Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Nationalsozialismus, hg. v. Lück, Heiner/Höland, Armin (= Hallesche Schriften zum Recht 29). Universitätsverlag Halle-Wittenberg, Halle an der Saale 2011. 215 S. Besprochen von Ulrich Oppitz. IT
Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Nationalsozialismus, hg. v. Lück, Heiner/Höland, Armin (= Hallesche Schriften zum Recht 29). Universitätsverlag Halle-Wittenberg, Halle an der Saale 2011. 215 S. Besprochen von Ulrich Oppitz.
In den Kreis der rechtswissenschaftlichen Fakultäten, die sich mit ihrer Geschichte der Jahre 1933-1945 befassen, wie z. B. Bonn, Frankfurt am Main, Kiel und Münster, tritt mit der anzuzeigenden Schrift auch Halle/Saale. Ein studentischer Workshop im Januar 2009 und eine Tagung im Februar 2009 bereiteten das Thema vor und bildeten den Rahmen der vorgelegten Beiträge. Hinzu kamen zwei Vorträge, die im Rahmen der Ausstellung des Justizministeriums des Landes Sachsen-Anhalt „Justiz im Nationalsozialismus“ im Jahre 2009 gehalten worden waren.
Mitglieder des Lehrkörpers der Fakultät stellten die Fachvertreter ihrer Disziplinen vor. Heiner Lück gibt einen Überblick über „Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät Halle in der NS-Zeit“ (S. 15-33). Ihm schließt sich Armin Höland „Spurensuche - Bürgerliches Recht und Arbeitsrecht in Halle zwischen 1933 und 1945“ (S. 34-54) an. Michael Kilian berichtet über „Die hallischen Staatsrechtslehrer in der Zeit des Nationalsozialismus“ (S. 55-76). Joachim Renzikowski widmet sich der „Hallische(n) Strafrechtswissenschaft im Nationalsozialismus“ (S. 77-94). Ralf Frassek stellt „Die nationalsozialistische Studienreform in Halle“ (S. 95-110) dar. Als Frankfurter Gast referiert Joachim Rückert über „Zwölf Jahre ‚Dienst am Recht’ ?“.
Wie es bei Sammlungen von Vorträgen ohne stringentes Lektorat häufig ist, findet man bei mehreren Autoren übereinstimmende Angaben, dies betrifft besonders die Angaben zu den persönlichen Daten der handelnden Personen. Bei Gustaf Klemens Schmelzeisen führt dies zu einer bemerkenswerten Beobachtung (S. 20 Anm. 22, S. 102 Anm. 29): Bevor er 1934 in Tübingen zur Habilitation kam, hatten die Universitäten in Tübingen, Marburg, Heidelberg, Bonn., Halle und Köln seinen Habilitationsantrag abgelehnt. Wenn ihn Halle 1942 dennoch auf einem planmäßigen Extraordinariat beschäftigte, wäre dies sicher einer Erklärung wert gewesen, die auch über die abgelehnte Habilitation Aufschluss hätte geben sollen. Ein Lektor hätte wohl auch auf S. 179 Anm. 179 die Arbeit erwähnt, zu der Zuck Angaben hätte machen können.
Manche Hinweise wären aufschlussreich für die Zeitumstände gewesen. Leider unterblieben sie, wie etwa bei Claudius Freiherr von Schwerin (S. 135). Sein Beitrag zur Festschrift „Deutsche Wissenschaft. Arbeit und Aufgabe“ (1939) wird erwähnt – oh, wie schlimm: Festschrift für Adolf Hitler. Leider fehlt es an dem Hinweis darauf, dass Claudius Freiherr von Schwerin zu dieser Zeit immer noch Erica Sinauer mit Arbeiten zur Sachsenspiegel-Glosse beschäftigte, bevor sie nach Gurs verschleppt und dann in Auschwitz ermordet wurde. Im Übrigen wäre es wohl Schwerins Überblick über die Rechtsgeschichte wert, auf zeitbedingte Zugeständnisse geprüft zu werden.
Frasseks Überblick zur Auswirkung der Studienreform behandelt leider überhaupt nicht den zur gleichen Zeit eingeführten Studienplan der Wirtschaftswissenschaften, der auch auf Karl August Eckhardt zurück ging, und der in einer rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät zu beachten war. Frassek verdanken wir, leider ohne jegliche Quellenangabe, eine frühe Verbindung zwischen Heinrich Himmler und Karl August Eckhardt (S. 98). Hatte Nehlsen in seinem ZRG-Nachruf (S. 510) die Verbindung zwischen beiden seit dem Jahr 1935 belegt, so wird Eckhardt schon ein Jahr früher zum Außenposten Himmlers im neu aufgebauten Ministerium. Gern würde man die Quelle Frasseks prüfen.
Schwer nachzuvollziehen ist es, dass Erich Schwinge, Nachfolger auf dem Lehrstuhl des vertriebenen Guido Kisch, „mit ziemlicher Sicherheit kein Nationalsozialist“ war. Diese überraschende Feststellung verlangt eigentlich nach einer Definition eines „Nationalsozialisten“. Gerade die ausufernde Beschreibung der „Untreue“ nach 1933 ist vor 50 Jahren im Universitätsunterricht als typisches Beispiel nationalsozialistischen Rechtsdenkens gelehrt worden. Daneben war es noch die neu definierte Sicherungsverwahrung, die als typisch nationalsozialistisch beschrieben wurde. Schwinge verdanken wir nicht zuletzt, dass die „Untreue“ über lange Jahre jegliche Kontur verlor. Wenn er dann auch in tiefstem Frieden, 1936, bereits das Militärstrafgesetzbuch kommentierte und es in immer neuen Auflagen ausarbeitete, so tat er dies dann wohl als Widerständler à la Filbinger.
Die Arbeit geht leider nicht der Frage nach, wer eigentlich irgendjemanden gezwungen hat, in den Jahren 1933 bis 1945 ein juristisches Studium aufzunehmen oder einen juristischen Beruf auszuüben (S. 95). In einer Zeit, in der Unrecht gewünscht war, kann sich doch jeder diesem Ansinnen entziehen und eine andere Berufstätigkeit wählen. Mit unübersehbarer Deutlichkeit wurde ab Februar 1933 allen, die es sehen wollten, klar gemacht, dass Recht nicht mehr das Maß aller Dinge war.
In Halle hatte es schon im Jahre 1931 einen Vorgeschmack dessen gegeben, was ab Februar 1933 Regierungswollen war. Der Pfarrer Gustav Dehn (zu ihm: Bautz, F. W.: in Biogr.-bibliograph. Kirchenlexikon, Hamm 1975, Bd. 1, Sp. 1242-1249; Heiber, Helmut, Universität unterm Hakenkreuz, Teil 1, München u. a. 1991, S. 82-100) hatte am 6. 11. 1928 in der St. Ulrichkirche in Magdeburg in einem Vortrag über „Kirche und Völkerversöhnung“ u. a. gesagt: „… Es wird … außer acht gelassen, dass der, der getötet wurde, eben auch selbst hat töten wollen. Damit wird die Parallelisierung mit dem christlichen Opfertod zu einer Unmöglichkeit. Im Anschluß daran sollte man auch die Frage erwägen, ob es richtig sei, den Gefallenen Denkmäler in den Kirchen zu errichten. Sollte man das nicht vielleicht der bürgerlichen Gemeinde überlassen? ...“ Hiernach setzte ein heftiges Kesseltreiben gegen Dehn ein. Als er 1931 durch den preußischen Kultusminister Grimme einen Ruf auf einen theologischen Lehrstuhl in Halle erhielt, kam es am 3. und 4. 11. 1931 zu Ausschreitungen von Studenten auf dem Universitätsgelände. Nach dem catalogus-professorum-halensis leitete Joachim Mrugowsky als Hochschulgruppenführer des Nationalsozialistischen Deutschen Hochschulbundes, Hochschulgruppe Halle“ die ersten Aktionen gegen Dehn. Mrugowsky (S. 205) erhielt 1935 in der Fakultät einen Lehrauftrag zu „Volk“. 1947 wurde er im Nürnberger Ärzteprozess zum Tode verurteilt und 1948 gehängt. Warum Rückert, trotz des Eintrags im catalogus-professorum-halensis, seinen Namen nicht kennt oder findet, wird sicher die 2. Auflage der Arbeit klären.
In der idyllischen Fakultät, die Rückert (S. 136) beschreibt, nennt er Kisch und Boehmer in einem Satz. Wie beleidigend muss dies für Guido Kisch sein. In seinem immer wieder lesenswerten „Lebensweg eines Rechtshistorikers“ (1975) schreibt er zu Boehmer im klärenden Abstand von 40 Jahren seit den Vorgängen (S. 90): „… Schon in den Jahren 1931-1932 hatte er sich anlässlich des ‚Falles Dehn’ an den nationalsozialistischen Kesseltreiben gegen dieses frühe Opfer der nazistischen Verhetzung der Studenten kräftig oder sogar initiativ beteiligt …“ Heiber (wie vor, S. 94) erwähnt Boehmer als „warmen Gönner“ der Anliegen der NS-Studenten. Kischs Erinnerungen verdanken wir auch den Hinweis (S. 87), dass 1925 Boehmer nicht zum Dekan gewählt wurde, da es nicht näher beschriebene Vorgänge aus seiner Militärzeit gab, die eine Wahl untunlich erscheinen ließen, jedoch wurde er 1933 unverzüglich an die Stelle des rechtmäßig gewählten Dekans (S. 100) als „Gleichschaltungsdekan“ eingesetzt. Am 22. 2. 1933 war Boehmer einer der Hallenser Mitinitiatoren einer Adresse an die Studentenschaft: „Die Stunde ist gekommen …“, die unverhohlen zur Unterstützung des neuen Systems aufforderte (Heiber, Helmut, Universität unterm Hakenkreuz, Bd. I, München u. a. 1992, S. 23). Für Boehmers Charakter wurde bei Zeitgenossen als nicht untypisch angesehen, dass er 1933, fast in Orwellscher Manier, eine Buchveröffentlichung aus dem Jahre 1932 nachbearbeitete. Anfang 1932 war von ihm seine „Einführung in das bürgerliche Recht“ erschienen. Dort (S. 38) hatte er zu Rasse und Juden geschrieben und dabei erwähnt, dass nämlich die von den Nationalsozialisten geforderte Zurücksetzung der Juden durch Eheverbote mit Deutschstämmigen oder Beschränkungen in der Gewerbetätigkeit ‚das Rad der Geschichte um mehr als ein Jahrhundert zurückdrehen’ würde. Im November 1933 - und nach Boehmers Parteibeitritt - wurde die Seite ausgewechselt und es stand dann dort ein neutraler und wertungsfreier Text (Heiber, Helmut, Universität unterm Hakenkreuz, Teil 1, München u. a. 1991, S. 345). Diese Episode berichtete mir vor 45 Jahren schon ein ehemaliger Ministerialreferent, der damit dienstlich befasst war. Boehmers Wechsel nach Frankfurt am Main, wo er „auf den hohen Rossen hoffnungsvoller Zukunftspläne“ einreiten wollte, traf auf eine Periode, als das Reichsministerium erwog, diese Universität total zu schließen (Heiber, Helmut, Universität unterm Hakenkreuz, Teil II Bd. 2, München u. a. 1994, S. 169). Wie viele seiner Professorenkollegen hatte er bei dem Wechsel nach Frankfurt keine Skrupel, von der Verjagung jüdischer Professoren von ihren Lehrstühlen zu profitieren.
Der Überblick der Fakultätsgeschichte hätte einen Überblick über die Personen verdient, die in den Jahren als Dekane die Fakultät im rechten Sinne führten. Statt vergeblich Spuren der Mitgliedschaft oder Tätigkeit in systemnahen Aktivitäten zu suchen, wäre ein Überblick über die durchgeführten Dissertationen und Habilitationen der Jahre 1933 bis 1945 wünschenswert gewesen. Hier konnten die Mitglieder des Lehrkörpers ihr tägliches Verständnis von zeitgerechter Wissenschaft zeigen, warum hat man sie nicht danach befragt?
Leider vermisst man unter den Gründen, die für die hohe Fluktuation unter den Lehrenden der Fakultät von Belang sind, einen Hinweis auf Fritz Hartung, der, als er eine von dem Nationalsozialismus geplante Strafversetzung erörterte, maliziös meinte, es gäbe wohl nicht allzu viel, was man nach Halle noch als Strafe empfinden würde (Heiber, Helmut, Universität unterm Hakenkreuz, Teil 1, München u. a. 1991, S.83, ähnlich Heiber a. a. O. Teil II Bd. 2, München u. a. 1994, S. 459).
Der umfangreiche Beitrag, der immerhin fast ein Viertel der Arbeit ausmacht, zu Erwin Noack bringt eine Vielzahl Details zu einem typischen Nationalsozialisten der frühen Jahre, der später selbst seinen Förderern lästig fällt, zeigt mit erfreulicher Deutlichkeit, dass selbst in dem Bundesland Schleswig-Holstein, das gemeinhin als ein rechter Sonderfall des Verständnisses ehemaliger nationalsozialistischer Aktivitäten gilt, eine Rückkehr in den Beruf des Rechtsanwalts erheblicher Widerstand überwunden werden musste. Insofern ist diese Darstellung ein Lehrstück gegenüber den leichtfertig erhobenen Vorwürfen in der Bundesrepublik hätten allen ehemaligen Nationalsozialisten alle Türen offen gestanden. Noack hatte ebenso wie Schmelzeisen viele Hindernisse zu überwinden, wobei man aus heutiger Sicht immer noch bedauern muss, dass die Hindernisse zu überwinden waren. Wie man am Beispiel Paul Sattelmachers sieht, war es schon lebensrettend, nicht an der früheren Wirkungsstätte zu bleiben.
Neu-Ulm Ulrich-Dieter Oppitz