Original Ergebnisseite.

Die Wiener rechtstheoretische Schule. Schriften von Hans Kelsen, Adolf Merkl, Alfred Verdross, 2 Bände hg. v. Klecatsky, Hans R./Marcic, René (†)/Schambeck, Herbert. Europa-Verlag, Wien 1968. Neudruck Verlag Österreich/Steiner, Wien/Stuttgart 2010. XIV, 982, IX, 983-1987 S. Besprochen von Thomas Olechowski.

Die Wiener rechtstheoretische Schule. Schriften von Hans Kelsen, Adolf Merkl, Alfred Verdross, 2 Bände hg. v. Klecatsky, Hans R./Marcic, René (†)/Schambeck, Herbert. Europa-Verlag, Wien 1968. Neudruck Verlag Österreich/Steiner, Wien/Stuttgart 2010. XIV, 982, IX, 983-1987 S. Besprochen von Thomas Olechowski.

 

Drei sehr unterschiedliche Professoren des Staatsrechtes waren es, die sich im Jahre 1968 zusammen fanden, um die wichtigsten Aufsätze von Kelsen, Merkl und Verdroß zu einer Anthologie zu vereinigen: Klecatsky aus Innsbruck war zu jener Zeit (1966-1970) Justizminister, Marcic hatte sich nicht nur als Rektor der Universität Salzburg (1966/1967) sondern vor allem als langjähriger Chefredakteur der „Salzburger Nachrichten“ einen Namen gemacht; Schambeck aus Linz stand damals am Beginn einer außergewöhnlichen politischen Karriere, fast 22 Jahre lang (1975-1997) sollte er den Vorsitz oder stellvertretenden Vorsitz im österreichischen Bundesrat inne haben. Was sie neben ihrer Bewunderung für die Wiener rechtstheoretische Schule vereinte, war vor allem ihre katholische Weltanschauung – eine bemerkenswerte, jedoch nur auf dem ersten Blick verblüffende Kombination. Die Textsammlung entwickelte sich zu einem Standardwerk, das schon bald vergriffen war; aber anlässlich des 90. Jahrestages der Beschlussfassung über das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz 1920 neu herausgebracht und bei einem Festakt im Parlament am 5. Oktober 2010, zu dem sowohl der österreichische Bundespräsident Heinz Fischer als auch der ehemalige deutsche Bundespräsident Roman Herzog kamen, präsentiert wurde. Von den Herausgebern waren nur mehr zwei anwesend: Marcic war bereits 1971 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen.

 

Die Persönlichkeiten der Herausgeber wie auch die Art der Präsentation des Bandes machen deutlich, wie sehr die Wiener rechtstheoretische Schule bereits Ansätze zu einer Art offizieller Rechtstheorie der Republik Österreich entwickelt hat. Dass es sich bei einem der beiden Verlage, die den Neudruck übernommen haben, um den ehemaligen Verlag der Österreichischen Staatsdruckerei handelt, vervollständigt nur noch das Bild. Derartige Ansätze sind freilich für den wissenschaftlichen Diskurs nicht unproblematisch und bergen viele Gefahren – sowohl für Gegner wie auch für Anhänger der Wiener Schule.

 

Doch muss von beiden Seiten anerkannt werden, dass es sich bei dem neu herausgebrachten Buch um ein Werk handelt, das selbst Wissenschaftsgeschichte geschrieben hat, indem es wesentlich zur Renaissance der damals fast schon in Vergessenheit geratenen Wiener Schule beigetragen hat. Sowohl Auswahl wie auch Anordnung der Beiträge sind als im Großen und Ganzen gelungen zu bezeichnen. Die Arbeiten von Kelsen, Merkl und Verdross wurden zu vier Themenblöcken zusammen gefasst – Metaphysik und Erkenntnistheorie des Rechts; Allgemeine Rechtslehre; Staatliche Ordnung; Völkerrecht (internationale Ordnung) – und innerhalb der Blöcke chronologisch geordnet, um so die gegenseitige Beeinflussung der drei Autoren aufzuzeigen. Dabei fällt freilich auf, dass nur wenige Beiträge von Kelsen nach seinem Weggang aus Wien 1930 enthalten sind, während bei den jüngeren Beiträgen vor allem Verdroß dominiert. Dies mag mit dem Titel der Anthologie zusammen hängen, möglicherweise auch mit dem Umstand, dass Kelsen später v. a. auf Englisch publizierte, während hier nur deutschsprachige Beiträge aufgenommen wurden. Schließlich könnte die Auswahl auch mit der oben angesprochenen Weltanschauung der Herausgeber zusammen hängen, was sehr wahrscheinlich ist, wenn man etwa die Beiträge von Verdroß über „Die Erneuerung der materialen Rechtsphilosophie“ (Nr. 27) oder zur „christlichen Rechtsphilosophie“ (Nr. 29) liest.

 

Beim Neudruck handelt es sich nicht um eine Reprographie, sondern um ein neu gesetztes Werk mit abweichender Paginierung. Weder die Paginierung von 1968 noch die der Originalwerke ist kenntlich gemacht worden, was das Auffinden von Zitaten nicht gerade erleichtert. Die Auswahl der Aufsätze blieb dieselbe; auch der Thesaurus für das Sach- und Personenregister wurde nicht verändert. Die im Anhang befindlichen Kurzbiographien und Werkverzeichnisse der drei porträtierten Personen, die in der Zwischenzeit alle verstorben sind (Merkl 1970, Kelsen 1973, Verdroß 1980), wurden aktualisiert.

 

Wien                                                                                                  Thomas Olechowski