Mill, Tatjana, Zur Erziehung verurteilt. Die Entwicklung des Jugendstrafrechts im zaristischen Russland 1864-1917 (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 250 = Lebensalter und Recht 3). Klostermann, Frankfurt am Main 2010. XII, 396 S. Besprochen von Gerhard Köbler. IT
Mill, Tatjana, Zur Erziehung verurteilt. Die Entwicklung des Jugendstrafrechts im zaristischen Russland 1864-1917 (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 250 = Lebensalter und Recht 3). Klostermann, Frankfurt am Main 2010. XII, 396 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Die Untersuchung ist die von Stefan Ruppert im Rahmen der Nachwuchsgruppe Lebensalter und Recht sowie von Michael Stolleis betreute, in als wunderbar empfundener dreijähriger Zusammenarbeit entstandene, im Wintersemester 2008/2009 vom Fachbereich Rechtswissenschaften der Universität Frankfurt am Main angenommene Dissertation der Verfasserin. An die Spitze ihrer Einleitung hebt sie den Zweckgedanken, der 1882 von Franz von Liszt zum Postulat des modernen Strafrechts erhoben wurde, als die auch heute noch wichtigste Grundlage des Jugendstrafrechts besonders hervor. Von daher überrascht es vielleicht, dass die Entwicklung des Jugendstrafrechts im zaristischen Russland bereits 1864 einsetzt.
Gegliedert ist die Arbeit in vier Kapitel, die mit dem Phänomen der Jugendkriminalität beginnen, für das die Verfasserin Rezeption deutscher Dogmatik in den 1870er Jahren und Jugendkriminalität als Gegenstand der Forschung ab 1880 nachweist. Demgegenüber kann sie aber erste Zugeständnisse an die besonderen Bedürfnisse der Jugendlichen im Ustav über die von Friedensrichtern zu verhängenden Strafen aus dem Jahre 1864 und Anfänge der Zwangserziehung im Gesetz über Besserungsanstalten vom 5. Dezember 1866 ermitteln. Früheste Ansätze einer prozessrechtlichen Sonderstellung der Jugendlichen werden allerdings erst im Gesetz vom 2. Juni 1897 sichtbar.
Im Ergebnis sieht die Verfasserin Russland einleuchtend als Teil der gesamten, nicht zuletzt durch die industrielle Revolution ausgelösten Entwicklung, der ähnliche Entwicklungsstadien durchlief wie die westlichen Staaten, wenn auch manchmal mit Zeitverschiebung. Insgesamt wurden dabei die Jugendlichen unter 17 Jahren mittels der jugendspezifischen, pädagogischen Sanktionsmaßnahmen und der institutionellen Trennung im Strafverfahren wie im Strafvollzug von den Erwachsenen und den Heranwachsenden strenger abgegrenzt. Für diese Ausweitung des allgemeinen jugendstrafrechtlichen Wissens auf einen regional wie sprachlich ferner stehenden Bereich ist der die Zahl ihrer Abkürzungen auf insgesamt vier beschränkenden Autorin sehr zu danken.
Innsbruck Gerhard Köbler