Oliver, Clementine, Parliament and Political Pamphleteering in Fourteenth-Century England. The University of York (Boydell & Brewer/York Medieval Press), Woodbridge/Suffolk 2010. XI, 232 S., 2 Abb. Besprochen von Susanne Jenks.
Oliver, Clementine, Parliament and Political Pamphleteering in Fourteenth-Century England. The University of York (Boydell & Brewer/York Medieval Press), Woodbridge/Suffolk 2010. XI, 232 S., 2 Abb. Besprochen von Susanne Jenks.
Kurz nach dem 3. Juni 1388, dem Ende des sogenannten „Merciless Parliament“, begann Thomas Fovent, über dessen Person nur sehr wenig bekannt ist, ein Pamphlet in lateinischer Sprache zu verfassen. Diesem Werk wurde im späten 14. Jahrhundert die Überschrift Historia sive narratio de modo et forma mirabilis parliamenti apud Westmonasterium anno domini millesimo CCCLXXXVJ, regni vero regis Ricardi secundi post conquestum anno decimo gegeben. Es wurde in den Jahren 1641 und 1643 mehrfach gedruckt: 49 Exemplare der 1641 veröffentlichen Version existieren noch heute, während von der Historia dagegen nur (noch) zwei mittelalterliche Handschriften erhalten sind.
Oliver legt eine neue Interpretation des einzigen Fovent zugeschriebenen Werkes und der Motive des Verfassers vor, der allerdings nur als Autor vermutet wird. Während Fovent bislang als „Lancastrian partisan“ angesehen wurde, ist er für Oliver eine weitaus bedeutendere Figur, da seine Historia das Parlament als Reformkraft propagieren sollte und am ehesten in der Lage war, die unter Richard II blühende Korruption offenzulegen und zu unterbinden (S. 2, 14, 64/65). Fovent schrieb seine Historia, so Olivers These, für eine Londoner Leserschaft aus ‚bureaucrats, civil servants‘ und ‚government functionaries‘ (S. 16), „a readership more public than partisan“ (S. 73), die wie er brennend an den Geschehnissen im Parlament interessiert war (S. 25, 149), „hungry for vitriol“ (S. 73) und „eager for reform“ (S. 83) und ebenso an der „circulation and consumption of documentary culture“ interessiert wie er (S. 115).
Es soll an dieser Stelle auf eine Zusammenfassung der 8 Kapitel (Where Do Pamphlets Come From?; The Good Parliament and the First Political Pamphlet; The Making of a Political Pamphleteer; Reading and Writing about the Wonderful Parliament; Conspiracy Theories; From London’s Streets, 1388; The End of the Merciless Parliament; Afterword) verzichtet werden, denn die vorgelegte Interpretation der Historia überzeugt nicht, basiert sie doch nur auf einer ganzen Reihe von Vermutungen. Zwar ist sich Oliver dessen durchaus bewusst (Worte wie „suggest“ und „believe“ begegnen häufig), dies hindert sie allerdings nicht daran, auf diese Vermutungen weitere zu stützen, die dann immer weitere Kreise ziehen. Zudem hat sie eine recht gewöhnungsbedürftigen Vorstellung der mittelalterlichen englischen Gesellschaft, in der Kanzleischreiber Kopien von Dokumenten herstellen (die Oliver ‚halb-offizielle Dokumente‘ nennt) und diese dann der interessierten Öffentlichkeit zur Kenntnis bringen (anscheinend eine Frühform von Wikileak), in der es ein „shadow government“ gibt (S. 92), in der Parlamentsrollen „a popular read“ waren (S. 99) und in der die Öffentlichkeit glaubt, ein Recht auf Information zu haben (S. 118). Es erstaunt zudem geradezu zu lesen, dass der Earl of Arundel mit seinen Truppen nördlich von London auf Verstärkung wartete und Lebensmittel und andere Dinge an die Londoner auf einem improvisierten Markt (makeshift market) verkaufte (mercati sunt) und sich somit als „good, admirable and popular leader“ hervortat, der sich fairen Geschäftsgepflogenheiten verpflichtet fühlte (S. 124, 125). Wahrscheinlicher ist, dass Arundel Proviant und notwendige Dinge für seine Truppen kaufte statt zu verkaufen, und dass er dies zum marktüblichen Preis tat. Diese Episode ist somit kein Beweis dafür, dass Fovent „interest in and enthusiasm for the sale of goods at competitive prices at Arundel’s camp outside London“ hatte (S. 126, 168). Aber es werden nicht nur Dinge missverstanden. Auch die Argumentation ist nicht immer nachvollziehbar. So ist zum Beispiel die Entsendung von Privatsiegelbriefen, mit denen die Anhänger Richards II um Unterstützung für den König warben, für Oliver eine „conspiracy“, die von den Appellants aufgedeckt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Diese „misappropriation of documents and letters“ durch Richards Anhänger wird von Fovent verurteilt, der sich für Transparenz ausspricht. Allerdings verzichtet er in seiner Historia darauf, auf den Inhalt der Briefe einzugehen. Dieses erklärt Oliver damit, dass er entweder „not privy to the contents of these letters“ war (was erstaunt, da wir gerade zuvor gehört hatten, dass die Appellants die Briefe veröffentlichten) oder damit, dass die Briefe nicht immer „inherently condemning or conspiratorial“ waren (obwohl die Verschickung dieser Briefe als „conspiracy“ klassifiziert wurde, S. 120-122, Zitate auf S. 122). Man gewinnt den Eindruck, dass die Quelle mit einer vorgefassten Meinung gelesen wurde, was zu Ungereimtheiten führte. Die Thesen dieses Buches, das im Anhang Passagen aus der Historia und den Parliamentsrollen gegenüberstellt und durch ein Namens-, Sach- und Ortsverzeichnis erschlossen wird, sind zwar neu, aber nach meinem Dafürhalten nicht ausreichend bewiesen.
London Susanne Jenks