Mailänder Koslov, Elissa, Gewalt im Dienstalltag. Die SS-Aufseherinnen des Konzentrations- und Vernichtungslagers Majdanek 1942-1944. Hamburger Edition, Hamburg 2009. 520 S. Besprochen von Gerhard Köbler. IT
Mailänder Koslov, Elissa, Gewalt im Dienstalltag. Die SS-Aufseherinnen des Konzentrations- und Vernichtungslagers Majdanek 1942-1944. Hamburger Edition, Hamburg 2009. 520 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Majdanek ist ein Vorort Lublins in dem bald nach Beginn des Zweiten Weltkriegs besetzten Polen, in dem 1941 ein Kriegsgefangenenlager (Pläne zu einem eigenen Frauenlager seit Sommer 1942, mit 7821 gefangenen Frauen am 15. Juni 1943) und ab Februar 1943 ein bis 23. Juli 1944 bestehendes Konzentrationslager und Vernichtungslager der Waffen-SS Lublin errichtet wurde. Zwischen Herbst 1942 und Frühjahr 1944 waren dort insgesamt 28 Frauen als SS-Aufseherinnen beschäftigt. Mit ihnen beschäftigt sich die nach dem Studium von Literaturwissenschaft und Geschichte in Wien, Paris und Erfurt 2007 promovierte, danach am kulturwissenschaftlichen Institut in Essen tätige Verfasserin an Hand zahlreicher Dokumente, Aussagen und anderen Quellen.
Die überwiegend um 1920 geborenen Aufseherinnen entstammten im Durchschnitt einem sozial weniger privilegierten Milieu. Sie waren an einem gut bezahlten, sicheren Arbeitsplatz mit sozialem Aufstieg zum Beamtenstatur interessiert, bewarben sich aber teilsweise auch aus Abenteuerlust. Keine der am 16. Oktober nach einer kurzen Einschulung aus dem Frauenkonzentrationslager Ravensbrück gekommenen Aufseherinnen war zuvor strafrechtlich aufgefallen und die wenigsten rekrutierten Frauen konnten sich vermutlich unter ihrem künftigen Arbeitsplatz etwas Genaues vorstellen.
Die Verfasserin beschreibt nach methodisch-theoretischen Vorüberlegungen und einem Überblick über Majdanek so genau wie möglich die Wege der Frauen in das Konzentrationslager, die Ausbildung in Ravensbrück, die Versetzung nach Majdanek, die dortigen, von ständigem Arbeitskräftemangel gekennzeichneten, von Tod und Vernichtung umgebenen Arbeitsbedingungen, den Tötungsalltag durch Selektion, die Bedeutung der Flucht von einzelnen Gefangenen, die eigenmächtige Anwendung von Vorschriften durch das Personal, die Gewalt als soziale Praxis und die daraus erwachsende Grausamkeit. Dabei kann sie zeigen, wie die anfangs unsicheren Frauen innerhalb weniger Wochen die von ihnen erwarteten Rollen übernahmen, ohne dass alle individuellen Unterschiede beseitigt wurden. Die ausgeübte Gewalt wurde nicht nur von oben befohlen, sondern entstand auch in den Handelnden vor Ort, wo das Recht nur eine minimale Bedeutung hatte.
Innsbruck Gerhard Köbler