Iselt, Kathrin, „Sonderbeauftragter des Führers“ - Der Kunsthistoriker und Museumsmann Hermann Voss (1884-1969) (= Studien zur Kunst 20). Böhlau, Köln 2010. 516 S. Besprochen von Ralf Lunau.
Iselt, Kathrin, „Sonderbeauftragter des Führers“ - Der Kunsthistoriker und Museumsmann Hermann Voss (1884-1969) (= Studien zur Kunst 20). Böhlau, Köln 2010. 516 S. Besprochen von Ralf Lunau.
Dieses Buch, obwohl spürbar nicht darauf angelegt, macht ebenso vor Entsetzen stumm wie es zur Empörung herausfordert. Es schildert, wie Hermann Voss - ein geschätzter Kunsthistoriker und Museumsleiter, hervorragend ausgebildet bei Wilhelm Bode, der ihm den Einstieg in eine großartige Karriere eröffnet - den Pakt mit dem Teufel eingeht; wie die Liebe zu den schönen Künsten umschlägt in eine Gier, die jeden Maßstab verliert, sich in eine Ekstase des Anhäufens, des Zusammenraffens, des Verbergens und Versteckens steigert und nach der Katastrophe in kleinlich peinlicher Rechtfertigung und Schuldzuweisung an andere mündet.
Die Autorin beschreibt akribisch genau, wie ein bürgerlicher Kunstliebhaber zuerst die Freiheit der Kunst verrät, indem er sein Geschäft mit der Aktion „Entartete Kunst“ macht, sich anschließend als Büttel der Polizei an der Enteignung jüdischen Eigentums beteiligt, um auf dem Höhepunkt dieses räuberischen Treibens als „Sonderbeauftragter des Führers für Linz“ in allen möglichen Ecken des von Deutschland mit Krieg überzogenen Europa Kunstschätze zusammentragen zu lassen. Das ganze Ausmaß dieser intellektuellen Verwahrlosung wird deutlich, wenn immer wieder anklingt, wie Hermann Voss in der Zeit, in der er mit Hilfe eines mafiös anmutenden Netzes zahlreicher Agenten, staatlicher, militärischer und NSDAP-Institutionen, Händler sowie sonstiger Nutznießer Kunstwerk an Kunstwerk anhäufte, zugleich Direktor einer Dresdner Gemäldegalerie ist, deren Museumsbetrieb schon eingestellt werden musste; wenn beschrieben wird, wie er sich am Gezänk der rivalisierenden Nazibanden bei der Verteilung der Beute beteiligte; wobei es doch schon nur noch um Kunstwerke ging, die in immer tiefere Gemäuer, Keller und Bergwerke verbracht werden mussten.
Die Darstellung dieser Entwicklung folgt den beruflichen Stationen von Hermann Voss. Einem Kapitel über die Jugendjahre, vor allem mit der Darstellung der Ausbildung unter Wilhelm Bode, folgt ein Kapitel über die museale und wissenschaftliche Arbeit von 1912 bis 1935 als Leiter der Graphischen Sammlung in Leipzig und als Kustos der Gemäldegalerie in Berlin. Das dritte Kapitel ist der Arbeit als Direktor der Städtischen Kunstsammlung Wiesbaden von 1935 bis 1945 gewidmet, während das vierte Kapitel die gemeinsame Amtsinhaberschaft als Direktor der Staatlichen Gemäldegalerie Dresden und als „Sonderbeauftragter für Linz“ von 1943 bis 1945 thematisiert. Die Nachkriegszeit, insbesondere die Arbeit in der Bundesrepublik ist Gegenstand des fünften und letzten Kapitels.
Rechtshistorisch ist das Buch von besonderem Interesse, weil es die systematische Zerrüttung aller Rechtsbeziehungen im Nationalsozialismus bei einer bizarren Aufrechterhaltung des Anscheins förmlicher Ordnung in Bezug auf den besonderen Gegenstand des Eigentums an Kunstgegenständen darstellt. Dabei wird die Zwangsläufigkeit eines Prozesses erkennbar, der mit der Rechtlosigkeit derer begann, gegen die sich das System der Nationalsozialisten bewusst und gezielt wandte, zunehmend auch andere rechtlos stellte – wie etwa die im Rahmen der Aktion „Entartete Kunst“ von entschädigungsloser Enteignung betroffenen Kommunen und Privatpersonen - und letztlich in der allgemeinen Regellosigkeit zwischen den Verursachern selbst endete, wenn sich verschiedene nationalsozialistische Institutionen gegenseitig mit förmlichen Erlassen den Zugriff auf die Kunstwerke zu sichern und sich dabei gegen einen ebenso willkürlichen Führervorbehalt durchzusetzen suchten.
Besondere Erwähnung verdienen die Fülle des archivalischen und literarischen Materials sowie die bis zur Sprödigkeit um Sachlichkeit bemühte Sprache, die es dem Leser ermöglichen, sich ein eigenes Bild zu verschaffen. Auch wenn das Buch, ohne Substanzverlust befürchten zu müssen, eine gehörige Straffung vertragen hätte, bleibt es ein wichtiger, aufregender Beitrag im Rahmen der Aufarbeitung des massenhaften Unrechts, das eben auch von hochangesehenen und gebildeten Repräsentanten der Kultur mit verursacht wurde.
Dresden Ralf Lunau