Original Ergebnisseite.

Fricke, Eberhard, Die westfälische Veme im Bild. Weitere Denkwürdigkeiten und Merkwürdigkeiten zur Geschichte der westfälischen Vemegerichtsbarkeit. Supplementband. Aschendorff, Münster 2011. 335 S. Besprochen von Wilhelm A. Eckhardt.

Fricke, Eberhard, Die westfälische Veme im Bild. Weitere Denkwürdigkeiten und Merkwürdigkeiten zur Geschichte der westfälischen Vemegerichtsbarkeit. Supplementband. Aschendorff, Münster 2011. 335 S. Besprochen von Wilhelm A. Eckhardt.

 

Dieser „Supplementband“ ist dem Echo auf Eberhard Frickes Buch “Die westfälische Veme im Bild” von 2002 (Besprechung von Bernhard Diestelkamp in ZRG GA 121, 2004, S. 673f.) zu verdanken, den Anregungen und den kritischen Bemerkungen, denen der Autor nun Rechnung trägt oder mit denen er sich auseinandersetzt. So ist er dem Wunsch nach einem Anmerkungsapparat dankenswerterweise gefolgt, aber er ist bei seiner Ansicht geblieben, dass man das Thema auch mit Abbildungen illustrieren könne, ja müsse, die eigentlich mit der Feme nichts zu tun haben. Und so bringt er in diesem neuen Band weitere 104 nummerierte Abbildungen (tatsächlich sind es noch mehr, weil manchmal mehrere Abbildungen unter einer Nummer zusammengefasst sind), von denen keine, wenn ich es richtig sehe, schon in dem Band von 2002 verwendet wurde. Das ist in mancher Hinsicht ein Gewinn. Die Abbildung 2 aus der Darmstädter Handschrift 1567 (Oppitz, Ulrich-Dieter, Deutsche Rechtsbücher des Mittelalters, Bd. 2, Beschreibung der Handschriften, Köln, Wien 1990, Nr. 390), einem Westfälischen Femrechtsbuch von 1546, ist z. B. eine sehr viel bessere Illustration der Gründungslegende als die Bilder aus der wesentlich älteren Soester Handschrift (Oppitz Nr. 1354) und als alle anderen Karlsbilder, die 2002 Verwendung fanden. Das Darmstädter Bild Karls des Großen bei der Belehnung uber die hailig haimlich Echt zeigt nämlich die für die Feme typischen Attribute Gerichtsschwert und Strick. Hier ist also ein doppelter Bezug zur Feme gegeben: durch die Art der Handschrift und durch die Art der Darstellung.

 

Natürlich ist so eine „verbissene Konsequenz“, wie Fricke (S. 14) es nennt, nicht immer möglich und auch nicht immer nötig. In meiner Einleitung „Dorfgerichtsstätten im nördlichen Hessen“ zu dem Internet-Inventar „Gerichtsstätten in Hessen“ bei www.lagis-hessen.de habe ich selbst in Ermangelung historischer Abbildungen dörflicher Gerichtsstätten auf das Wandgemälde einer Stadtgerichtssitzung von 1551 unter freiem Himmel im Marburger Rathaussaal hingewiesen und gesagt, dass man sich eine Gerichtssitzung im Dorf nicht viel anders vorstellen müsse, nur dass dort die Schranken des Gerichts von der Ummauerung des Gerichtsplatzes gebildet würden (S. 7). Marburg ist ja naheliegend; ich würde dagegen für die Illustrierung nordhessischer Verhältnisse nicht das bekannte und gern (auch von Fricke 2002, Abb. 104) verwendete Bild einer Gerichtssitzung vor Schüpfheim aus der Luzerner Chronik des Diebold Schilling von 1513 nehmen wollen. Für Frickes Thema heißt das: Die Heranziehung der Bilderhandschriften des Sachsenspiegels für die Darstellung von Gerichtssitzungen (Fricke, Abb. 9 und 10) halte ich für angemessen, aber die Abbildung des Bremer Roland als Beispiel für eine anderweite Berufung auf Karl den Großen als Rechtsschöpfer (Fricke, Abb. 6) für wenig hilfreich. Wenn schon ein Roland, dann doch lieber der – freilich nicht so imposante – Roland von Korbach, der vor dem vemhuiß, dem Altstädter Rathaus stand, vor dem auch das Freigericht tagte, wenn man Wolfgang Medding (Mittelalterliche Gerichtsstätten und Rechtsdenkmäler in Waldeck, in: Hessische Heimat 5, 1939, S. 10-16, hier S. 14) folgen darf. Es gibt in dieser Frage meiner Meinung nach keine grundsätzliche Entscheidung, sondern man muss in jedem Einzelfall abwägen, was zur Illustration taugt und was nicht.

 

Diese mehr formalen Fragen behandelt Fricke in seinem erstem Kapitel „Korrektur“. Die weiteren Kapitel (Verdichtung, Folgen, Aspekte, Forschung) bringen Ergänzungen und Vertiefungen gegenüber der Darstellung von 2002. Im Einzelnen geht es um das Verhältnis der Feme zur höchsten Gerichtsbarkeit und um ihren Verfall, um Nachleben und Erinnerungszeichen, um bestimmte Aspekte wie das Verhältnis zu den Juden. Frickes Ausführungen sind kenntnisreich und anregend. Über die Bebilderung könnte man auch hier wieder streiten; in dem interessanten Abschnitt „Veme und Hanse“ (S. 220-252) ist z. B. die einzige Abbildung zur Sache der Rezess vom Hansetag in Lübeck 1447 (Abb. 92). Im abschließenden Kapitel „Forschung“ erneuert Fricke seine Forderung (vgl. 2002, S. 254f.), das „historische Konstrukt“ als „Veme“ zu bezeichnen, die „moderne Subkultur“ als „Feme“. Das hat viel für sich, hat sich aber auf dem Gebiet der Rechtsgeschichte nicht durchgesetzt (vgl. Heiner Lück, Artikel „Feme, Femgericht“ in HRG 12, Berlin 2008, Sp. 1535-1543); deshalb wurde hier die Schreibweise Feme beibehalten.

 

Beim „Stand der Forschung“ (S. 289ff.) spricht Fricke auch die Notwendigkeit weiterer regionalgeschichtlicher Untersuchungen an. Aus Marburger Sicht denkt man da sofort an Waldeck. Natürlich kommen die Grafschaft Waldeck und die Freistühle Elleringhausen, Freienhagen, Fürstenberg, Korbach, Landau, Lichtenfels und Sachsenhausen bei Fricke vor, aber eigentlich mehr am Rande. Es gibt auch nicht viele Veröffentlichungen zum Thema. Zu nennen sind Varnhagens Übersicht über die Freistühle in der Grafschaft Waldeck (Archiv für Geschichte und Alterthumskunde Westphalens 1, Hamm 1826, Heft 2, S. 97-105, Heft 3, S. 59-65), ein Abschnitt bei L. Curtze (Geschichte und Beschreibung des Fürstenthums Waldeck, Arolsen 1850, S. 499-517), der oben erwähnte Aufsatz Wolfgang Meddings und die Auflistung der Freigrafen, deren Amtszeiten und Amtsorte sich vielfach überschneiden, bei Ulrich Bockshammer (Ältere Territorialgeschichte der Grafschaft Waldeck, Marburg 1958, S. 268-270). So wäre eine neue zusammenfassende Darstellung durchaus wünschenswert. Neues Quellenmaterial ist durch Uta Löwenstein (Quellen zur Geschichte der Juden im Hessischen Staatsarchiv Marburg 1267-1600, 3 Bände, Wiesbaden 1989) erschlossen worden (im Sachindex unter „Gerichte, westfälische“ zu finden), worauf schon Fricke (S. 219 Anm. 579) hingewiesen hat. Und bei der (noch nicht abgeschlossenen) Verzeichnung des Marburger Bestandes 86 (Hanauer Nachträge) durch Uta Löwenstein hat sie weitere Quellen ermittelt, die zum Teil schon in dem oben genannten Internet-Inventar „Gerichtsstätten in Hessen“ (bei Fürstenberg, Lichtenfels und Sachsenhausen) verwertet werden konnten.

 

Der meines Erachtens wichtigste Fund ist aber eine bisher unbekannte Handschrift des 15. Jahrhunderts, die in einem unverzeichneten Aktenpaket des Bestandes 141 b (Waldeck, Gerichte, Rüge- und Bußregister) im Staatsarchiv Marburg lag und jetzt die Signatur Bestand 147.1 (Waldeck, Handschriften) Nr. 2 trägt. Sie enthält (ohne einer genaueren Beschreibung vorgreifen zu wollen) Bl. 2r-10r Wigands Rechtsbuch A (Paul Wigand, Das Femgericht Westfalens, 2. Aufl., Halle 1893, Neudruck Aalen 1968, S. 425-431; Oppitz, Bd. 1, S. 69, Ziffer 10.7), Bl. 10r-19v die Ruprechtschen Fragen (Oppitz, S. 68, Ziffer 10.1), Bl. 19v-23v die Arnsberger Reformation (Oppitz, S. 69, Ziffer 10.2) in der Fassung B bis § 18: Item wert dat eynich wetten man eynen andern wetten man vorboden dede yn dat hemelike gerichte, dar umme dat hey em to den eren nicht antworden en wolde, unde vorbode sich dey geyn dey also geladen. Der Rest fehlt. Diese waldeckische Femrechtshandschrift wird bei künftigen Arbeiten über die Feme in der Grafschaft Waldeck gewiss eine Rolle spielen.

 

Marburg                                                                                                          Wilhelm A. Eckhardt