Herbert, Ulrich, Best. Biographische Studien über Radikalismus; Weltanschauung und Vernunft, 1903-1989, 5. Aufl. Verlag J. H. W. Dietz Nachf. GmbH, Bonn, Dietz 2011. 704 S. Besprochen von Ulrich Oppitz.
Herbert, Ulrich, Best. Biographische Studien über Radikalismus; Weltanschauung und Vernunft, 1903-1989, 5. Aufl. Verlag J. H. W. Dietz Nachf. GmbH, Bonn, Dietz 2011. 704 S. Besprochen von Ulrich Oppitz.
Nicht häufig ist es, dass eine Habilitationsschrift eine fünfte Auflage erlebt und dann erstmals in dieser Zeitschrift besprochen wird. Die wachsende Bedeutung der Rechtsgeschichte der neuesten Zeit mag eine Erklärung abgeben. Ulrich Herbert, seit 1995 Lehrstuhlinhaber für neuere und neueste Geschichte in Freiburg im Breisgau, hat die Arbeit zwischen 1987 und 1992 erstellt und wurde mit ihr an der Fernuniversität Hagen habilitiert. Werner Bests Lebensweg vom völkischen Studentenführer der 20er Jahre, zum Richter in Hessen, der Autor der Boxberger Dokumente war, danach zum Stellvertreter Heydrichs bei der Gestapo, im Krieg Chef der Innenverwaltung im besetzten Frankreich und Reichsbevollmächtigter im besetzten Dänemark wird sorgfältig und detailreich beschrieben. In diesem Lebensabschnitt war er der Prototyp des nationalsozialistischen „Schreibtischtäters“, der als Organisator an den Gewaltverbrechen der Zeit intensiv beteiligt war. Diesem Lebensabschnitt folgte die kurze Phase der Inhaftierung in Dänemark, nach der er Direktor eines Industrieunternehmens wurde und die Verteidigungsstrategie für zahlreiche Angeklagte der Prozesse um NS-Gewaltverbrechen mit konzipierte.
Herbert zeigt an diesem Beispiel Herkunft und Motivation einer Vielzahl von Menschen, die in der Zeit zwischen 1933 und 1945 bestimmend waren. Diese Personen kamen aus dem oberen Drittel der Bevölkerung, sie verbanden völkische Utopie mit zweckgebundener Rationalität. Da sie keine Außenseiter waren, konnten sie nach Kriegsende wieder in die Mitte der Gesellschaft zurückkehren. Nachdem viele von ihnen Juristen waren, ist die Arbeit (auch) ein wertvoller Beitrag zur Geschichte von Juristen im 20. Jahrhundert.
Am Text der Arbeit wurden über die verschiedenen Auflagen keine Änderungen vorgenommen. Ansätze zur Korrektur sachlicher Fehler waren nicht erkennbar. Herbert konnte in seinem Nachwort (S. 539-550) den Bogen der Wirkungsgeschichte ziehen. Die Arbeit ist als ein wesentlicher Baustein für die Wendung der neueren Zeitgeschichte von der personalisierenden Personengeschichte der 1950er und 1960er-Jahre über die Untersuchung übergreifender Strukturen und Konstellationen zur Erforschung der Biographien hochrangiger Personen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung zu sehen. Es drängt sich der Eindruck auf, als ob frühere Autoren Scheu hatten, die Biographie dieser Personen zu ihren Lebzeiten zu erforschen. In den 1980er-Jahren hatte die jüngere Historikergeneration einen gewissen Überdruss an theoretischen Debatten und moralischen Betroffenheitsbekundungen. Ihre Forschungen, die den Bedarf an solider, quellengestützter Forschung deckten, sind nur in geringem Umfange mit der Grenzöffnung und dem Verschwinden der DDR zu erklären. Die Arbeiten waren zu diesem Zeitpunkt schon im Gange und wurden dann in den frühen 1990er-Jahren veröffentlicht. Herbert zeigt in seinem Nachwort, dass seine Forschungen mit zeitgleichen anderen im Grundkonzept diskutiert wurden, dadurch konnten nach ähnlicher Anlage weitere Studien zu weiteren Gruppen deutscher NS-Täter erarbeitet werden. Diese für Geisteswissenschaftler begrüßenswerte Arbeitsweise ist leider noch nicht allzu weit verbreitet.
Für Herbert zeigen diese Arbeiten zwischenzeitlich, dass das Ausmaß der Belastung durch die einstigen NS-Eliten in den 1950er- bis 1970er-Jahren viel größer war, als dies bis dahin vermutet worden war. Das Buch ist als ein wertvoller Beitrag zur Geschichte des 20. Jahrhunderts anzusehen, wenn auch aus einer besonderen Perspektive.
Nach diesen Hinweisen auf die Verdienste der Arbeit sind auch ergänzende Anmerkungen zu machen. Best traf als Mitglied der Akademie für deutsches Recht, besonders dem Ausschuß für Polizeirecht, mit den maßgeblichen Juristen zusammen, die in der NS-Zeit als tonangebend galten und von denen viele nach 1945 an wichtigen Stellen saßen. Seit der Publikation der Ausschussprotokolle sind hier vertiefend Feststellungen zu treffen. In seiner Zeit in Paris hat Best mit Theodor Mayer Pläne zu einem deutschen Historischen Institut in Paris betrieben, die jedoch nach Bests Wechsel nach Dänemark nicht weiterverfolgt, sondern erst weit nach Kriegsende in anderer Form umgesetzt wurden. In Herberts Buch erscheint nicht Bests überaus enge Zusammenarbeit in den Jahren 1940 bis 1942 mit dem als Mäzen in der Nachkriegszeit hochgeachteten Alfred Toepfer (Hamburg), der eine „völkische Durchleuchtung Frankreichs“ bearbeitete. Die Rede „Wir und die Welt“, die Best am 7. Januar 1945 in Kopenhagen hielt und drucken ließ, wertet Herbert nicht aus.
Zu Best sind über die im Literaturverzeichnis genannten dänischen Titel in Dänemark weitere Arbeiten erschienen, die wohl eine Heranziehung, mindestens zum Nachwort, verdient hätten. Verteidiger der Angeklagten der NS-Gewaltverbrechen war zu Beginn eine kleine Gruppe von Rechtsanwälten, die teilweise schon in den Nürnberger Verfahren tätig waren. Herbert hat keine Verbindungen dieses Kreises zu der Nebenkanzlei Bests berichtet. Bestanden keine Verbindungen oder waren diese konspirativ verdeckt? Wie sicher sich Best in den 1960er-Jahren fühlte, zeigt die Tatsache, dass er von 1962 bis 1970 mit dem späteren Präsidenten des Bundesarbeitsgerichts, Otto Rudolf Kissel, in Wiesbaden eine Loseblatt-Textausgabe mit Ergänzungslieferungen zu „Recht und Verwaltung in Hessen: Fundstellenverzeichnis aller im Lande Hessen geltenden Gesetze …“ herausgab. Im Selbstverlag veröffentlichte er 1967 von Wetzlar aus eine Broschüre, in der er „Vorschläge zur Neuordnung der Verwaltung in Hessen“ machte. Sein ehemaliger Kollege Reinhard Höhn arbeitete zu dieser Zeit mit ähnlichen Ideen erfolgreich beim Managertraining in Bad Harzburg.
Leider wurde das Personenverzeichnis gegenüber der ersten Auflage nicht bearbeitet. Wenn schon in einem Personenverzeichnis Vornamen mitgeteilt werden, sollte eine Vollständigkeit angestrebt werden. Zu Leopold von Caprivi (S. 187) findet sich die Ergänzung schon S. 591 Anm. 155. Ernst-Otto Dörries, Fritz Fehling, Hubert Gürten, Stephan Hurwitz, Helene Elisabeth Prinzessin zu Isenburg, Karl Külb, Horst Mahnke, Hermann Mattheiß, Heinz Meurin, Werner Peiser, Josef Schmitz-Epper, Bogdan Nikolajewitsch Stachynski, Paul Tirard, Mottek Wolmann und Falk Wolfgang Zipperer sollten in einer 6. Auflage ergänzt werden. Ob es sich bei Dr. Wetz in Paris (S. 217) nicht um Luitpold Werz handelt, wäre noch zu prüfen.
Neu-Ulm Ulrich-Dieter Oppitz