß verlorengegangen, so dass die Herausgeber nur bereits zu Lebzeiten Publiziertes veröffentlichen können. Nach Abschluss des Unternehmens wird dieses dann der Wissenschaft vollständig zur Verfügung stehen. Und diese wird die ausführlichen Personen- wie Sachregister zu schätzen wissen. Dennoch drängen sich nach der Durchsicht der beiden Bände Zweifel auf, ob dadurch auch das Herzensanliegen der herausgebenden Gesellschaft, nämlich Hugo Preuß aufzuwerten und ihn bekannter zu machen, zu erreichen sein wird. Denn die Masse des vollständig wieder Abgedruckten lädt eher zur Abwendung als zur Hinwendung ein. Zwar gehen die Einleitungen auf die unverzichtbare wissenschaftliche wie geschichtliche Einordnung und Wirkungsgeschichte ein, doch helfen sie bei den meisten Texten, die alle zu spärlich kommentiert sind, meist nicht weiter. So stellt sich dann die Frage, ob mit einem Editionsunternehmen, das sich durch treffende Auswahl, geschickte Heranführung an die Texte und deren ausführliche Kommentierung ausgezeichnet hätte, Hugo Preuß letztlich nicht mehr gedient worden wäre.
Eichstätt Karsten Ruppert