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Lieberwirth, Rolf, Geschichte der Juristischen Fakultät der Universität Halle-Wittenberg nach 1945, 2. Aufl. (= Hallesche Schriften zum Recht 25), Universitäts-Verlag Halle-Wittenberg 2010. 147 S. Besprochen von Ulrich-Dieter Oppitz.

Lieberwirth, Rolf, Geschichte der Juristischen Fakultät der Universität Halle-Wittenberg nach 1945, 2. Aufl. (= Hallesche Schriften zum Recht 25), Universitäts-Verlag Halle-Wittenberg 2010. 147 S. Besprochen von Ulrich-Dieter Oppitz.

 

Nach einem Verlagswechsel liegt die 2008 in erster Auflage erschienene Arbeit des Nestors der hallischen Juristen über „seine“ Fakultät in zweiter Auflage vor. Selten ist es, dass ein sachkundiger Teilnehmer von Anfang an die Entwicklungen und Brüche einer Fakultät über 65 Jahre betrachten und beschreiben kann. Von den Hoffnungen auf eine schnelle Neueröffnung während der 6-wöchigen amerikanischen Besatzungszeit über die drei Hochschulreformen der folgenden Machthaber (1945: Reform durch die marxistisch-leninistische „Partei neuen Typs“, 1951: Zentralisierung unter dem Motto „Stürmt die Festung Wissenschaft“, 1968: Reform zur Gewährleistung des „notwendigen Bildungsvorlaufes durch Heranbildung qualifizierter Hochschulabsolventen …“) zeigt der Autor die tiefgreifende Veränderung einer Fakultät mit langer Tradition zu einer Ausbildungsstätte, die ihre gesamte Ausbildung an einem Parteiauftrag ausrichtete. Waren der Fakultät Thomasius und seine kritische Einstellung zu den Hexenprozessen lange Zeit Leitbild, so wurden nun Juristen ausgebildet, die einen festen Klassenstandpunkt hatten und bei ihrer parteilichen Rechtsanwendung keine direkten Anweisungen brauchten, da sie gelernt hatten, was die Partei von ihnen in ihren jeweiligen Funktionsstellen erwartete. In ihren jeweiligen Altersgruppen finden diese Absolventen (S. 55f.) noch heute den Rückhalt, der sie mit den Inhalten ihrer Ausbildung versöhnt. Wenig findet sich zu den Parteisekretären und ihrem Verhältnis zu den Dekanen. Hier wären Hinweise auf die tatsächlichen Einflusssphären hilfreich gewesen. Ließ man die Lehrenden Wissenschaft spielen, solange sie der Parteilinie folgten?

 

Die Ausführungen zur Thomasius-Feier 1955 (S. 69ff.) beschreiben die Zeitumstände, die heute kaum mehr im Bewusstsein sind: Mehr als 10 Jahre nach der Zerstörung war die Grabstätte eines der bedeutendsten hallischen Wissenschaftlers noch nicht renoviert. Jeder Besucher des Stadtgottesackers kann sich von dem Umfang der notwendigen Renovierungsarbeiten überzeugen: war eine Stadt, die erfreulich wenige Kriegszerstörungen erlitten hat, vorher nicht willens oder nicht in der Lage ?

 

Von den Gastvorträgen ausländischer Wissenschaftler ist leider nur der von Jerzy Sawicki (1910-1967) (S. 69) erwähnt. Seine Arbeiten zu dem Nürnberger Prozess haben weithin Beachtung gefunden.

 

Die Ausführungen bis zum Jahre 1961 durchziehen Hinweise auf  Universitätsangehörige und andere Personen, die Halle verlassen haben, um in der Bundesrepublik mit Berlin zu leben. Angaben zu ihnen sind vielfach unvollständig und nicht frei von einer Tendenz. Dr. Carl Meyrich (1892-1981) (S. 36) war zu keiner Zeit Präsident des Statistischen Bundesamts. Dr. Willi Brundert (1912-1970) (S. 45) war seit 1930 Mitglied der SPD und wurde 1958 zuerst Leiter der hessischen Landesfinanzschule. 1963 wurde er unter Ministerpräsident Georg August Zinn Leiter der Staatskanzlei, 1964 wurde er als Nachfolger Werner Bockelmanns zum Oberbürgermeister von Frankfurt gewählt. Ernst Thape (1892-1985), Buchenwaldhäftling von 1939 bis 1945, wurde durch die Verhaftung anderer sozialdemokratischer Mitstreiter bereits am 28. 11. 1948 (S. 37) zur Flucht bewogen. Ob ohne Angabe von Einzelbeispielen der Eindruck angemessen ist, dass es „nicht Wenige waren, die sich bisher in den Fakultäten aus Opportunismus ‚supersozialistisch’ gebärdet und damit zu einer unangenehmen geistigen Hektik beigetragen haben“ (S. 83), bevor sie in den Westen flohen, ist angesichts der Vielzahl geschilderter Maßregelungen von Angehörigen des Lehrkörpers infrage zu stellen. Kann es nicht auch so gewesen sein, dass rechtlich empfindende Personen trotz aller Bemühungen um Anpassung irgendwann mit ihrem Gewissen und ihrer Vorstellung von Recht die andauernde Umwertung der Werte nicht aushielten?

 

Die Nennung des ehemaligen Generalstaatsanwalts von Sachsen-Anhalt, Dr. Werner Fischl (S. 45), der 1955 aus Halle floh, führt zu einem beschämenden Beispiel bundesdeutscher Rechtsprechung: Im April 1957 verurteilte ihn der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs unter Anwendung des 1968 aufgehobenen § 100e StGB wegen landesverräterischer Beziehungen zu einer Gefängnisstrafe von 6 Monaten, weil er nach seiner Flucht angegeben hatte, er habe die Nachrichtenagentur „Europapress“ ins Leben gerufen, wobei ihn DDR-Agenten wissen ließen, sie beabsichtigten, die Agentur später zum Aufspüren von Staatsgeheimnissen zu nutzen. Mit ihm war der Journalist Anton Schwab (1906-1994) angeklagt, der jedoch freigesprochen wurde.

 

Die Erwähnungen des ehemaligen Kurators Friedrich Tromp (1875-1954) zeigen eine Persönlichkeit, die eine eigene Untersuchung verdient. Über 20 Jahre hinweg konnte er als Verwaltungsbeamter zum Nutzen der Universität wirken. Wenn ein 1933 eingesetzter Kurator noch im April 1946 für „politisch tragbar“ erklärt wurde, musste er eigene Qualitäten besessen haben. Sein Nachfolger, Friedrich Elchlepp, war der Vater des gleichnamigen hohen Volksmarine-Offiziers (1924-2002).

 

Manche fehlende oder zu korrigierende Personaldaten seien in der Hoffnung auf eine 3. Auflage ergänzt: F. von Basse († 1972); Theodor Brugsch († 1963); Otto Halle († 1987); Dr. Werner Kalisch (S. 31), Kirchen- und Hochschulrechtler; Iwan Sasonowitsch Kolesnitschenko (1907-1984); Alexander Kotikow (1902-1981) (S.23); Dietrich Oehler (1915-2009) (S. 31). bestellung@uvhw.deLeider weicht das Personenregister gelegentlich von den Erwähnungen im Text ab: Rektor Otto Eißfeld (S. 143), Text: Eißfeldt; Register: Schlachtenko (S. 146), Text: Michail Kondratewitsch Schljachtenko. Hans Nathan (S.23) war bereits 1938 in Prag der KPD beigetreten.

 

Bemerkenswert ist die Feststellung des Autors zu einem Krebsschaden des Hochschullebens, der Vielgeschäftigkeit: Nichts konnte ausreifen (S. 114). Als Außenstehender hat man heute den Eindruck, dass unser derzeitiges Hochschulleben sich diesen beklagenswerten Zuständen sehr angenähert hat.

 

Neu-Ulm                                                                                                          Ulrich-Dieter Oppitz